Es lebte einmal vor langer Zeit, als sich noch Sonne und Mond nach belieben abwechselten, ein junges Mädchen mit einem Herzen aus Glas. Ihre Augen leuchteten wie die ersten Sonnenstrahlen, ihr Haar war fließender als Seide und ihr Lachen schien Geschichten von Licht, Liebe und Frieden zu erzählen. Jeder der sie sah war verzaubert von ihrer Gestalt, denn ihre Unschuld berührte die Herzen der Menschen und heilte sie von Schmerz und Kummer. Das kleine Mädchen besaß eine Gabe, sie konnte in die Herzen anderer blicken, so wie jeder in das ihre blicken konnte. Sie erkannte die Träume, Sehnsüchte und Ängste die jemanden plagten und half jedem so gut sie vermochte. Erfüllte Wünsche, war ein offenes Ohr für alle Sorgen und heilte gebrochene Herzen. Das Mädchen kannte weder Lüge, Verrat oder Geheimnisse und vertraute somit auch anderen Menschen allzu leichtfertig. Ihr Vater war zeitlebends besorgt um seine wunderschöne Tochter und versuchte sie vor den Gräul der Welt zu beschützen, damit ihr gläsernes Herz nicht zerbrach. Nachdem er seine Tochter, nach einem langem erfülltem Leben verlassen hatte lebte sie weiter nach seinen Regeln und Idealen. Jedem Menschen in Not zu helfen, um die Welt jeden Tag ein bisschen heller zu machen. Natürlich trauerte sie um ihr, doch hatte sie gesehen, dass sein Herz bei seinem Tod rein und ohne Reue war, wusste um das enge Band zwischen ihm und ihr, dass sie beide selbst nach seinem Tod noch verband.
All ihre Bekannte kamen, um ihr Beileid auszusprechen doch sie antwortete nur, dass ihr Vater immer bei ihr sein würde, um sie zu behüten.
Die Jahre vergingen und aus dem kleinen Mädchen wurde eine junge Frau, deren Anmut und Güte noch immer jeden verzauberten. Ihr Herz war erfüllt von Glück, Vetrauen und Hoffnung und ließ sie durch seine gläsernen Wände leuchten.
Alle genossen ihre Gesellschaft, alle bis auf den jungen Mann, der zurückgezogen in der verlassenen Wolfshöhle am Waldrand lebte und jedes Mal die Flucht ergriff sobald er ihr Kommen spühret. Seine Ablehnung verletzte die gläserne Frau, doch wollte sie ihm um jeden Preis helfen, so wie ihr Vater es geraten hätte.
So kam es, dass sie ihn in seinem schmutzigen Unterschlupf besuchte, um heruaszufinden, welche Last auf den jungen Schultern lastete, die ihn vor ihrem Licht zurückschrecken ließ. Doch als sie ihn dort zum ertsen Mal sah wich sie erschrocken einen Schritt zurück und auch der Mann verzog sich in den hintersten Teil der Höhle. Mit aufgerissenen Augen betrachtete sie ihn, während er sich von ihr abwandte. Sein steinernes Herz war schwarz wie die Nacht und verströmte eine Dunkelheit, die alles Licht zu verschlingen drohte. Wie angewurzelt blieb sie im Eingang stehen, konnnte weder wegrennen noch hinein treten und auch der Mann bleib stumm in seinem schattigen Versteck.
Zwei junge Menschen, grundverschieden und dennoch unfähig sich voneinander abzuwenden. Licht und Dunkelheit, Glas und Stein. Den Mann schmerzte das helle Licht, während sich gleichzeitig jede Faser seines Körpers danach sehnte. Die Frau fürchtete sich vor der Schwärze seines Herzens und wurde dennoch von ihr angezogen, wollte dem jungen Mann diese niederdrückende Last abnehmen, obwohl sie wusste das sie dies zerstören würde.
Langsam kam sie ihm näher, bei jedem Schritt unschlüssig und zögernd. All diese Dunkelheit die dieser Mann mit sich umher trug, ihr Herz konnte es nicht ertragen ihn in dieser Weise leiden zu sehen. Sie beweunderte ihn dafür all die Zeit mit dieser Bürde gelebt zu haben, bewunderte seine Stärke und Kraft die er ausströhmte. Sein Anblick erfüllte sie mit solcher Ehrfurcht, sodass sie nicht den Blick abwenden konnte. Sie selbst hatte sich nie stark gefühlt, immer war sie für andere da gewesen, hatte nach den Regeln ihres Vaters gehandelt, sich gefügt und immer nur untegeordnet, um auf sich aufzupassen. Die Anziehung dieses schwarzen Herzens, das ihr vor Augen führte wie es war stark zu sein, wie es war Verlust zu erleben und dennoch nicht aufzugeben war überwältigend. Je länger sie ihn betrachtete, desto deutlicher wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich wünschte nur einmal in ihrem Leben unglücklich zu sein, in Selbstmitleid aufzugehen und zu verzweifeln, nur um genau wie der Mann vor ihr daran zu wachsen und stärker zu werden. Die Dunkelheit seines Herzens war nicht vollkommen, sie konnte auch den Willen darin spüren niemals aufzugeben, der sich der Schwärze entgegen stellte.
Auch der Mann trat ihr entgegen, er konnte in ihrem gläsernen Herz erkennen welchen Kampf sie mit sich austrug und wusste um ihr Vorhaben. Nichts wollte er mehr, als nur ein einziges Mal dieses Glück zu spüren, welches sie ausstrahlte, welches sie wie einen Umhang trug. Welches ihre Schritte leicht machte und sie dazu befähigte den Moment zu erleben ohne sich bereits über den nächsten Gedanken machen zu müssen. Er dagegen empfand nur Verlust, Trauer, Leere, Wut und Hass... doch als er in ihre Augen blickten verblassten diese Emotionen bereits und er spührte wie die Anspannung von ihm abließ. Wie wunderbar musste es sein dieses Gefühl immer zu verspühren.
Doch konnte er zulassen, dass dieses liebreizende Wesen, welches an jedem Ort nur Frieden verbreitete mit seiner Bürde belastet wurde? Niemand schien sie als Person wirklich wahrzunehemen, man genoss nur das Licht, welches sie verströmte. Jeder sah nur das Leuchten in ihrem gläsernen Herz, doch er sah darin so viel mehr. Die Jahre ihrer Aufopferung, in denen sie ihre eigenen Bedürfnisse stets untergeordnet hatte, hatten ihr Opfer verlangt. Durch die Glaswände ihres Herzens zogen sich hauchdünne Risse, es schien jeden Moment zu zerfallen, wurde nur noch von leuchtenden Fäden aus Hoffnung und Vertrauen zusammengehalten. Diese Frau vor ihm war mehr als Licht und Glück, sie war auch selbstlos und trug an ihrer Gabe so schwer wie er an seiner Bürde. Ihr diese noch zusätzlich zu überreichen, nur damit er sich besser fühlte, war ihr gegenüber nicht gerecht. Noch ein letztes Mal blickte er in ihre strahlenden Augen, wandte sich ruckartig von ihr ab und verließ die Höhle, rannte so weit wie seine Füße ihn trugen und er zusammenbrach.
Bestürzt blickte ihm die junge Frau hinterher, sie war zu geschockt um ihn zu verfolgen, noch hätte sie ihn einholen können. Weshalb war er wohl geflohen? Diese Frage sollte sie noch lange beschäftigen.
Die Zeit verging für die Frau und den Mann nur noch quälend langsam, immer wieder dachten sie aneinander zurück, an das Gefühl das sie gehabt hatten, als sie einander in die Augen gesehen hatten.
Die Frau blieb in ihrem Dorf, zog sich jedoch immer mehr zurück. Ständig zog es sie zu der verlassenen Wolfshöhle und wenn sie ihr Haus verließ folgte ihr aufgeregtes Getuschel und Menschen die es sich nicht entgehen ließen die wenigen Augenblicken ihrer Gesellschaft zu nutzen um mit ihr über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen, doch längst hörte sie dem Gerede nur noch mit halben Ohr zu und immer mehr Risse durchzogen unbemerkt ihr gläsernes Herz.
Der Mann dagegen blieb nie lange an einem Ort, zog immer weiter, wobei er sich immer öfter dabei erwischte wie es ihn in Richtung Dorf zog. Er versank zunehemend in Verschwiegenheit, Trauer, Sehnsucht, Selbsthass und Verlust. Schon einige Male wollte er zurückkehren, um sich von der schönen Frau erlösen zu lassen, doch jedes Mal kehrte er wieder um. Er war bereits mit einem steinernen Herz geboren worden und hatte schon so manch Schandtat begangen, doch etwas so reines und unschuldiges zu verderben sollte nicht dazu gehören.
Immer wieder hörte er Geschichten von der jungen Frau mit dem gläsernen Herz, die Kranke heilen und Frieden verbreiten konnte, doch keiner lauschte er bis zum Ende, zu sehr schmerze die Erinenrung.
Auch die junge Frau hörte Geschichten über den einsamen Reisenden der die ganze Welt durchwanderte, doch als sie einmal den Erzählungen nachgereist war, war derjunge Mann nicht vorzufinden und die zahlreichen Versuche ihn zu finden blieben erfolglos.
So lebte jeder von ihnen sein eigenes Leben voll Sehnsucht nach der anderen Person die sie doch nur ein einziges Mal getroffen hatten und die dennoch jeden ihrer Gedanken erfüllte.
Eines Tages wurde die Sehnsucht des Mannes so groß, dass er nicht bemerkte wie ihn seine Füße eigenständig bis zu seiner alten Höhle trugen. Wie angewurzelt blieb er stehen als ihn die Erinnerungen mit unbekannter Heftigkeit überfluteten. Ein erschrockenes Keuchen erklang hinter seinem Rüken. Ruckartig drehte er sich um und blickte in das Gesicht der jungen Frau, beide betrachteten sich entsetzt, zu überrascht um ein Wort zu sagen. Voll Trauer bemerkte der Mann die zahllosen Risse und Furchen im Herzen der Frau und wie kraftlos die Lichtfäden verzweifelt versuchten die Teile zusammenzuhalten. Doch als er in ihre Augen sah schien neue Kraft durch ihren Körper zu gehen und sie wieder neu erstrahlen zu lassen. All die Anstrengungen und Verluste der letzten Jahre schienen bedeutungslos, als er in ihr Gesicht blickte über das Tränen strömten.
Die Frau betrachtete ihn auf die gleiche Art und Weise. All die Jahre hatte sie sich nach diesem Augenblick gesehnt, eigentlich wollte sie in dieser Nacht das letzte Mal zu der Höhle gehen, zu sehr hatte es sie verletzt sich jeden Tag nach jemanden zu sehnen, den sie nie wieder sehen würde, doch nun stand er vor ihr. Sein Herz schien noch dunkler geworden zu sein, doch als sie ihm mit Freudentränen in den Augen anstrahlte erwachte seine altbekannte Stärke und neues Licht und schien die Dunkelheit zu durchbrechen.
Schluchzend fiel sie ihm küssend in die Arme, genoss ihn endlich, nach all der Zeit, zu berühren und bei ihm zu sein. Leidenschaftlich erwiederte er den Kuss und drückte sie fest an sich. Er hatte schon fast vergessen wie es war dank ihr keine Wut oder Trauer mehr zu spühren und etwas zu genießen. Wie wunderbar war es bei ihr zu sein, nicht wegen der Last die von seinen Schultern fiel, sondern weil er, wenn er sie betrachtete sah, was wahre Güte und Ehrlichkeit war und wie eine einzige Person es schaffte in der Welt und ihn ihm neues Licht, sogar Liebe, zu erwecken. Sie sahen sich in die Augen, vergessen war die Zeit der Trennung, denn ihre Herzen waren beide geheilt. Ihres hatte weder Risse noch Furchen und besaß nun neue Kraft, während seines nicht mehr erfüllt war von Schwärze und Dunkelheit. Noch lange standen sie dort im Mondlicht und betrachteten einander, konnten nicht glauben was geschehen war.
Schließlich kehrten die in das Dorf zurück, in dem sie ab diesem Tag glücklich zusammen lebten. Die Frau zeigte dem Mann die Freuden des Lebens bis sein Herz gleich ihrem vor Liebe und Freude strahlte, während der Mann ihr die Kraft schenkte ihr eigenes Herz, zerbrochen durch die Last tausender Sorgen, zu heilen. Schon bald wurde eine prunkvolle Hochzeit verantaltet auf der die beiden sich die ewige Liebe schworen, an die viele der Dorfbewohner zu Beginn nicht glauben konnten, doch die bis zu ihrem Lebensende halten sollte.
Eine Liebe zwischen Glas und Stein.