Zwerg Nase war ein Junge, eher klein gewachsen, mit einer langen krummen Nase, einem kurzen dicken Hals und einem blonden schütteren Haar. Als die Eltern bei der Geburt das Baby anschauten und sie die lange Nase und den kurzen Hals sahen, ließen sie das Baby im Krankenhaus zurück. Von den Schwestern wurde er Jakob getauft und in ein Heim gebracht. Alle Kinder riefen ihm „Zwerg Nase“ hinterher und lachten über ihn, niemand wollte mit ihm spielen. Als Jakob das Gespött der anderen Kinder nicht mehr ertragen konnte, ging er eines Nachts fort.
Er lebte fortan im Wald und in der Natur fühlte er sich wohl. Jakob ernährte sich von Beeren, Kräuter und Wurzeln und eines Tages kam er in das kleine Dorf Zigstein und lernte Resl kennen, die auch im Wald Beeren und Kräuter sammelte. Resl lud Jakob ein, bei ihr im Gasthaus, gemeinsam, die Beeren, Kräutern und Wurzeln zu verarbeiten. Schmackhafte Pasteten, oder sogar Salben für so manches Wehwechen wurden zusammengemischt. Die alte Resl aus dem Dorfgasthaus schaute Jakob immer neugierig zu wenn er die Kräuter verarbeitete und sie war auch eine strenge Kritikerin beim Verkosten und fehlte mal ein Kräutlein, wurde gemeinsam über die Rezeptur diskutiert. Sogar im Dorfgasthaus ließ sie den Gästen die leckeren Pasteten kosten und erntete dafür immer ein dickes Lob. Das tat natürlich Resl in der Seele weh, denn sie durfte nicht verraten, dass Jakob hinter den Köstlichkeiten steckte.
Als Jakob wieder einmal in den Wald gehen wollte, stolperte er über einen Stein, er war nicht sehr groß, er war etwas kleiner als eine Pflaume, die er sich immer im Vorbeigehen vom Baum des Nachbarn stibitzte, doch er war strahlend blau. Jakob hob ihn auf und betrachtete ihn neugierig, drehte ihn herum und wollte daran riechen, als der Stein plötzlich schrie „bitte nicht, bitte nicht essen“.
Vor Schreck wäre ihm der Stein fast aus der Hand gefallen. Er hielt ihn nun mit ausgestreckter Hand von sich und schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Du kannst sprechen?“ fragte er vorsichtig und drehte den Stein wieder in der Hand umher. Jakob stand noch eine Weile am Straßenrand, hielt die Hand ausgestreckt und wartete auf eine Antwort, doch der Stein sprach nicht mehr. Jakob schüttelte den Kopf und steckte den Stein vorsichtig in die Hosentasche, dann ging er weiter in den Wald.
„Zwerg Nase, Zwerg Nase“, hörte er hinter sich die Dorfkinder rufen, er drehte sich nicht um, er ging einfach weiter, doch sein Herz schmerzte. Jakob schüttelte den Kopf und sagte laut „Gfrasta“.
Er sollte heute Wildkräuter für eine Spezialpastete sammeln, die er der alten Köchin des Dorfgasthauses versprochen hatte. Sie war die einzige, zu der er gehen konnte, wenn er jemanden zum reden brauchte, ja die alte Resl war immer nett zu ihm und sie gab ihm auch öfters etwas Süßes, er liebte die leckeren Strudel von Resl.
Zielstrebig ging Jakob in den nahen Wald, dort gab es eine Wiese, wo die schmackhaftesten Kräuter wuchsen.
Jakob setzte sich in die Mitte der Lichtung und genoss zuerst den Duft der Kräuter und die Schönheit der blühenden Wiese, er schaute in den blauen Himmel und war wunschlos glücklich. Nach einer Weile stand er auf und suchte die Kräuter die er benötigte, er pflückte sie sorgfältig ab, um die Wurzeln nicht zu verletzen und schob sie nach und nach in die Hosentasche.
Der strahlend blaue Stein genoss es, mit den Kräutern zusammen in der Hosentasche zu liegen, er schnupperte rechts und links, nach unten und nach oben, er war selig, so konnte es für immer und ewig bleiben, wünschte er und schlummerte selig ein.
Plötzlich wurde er brutal aus seinen Träumen gerissen und er landete auf dem Schneidebrett der alten Resl.
„Au, das hat weh getan“ schrie der Stein und drehte sich um die eigene Achse.
Die alte Resl steht mit weit aufgerissenen Augen und mit dem Messer in der Hand neben Jakob.
„Tu mir nichts, ich bin ganz artig und ungefährlich“ spricht der Stein weiter und nun öffnet sich auch der Mund der alten Resl, doch kein Laut entweicht ihm.
Jakob greift nach dem Stein und nimmt ihn vorsichtig in die Hand, dreht ihn und hält ihn gegen das Licht.
„Schau Resl, wie der Stein leuchtet“. Die alte Resl weicht einen Schritt zurück. „Du brauchst dich nicht fürchten, der Stein tut dir nichts“ flüstert Jakob der alten Resl zu, Jakobs Augen leuchteten dabei genauso schön blau wie der Stein.
Resl geht noch einmal einen Schritt zurück und stottert „Jajajakob, Jakoooob, deine Augen strahlen so blau, dieselbe Farbe wie der Stein“. Sie legt das Messer langsam auf das Schneidebrett und setzt sich auf einen Hocker, den Blick immer noch auf den Stein gerichtet.
„Wo hast du den Stein gefunden?“ fragte sie schließlich Jakob.
„Am Weg neben dem Nachbarhaus, dort wo der große Pflaumenbaum steht“. Antwortete Jakob und drückte dabei den Stein ganz fest an die Brust.
„Du, du“ schrie nun Resl und sackte vom Hocker. Erschrocken blickte Jakob auf Resl hinunter, er wusste nicht warum diese nun am Boden lag. Jakob schob den Stein in die Hosentasche und kniete sich zu Resl „was hast du denn“ er schüttelte sie an der Schulter und dicke Tränen liefen ihm über die Wangen, Jakob dachte, seine Resl wär tot. Doch diese schlug die Augen auf und sagte „Jakob, ich habe den Franzl gesehen“ sie stand langsam auf und setzte sich wieder auf den Hocker. „Der Franzl, von dem ich dir schon mal erzählt habe“.
Jakob schaute Resl ungläubig an und meinte „wo hast du den Franzl gesehen?“
„Du Jakob – du warst der Franzl“ und sie begann leise zu weinen.
„Wieso ich?“ Jakob verstand die Welt um sich herum nicht mehr, lange saßen die beiden still nebeneinander, Resl auf dem Hocker und Jakob am Boden.
Plötzlich fiel dem Jungen der blaue Stein wieder ein, er fasste in die Hosentasche und zog ihn heraus, drehte ihn zwischen den Fingern.
„Das ist ein Zauberstein“ leise flüsterte Resl diese Worte, doch der Stein konnte nicht nur sprechen, er hörte auch gut und er konnte sogar die Gedanken lesen.
„Nein, ich bin kein Zauberstein, ich komme vom Universum und ich kann Dinge, die falsch gelaufen sind wieder in Ordnung bringen.“ Bei diesen Worten leuchtete der Stein heller und er schimmerte sogar in allen Blaunuancen.
Jakob drückte den Stein an sein Herz und er spürte die Wärme, die von diesem Stein ausging. Es kribbelte in seinem Körper und es pochte sein Herz so laut, dass es Resl hören konnte. Der blaue Stein zerfloss in Jakobs Hand und blauer Dunst umhüllte ihn.
„Ich wünsche dir ein glückliches Leben“ hörte Jakob noch, dann war es still.
Resl stand nach einer Weile langsam auf, drehte sich um, ergriff eine polierte Pfanne und hielt sie Jakob vors Gesicht. Es schaute ihm ein blonder Junge entgegen, wuscheliges Haar und bildhübsch.
Von diesem Tag an arbeitete Jakob offiziell in der Küche des Dorfgasthauses an der Seite der alten Resl.