Alle Frauen der Stadt beneiden mich um meinen Mann. Er kommt aus einer guten Familie, ist ein ausgezeichneter Gentleman und von hoher Bildung. Seine Fingerführung am Klavier ist beachtlich, seine Kompetenzen in der hiesigen Eisenbahngesellschaft hervorragend und sein Umgang stets gepflegter Natur. Vater und insbesondere Mutter waren stolz mich bei ihm als zukünftige Braut vorstellig machen zu dürfen. Natürlich war ihnen der Umstand bekannt, aus dem auch Grisella aus dem Hause Hoffmann sich um seine Aufmerksamkeit bemühte. Eine ehemals finanziell starke Familie, die aufgrund der Börsenspekulationen des Vaters in Nöten geriet und sich durch die Heirat der Tochter mit Herrn Mensel einen gesicherten Ruhestand erhofften. Zudem war Grisella – wie auch viele der jungen Frauen der Stadt – dem galanten Mann von außerhalb sehr zugeneigt.
Doch das Schicksal - oder vielleicht auch die nicht endenwollenden Gerüchte um das Haus Hoffmann - wollte mich an der Seite Herrn Mensels sehen. Unsere Vermählung war begleitet von farbenprächtigen Blumenarrangements und Seidengesticke. Jeder der geladenen Gäste ließ uns die besten Wünsche verlauten und ich hätte nicht glücklicher sein können.
Das war im vergangenen Sommer, als die Wiesenblumen versuchten des Himmels Strahlen zu übertreffen und meine Wangen rosig von Erwartungen und Glück waren. Doch wie der Winter der Welt alle Farben nahm, so nahm mir die Ehe die meine.
Bereits wenige Wochen nachdem ich mich im Anwesen von Herrn Mensel eingerichtet hatte, nahmen die Sonderheiten ihren Anfang. Wie hart und in aller Ernsthaftigkeit er sein Mahl zu sich nahm, während ich versuchte, seinen Morgen mit einem Gespräch zu erheitern. Die Hand, die er gegen mich erhob, traf mich unerwartet und brennend. Als wäre er ein gänzlich anderer, sprach er abfällige Worte zu mir, bevor er sich zur Arbeit aufmachte. Aus meiner Erstarrung konnte ich mich erst Stunden später befreien. Doch das Seltsame nahm auch am Abend keinen Abbruch, als er mich nach seiner Ankunft mit einem Schmuckstück beschenkte. Kein Wort verlor er über den Morgen, und ich habe ihm seine Unbeherrschtheit still verziehen. Bis mich seine Wut wenige Zeit später erneut traf, mal ins Gesicht, mal an den Hals, mal an die Rippen. Meiner Mutter berichtete ich nichts von seinen Taten. Sie, sowie die anderen, würde denken, ich sei ob der ehelichen Pflichten verwirrt und überfordert. Niemand würde mir Gehör schenken, niemand würde an der Ehre meines Mannes zweifeln.
„Du dummes Ding, bist wieder gegen den Kamin gelaufen?“, sagt sie immer, wenn meine Blessuren nicht sorgfältig kaschiert waren.
Doch ihr Unwissen bereitete mir keinen solchen Schmerz, wie Grisellas Zorn. Ihre Empörung übergangen worden zu sein, dem hinreißenden Herrn Mensel nicht länger nahe sein zu dürfen, hat tiefe Wunden in ihrer Seele hinterlassen. Bis ein Unding aus ihr geworden war, hysterisch und voller Wahn.
Und so war es nicht verwunderlich, als sie im darauffolgenden Sommer vor meiner Tür stand, in der Hand einen Korb mit süßem Kuchen, den sie mir schenken wollte. Niemals hätte ich auch nur einen Bissen davon genommen, doch die Ehe hat eine andere aus mir gemacht, wie Grisellas Einsamkeit eine andere aus ihr machte. Und so würde das Gift sein übriges Tun, würde uns beiden das schenken, was wir von Herzen begehrten.
Alle Frauen der Stadt beneiden mich um meinen Mann.