Sie sagten mir: "Augen sind die Fenster zur Seele."
Was sie mir vorenthielten war, dass man sich in fremden Augen komplett verlieren konnte. Ewigkeiten konnte ich nicht sehen und es hat mir nie etwas ausgemacht. An manchen Tagen wünschte ich mir mein Augenlicht zwar mehr als an anderen, zum Beispiel dann, wenn meine Freunde von etwas Flüchtigem erzählten, oder einem eher seltenen Anblick. Doch über all die Jahre hatte es mich nie in meinem Leben eingeschränkt, zumindest hatte ich das geglaubt. Von der experimentellen Methode erfuhr ich durch Zufall: Meine Cousine erzählte mir, dass ein befreundeter Augenarzt nach Probanden suchte, solchen mit Sehschwäche oder eben welche wie mich, die von Geburt an blind waren.
Einige Wochen darauf saß ich auf einem äußerst unbequemen Stuhl und ließ einen Hagel aus wissenschaftlichen Fachbegriffen über mich ergehen, nur um am Ende mein Einverständnis mündlich kundzutun. Von den nächsten Stunden weiß ich nicht mehr viel, nur dass mir unglaublich kalt wurde. Ich musste eingeschlafen sein und hatte ein wenig Panik, als sich meine Welt immernoch in Dunkelheit gehüllt präsentierte.
"Der Eingriff war erfolgreich. Um deine Augen an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen, solltest du die Binden jedoch noch ein paar Wochen aufbehalten. Wir sehen uns dann am 21. März wieder, zur Kontrolle", hörte ich den Arzt noch sagen, bevor es um mich herum ruhig wurde.
Ohne großen Anhaltspunkt über meine genaue Position im Raum setzte ich mich auf. Mit einem leichten Schwindelgefühl kamen auch stechende Kopfschmerzen, sobald ich versuchte durch die schmalen Lücken im Stoff etwas auszumachen: Zu meiner Freude erkannte ich zum ersten Mal in meinem Leben ein paar sehr verschwommene Schemen. Ein paar von ihnen waren in Bewegung, das mussten andere Menschen sein. Neugierig drehte ich den Kopf, obwohl das die Kopfschmerzen verstärkte, um mehr wahrnehmen zu können. Ich spürte Tränen der Freude aufsteigen, als ich neben meinem Bett auf Rollen einen schmalen Schemen gewahrte, der mit der Kante eines anderen Schemens zu verschmelzen schien.
"Die Ärzte haben gesagt, dass alles gut gegangen ist. Wie fühlst du dich?"
Ich erkannte die Stimme, an der ich schon seit Jahren hing, auf Anhieb. Doch etwas war anders: durch den Stoff konnte ich deutlich etwas glitzern sehen. Ich wollte mehr sehen, was sich garnicht so einfach gestaltete. Weitere Minuten verstrichen, bis ich zwei braune Augen ausmachen konnte, die im einfallenden Sonnenlicht glänzten.