Ich ließ mich in den weichen Sitz sinken und platzierte meine Schultertasche neben mir. Wie sooft an diesen Tag atmete ich noch einmal hörbar aus. Das kribbeln im Bauch nahm immer mehr zu und ich verspürte nach und nach mehr die Vorfreude in mir aufsteigen. Mit einem leichten Lächeln zog ich mir die Jacke aus und sah auf das Display. Gut, ich hatte noch eine zweistündige Zugfahrt vor mir, aber die war es mir allemal wert. Wie oft hatte ich mir diesen Moment vorgestellt?! Irgendwann hatte ich es schon als eine Träumerei abgestempelt. Aber dieses mal belohnte mich das Glück das erste mal in meinem Leben mit dieser einmaligen Chance. Monate lang hatte ich darauf hingearbeitet, mit drei Nebenjobs mir den Arsch aufgerissen. Wobei ich selbst nach all meinen Anstrengungen nicht einen behielt. Doch dies kannte ich schon zu Genüge.
Aber ich schüttelte diese Gedanken jetzt weit weg von mir und holte aus meiner Tasche ein Notizbuch. Aus diesem holte ich das Objekt meiner ganzen Bemühungen.
Wahrscheinlich würde man mich in der Fanszene missbilligen. Wie konnte ich mich Fan dieser Band schimpfen und dennoch nicht einmal bisher auf ein Konzert gewesen sein?! Dafür gab es für mich einige Gründe. Doch diese änderten sich schnell als ich erfuhr das sie ihre allerletzte Tournee starteten. Ich wollte sie sehen. Mit wehmütigen Herzen wollte ich die Band zum ersten und letzten mal sehen die mir so sehr durchs Leben geholfen hatte.
NoName
Eher zufällig stieß ich vor einigen Jahren auf sie. Wie sooft trieben mich dunkle, wirre Gedanken durch das Internet. Auf der Suche nach irgendwas von dem ich nicht wusste was es eigentlich war. Ich las nur ihren Namen und das Genre, ich machte mir gar nicht erst die Mühe Bilder oder die Discografie nach zuschauen. Ich war der Meinung sie würde auch zu meiner Liste von Bands landen die ich abhacken konnte. Mal gehört aber nicht weiter interessant. So klickte ich auf das erste Lied was mir die Suchmaschine vorsetzte und sah ohne große Erwartungen in das Musikvideo. Anfängliche Neugier wich schon, nach der Hälfte des Liedes, Begeisterung. Der Einsatz der Instrumente, die Melodie, die Aufmachung des Videos und der Text, alles traf vom ersten Augenblick an meine innersten Gefühle. Es war als ob sie ihnen eine Stimme verliehen hätten. Die Ausstrahlung die vom Frontsänger ausging hatte mich sofort in den Bann gezogen. Meinem Körper durchzog ein unbekanntes Gefühl bei jedem Wort was er sang. Eine Aura des Geheimnisvollen umgab ihn, man konnte sein Gesicht nicht ganz durch die Verbände erkennen. Alle Mitglieder hatten sich in diesen Outfit vor meinen Augen präsentiert.
Nur hin und wieder, wenn ein paar Streben des Verbandes rutschten, entblößten sie ein Auge des Sängers, wenn die Kamera ran zoomte und er mit seiner tiefen, rauen Stimme die nächste Strophe sang.
Ich war einfach nur gefesselt. Gefesselt von den Texten, der Aura und seiner Stimme, die tief in meine Seele drang. Und schon hatte ich den ganzen Abend damit verbracht mir weitere Songs anzuhören, Bilder anzugucken und Information einzuholen. Innerhalb von zwei Tagen hatte mich diese Band, aber vor allem der Sänger, komplett in ihren Fängen. Über die Zeit hinweg konnte ich auch ein paar erschwingliche Fanartikel mein Eigen nennen. Es gab mir einen Sinn und eine Aufgabe in mein düsteres Leben. Jegliche Informationen über den Sänger, allerhand Bilder, Videos, Interviews. Alles beanspruchte für ihn alleine schon eine externe Festplatte. Meine Wände kamen denen eines dreizehnjährigen Mädchens gleich.
Und nun hatte ich wirklich ein Ticket in den Händen und konnte sie endlich live erleben. Schon bei der Vorstellung wie seine Stimme mich von allen Seiten durchdringen würde, überkam mich eine Gänsehaut und mein Körper begann zu kribbeln. Mit einen freudigen Seufzer steckte ich die Karte wieder ein, setzte meine Kopfhörer auf und ließ die Landschaft verträumt an mir vorüber ziehen.
Es war das erste mal das ich mich in einer so großen Stadt befand. Ich musste schon zugeben das mich diese Hektik und die vielen Menschen einschüchterte. Ich war absolut nicht der Typ der soviel Trubel mochte. Mit monotonen Gesichtern zogen die Leute an mir vorbei, während ich versuchte auf meinem Handy dem Navi zu folgen. Obwohl man meinen könnte das man eine Stadthalle eigentlich sehen müsste, hatte ich keine Ahnung wo ich hin musste. Aber da ich mich selbst am besten kannte, war ich nicht umsonst schon viel früher losgefahren, da man die Zugfahrt auch mit einberechnen musste. So irrte ich etwas verloren mit dem Handy in der Hand in der Stadt umher. In der Hoffnung dass das Navi mich nicht sonst wo hinführen würde. Nach einer Weile jedoch hatte ich die Straße mit meinem Ziel gefunden, auch wenn es doch mehr Zeit in Anspruch genommen hatte als erwartet. Es war fast schon erschreckend wie schnell es bereits begann zu dämmern. Aber ich war froh nun endlich die Halle erreicht zu haben. So beschloss ich die verbleibende Zeit zu nutzen, um mir schnell etwas zu Essen aus dem naheliegenden Supermarkt zu besorgen. Die Aufregung wuchs von Minute zu Minute. Im Grunde war es mir egal das ich höchstwahrscheinlich nicht ganz vorne an der Bühne sein würde. Fans die hier wohnten hatten eh den Heimvorteil. Für mich war entscheidend das ich sie überhaupt live erlebte.
Ohja, mein Handyspeicher würde heute ordentlich voll werden.
Ich schaute auf die Uhr. Die Zeit verging wirklich viel zu schnell.
Mein Herz begann immer schneller zuschlagen, während ich mich der Stadthalle näherte. Gleichzeitig fragte ich mich ob die Halle vielleicht nicht zu groß war. Klar waren NoName beliebt, aber nur in bestimmten Kreisen. Es gab nur ein Lied was im Tv und den Charts lief. Ich schüttelte den Kopf. Ich sollte mich darüber freuen überhaupt hier zu sein und nicht über sowas nachdenken.
Meine Schritte beschleunigten sich immer weiter, bis ich auch schon angekommen war. Sofort konnte ich eine Menschenmenge erkennen, die sich am Eingang versammelt hatte. Jeder wartete nervös und hibbelig auf den Einlass. Dies konnte ich sehr gut nachvollziehen. Mir selbst ging es nicht besser.
Und dann ging es auch schon Schlag auf Schlag. Als wenn jemand einen Lock Duft versprüht hätte, schwappte die Menschenmenge wie eine Welle zum Eingang. Ob ich wollte oder nicht, ich wurde in die Welle gerissen. Drei Ordner versuchten das Wirrwarr zu sortieren und begannen fünf Reihen anzuordnen. Jeder versuchte sich die beste Reihe aus zu suchen. Ich selbst wurde in die zweite gedrängt und fand mich einfach damit ab das ich heute nicht Herr über meine Beine war.
Bis die Leute die Reihen durchschritten hatten und ihre Karten vorzeigten, verging auch nochmal Zeit. Das trug nicht gerade dazu bei das sich mein Puls beruhigte. Im Gegenteil. Als ich dann vor dem Ordner stand, dröhnte mein Herzschlag in den Ohren. Mit gleichgültiger Miene sah er auf mich herab und streckte mir die Hand entgegen.
»Dürfte ich bitte ihren Tascheninhalt sehen?!« Ich blinzelte und öffnete meine Tasche, halbherzig sah er hinein und begutachtete den Inhalt. Dann schnaubte er kurz und sah mich wieder an.
»Die Karte bitte!« Völlig überfordert fuhr ich auf und wühlte hektisch in meiner Tasche nach dem Notizbuch. Mit bebender Hand hielt ich ihm die Karte entgegen.
Seine Augen weiteten sich für einen Sekundenbruchteil.
»Oh, noch eine.«, murmelte er und legte eine Hand an mein Schulterblatt, »Würdest du mir bitte folgen?!« Nun völlig aus dem Konzept schluckte ich aufgeregt. Während der Ordner einem Kollegen zu nickte, der seinen Platz einnahm, führte er mich an den Reihen vorbei in einen separaten Raum. Mein Hals wurde trocken. Was sollte das? Wieso wurde ich in einen Raum geführt und nicht in die Halle gelassen?! Dann kam mir eine schlimme Vorahnung.
Ich hatte doch nicht etwa eine gefälschte Karte?!
Natürlich, das musste es sein. Wieder einmal wiederfuhr mir nichts Gutes.
Wortlos wies mich der Ordner mit einer Handbewegung dazu auf mich hinzusetzen. Ich gesellte mich an den Tisch zu einem blonden Mädchen. Sie schien in meinem Alter zu sein. Im Gegensatz zu mir war sie die Ruhe selbst und grinste in sich hinein. Wie konnte man bloß so ruhig bleiben?! Wenn sie auch eine gefälschte Karte hatte, würde bestimmt einiges auf uns zugekommen. Wie konnte man da so fröhlich sein?!
Noch ein Ordner gesellte sich in den Raum und ging zu seinem Kollegen.
Unverständlich murmelten sie sich etwas zu.
Meine Anspannung wuchs und wuchs.
»Dann stimmen also die Gerüchte.«, durchbrach die Blonde die Atmosphäre. Ich zuckte auf und sah sie mit fragender Miene an.
»Es gibt wirklich nur zwei. Ehrlich gesagt habe ich das gar nicht geglaubt.«, fuhr sie euphorisch fort. Meine Stirn legte sich immer mehr in Falten.
Von was zum Teufel sprach sie da? War sie etwa betrunken und konnte die Lage gar nicht einschätzen?
»Hey!«, redete sie weiter, »Freust du dich nicht?! Wie kannst du denn hier nur sitzen wie ein Trauerkloß?!«, lachte sie spöttisch. Zögernd sah ich durch den Raum.
»Ähm ... entschuldige ... aber von was redest du?«, antwortete ich flüsternd, »Bist du nicht auch auf eine gefäl-«
»Erzähl mir nicht du hast gar keinen Schimmer?!«, fragte sie entrüstet, »Lass mich raten. Du denkst bestimmt die haben dich mit genommen weil du eine gefälschte Karte hast, oder?!«, fügte sie lachend hinzu. Ich nickte nur zögerlich.
Weswegen auch sonst bitte?!
»Hast du etwa nicht von dem Gerücht gehört wegen dem letzten Konzert?!«
Meine Miene verwandelte sich immer mehr in ein Fragezeichen.
»Nein hab ich nicht. Was sind das denn für Gerüchte?«, harkte ich nach.
»Naja jetzt sind es ja keine Gerüchte mehr.«, antwortete sie grinsend, »Es hieß das unter den Konzertkarten zwei sein sollen die ein VIP-Ticket sind.« Ich blinzelte ungläubig.
»B-Bitte?!«
»Ist das nicht Hammer?! Weißt du was das bedeutet?! Wir treffen NoName live, also ich meine, wir können mit ihnen reden und ihnen die Hand schütteln.«, überschlug sie sich. Ich starrte sie nur an.
Was hatte sie gerade gesagt?
VIP-Ticket?
Mit NoName reden?!
Ich atmete tief durch. Was machte sie so sicher das die Gerüchte wirklich stimmten? Es war bestimmt einfach nur Zufall das gerade wir zwei hier sitzen und die Gerüchte auch von zwei VIP-Tickets die Runde machte. Wir saßen hier wegen gefälschten Karten! Alles andere wäre zu schön gewesen.
»So Mädels dann folgt uns bitte!«, durchbrach ein Ordner meinen Gedankengang.
Wir beide sahen auf und nickten.
Während die Blonde immer noch in sich hinein grinste, folgte ich mit mulmigen Gefühl den Ordnern. Wieder standen wir vor einem Raum und wurden hinein gebeten. Dieser Raum war vollkommen anders als der vorherige. Weicher Teppich war ausgelegt und verschiedene Sessel luden zum sitzen ein. Eine Minibar präsentierte allerhand Getränke. Eine große Couch war auf die Glaswand gerichtet. Mir stockte der Atem. Man konnte direkt auf die Bühne blicken. Dieser Raum bot die perfekte Aussicht auf die Bühne
»Falls ihr Fragen habt. An der Wand bei der Minibar ist ein Telefon. Ansonsten viel Spaß.«, sprach ein Ordner und verließ mit seinen Kollegen den Raum.
Wie jetzt?! Die lassen uns hier einfach drin stehen? Keine Erklärungen oder Unterweisungen?! Nichts?!
Wie eine Steinsäule stand ich da. Die Blonde kreischte hysterisch auf.
»Oh mein Gott wie geil!«, jubelte sie und schmiss sich auf die Couch, »Hey komm auch her!«
Ich war völlig überfordert. Das war doch alles ein Traum oder?! Es konnte doch nicht sein das ich wirklich eines dieser VIP-Tickets hatte, oder?!
Ein leichtes vibrieren erfüllte den Raum und es wurde dunkel. Einzelne Scheinwerfer richteten sich auf die Bühne. Die Fans unten in der Halle waren nun völlig aus dem Häuschen. Wie in Trance ging ich zu der Glasscheibe und presste meine Hände gegen das Glas. Wie gebannt starrte ich auf die Bühne.
Die dunkle, tiefe Stimme des Frontsängers Levi erfüllte die Halle und vibrierte an der Scheibe nieder.