Ihre Finger huschten über die einzelnen Zeilen der Seite, während sie verzweifelt versuchte, das Papier vor dem Regen zu schützen.
Das Buch war ihr wertvollster Besitz, nicht auszudenken, was alles passieren könnte, wenn das Sommergewitter es ruinieren würde!
"Hast du es bald, Kräuterhexe?", raunte eine Stimme dicht an ihrem Ohr. Heißer Atem strich über ihre Haut und sie war sich sicher, dass sie zusammengezuckt wäre, wenn nicht Konzentration in jeder Faser ihres Körpers stecken würde.
"Magus", erwiderte sie, ohne ihren Blick von der Seite zu erheben, "Es heißt Magus und du weißt ganz genau, dass ich die Pflanze nur finden werde, wenn du mich in Ruhe arbeiten lässt."
Ein Grund, warum sie es vorzog, lieber alleine zu arbeiten.
Der Mann schnaubte leise, trat aber einige Schritte zur Seite.
Besser so! Seine Anwesenheit störte sie ohnehin bereits viel zu sehr und brachte ihre Konzentration durcheinander. Wenn er sie dann alle paar Herzschläge auch noch ansprach, machte es das nicht besser. Davon ab, dass sie durch seine ständigen Bewegungen kaum dazu in der Lage war, auch noch im Auge zu behalten, wie der Wind sich drehte.
Wenn auch nur ein einziger dieser hundertausend Regentropfen das Papier berührte...
Ein Schauer jagte durch ihren Körper bei diesem Gedanken und ein lautes Donnergrollen hallte über ihnen auf.
"Du weißt, dass wir keine Zeit haben. Er braucht die Heilpflanze!"
Der Mann wieder. Waren die paar Herzschläge denn schon wieder rum?
Immerhin aber sprach er ihr nicht wieder ins Ohr.
"Die nur im ersten Sommergewitter des Jahres wächst. Ich weiß, dass wir nicht ewig Zeit haben, also bitte lass mich in Ruhe arbeiten!"
Sie erhob ihren Blick in dem Moment, in dem ein greller Blitz den dunklen Sturm durchzuckte. Es musste ihrer Mine einen unheilvollen Ausdruck verliehen haben, denn plötzlich sah der Mann weg und zog sich die Kapuze an seinem Umhang über den Kopf.
Erst einen Moment später bemerkt sie, dass ein matten Glimmen von ihrem Buch ausging.
Vielleicht war es doch nicht ihr Gesicht gewesen, sondern das Einsetzen der Magie, die den Mann verschreckt hatte.
Sie legte ihre Hand auf die Seiten, schloss ihre Augen und legte den Kopf in den Nacken. Regen prasselte über ihre Haut und für einen Augenblick schützte das Buch nichts weiter, als ihre weiten Roben. Ein Risiko, das sie eingehen musste.
Die Hand, die die Seiten berührte, wurde warm und ganz langsam strömte die Wärme ihren Arm hinauf, bis sie ihren ganzen Körper eingenommen hatte und sie selbst zum Glühen brachte. Sie stieß einen leisen Summton aus und ein Teil des Lichts zuckte nach rechts. Langsam schlängelte es sich durch die Tropfen.
"Die Pflanze ist im Norden."
"Na endlich!", stöhnte der Mann und drängelte an ihr vorbei.
Sie verstaute währenddessen das Buch sorgfältig in einer Tasche und folgte dem Lichtpfad.