Es waren die blauen Augen. Ohja, blau wie der Himmel an einem Frühlingstag, wenn die Sonne noch nicht richtig wach ist und die Schneeglöckchen das erste Mal ihre kleinen Köpfchen der schwachen Wärme entgegenstrecken.
Die blauen Augen hatten ihn aber nicht auf ihn aufmerksam gemacht. Das war etwas ganz anderes. Er war ja schon immer ein bisschen.... nerdig gewesen aber als er den anderen so über seine Lieblingsserie reden hörte und Theorien aufstellte... da musste er einfach mit reden. Er traf nicht jeden Tag Mitschüler die auf das gleiche standen wie er! Er war gerade neu in ihren Jahrgang gekommen, vom Jahr davor. Hatte wohl irgendein Fach verhauen, interessierte Jay aber auch nicht wirklich. Wichtig war, dass der andere ihn anlächelte als er sich fast schon selbstbewusst, in ihrer Freistunde zu ihnen an den Tisch setzte. Und da sah er sie. Strahlend blaue Augen in einem nicht ganz unattraktive Gesicht. Naja, sie waren ein bisschen zu groß für das Gesicht aber das machte den anderen nur noch interessanter. Denn alles andere an im war ziemlich... Attraktiv für ihn. Die kurzen dunkelblonden Haare die mühelos gestyled zu sein schienen, eine kurze Hose trotz der noch frischen Temperaturen draußen, das weiße T-Shirt... Genau in dem Moment wusste Jay, dass es um ihn geschehen war. Aber das störte ihn nicht. Er klinkte sich in die Unterhaltung mit ein, auch wenn er zu seiner Überraschung nur spärlich zu dem Thema beitragen konnte. Dabei sollte das doch gerade etwas sein was er konnte...
Er begnügte sich also damit zu zu hören. Eine sanfte, tiefe Stimme, das leichte lachen... Jay beschloss dass er den neuen ja irgendwie aufnehmen mussten. Und in der nächsten Pause zog er ihn ziemlich widerstandslos zum Tisch seiner Freunde.
Bis heute weiß er nicht genau was passiert ist, aber es dauerte wirklich nur wenige Tage, da war der blau-äugige ein fester Bestandteil ihrer Truppe und Jay konnte sich ungehindert der Illusion hingeben dass er vielleicht doch... ein kleines bisschen Interesse an ihm hatte.
Sie wuchsen zusammen. Sie wurden Freunde, beste Freunde und vertrauten sich alles an. Jedenfalls dachte Jay das. Er vertraute sich ihm jedenfalls voll an. Mehr als nur einmal hatte der blau-äugige ihm geholfen mit dem einen oder anderen Mann zurecht zu kommen... oder ein verpatztes Date zu verarbeiten. Er konnte sich nicht daran erinnern wie oft er unter Tränen mit dem anderen geschrieben hatte, bis diese versiegt waren, einfach nur um eine Schulter zu haben um sich aus zu weinen.
Er hatte es ihm versprochen. Er hatte ihm versprochen er würde ihn mit seiner besten Freundin zusammen bringen, als die sich von ihrem miesen Kerl getrennt hatte. Sie war groß und schlank und hübsch und sportlich und musikalisch, so wie sein bester Freund. Sie wären das perfekte Paar. Also versuchte er es. Er versuchte es wirklich aber jedes mal wenn er diese blauen Augen sah... Es war einfach nicht fair. Sie könnte jeden haben. Er wusste es, er war so oft mit ihr unterwegs. Er sah die Blicke der anderen Männer, sah wie sie ihnen eine Weile folgten nur um dann doch die Flucht zu ergreifen. Sie musste nur einmal richtig hinschauen aber nein...
Ihr Ex... er hatte sie gebrochen, auf die übelste Art und Weise die einem Menschen nur möglich war. Es blieb Jay unbegreiflich wie man einem anderem Menschen so etwas antun konnte. Er hatte ihre Narben gesehen, die selbst über ein Jahr nach der Trennung noch ihren Körper zierten. Er hatte neben ihr gelegen, wenn sie Alpträume hatte, hatte sie im Arm gehalten wenn sie geweint hatte. Jay war da als sie sich langsam und schwer wieder an die Oberfläche kämpfte. Er kannte die Symptome, sie hatten oft darüber geredet. Er hatte ihr in Menschenmengen einen Arm um die Schultern gelegt und sie weggeführt bevor sie zusammenbrach, hatte ihr mit einem bösen Blick etwas extra Platz geschaffen und dafür gesorgt, dass er immer für sie zu erreichen war. Auch mitten in der Nacht. Er hatte es alles gesehen.
Sie waren beim blau-äugigen einmal zu Hause gewesen um einen Film zu schauen, nachdem er seinem besten Freund die Haare für ein Cosplay grün gefärbt hatte. Es war irgendein Jonny Depp Film und sie waren zu viert gewesen. Er und sein bester Freund und sie und noch ein anderer, den sie in der Therapie kennen gelernt hatte und mit dem sie sich angefreundet hatte.
Der Film war gerade zu Ende und sie wollte aufräumen als die Mutter seines besten Freundes mit einem Weinglas wütend ins Zimmer stürmte. Sie war betrunken. Und laut. Und gab allen die Schuld an allem. Jay konnte sich nur vor seine beste Freundin stellen und versuchen sie von allem ab zu schirmen, während sie wie erstarrt mitten im Raum stand. Der große Kerl floh aus dem Haus sobald er konnte. Die anderen 3 folgten ihm ziemlich bald und Jay schnappte sich einfach alles an Jacken die er erwischen konnte. Zum Glück, denn sonst wäre die Nacht kalt geworden. Die Frau konnte ihm danach nicht mehr leiden. Wie denn auch. Schließlich war er es gewesen der ihrem Wunderknaben die Haare gefärbt hatte und es gewagt hatte für seine Freunde ein zu stehen. In ihrem Haus! Wie konnte er es nur wagen? Aber Jay kümmerte dass nicht. In dieser Nacht war er einfach nur froh als er zu Hause war.
Sie hatten sich auch ein Versprechen gegeben. Der blau-äugige und Jay. Dass sie, wenn sie mit 30 immer noch single waren, einfach heiraten würden. Jay war gerade in paar Wochen 20 und frisch getrennt als die Nachricht kam.
"Wir könnten es ja versuchen". Stirnrunzelnd stand er in der Küche vor dem Herd. "Das mit uns beiden."
Es folgten Paragraphen. Darüber wie gut sie passen würden. Wie ernst er das meinte. Sie kannten sich schon so lange, er wusste er würde ihn nicht belügen. Das stimmte. Jay war seit 3 Jahren in den anderen verliebt und kannte ihn mittlerweile Inn- und Auswendig. Sein Herz schlug schneller. Endlich. All sein Hoffen, all sein Bangen hatten sich erfüllt. Er liebte ihn. Er liebte ihn wirklich. Natürlich stimmte er zu. Ohne nachdenken, ohne Zweifel ohne Angst. Die kleine warnende Stimme in seinem Kopf ignorierte er.
Sie trafen sich mindestens jedes Wochenende. Sie lachten und gingen auf Dates und kuschelten miteinander und waren sogar für ihre Freunde unerträglich süß. Er nahm ihn mit auf eine Feier wo sein Ex war, nur um sich ein bisschen an ihm zu rächen. Sie verbrachten so viele Nächte miteinander, dass Jay sie nicht mehr zählen konnte. Er gab ihm alles. Jedes mal wenn sie sich sahen, gab er sich ihm ganz hin, ertrank in den blauen Augen, schmolz in die starken Arme und schwamm in der tiefen Stimme die ihm die süßesten Versprechungen ins Ohr schnurrte.
Wenn sie zusammen waren, war alles gut. Dann waren die blauen Augen lauter als der Zweifel in seinem Kopf. Doch wenn sie getrennt waren, wenn die blauen Augen ihn nicht anschauten, dachte er nach. Dann wusste er, dass sie nie für die Ewigkeit gemacht waren, dass sie nie halten würden, dass es bald enden würde. Jay wusste, dass er benutzt wurde und trotzdem... er würde jede Minute mit diesem Mann nehmen, die er bekommen konnte.
Es waren 3 Monate. Jay nannte sie die 3 glücklichsten Monate seines Lebens. 3 Monate mit einem Mann, den er 3 Jahre geliebt hatte. Und es war eine Whatsapp Nachricht einen Tag nach den Weihnachtsfeiertagen, die alles zerstörte.
"Lass es uns beenden. Es tut mir Leid. Du klammerst zu sehr"
Jay stand am Trockner. Den Kopf gegen die Scheibe gelehnt hinter der die warmen Handtücher, fertig und fluffig auf die Kunden warteten.
"Okay"
antwortete er. Seine Chefin kam nach ihm sehen. Sie war klein und ein echtes Biest. Sie sah die Nachricht. Sie setzte ihn auf den nächsten Stuhl und stellte ihm eine heiße Tasse Glühwein vor die Nase.
An diesem Tag arbeitete Jay länger, bis seine Kollegen die Schnauze voll hatten und ihn nach Hause schickten.
Er schlief schlecht. Er fing Streit mit dem anderen an. Über belangloses Zeug. Mit Absicht. Er kannte ihn. Er kannte ihn so gut, er wusste genau welche Köpfe er drücken musste und auch der Andere wusste es. Und Jay wusste, dass er seinen Plan durchschaut hatte.
Danach schlief er 3 Nächte im Bett seiner Mutter, weinte sich in den Schlaf und versuchte an ihrem Rücken ein bisschen Trost zu finden. Aber selbst wie konnte nichts machen. Wie sollte eine Erwachsene Frau auch das gebrochene Herz ihres Kindes heilen? Irgendwann blieb er in seinem eigenen Bett. Die Tränen versiegt. Er lebte immer noch.
Als er jünger war, hatte er sich vorgestellt, einmal an gebrochenem Herzen zu sterben, aber hier war er. Mit gebrochenem Herzen und atmend. Lebend. Mehr oder weniger.
Draußen schossen die Raketen in den Himmel und malten bunte Muster zwischen die Sterne. Vertrieben die Geister des alten Jahres, nahmen die schlechten Erinnerungen mit sich und ließen die Menschen nur an eine gute Zukunft denken. Jay saß im Warmen Wohnzimmer und starrte auf die Flammen im Kamin.
"Warum bist du traurig?" sein Onkel war nicht gerade für Einfühlungsvermögen bekannt. "Immer noch wegen diesem Jungen?"
Jay schwieg lange und beobachtete die tanzenden Flammen.
"Ich bin nicht traurig" sagte er schließlich. Nein. So jemand hatte seine Trauer nicht verdient. "Ich fühle gar nichts" setzte er leise hinzu und leerte in einem langen Zug die Flasche Bier und stellte sie auf den Tisch neben sich.
Mittlerweile wusste er was passiert war. Sein bester Freund hatte ihn benutzt, um sich von seiner alten Schulclique zu lösen, allen den Rücken zu zu kehren und dass mit einer plausiblen Erklärung. Er hatte seine Gefühle für ihn ausgenutzt damit Jay ihn gehen ließ, damit er ihn nicht aufhielt, damit er keinen Kontakt hielt. Jay war seine Puppe am Faden gewesen und als es Zeit war zu gehen... hatte er ihm einfach die Fäden durch geschnitten.
Wenn Jay jetzt blaue Augen sah, drehte er sich um und ging.
Blaue Augen sind gefährlich.