"Alle Tiere haben Mächte in sich, denn der große Geist wohnt in allen, auch in der kleinen Ameise, in einem Schmetterling, auch in einem Baum, in einer Blume und in einem Felsen."
(Petaga Yuha Mani, Sioux-Indianer)
Vorwort:
Die Gitga’at nennen sie Mooksgm’ol, „Geisterbär“, für andere ist es der Kermodebär. Ein weißer Schwarzbär.
Dieses Tier ist weder ein Albino noch ein Eisbär, sondern eine weiße Variante des nordamerikanischen Schwarzbären. Man findet ihn fast nur im Great Bear Rainforest, einer rund 65.000 Quadratkilometer großen Wildnis, anderthalb mal die Fläche der Schweiz. Sie erstreckt sich südlich der Stadt Prince Rupert über 400 Kilometer entlang der kanadischen Westküste und umfasst nebelverhangene Fjorde ebenso wie dicht bewaldete Inseln und gletschergekrönte Berge.«Ich erkläre es den jungen Leuten so», sagt Helen Clifton, eine 86-jährige Matriarchin der Gitga’at: «Wenn ihr einen Geisterbären seht, dürft ihr das auf keinen Fall hinausposaunen. Wenn ihr es unbedingt jemandem erzählen müsst, dann sagt ihm, ihr habt mooksgm’ol gesehen. Man wird verstehen, was ihr meint.»
Mooksgm´ol oder Die Geschichte der Geisterbären
Eine Legende aus Art-Arien
Darius, der Fürst der Dämonenkrieger war in Drachengestalt der schnellste und geschickteste Flieger unter den Magiern Art-Ariens. Allein sein Bruder Atreus, der Phoenix, hätte es an einem warmen Sommertag, wenn die Kraft der Himmelsscheibe die Magie seines Feuers unterstützte, mit der Geschwindigkeit dieses Fabelwesens aufnehmen können.
Doch die Wendigkeit und Flugkunst des schwarzen Drachens konnte selbst er nicht überbieten. Und der Phoenix ließ diesen Vorrang des älteren Bruders gutmütig gelten.
Der aber zog an jenem frühen Morgen träge dahin. Darius hatte sich mit Naoki auf Meridiana getroffen und ließ sich nun von den starken Seewinden zurück zum Festland treiben, nach Ipioca und Tsiigehtchic, wo im Dorf seines Bruders Nashoba seine Gefährtin auf ihn wartete.
Die Brise, die das Meer leichte Wellen schlagen ließ, trug auch ihn zuverlässig und Darius versank in einem Tagtraum, wie es ihm in den letzten Mondumläufen häufiger geschah als je zuvor.
Wieder sah er das Gesicht jener Frau vor sich, deren Liebe und Zuneigung ihm immer noch wie ein kleines, eigens für ihn erdachtes Wunder erschien. Solinacea von Dakoros, die Prima Magica der Frühlingsinseln.
Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er ihr einen Platz in seinem Herzen eingeräumt, obwohl er damals bereits wusste, dass sie sich einem anderen versprochen hatte, einem Mann, dessen Ehre und Freundschaft er niemals angetastet hätte, da auch er ihn achtete, Nashoba von Ipioca.
Mit ihm verband Darius eine enge Freundschaft und auch, wenn es wider alle seine dämonischen Instinkte war, hatte er den Wahlbruder in den Jahren, die nun folgten, nie verraten.
Dann aber hatte das Schicksal sie herausgefordert und ihnen allen Entscheidungen auferlegt, die keinem vorher je in den Sinn gekommen wären.
Der Drache lächelte still in sich hinein, als er sich erinnerte. Gute vier Jahre waren seitdem vergangen und noch immer kam ihm das Erlebte ganz unglaublich vor.
Als es begonnen hatte, an einem sonnigen Frühlingstag wie diesem, hatte er geglaubt, das Ende Schumas klar vor sich zu sehen. Er hatte die Menschen seiner Stadt und schließlich Solinea dabei zusehen müssen, wie sie mit dem Tod rangen und er hatte entschieden, dass er es sein würde, der an ihrer statt den Weg in die Anderwelt nahm.
Es war ihm gerecht erschienen und ein Tausch, mit dem er ihr, endlich, ehrenvoll seine Liebe erklären konnte. Als Arken sie nach dem Vollzug des Rituals dann nach Tsiigehtchic gebracht und er die Rückkehr des Adlers erwartet hatte, war eine merkwürdige Stille über ihn gekommen, die er bis dahin noch nie kennengelernt hatte. Zu schwach, um sich zu erheben, hatte er eindringlich das Pulsieren des Lebens um sich herum gespürt, die Klänge der Natur, Wasser, Wind, die Gesänge der Vögel. Er hatte die Wärme der Sonne und die Kühle der Frühlingsbrise wahrgenommen und sich geheimnisvoll eins mit der Welt gefühlt, die er bald verlassen sollte. Es lag ein stilles, unverhofftes Glück in diesem vermeintlichen Ende und inzwischen glaubte Darius, dass es das Wissen um Solineas Weiterleben gewesen sein musste, aus dem er diese Ruhe geschöpft hatte. Er wusste, er hatte ihr das Beste geschenkt, was er geben konnte. Das war ein tröstlicher Gedanke gewesen.
Damals war er allein im Gebirge eingeschlafen und er erinnerte sich nicht, wie er zurück auf die Burg gekommen war. Die nächsten Bilder vor seinen Augen gaben etwas ganz anderes wieder. Das Erwachen. Das Gefühl, wach zu werden, mochte eigentlich für jedes Wesen etwas ganz Harmloses sein. Doch damals war es für Darius wie ein Schlag ins Gesicht gewesen zu wissen, dass es noch nicht vorbei war. Noch mit geschlossenen Augen musste er feststellen, dass er nach wie vor lebendig war, ja dass sein Sterben, an das er fest glaubte, offenbar noch nicht einmal begonnen hatte, fühlte er sich doch stärker und schmerzfreier als in seiner letzten Erinnerung. Darius war ein starker Mann und so sah er sich auch selbst. Dennoch machte es ihm Angst, nicht zu wissen, was nun auf ihn zukam.
Doch auf das, was ihn bei seinem Erwachen tatsächlich erwartete, hatte ihn keiner vorbereiten können. Noch bevor er die Augen öffnete, hatten ihm seine feinen Sinne bestätigt, dass er zuhause auf der Drachenburg war. Der vertraute Geruch nach gewachstem Holz, das Gefühl seines Lagers unter ihm und die gewohnten Klänge an seinem Ohr hatten ausgereicht, ihn wissen zu lassen, wo er sich befand. Doch dann war ihm ein feiner Duft in die Nase gestiegen, den er sich nicht erklären konnte, angenehm fraulich und doch auf eine seltsame Art fremd und gleichzeitig vertraut.Diese Wahrnehmung hatte ihn vollends geweckt.
Darius erinnerte sich schmunzelnd daran, wie er die Augen aufgeschlagen hatte und auf eine schlafende Solinacea, keine zwei Handbreit von seinem Gesicht entfernt, gestarrt hatte.
Der Drache lachte in sich hinein, schwang sich in einem spiralförmigen Aufwind und ließ sich mit der Thermik in die höheren Luftschichten tragen.
Die Anwesenheit der von ihm geliebten Frau hatte ihn völlig die Kontrolle über seine Gefühle verlieren lassen. Einen Moment lang hatte er ein unsagbares Glücksgefühl verspürt. Sie war tatsächlich zu ihm gekommen! Doch dann, als er alle Details der Szene an seinem Bett in sich aufgenommen hatte, den blutverschmierten Kelch neben seinem Lager und ihre Verletzung, die nicht magisch verschlossen worden war, hatte er eins und eins zusammengezählt und verstanden, was hier geschehen sein musste.
Wäre Darius nicht in seiner Drachengestalt gewesen, gewiss hätte ein feines Rot seine Wangen überzogen. Wie sehr hatten sie sich an jenem Morgen missverstanden! Immer mehr Bilder der Erinnerung zogen vor dem inneren Auge des Mannes dahin, der sich langsam aber stetig der rauen Küste Ipiocas näherte. So viel war seitdem geschehen, so viel Zeit war vergangen und inzwischen war er ein völlig Anderer geworden als zu jener Zeit.
Noch einmal gedachte er der Geschehnisse, sah sich selber, als Atreus vor ihm auf die Glaiven schwor, dann ihr gemeinsames Gamosritual und schließlich, es war keinen halben Mondumlauf nach ihrem magischen Sonnenopfer, sah er noch einmal, wie sie alle drei das „Omnia vincit amor“ bestätigt hatten.Nashoba hatte nach langem Nachdenken eine Lösung gefunden, wie sie eine erneute große Feier verhindern konnten und so hatten sie als Ritualplatz dessen Lieblingsort in den Drachenbergen gewählt. Diese Klippe war so unzugänglich, dass sich wirklich nur ihre engsten Freunde um sie versammeln konnten. Die Inokté den Drachen als einen der ihren anerkannt und Darius war stolz auf diese Zugehörigkeit. Nachdenklich musterte er die Küste unter sich. Still und leise hatte sich Ipioca für ihn zu einer neuen Heimat entwickelt und auch, wenn Nashoba den letzten Winter mit ihnen auf der Drachenburg verbracht hatte, war Tsiigehtchic der Platz, an dem sie sich alle drei am wohlsten fühlten.
Der Dämonenkrieger hatte die Küste erreicht und nun galt es, dem Land unter sich und dem Spiel der Lüfte mehr Aufmerksamkeit als bisher zukommen zu lassen. Darius musterte die Landschaft und entschloss sich, dem Lauf eines kleinen Baches zu folgen, der unter ihm unspektakulär ins Meer mündete. Der Drache richtete seine Flugbahn aus und machte sich daran, die Küste hinter sich zu lassen, als er sie sah.
Zunächst war da nur ein schmutzig-heller Fleck auf den ansonsten dunkelgrauen Kiesbänken des Baches. Doch Darius´ Sinne waren durch den jahrzehntelangen Krieg geschärft und er ließ nichts außer acht, was ihm ungewöhnlich vorkam. Er verlangsamte sein Tempo, glitt näher zu den Baumwipfeln hinab, über Sitka-Fichten und Schierlingstannen hinweg, und schließlich erkannte er mit einem ungläubigen Staunen, was er entdeckt hatte. Unter ihm, mit den Vorderpranken im schnell fliesenden Wasser des Flusses, stand eine großgewachsene Bärin und schien Jagd auf Fische zu machen.
Als sie ihn erkannte, richtete sie sich drohend auf und brummte dem Drachen ihre Ablehnung entgegen. Zwei tollpatschige Bärenkinder an ihrer Seite gaben Aufschluss für den Grund ihrer Aggressivität. Doch was Darius beeindruckte und irritierte, war, dass alle drei Bären ein rein weißes Fell hatten. Er kannte sich ein wenig mit den seltenen Raubtieren aus und wusste, dass es weiter im Norden, dort wo das Meer auch im Sommer vereist war, weiße Bären geben sollte. Doch das hier war etwas ganz anderes.
Darius erinnerte sich, wie er vor drei Sommern mit Nashoba und Solinacea erstmals freie Bären beobachtet hatte. Und da ihn nichts drängte, beschloss er, den dreien eine Weile seine Aufmerksamkeit zu schenken. Noch in der Luft vollzog er die Verwandlung und ließ sich bald darauf in sicherer Entfernung von der seltsamen Bärin mit ihren weißen Jungen nieder. Die Bärenmutter hatte sich schnell wieder beruhigt, war doch das Objekt ihres Unmuts inzwischen vom Himmel verschwunden.
Während nun der Dämonenkrieger beobachtete, gesellte sich ein männlicher brauner Bär zu den drei Weißen und bald darauf kam ein weiterer Artgenosse hinzu. Darius erwartete nun, dass die beiden starken Bären ihre Rangordnung auskämpfen würden, wie es unter den Einzelgängern eigentlich üblich gewesen wäre. Doch so geschah es nicht. Einer nach dem anderen trotteten die beiden zu der weißen Bärin und begrüßten sie mit einem Nasenstüber. Dann ließen sie sich am Rand des Baches nieder und schon bald kamen die Jungtiere heran und begannen, auf den Alten herum zu klettern und mit ihnen zu spielen.
Darius beobachtete das Schauspiel fasziniert und rückte unwillkürlich ein Stückchen näher.Ein kleiner Ast knackte, ein Lufthauch fuhr durch das Unterholz und irgendetwas verriet den Bären seine Anwesenheit. Wie auf Kommando erhoben sich beide Braunbären und stellten sich drohend und schützend vor die Bärin mit ihren beiden Jungen. Majestätisch auf den Hinterbeinen aufgerichtet, brummten sie drohend und zeigten ihre starken Pranken mit den fingerlangen Krallen. Und obwohl Darius von dem ungewöhnlichen Verhalten der Bären fasziniert war, sah er doch ein, dass es besser wäre, nun zu gehen.
Leise erhob er sich in erneut in die Lüfte. Noch einmal warf er einen Blick auf das Ufer des Baches, doch die fünf Bären hatten sich bereits ins Unterholz getrollt und er sah sie nicht wieder. Nachdenklich legte er den restlichen Weg nach Tsiigehtchic zügig zurück.
Der Tag verstrich für den Fürsten der Dämonenkrieger schnell und erst am Abend, als er mit Solinacea und Nashoba in ihrem gemeinsamen Tipi saß und das flinke Flammenspiel des Lagerfeuers beobachtete, fiel ihm jene seltsame Begegnung mit den weißen Bären wieder ein. Darius wusste, dass sich Nashoba für alles interessierte, was die Natur in Ipioca hervorbrachte und so ließ er seinen Bruder an dem kleinen morgendlichen Erlebnis teilhaben.
Überrascht sah ihn der Ältere an, als er mit seinem Bericht begann. Dennoch blieb Nashoba still und beherrscht und ließ seinen Freund erzählen. Erst, als Darius an jene Stelle kam, an der er sich von den Bären zurückgezogen hatte, nickte der Minági zustimmend.
„Du hast richtig gehandelt, die Gruppe nicht weiter zu beunruhigen“, versicherte er. „Es gibt inzwischen schon drei Begegnungen der weißen Bärin mit Menschen und es wäre kaum wiedergutzumachen, sollte sie, weil er ihr zu nahe kam, einen von uns angreifen, und dabei verletzt oder getötet werden.“
Einen Moment lang schwieg der Wolfskrieger nachdenklich. Dann ergriff er das Chanunpa Wakan, das er vorsorglich bereitgelegt hatte und entzündete den Tabak. Wohlig atmete er den Rauch des starken Krautes ein, grüßte die vier Himmelsrichtungen, Erde und Sonne und reichte dann das Kalumet an Darius weiter.
„Sie sind etwas ganz Besonderes, diese weißen Bären“, machte er sich nun daran, seinem Wahlbruder die Mythen der Inokté zu erklären. „Unsere menschlichen Stammesmitglieder gehen zum Teil so weit, sie nicht einmal mit ihrem richtigen Namen zu benennen. Wenn sie von ihnen sprechen müssen, so sagen sie, sie haben Mooksgm᾿ol gesehen. Dennoch versteht jeder hier, was sie meinen.“
Darius lächelte. Aber es war ein warmes, verständnisvolles Lächeln und ließ Nashoba ein weiteres Mal verwundert darüber nachdenken, wieso der Drache sich erneut problemlos mit den ungewöhnlichen Riten seines Volkes identifizieren konnte.
„Mooksgm´ol jedenfalls tritt nie ohne Grund in Erscheinung“, fuhr der Minági schließlich fort, bevor das Schweigen unangenehm werden konnte. „Man sagt, wenn er bereit ist, sich den Blicken der Menschen und Magier zu stellen, wird bald darauf etwas Außergewöhnliches geschehen.“
Der Drache lachte leise. „Und was glaubst du, könnte für mich die Begegnung mit Mooksgm´ol bedeuten?“
Nun vertieften sich auch die winzigen Lachfältchen um Nashobas Augen. „Es ist wohl zumeist etwas Gutes“, ging er auf Darius´ Spiel ein. „Doch was genau der Anblick der Bären dir sagen wollte, kann ich natürlich auch nicht wissen.“
Beide Männer waren so in ihr Gespräch vertieft, dass es ihnen entging, als über das Gesicht ihrer Gefährtin ein kurzes, strahlendes Lächeln glitt. Dann hatte sich Solinacea wieder hinter einer unbeteiligten Miene versteckt.
„Und du hast wirklich zwei männliche Braunbären bei der Moogsgm´ol-Bärin gesehen?“, forschte sie, scheinbar ungläubig, nach.
Darius nickte. „Ich weiß, dass das nicht zu ihrem Verhalten passt“, gab er zu. „Aber so war es!“
Nun nickte auch Nashoba. „Es ist genauso, wie es auch die Anderen beschrieben haben.“ Er lachte leise auf. „Cheveyo war kurz davor, ihnen Namen zu geben. Ob dir das gefallen hätte, kann ich aber beim besten Willen nicht erraten!“
Solina kicherte. „Ja, einen pelzigen Namensvetter hat wirklich keiner von euch beiden verdient.“
Als Darius die Stirn runzelte, wurde die Magica aber schnell wieder ernst. „Ihr wisst, dass es mir schwer fällt, an Mythen und Prophezeiungen zu glauben“, fuhr sie nun leise und etwas zögerlich fort. „Doch ich muss euch etwas sagen und vielleicht …“
Sie verstummte und sah schüchtern auf ihre Hände. Ein zartes Rot überzog ihre Wangen und mit einem Mal richteten beide Männer ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Gefährtin. Es war so untypisch für sie, nicht frei heraus zu sprechen!
Darius rückte ein wenig näher und legte eine Hand auf ihre Schulter.
„Solinea, geht es dir gut?“
Von dieser Frage ganz offensichtlich irritiert, folgte nun auch Nashoba dem Vorbild des Jüngeren und schenkte seiner Gefährtin seine Nähe.
„Mitawin?“
Doch sie hätten sich nicht ängstigen müssen. Als die Dakoranerin auf diese Weise zärtlich von ihren Gefährten umsorgt wurde, trat mit einem Mal ein strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht und sie sah beide nacheinander voller Liebe an.
Unbewusst strich sie sich vorsichtig über ihren noch flachen Bauch, bevor sie das Geheimnis verriet.
„Wenn Cheveyo die beiden Bären mit euch vergleicht, dann wäre ich wohl die weiße Bärin. Doch die Mooksgm´ol hatte etwas bei sich, worauf ihr noch ein Jahr lang warten müsst …“
Sie schwieg und überließ es den beiden Magiern, ihre Worte zu deuten. Es war Nashoba, der zuerst begriff, was seine Gefährtin ihnen sagen wollte. Auch sein Gesicht erhellte bei diesem Gedanken ein hoffnungsvolles Lächeln.
„Das heißt, du erwartest ein Kind“, mutmaßte er.
Still ergriff nun Solinacea die Hände ihrer beiden Gefährten. Das, was sie hier endlich verraten durfte, hatte Onatah und sie lange Vorbereitungen und eine große magische Anstrengung gekostet. Immer wieder hatte die Heilerin darüber nachgesonnen, wie es sein würde, wenn sie das Kind eines ihrer Gefährten zur Welt brächte. Würde sich nicht jener, der nicht der Vater sein konnte, zurückgesetzt fühlen? Und würde nicht auch sie selber das Gefühl haben, den beiden Kriegern nicht gerecht geworden zu sein? Lange hatte sie gezweifelt und schließlich begann sie zu vermuten, dass diese Unruhe eine mögliche Empfängnis ganz verhinderte. Am Ende hatte sie sich Onatah anvertraut, ihrer alten Freundin, und sie waren zusammen zu einer Lösung gekommen. Einer Lösung, die ebenso ungewöhnlich sein würde wie ihr Bund aus dreien.
Aber obwohl sich die beiden Frauen ziemlich sicher waren, dass ihre Pläne aufgegangen waren, würde Solinacea heute noch nicht von dieser magischen Tat sprechen. Erst nach der Geburt würde man sehen, ob sie tatsächlich Erfolg gehabt hatten … Eines aber konnte sie heute schon mit Gewissheit sagen … Doch sie ließ sich Zeit und tatsächlich kam ihr Darius zuvor, indem er ehrfürchtig eine Hand auf ihren Bauch legte und sie dort ruhen ließ, wo warm und sicher ihr kleines Geheimnis geborgen war.
„Ich kann sie hören“, flüsterte der Drache, als könne ein lautes Wort den Zauber des Moments zerstören. „Es sind zwei Herzen. Du erwartest Zwillinge.“
Solinacea lächelte glücklich und nickte. „Wir! Wir erwarten Zwillinge. Die ersten Kinder unseres Bundes!“
An diesem Abend war es nur das zukünftige Glück, das die drei Gefährten genossen. Die innige Freude Solinaceas ließ keinen Platz für Fragen oder gar Zweifel. Erneut ruhte die Magica in dieser Nacht an der Schulter des Minági, geschützt und gewärmt von den Schwingen des Dämonenkriegers. Erst am kommenden Morgen, als Nashoba und er gemeinsam an den Fluss gingen, fand Darius Gelegenheit, mit seinem Freund ein wichtiges Detail zu besprechen. Mit tiefem Ernst bat er den Älteren, einen Moment zu warten.
„Du weißt ebenso gut wie ich, dass nur einer von uns der Vater dieser Kinder sein kann“, eröffnete er ohne große Vorrede das Gespräch.
Nashoba nickte.
„Egal, wer von uns beiden es nun ist, so sind sie doch zuerst die Kinder unseres Bundes“, fuhr der Drache nun fort. „Sollten sie mir also gleichen, so bitte ich dich, sie dennoch so zu lieben, als wären sie die Deinen…“
Nashoba unterbrach ihn. Auch er hatte ebenso wie sein Wahlbruder verstanden, wie wichtig es für Solina sein würde, dass keiner von ihnen beiden sich zurückzog, weil sie nicht seine Kinder geboren hatte.
„Wenn sie aber mein Wolfserbe tragen, dann bitte ich dich um dasselbe, sei ihnen ein gütiger Vater und Solina der Gefährte, den sie braucht.“
Er streckte Darius die Rechte hin und der Drache ergriff den Wolfsmagier fest am Unterarm. Sie hatten einen Bund geschlossen. Solinaceas Kinder würden die ihren sein. Und so, wie es ihnen gelungen war, gemeinsam eine Frau zu lieben, würden sie auch ihre Kinder lieben und aufziehen – gemeinsam!
ENDE
Mehr zu Darius, Nashoba und Solina findet ihr in "Die Magier von Art-Arien". Schaut doch mal auf meiner HP vorbei!
Eure Sophie