Yoichi war vollkommen übermüdet und spürte vor Kälte seine Füße nicht mehr. Er zitterte heftig und hielt sich nur immer wieder den Willen zu überleben vor den Augen. „Dort vorne, die Kathedrale steht noch“, Ruki zeigte auf das fast unbeschadete Gebäude. Sie liefen schneller. Vielleicht war es dort wärmer, und sie hatten ein Dach über dem Kopf. Yoichi konnte sich erinnern, dass Ryo, als er vor Neid davon gerannt war, doch in diese Richtung gelaufen ist. Möglicherweise konnten sie ihn dort finden.
Keichii stieß einen Schrei aus, als er die riesige, quietschende Tür des Gebäudes geöffnete und hineingespäht hatte. „Das darf nicht sein, das ist unmöglich“, langsam führte sein Weg zum niedergestochenen Ryo. Er lag auf dem Bauch, rings um ihn war Blut, und in seinem Rücken steckte eine Klinge mit dem Symbol der Homunkuli. Genau dasselbe hatte er vorhin bei dem Mann gefunden. Er holte es aus seiner Tasche und schloss es fest in seine Faust. Auch Ruki und Yoichi waren nun hineingekommen und mussten den toten Ryo sehen. Yoichi ging auf ihn zu und kniete sich zu Keichii, der ungläubig zu ihm sah und den Stofffetzen mit dem Symbol darauf fest in der Hand hielt. „Es ist meine Schuld, oder?“, Yoichi war klar geworden, dass Ryo nur aus Eifersucht auf die Freundschaft zwischen Keichii und ihm davongelaufen war. Wäre er zu diesem Zeitpunkt nicht dort gewesen, wäre Ryo bei Keichii geblieben und nicht in die Kathedrale gegangen. „Rede dir das bloß nicht ein, denn es ist nicht deine Schuld“, erwiderte Keichii zornig. Noch nie hatte Yoichi ihn so aufgebracht erlebt. Er schien sich wirklich Sorgen um ihn zu machen, und wollte bestimmt nicht, dass Yoichi sich für etwas schuldig bekennt, was er nicht getan hat. Keichii legte zitternd seine Hand an die Klinge, die in Ryos Rücken steckte, zog sie heraus und schmetterte sie gegen eine Wand, wo sie scheppernd zerschellte. Sie ist so leicht zerbrochen, bemerkte Yoichi. Keichii versuchte Ryo umzudrehen, was ihm schwer fiel, da er nur noch sehr wenig Kraft hatte und Ryo sowieso so ein massiger Mann war. Ruki kam ihm zu Hilfe und sie drehten ihn gemeinsam auf den Rücken. Ryos Gesicht war schmerzverzerrt und Yoichi musste wegschauen, denn es war kein schöner Anblick. Auch Ruki wurde übel und ihm gefiel überhaupt nicht was er sah. „Nun ist es also aus mit dir“, Keichii legte seine Hand auf Ryos Gesicht und schloss mit seinen Fingern seine Augen. „Keichii, Yoichi, wer ist das eigentlich?“, wollte Ruki wissen. „Er war ein guter Freund von mir“, sprach Keichii, der langsam immer mehr Kraft verlor und seine Augen immer schwerer wurden, „im Notfall war er immer für uns da.“ Keichii wollte das alles so schnell wie möglich vergessen und schaute aus der Tür hinaus auf die Trümmer von Dimos. Der Regen wütete noch immer und ein heftiger Sturm kam auf. „Ich denke wir sollten heute hier übernachten, was meint ihr?“, fragte er. Ruki schüttelte den Kopf, während er kurzzeitig zu Yoichi herüberschaute, der sich die Hand vor den Mund hielt und wahrscheinlich gleich brechen musste. „Suchen wir uns besser einen anderen Ort“, sagte er und zeigte mit dem Daumen hinter sich auf den toten Leib von Ryo und zuckte mit den Schultern. Ruki hatte Recht, so würden sie wahrscheinlich diese Nacht hier nicht aushalten. „Dennoch will ich ihn mitnehmen und ihn außerhalb von Dimos begraben, das hat er verdient“, Keichii lehnte sich gegen die Tür und verschränkte die Arme. „Wie willst du den denn transportieren, hä?“, befragte er ihn. Keichii schaute auf den Boden, denn da hatte Ruki ein stichhaltiges Argument angeführt. „Ich will ihn aber nicht hier liegenlassen. Du weißt doch gar nicht, wie das ist einen guten Freund zu verlieren“, stotterte Keichii wütend und Ruki zuckte erbost zusammen. „Oh doch, das weiß ich sehr wohl. Vielleicht sogar besser als du“, er dachte zurück, an die schreckliche Zeit, als die Homunkuli in seine Heimat kamen und ebenfalls wie hier in Dimos alles zerstörten und alle Menschen und Wesen töteten.
„Akira, Akira, wo bist du?“, Rukis Stimme erklang, sie war sehr traurig und hektisch. Das Dorf brannte, kaum eine Menschenseele war anzutreffen. Hin und wieder begegnete man wimmernden, um Hilfe flehenden Leuten, die um ihr Leben kämpften. Ruki suchte nach seinem Freund, der seit die Homunkuli kamen verschwunden war. Die heißen Flammen und die Ruinen, die ihm den Weg versperrten machten ihm die Suche fast unmöglich. Doch plötzlich sah er eine keuchende Person unter einem Holzbalken, es war sein Freund. „Akira!“, jammerte er und versuchte seinen Freund am Arm unter dem Holzbalken herauszuziehen. Es gelang ihm nicht, doch er tat alles Bedenkliche um ihn zu retten. „Ruki, es ist in Ordnung, bald ist alles vorbei“, japste Akira und spuckte Blut. Seine Atmung wurde immer unregelmäßiger und seine Kraft schwand dahin. „Sag das nicht, ich hol‘ dich daraus“, brüllte Ruki und versuchte weiterhin den Holzbalken wegzuschieben, doch das ließen seine Kräfte nicht zu. Plötzlich griff ihn Akira am Bein und meinte winselnd: „Lass‘ gut sein, es wird Zeit. Außerdem wollte ich dir schon lange etwas sagen, jetzt ist wohl der letzte Augenblick um das zu tun“, er hustete und aus seinem Mund troffen Blutfäden, „Ruki, ich habe dich schon immer für mehr als nur einen guten Freund akzeptiert. Lach‘ mich bitte nicht aus, wenn ich es dir jetzt sage. Ich … „, er blickte zu Boden „ Ruki, ich …“, die Worte blieben ihm im Hals stecken, doch er wusste, dass er es ihm jetzt sagen musste, sonst war es zu spät. „Ich liebe dich!“, rief er und griff nach Rukis Arm. Ruki stiegen die Tränen in die Augen. Er hatte es sich schon länger gedacht, und aus genau dem Grund wollte er ihn retten. Willensstark und mit neuer Energie geladen griff er Akira an den Armen und zog ihn unter dem Balken heraus. All‘ seine Rippen waren gebrochen und seine Wirbelsäule war vollkommen zertrümmert. Er wusste, dass sein Ende nah‘ war, aber das wollte und konnte er nicht akzeptieren. Er streifte ihm über das Haar, das dieselbe Farbe hatte wie seines. Akira rang nach Atem und er schluchzte. „Du darfst jetzt noch nicht sterben, was soll ich denn ohne dich machen?“, fragte Ruki völlig verweint. Akira hob seine Hand und streichelte ihm die Wange, er erzählte ihm, dass es weiter nördlich eine große Stadt gab, in der er die Alchemie erlernen konnte. Der Name dieser Stadt lautete „Dimos“. „Ich wollte selber dort hin, um ein mächtiger Alchemist zu werden, doch ich hatte nie die Gelegenheit dazu. Mein letzter Wille ist es, dass du in diese Stadt aufbrichst und dieses Handwerk erlernst“, trug er ihm auf, dann verließen ihn seine Kräfte, seine Hand ließ von Ruki ab und sank zu Boden. „Nein, Akira, bleib bei mir“, er schüttelte ihn und wollte nicht, dass sein Freund aus dem Leben trat, doch das konnte er nicht verhindern. Akira schloss die Augen und sein Herz hörte langsam auf zu schlagen…
Ruki fiel auf die Knie und fing an zu weinen. Bis zum heutigen Tag hatte er es eigentlich überwunden, doch nach all‘ diesen Ereignissen kam es wieder hoch und begann erneut an ihm zu nagen, wie ein Albtraum, der ihn ständig verfolgte. Keichii begriff, dass er etwas Falsches gesagt hatte, ging auf ihn zu und legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, wenn ich alte Wunden erneut aufgerissen habe“, er bat ihn um Verzeihung, doch Ruki hörte nicht auf zu weinen. Letztendlich nahm Keichii ihn in den Arm und fragte: „Ist es schlimm, wenn ich dir nun näher gekommen bin?“ Ruki umarmte ihn ebenfalls. Im Moment war ihm egal, dass er eigentlich einen fremden Jungen umarmte, er dachte sich einfach, dass es Akira sei.
„Erneute Donnerschläge, Blitze und Regen überziehen das Land. Bald ist unser Sieg nah, Homunkuli!“
Ein erneutes Unwetter trat auf, gefolgt von ängstlichen Wesen, die unter ihnen auf der Erde lebten. „Manipyureta, enttäusch‘ mich nicht. Ich möchte nicht, dass du genau wie Novel versagst!“, ein König sollte er sein, aber er sah mehr nach einem mickrigen Würmchen aus, das Schutz in der Dunkelheit suchte. Er schwenkte sein Glas mit dem Sake wild hin und her und bewegte seine andere Hand fast geisterhaft, um damit die unsichtbaren Fäden, die Novel in der Luft gefangen hielten zu kontrollieren. Das war seine Strafe für sie, da sie Gerard und Fortunus nicht ins Schloss bringen konnte. Wie sehr wollte er jetzt seinen Sohn sehen und ihn zu seinem Nachfolger ernennen. Er merkte, dass seine Zeit bald kommen würde, und seinen Untertarnen vertraute er nicht genug. Es musste schon jemand mit dem selbigen Blut wie seines sein und Gerard war das einzige Familienmitglied, das er noch hatte. Er wollte ihm den Titel als König zwar nicht geben, doch gab es keine andere Möglichkeit. Damit wäre er abgesichert, wenn er dahinschied. „Dennoch, Majestät, findet ihr es nicht zu gefährlich euren Sohn zum Nachfolger zu erkennen?“, fragte einer der leibeigenen Wachen mit einer zittrigen Stimme. Seine Hoheit blickte ihn verdutzt an: „Da könntest du möglicherweise einmal in deinem Leben Recht haben, denn der Junge hat schon immer gemacht, was er wollte. Aber, ich habe ihn so erzogen, dass er vor mir erzittern würde, wenn er es wagen würde, meine Befehle zu unterschlagen, glaube mir das!“ Die Wache lenkte ihren Blick wieder nach vorne, wo Manipyureta erwartungsvoll und vor Ungeduld gequält stand und auf seine Anweisungen wartete. „In Ordnung, ich möchte, dass du dich zu der Ruine von dieser lächerlichen Menschenstadt begibst“, er zögerte. Manipyureta sah das schon als Genugtuung an und wollte mit einem Mal verschwinden, als er weitersprach, „halte ein. Sollten sie sich dort nicht befinden, dann suche das gesamte Gebiet um Dimos herum ab, und kehre erst zurück, wenn du sie gefunden und gefangen hast, hast du verstanden, dann beeile dich.“ Manipyureta nickte, schwang seinen Umhang, klopfte dreimal mit seinem Stock auf den Boden und verschwand in eine dunkle Wolke aus Eifrigkeit und Bosheit. „Und was dich angeht, meine Liebe“, er lächelte Novel zu und ließ sie mit einem Mal fallen, „ sichere mit deinen Truppen das gesamte Gebiet von Bakara bis nach Earia ab, und ich hoffe, dass du das wenigstens schaffst, sonst kannst du was erleben!“ Novel stand auf, nickte ehrfürchtig und verschwand aus dem großen Thronsaal. „Kyu-Kyu, du wolltest mich sprechen, so komm‘ herein“, er hatte das junge Mädchen entdeckt und bat sie herein. Kyu-Kyu hatte sich die ganze Zeit hinter der Tür versteckt, der Prozess eben hatte ihr einen großen Schrecken eingejagt, doch sie trat tapfer vor den König und fing an ängstlich zu stottern: „Eu … Eure Majestät, wäre es, ich meine, würde es nicht helfen, wenn, wenn ich mich, ähm, ebenfalls auf die Suche nach, nach, wie war noch gleich sein Name? Genau, Gerard, eurem Sohn, meine ich, begeben würde?“ Damit hatte sie sich gewiss vollkommen blamiert. „Das ist eine wundervolle Idee, mein Kind“, er lehnte sich nach vorne und fasste sich an sein Kinn, „wenn du helfen möchtest, dann begib dich nach Paluma, in die Stadt der verstorbenen Seelen“, er hustete kurz, „dort musst du das Vertrauen der Bewohner für dich gewinnen und sie als eine Art Armee verwenden.“ Kyu-Kyus Augen funkelten, als sie hörte, dass es für sie einen guten Auftrag gäbe. „Jawohl, euer Hoheit, ich werde euch nicht enttäuschen“, sie verbeugte sich und ging rückwärts mit einer weiteren Verbeugung zwischen jedem Schritt aus dem Saal. „Aber Paluma ist eine Animistadt, ich muss mir eine gute Tarnung einfallen lassen“, überlegte sie, während sie den Raum verließ und Richtung Konferenzraum eilte.
Animi sind Wesen, deren Existenz die Menschen nicht verstehen, doch innerlich sind wir mit ihnen verbunden. Sie spiegeln die Seelen der verstorbenen Menschen wieder. Stirbt ein Mensch wird ein Animus geboren.
„Wie wär’s wenn jeder mithilft ihn aus der Stadt zu tragen?“, schlug Yoichi vor. Keichii schien die Idee zu gefallen und er lächelte ihm zu: „Das ist eine wundervolle Idee.“ Er richtete Ruki auf, der immer noch betrübt zu Boden schaute, aber nicht mehr weinte. So einigten sie sich, dass Ruki ihn an den Beinen trug, Keichii an der rechten Schulter und Yoichi an der linken.
Nach einer Weile hatten sie ein Stück von der Kathedrale aus hinter sich gelassen und Keichii begann zu schwächeln, ließ Ryo aber nicht los. Sie trugen ihn über die Trümmer, an den Toten vorbei, bis sie schließlich zur zerbrochenen Stadtmauer gelangten, die sich als Hindernis erwies. Fast hätte Yoichi ihn losgelassen, weil er gestolpert ist, doch er konnte sich mit den Füßen gerade noch abfangen. „Der ist aber unglaublich schwer, naja, so sah er aber auch schon vorher aus“, ächzte Ruki, der beschwerlich über die Trümmer kletterte. Fast hatten sie es geschafft, nur noch ein kleines Stück. Keichii fragte sie, ob sie ihn noch weiter halten konnte. Die beiden bejahten. „Aber nur noch bis hinter die Mauer, denn sonst werde ich ihn wahrscheinlich loslassen“, gab Ruki wieder, der seine Arme kaum noch spürte. Ryo war schon immer so, sagen wir mal, korpulent gewesen, aber das lag in seiner Familie. Und er konnte sich nie über etwas anderes freuen als Essen. Allerdings dachte er nicht immer nur ans Essen, deswegen ist diese Aussage vollkommen falsch. Er hatte immer zwei Gedanken: Essen und seinen besten Freund Keichii. Er würde sogar das köstlichste Stück Fleisch liegen lassen, wenn Keichii in Gefahr geraten würde, das hatte er ihm schon einmal gesagt.
Sie hatten es geschafft und die zerbröckelte Stadtmauer überwunden. Ruki ließ Ryos Beine los und rieb sich an der Schulter. Auch Yoichi und Keichii legten ihn nun sanft auf den nassen Erdboden. Durch den vielen Regen hatten sich riesige Pfützen und Rinnsale gebildet. Keichii suchte einen geeigneten Platz und stellte sich mit ausgestreckten Armen aufrecht vor diesen. Ruki verstand es nicht. Was hatte er vor? „Bunkatsu“, ein riesiges, relativ tiefes Loch bildete sich vor seinen Füßen. Ruki schreckte zurück. Was für eine Kraft, die einfach den Erdboden spaltete. „Ruki, hilf mir ihn dort reinzuheben“, bat er.
„Bist du so weit?“, fragte Keichii. Ruki und er zerrten an Ryo und schleiften ihn in das Loch, dabei rutschte Ruki aus und landete in einer Matschpfütze. Sein gesamter Oberkörper war mit Dreck bedeckt. Wieder streckte Keichii seine Arme aus, diesmal rief er: „Bosuiko.“ Die Erde wurde von beiden Seiten über Ryo geschoben. Unmöglich, wie macht er das, dachte sich Ruki erneut. Als Keichii fertig war kniete er sich vor das Grab und klopfte auf die Erde: „Ich hätte es nie so weit kommen lassen sollen.“ Er stand auf und reichte dem dreckbedeckten Ruki seine Hand, er zog ihn aus der Pfütze heraus. „Wir sollten uns nun irgendwo ein Lager suchen, ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten.“
So gingen sie in den Wald, der hinter Dimos lag und schauten nach einem schützenden Ort. Weiter und immer weiter in den Wald hinein.
„Sie sind auf dem Weg, ich spüre es. Mit der Verstärkung des Dorfes werde ich sie mir einfach so einfangen, schnapp“, Kyu-Kyu machte eine Handbewegung, als wolle sie eine Fliege fangen. „Meine Tarnung ist perfekt und niemand wird erkennen, dass ich eigentlich ein Homunkulus bin“, sie klatschte in die Hände und hüpfte quietsch vergnügt Richtung Paluma. „Bald schon werde ich der Liebling der Majestät sein“, sie riss ihre Faust in die Luft und sprang einmal kurz, dann lief sie energiegeladen weiter.
„Da, ein Dorf!“, Yoichi lächelte und lief darauf zu. Auch Ruki setzte ein Lächeln auf und wollte hinterher, aber der vollkommen mitgenommene Keichii würde wahrscheinlich ohne seine Stütze wie ein Sandsack umfallen. Als er wieder zu Yoichi schaute blieb dieser ruckartig stehen. Yoichi deutete mit dem Finger auf irgendwas, dass Ruki von hier aus aber nicht sehen konnte. „Ruki, Keichii bleibt dort hinten“, mahnte er. Was war denn bloß los? „Überraschung, ihr Süßen!“, Kyu-Kyu, die eine vollkommen furchteinflößende Tarnung hatte, zielte mit ihrer dunkelflammenden Hand auf Yoichi. „Wenn ich euch ins Schloss bringe, wird der König mich hochloben“, sie kicherte und kam ihm näher. Der eben noch völlig matte Keichii richtete sich auf und griff nach seinen Schwertern, dann rannte er los, auf das Mädchen zu. „2 gegen einen, wie unfair, findet ihr nicht auch?“, bluffte die flinke Kyu-Kyu. Keichii wollte immer wieder zustechen, doch er traf sie nie. Einmal war sie dort und dann wieder da hinten. „Du kriegst mich nicht!“, sie schnitt eine blöde Grimasse. Keichii war wütend, denn so bloßgestellt wurde er noch nie. Kyu-Kyu löste sich immer wieder in schwarzem Nebel auf und tauchte plötzlich wieder auf, wie aus dem Nichts. Keichii konzentrierte sich und hielt sein Schwert still. „Hm, was macht er denn da?“, fragte sich die wild umherschwirrende Kyu-Kyu und verschwand wieder vom hier zum da. „Hab dich‘“, brüllte er, riss sein Schwert herum und traf. Das hätte sie nie für möglich gehalten und mit einem Mal wurde sie gegen einen Baum geschleudert. Sie ächzte, denn sie stieß mit voller Wucht gegen die harte Rinde. „Gerard, wenn du dich ergibst, ist es für dich und für mich viel leichter, und Fortunus nehme ich gleich als Souvenir mit“, sie rappelte sich wieder auf und aus ihrer Faust kam erneut eine schwarze Flamme. Diesmal schlug sie auf ihn ein. Keichii konnte immer ausweichen, bis auf den letzten Schlag, den sie vorerst nur antäuschte und ihm dann in den Magen rammte. Er ließ das Schwert fallen und ging auf die Knie. „Na, ergibst du dich?“, Kyu-Kyu hob es auf und hielt es Keichii entgegen. Ruki lief an Yoichi vorbei und wollte Keichii zu Hilfe eilen, als Kyu-Kyu ihn bemerkte und das Schwert fallen ließ. Es fiel scheppernd auf den Boden. Sie verzog das Gesicht zu einer ängstlichen Miene, denn sie kannte ihn. Ruki verstand nicht was sie hatte, war er etwa furchteinflößend? „Du, du …“, mehr brachte sie nicht heraus und zeigte mit dem Finger auf ihn, dann schüttelte sie den Kopf, „wie kannst du es wagen in dieser Welt noch einmal aufzutauchen?“ Ruki hatte keine Ahnung, wovon sie überhaupt sprach, vielleicht verwechselte sie ihn. Nie hatte ihm jemand angedroht nicht mehr in dieser Welt aufzutauchen. „Was meinst du, rede vernünftig. Außerdem kenne ich dich nicht, wie kannst du da mich kennen?“, er ballte seine dünnen Hände zu Fäusten. „Nie in meinem Leben könnte ich dich vergessen, so eine bösartige Aura kann nur von dir stammen, und dann noch dieses Zeichen auf deiner Wange“, sie ballte ebenfalls ihre kleinen Hände zu Fäusten. Jetzt war es genug. Wie konnte sie ihn beschuldigen, wenn sie ihm noch nicht einmal bekannt war. Er schritt auf sie zu, denn er hatte genug von ihrer großen Klappe. Kyu-Kyu wich verängstigt und wütend zurück, sie schrie ihn an: „Komm mir bloß nicht näher!“ Ruki hatte selbst noch nicht verstanden, was das Zeichen auf seiner Wange bedeutete. Also hatte es eine bestimmte Wichtigkeit, sofern er dem verwirrten Mädchen glauben konnte. „Woher willst du wissen wer ich bin, woher kennst du mich?“, er hob fragend und beschämt seine Arme nach oben. „Jeder Homunkulus weiß wer du bist, du kannst dich nicht mehr verstecken“, sie schluckte heftig und versuchte seinen Namen auszusprechen, es kam ihr vor wie ein Fluch, dieser Name war wie eine Unbarmherzigkeit, „Ryukyu, der Luftdrache des Horrors. Du bist Abschaum, niemand braucht dich, du hast schon so viel Unrecht getan, verschwinde endlich aus dieser Welt!“ Ruki schaute sie gedemütigt an und fragte entsetzt: „Woher kennst du meinen vollen Namen?“ „Ha, ich weiß alles über dich, meine Eltern haben mir schon beigebracht dich zu hassen, du Widerling!“, grölte sie schmähend. „So, jetzt habe ich genug!“, er ging auf sie zu und hielt seine Fäuste vor sich. „Ich habe doch gesagt, komm mir nicht näher, du widerwertiges Wesen!“, diesmal fingen ihre Augen an zu funkeln in einem unangenehmen Rotton und ihre schwarzen Flammen, die ihre Hand umgaben wurden größer. „Ein Luftdrache soll ich sein, wie kannst du das wissen, wenn ich es noch nicht einmal selber weiß?“, rief er fragend. „Ich kann mich noch genau an diesen schrecklichen Tag erinnern, als du in unser Land kamst und uns bedroht hast, meine Eltern getötet und den Homunkuli mit deiner widerlichen Brut den Krieg angesagt hast …“, sie begann zu erzählen, „es war ein verheißungsvoller Tag, das wusste ich genau. Der Himmel spiegelte deine Ankunft förmlich wieder. Oh Gott, wie ich diesen Tag gehasst habe. Aber damals hat noch niemand gemerkt, was wirklich passieren würde. Alle Leute dachten sich, dass es nur wie immer ein Schlechtwettertag war. Doch da hörten wir ein Gebrüll aus der Ferne und wildes Flügelschlagen. Dieses schreckliche Geheul ließ die Erde erbeben. Und da flogen sie am Himmel wie Moskitos, Fledermäuse, Ungeziefer, die nur Plagen über das Land brachten. Du hast sie angeführt. Deine furchterregende Gestalt sehe ich noch immer in meinen schlimmsten Albträumen. Ein weißer Drachenmensch mit drei Hörnern auf der Stirn, unglaublich schaurigen, stechend blauen Augen und langen schneeweißen Flügeln, die die Wolken aufbrausen ließen. Aus deinem Mund kamen Flammen, die alles in ihrem Umfeld niederbrannten. Wir hatten solche Angst, was hätten wir bloß tun sollen“, sie stockte kurz und seufzte, „da riss dein elendes Gefolge an unseren prächtigen Gebäuden und zerfleischte unsere Häupter. Ich konnte entkommen, aber ihr habt meine Eltern und meine Freunde getötet, das kann ich euch nie verzeihen! Immer mehr Homunkuli mussten für die Rettung des Volkes ihr Leben lassen und unsere tapfersten Krieger haben gegen euch schreckliche Plage angekämpft. Fast alle haben versagt, doch einige mit Pfeil und Bogen konnten dich niederstrecken. Zweimal trafen sie dich in die Brust und einer verpasste dir einen Kopfschuss. Ich wusste, dass es nun für dich aus war, denn deine Flügel hörten auf zu schlagen und dein durchbohrter Körper sank in den Abgrund der Schlucht, die sich unter Homunkulia auftat. Bis zum heutigen Tag war ich fröhlich und hatte dich schon fast vergessen, bis du hier mit deiner grässlichen Fratze aufgetaucht bist, und das was du getan hast, das werde ich dir nie verzeihen, nimm das …“, Ihr Körper begann sich nach und nach zu verwandeln und ihre Stimme wurde tiefer. Ihre Augen funkelten immer mehr und die Flammen umfassten ihren gesamten Körper. Yoichi konnte nicht hinsehen, der Glanz ihrer Augen war unerträglich und die Flammen waren so kalt und herzlos, dass sie fast schon wieder heiß waren und ihn verbrannten. Ruki schrie entsetzt: „Das stimmt doch alles gar nicht, diese verdammte Geschichte hast du dir doch bloß ausgedacht, du lügst. Alles was du gerade erzählt hast, ist eine Lüge!“ Kyu-Kyu lachte: „Woher kommen denn bitte die Narben an deiner Brust und das Zeichen auf deiner Wange?“ Ruki fehlten die Worte, aber das war doch keine Antwort: „Ich bin kein Drache, ich bin ein ganz normaler Mensch.“ Kyu-Kyu kniete sich vor ihn und streckte ihm eine Faust entgegen, die sich mit dunkler Energie auflud. „Wahrscheinlich hast du nach deinem Sturz in den Abgrund alles vergessen und ich weiß auch nicht, wer dich wieder aufgepäppelt hat, aber diese Amnesie kann ruhig so bleiben, denn ich werde dir jetzt ein Ende bereiten und durch den Verlust deines Gedächtnis hast du bestimmt auch keine Ahnung mehr, wie sich ein Drake verwandelt, ich werde nun den König der Draken ein für alle Mal stürzen!“, sie schrie laut und ein Flammenpfeil schoss auf Ruki zu. Dieser versuchte schützend und ängstlich seine Hände vor sich zu halten, doch die Flamme verbrannte seine Haut und er konnte sich nicht bewegen. „Verschwinde ein für alle Mal aus dieser Welt!“, Kyu-Kyu wurde immer wütender und ihre Flamme immer größer. Yoichi wollte nicht noch jemanden verlieren, er musste schnell handeln um Ruki zu retten. Langsam schlich er sich an und ging hinter sie, dann gab er ihr einen Schlag ins Genick. Er konnte sie ablenken, aber dafür musste er es nun mit ihr aufnehmen. „Fortunus, ich weiß doch, dass du nicht kämpfen kannst, also halte dich da raus, sonst kenne ich kein Erbarmen. Das ist deine letzte Chance vor meiner Schwarzflamme zu flüchten. „Niemals! Ruki hat dir doch gar nichts getan und er ist bestimmt nicht der, für den du ihn hältst“, er schnellte vor ihrer kalten, gruseligen Flamme zurück. „Er ist Ryukyu, es gibt niemanden, mit dem ich ihn verwechseln könnte, und jetzt werde ich mich rächen“, donnerte sie mit ihrer furchteinflößenden Stimme.
Ein Herz wie ein Luftrausch. Taper, stark und zugleich elegant. Zeige deine wahre Gestalt. Verwandle dich in den Drachen, der die Welt rettet und die Homunkuli vertrieb‘ , gewandt!
„Was für ein schönes Gedicht.“ „Oh nein, das ist kein Gedicht und diese Worte darfst du nie vergessen, junger Ryukyu.“ „Aber Großvater, was haben denn diese Worte zu bedeuten?“ „Hör mir gut zu, ich erzähle es dir nur einmal … vor langer Zeit gab es mal einen Drachen, der den Draken sehr wichtig war. Doch leider ist er in einer tapferen Schlacht gegen die Homunkuli gefallen, doch die Draken glauben weiterhin an ihn. Ich möchte, dass du mal ein mächtiger Drache wirst, der das Böse bekämpft und die Welt vor dem Untergang bewahrt.“ „Aber warum ich, Großvater?“ „Nun, mein Kind, das lässt sich leicht erklären. Mein eigener Großvater war dieser Drache, der die Draken beschützte und sein Leben aufgab, nur um sein Volk zu retten.“ „Er gehörte zu unserer Familie?“ „Ja, doch bis jetzt konnte niemand sein Nachfahre werden, weißt du … das Training ist hart, außerdem kann nicht jeder so ein guter Drache werden. Es gibt den Auserwählten, und das bist du, denke immer daran.“ „Aber Großvater, ich denke nicht, dass ich zu so etwas fähig wäre.“ „Doch, doch … niemand kann seine eigenen Stärken einschätzen, manche Leute unterschätzen sich, andere überschätzen ihr Selbst. Aber ich weiß, dass du derjenige bist, glaube mir.“ So steige in die Lüfte …
Das Zeichen auf seiner Wange begann zu funkeln, er sprach seltsame Worte: „Isshin kaze. Hotan na shikashite gasshiri shikaschite doji ni onga ni. Arawa~su shota. Henkei suru de ryo, sono yo no naka tori to~meru.” Seine Pupillen verengten sich zu vertikalen Schlitzen und anstelle von Haut hatte er Schuppen. Aus seinem Rücken ragten zwei schneeweiße Flügel, wie Kyu-Kyu ihn beschrieben hatte. Und seine Stirn zierten tatsächlich drei spitze Hörner. „Es ist nun an der Zeit für dich, dich zu verabschieden“, fauchte er und streckte eine Faust in die Höhe. Seine Gestalt war atemberaubend und so elegant, dachte sich Yoichi, als er ihn sah. „Nein, nicht, wie kann das sein, ich dachte du hättest dein Gedächtnis verloren!“, schrie Kyu-Kyu erstaunt. „Mein Großvater hat mir eine wundervolle Ode beigebracht, die ich nie vergessen sollte“, und aus seinem Mund kam eine schneeweiße Flamme. Ganz anders, als die von Kyu-Kyu, die schwarz wie die Nacht war. Und sie hüllte Kyu-Kyu in gleißendes, warmes Licht. Diese Hitze und Helligkeit war für Kyu-Kyu nicht erträglich. Homunkuli vertrugen kein helles Licht und schon gar keine hellen Farben und freundliche, retterische Wärme, die sie allerdings verbrannte. Und plötzlich war sie verschwunden …