Anm.: Ein Prompt, der sich sehr gut für eine Szene für "Verloren & Vergessen" verwenden ließ. Vielleicht baue ich sie an einer passenden Stelle in der Geschichte ein.
Licht und Schatten
Das Anwesen lag verlassen vor Nicholas. Schon öfter hatte er es nach ihm rufen hören, aber heute würde er es tun. Sein Herz klopfte aufgeregt, als er suchend die Straße hinabblickte, um sich zu vergewissernd, dass niemand ihn sah.
Heute hatte er sich gut vorbereitet und es gab nun kein Zurück mehr. Aufgereckt rückte er sich die schwarze Mütze zurecht und bereute für ein paar Sekunden James nicht gefragt zu haben, ob er mitkommen wollte. Aber er konnte dies hier genauso gut auch alleine tun und es hatte ihn heute hierher gerufen. Die verlassenen und zum Teil zerschlagenen Fenster luden ihn magisch ein. Er solle kommen und finden, was auch immer dieses alte, verwaiste Haus für ihn bereithielt. Zum letzten Mal hatte er sich so nervös und aufgewühlt gefühlt, nach dem Tod seiner Eltern. Aber dieses Mal war es kein negatives Gefühl, sondern eines, das ihm zeigte das er lebte. Sein Leben mochte im Moment trostlos erscheinen, aber wenn er das Haus betrachtete, wusste er was er tun wollte. Während die Schatten von Wentworth Manor ihn in seinen Bann zogen, wurde ihm klar, dass er die Stimme dieser toten Orte war.
Heute hatte er eigentlich nur den Kick gesucht, nachdem sein Großvater ihn wieder stundenlang mit der Bibel gequält hatte. Wenn die Schatten vergangen waren und das Licht Wentworth Manor erneut eroberte, würde er widerkommen. Aber diesmal richtig ausgerüstet. Mit seiner Kamera würde er alles festhalten und er sah das fertige Video bereits vor sich! Aufgeregt kribbelte es in seinen Fingern und er musste sich beherrschen nicht sofort umzudrehen.
Mit schnellen Schritten lief er zu der Stelle am Zaun, die er sich schon vor ein paar Tagen als guten Zugangspunkt ausgesucht hatte. Der Maschendraht ließ sich hier einige Zentimeter zur Seite schieben. Es war nicht viel, aber es reichte das er durchschlüpfen konnte ohne sich schlimme Schrammen zu holen. Noch einmal vergewisserte er sich, dass niemand ihn gesehen hatte und richtete sich wieder auf. Schon nach ein paar Minuten brauchte er sich darüber jedoch gar keine Gedanken mehr zu machen. So wie das Haus sicher seit Jahren keinen Staubwedel gesehen, hatte der Garten keinen Feinschnitt erhalten. Die Hecken und Bäume wucherten wild und verschlangen das Grundstück des Anwesens. Es war wunderschön!
Zeigte es doch, wie wenig sich die Natur beherrschen ließ. Früher oder später holte sie sich wieder, was ihr gehörte. Der Gedanke gefiel Nicholas.
Ehrfürchtig schwenkte er die Taschenlampe hin und her und blieb schließ vor dem wuchtigen Eingangsportal stehen. Mit in Falten gezogener Stirn blickte er es an und betrachtete auch die Fenster. Er konnte sich kaum vorstellen, dass die Tür nicht verschlossen war. Dennoch legte er die Hand auf die Klinke und drückte sie entschlossen herunter.
Vor Erstaunen hätte er beinahe laut aufgelacht und sich somit möglicherweise verraten. Die Tür war offen! Zwar ging die Klinke äußerst schwer und er musste sein ganzes Körpergewicht gegen die Tür stemmen, aber sie bewegte sich. Nicholas konnte sein Glück kaum fassen. Ja, das musste Schicksal sein. Anders konnte er sich das nicht erklären.
Die Luft anhalten zwängte er sich auch durch diesen Spalt und stand im nächsten Moment in einer riesigen Eingangshalle. Hier musste es einst wunderschön gewesen sein, ging ihm durch den Kopf. Weshalb er seinen Beschluss, bei Tageslicht herzukommen bekräftigte.
Der Boden bestand aus Marmorfließen mit filigranen Mustern, wie er erkannte, als er sich in die Hocke gleiten ließ und den Staub wegwischte. Einige Fließen waren zersprungen, aber sie ließen ihre einstige Schönheit erahnen. Die Wände jedoch hatten mehr unter der Zeit zu leiden gehabt. Tapeten und Putz waren größtenteils vollkommen zerstört, außerdem roch es ganz moderig.
Ein Geruch, den er nicht unbedingt Zuhause haben wollte, den er aber sofort mit Abenteuer verband. Grinsend ging er weiter und blieb vor dem Treppenabsatz zur zweiten Etage stehen. Die Treppe bestand aus Holt und schon die erste Stufe knarrte bedrohlich. Daher beschloss er das zweite Stockwerk lieber für den Tag aufzuheben und vielleicht würde James ihn begleiten. Man wusste ja nie. Jemand der im Notfall helfen konnte, war sicher keine schlechte Idee. Hier unten gab es außerdem noch viel zu entdecken.
Die Schlafzimmer würde er sich später vornehmen. Nach den Gerüchten um dieses Haus war ihm das sowieso lieber. Natürlich glaubte er nicht, dass die junge Miss Wentworth da spukte …
Ein Geräusch von oben ließ ihn zusammenzucken und schnell Abstand von der Treppe nehmen. „Verdammte Tauben!“, murmelte er, als er nach oben leuchtete. Klar, kein Geist – aber viel Taubenscheiße.
Dennoch fiel das beklommene Gefühl nicht ganz von ihm ab. Ja, er hatte etwas Angst, aber liebte es gleichzeitig auch.
Der Boden unter ihm knirschte vor Staub und Glasscherben, als er sich den nächsten Raum vornahm. Der Salon, wo vor 100 Jahren die feinen Herrschaften wohl getrunken und Zigarre geraucht hatten. Es stand sogar noch ein altes, verschnörkeltes Sofa sowie ein wuchtiger Schreibtisch hier. Aufgeregt lief er zu letzteren und hoffte vielleicht noch alte Dokumente zu finden. Natürlich würde er nichts mitnehmen, aber Papiere in der Hand zu halten, die einem angeblichen Mörder vor 100 Jahren gehörten, wollte er sich nicht entgehen lassen.
In freudiger Erwartung zog er die Schubladen auf, doch sie waren allesamt leer. Schade, dachte er enttäuscht und stutzte als er die verstaubte Tischplatte musterte. Mit dem Ärmel seiner Jacke wischte er den Schmutz beiseite und war sich sicher, dass es urplötzlich kälter geworden war.
„Hier starb Lady Lily“ hatte jemand auf das Holz gekratzt und seltsame, braune Flecken waren darauf zu erkennen. Nicholas scheute sich diese anzufassen, auch wenn er nicht glaubte, dass es sich dabei um Blut handelte.
Irgendein Scherzkeks war vor ihm hier gewesen und hatte wohl für die Flecken und die gruselige Nachricht gesorgt. Dennoch wollte er seine Erkundungstour lieber im nächsten Raum fortsetzen, der ihm schon viel wärmer vorkam. Es war die Küche und dieser Raum musste mit seinen Öfen wohl für ein angenehmes Raumklima gesorgt haben.
Gerade, als er wieder auf den Flur trat, hörte er einen langgezogenen Schrei und konnte nicht verhindern, dass er selbst schrie wie am Spieß. So schnell er konnte rannte er zur Haustür, ließ Wentworth Manor hinter sich und sprang beinahe über den Maschendrahtzaun. Als er einige Querstraßen weiter zur Ruhe kam, brach das Lachen aus ihm heraus.
„Eine Krähe, du Idiot!“, lachte er sich selbst aus und freute sich auf das Licht des kommenden Tages.