Portalhüter. Portal...hüter.
Das Wort glitt über ihre Lippen und rollte seicht durch ihre Gedanken. Es war so einfach auszusprechen. Dennoch begleitete dieses Wort eine Intensität, die Shijas Nackenhaare zu Berge stehen ließen und ihr einen wohligen Schauer den Rücken hinab jagten. Die meiste Zeit über jedenfalls.
Portalhüter.
Sachte berührte sie die wabernde Oberfläche des Portals, hinter der sie die verschwommenen Konturen einer fernen Stadt erkennen konnte. Persönlich hatte sie es nie gesehen. Trotzdem wusste Shija, dass das Leben dort pulsieren musste: Krieger zuckten immer wieder am Portal vorüber. Sie konnte ihre Waffen sehen!
Ihr Portal hier im Turmsaal aufrecht zu erhalten, war ihr immer eine Ehre gewesen. Eine Tradition, die seit jeher in ihrer Familie existierte und der sie als junge Frau nur zu gerne folge geleistet hatte - auch wenn sie heute eine andere Meinung hegte.
Der erste Blick als kleines Mädchen in diese schimmernde Oberfläche, hatte sie verzaubert. Ferne Länder und Städte spiegelten sich auf der Portaloberfläche wider. Verzerrt, aber für einfache Konturen reichte es aus und hatte ihr stets den Atem geraubt. Das tat es selbst heute noch, nachdem sie hunderte Male ihren Blick im Portal verloren hatte. Es war und bleib einfach magisch. Oft hatte Shija sich gefragt, welche Magie die Portale bergen mussten, dass sie problemlos ein Tor zum anderen Ende des Landes offen halten konnten. Und das nur, weil ein kundiger Magier und wehenden Roben daneben stand.
Das Studium der Magie hatte den Vorgang wenig zauberhaft dargestellt: Fingerzeige, gedachte Worte, die dafür sorgten, dass das Portal seine Energie aus der Umgebung zerrte. Im Grunde existierte es von ganz allein, nachdem sie ihre Magie gewirkt hatte und es reichte aus, nur hin und wieder einen Blick darauf zu werfen. Es fühlte sich nutzlos an, daneben stehen zu bleiben, ganz gleich welch heroisches Bild ihre wehende Robe auch bieten mochte.
Was geblieben war, war die Faszination für die verschiedenen Orte, die dumpf durch die Oberfläche schimmerten. Shija liebte sie, liebte ihren Anblick über alles. Häufig reichte allein der Gedanke an die fernen, schimmernden Orte, um die alte Wirkung wieder aus ihrem Inneren hervorzukitzeln.
Das Problem war nur...
Früher herrschte hier fluktuierendes Leben. Heute schritt nur noch selten ein tapferer Abenteuer durch ihr Portal und nickte ihr eifrig zu. Dann verhallten seine Schritte im langen Gang und er verschwand mit einem Zischen in einem anderen der vielen Portale.
Ihre Waffen hatten Shija stets beeindruckt. Insgeheim hatte sie die Männer und Frauen auch um ihre Rüstungen beneidet, denen man förmlich angesehen hatte, welchen glorreichen Abenteuer sie bestritten hatten. Ihre eigenen Roben wehten einfach nur vor sich hin. Kläglich, wenn sie es mit diesen Recken verglich und manchmal kam sie sich viel zu klein vor, trotz der großen Aufgabe.
Der Strom an Abenteuern, der ihr früher immer endlos erschienen war, war lange versiegt. Und mit dem Ausbleiben der Helden, waren auch nach und nach andere Teile der Bevölkerung abgewandert: Schmiede hatten sich ein lukrativeres Zuhause gesucht, Waffenhändler waren dem Weg der Abenteurer genauso gefolgt, wie jene, die stets die neuste Rüstung anboten. Geblieben waren nur wenige und Shija konnte in ihren Augen sehen, dass auch sie überlegten, zu gehen. Dabei waren die Straßen schon beängstigend leer.
Ein Schauer huschte ihren Rücken hinab. Shija fröstelte und nicht einmal der Blick auf die Oberfläche ihres Portals konnte sie dieses Mal glücklich stimmen - das konnte er in letzter Zeit immer seltener.
Durch das Portal sah sie zwei Berge schimmern. Eine große Stadt lag zu ihren Füßen. Dahinter ging verheißungsvoll die Sonne auf. Die Wolken strahlten ihr hell entgegen und das lachende Gesicht eines Mannes schob sich in ihr Blickfeld. Es wirkte, als wolle es sie einladen.
Shija hatte sich oft gefragt, ob sie nicht auch einfach gehen sollte. Verschwinden, um ihr eigenes Abenteuer zu erleben, anstatt hier in einem Saal einzustauben und ein Portal aufrecht zu erhalten, dass immer mehr in Vergessenheit geriet. Davon ab, dass sie ohnehin eher stilles Beiwerk war, als tatsächlich notwendig.
Sollte sie es wagen?
Sie blinzelte ein weiteres Mal auf die Oberfläche. Ein neuerliches Lächeln, ein Winken, das verzaubernd in ihre Richtung glitzerte. Ihre Entscheidung war gefallen.