Rating: P18 (Horror)
Datum: 1722 nach Bernstein
Basiert auf der Geschichte der Donner-Party:
https://de.wikipedia.org/wiki/Donner_Party (Artikel spoilert)
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„Kommt jetzt! Wir müssen uns beeilen!“ Saamos trieb die Ochsen an. Vier Paar waren vor jeden der drei Wagen gespannt, die sich rumpelnd aus dem Schatten der Aramat-Canyons schoben.
„Wir müssten uns seit drei Wochen beeilen“, warf Elayra ein, seine Ehefrau, die hinten auf Saamos‘ Wagen saß.
„Das kriegen wir alles wieder rein“, tröstete er sie. Bei dem Tiiwan-Salzsee sollte es eine Abkürzung durch das Nandi-Gebirge geben, das sie ansonsten umständlich umfahren mussten. Dahinter erwartete sie Shakdee, ein furchtbares, reichhaltiges Land, wo die Siedler auf ein neues Leben hofften.
Eine Staubwolke erhob sich hinter den Wagen, als Saamos seine Gruppe in die rote Weite der al Taskmadhia führte. Rote Dünen erhoben sich bis zum Horizont unter einem hellblauen Himmel. Ein Einblick, von dem einem das Herz singen mochte.
„Das meine ich nicht“, sagte Elayra. „Aber wenn wir Pech haben, erreichen wir die Berge gerade zur Doppelsonnenzeit. Und dann …“
Saamos schüttelte den Kopf. „Die rote Sonne wird uns erst in Shakdee begrüßen. Du wirst sehen, Elayra, es wird wundervoll! Grüne Weiten an den Ufern der drei Ströme! Eine Wildnis, die nur so strotzt vor Leben! Dort werden wir wie Götter leben.“
„Wenn wir die Reise überstehen“, murmelte Elayra.
„Wenn wir die Reise hinter uns haben.“ Saamos nickte und sah nach vorne, stolz auf dem Wagen aufgerichtet. In den beiden folgenden Wagen reisten sein Bruder Belogani und sein Freund Breghil mit ihren Familien. Dem Treck folgten noch einige Arbeiter, ein Wajba- und ein Nunya-Führer und eine Herde Vieh.
Die Wagen ächzten unter der Last der frohen Hoffnung, die die Siedler ergriffen hatte. Mit leisem Quietschen rollten sie in die rote Wüste hinein.
~⁂~
Ihre Schatten auf den Dünen wurden länger. Resigniert sah Saamos ein, dass sie heute nicht mehr weiterfahren würden.
„Bauen wir die Zelte auf“, entschied er und unterbrach damit die hitzige Diskussion zwischen Elayra und Tinidad, der Frau seines Bruders.
„Wir gehen da drüben hin!“ Elayra stolzierte davon.
Tinidad sah ihr hinterher. Dass ihr ein bissiger Kommentar auf den Lippen lag, konnte Saamos deutlich sehen. Doch sie schwieg und raffte die Zeltstangen vom Wagen, um in die Gegenrichtung zu marschieren.
„Brauchst du Hilfe?“, fragte Saamos seine Frau.
„Ja, du könntest die Kinder losschicken, um nach Wasser zu suchen“, schlug Elayra vor. „Wir haben nicht mehr viel.“
„Belogani hat doch …“
„Ich möchte diese Personen aber nicht darum bitten!“, knurrte Elayra giftig.
Saamos zuckte zusammen. Der Streit war schlimmer als er angenommen hatte. Kein Wunder eigentlich, die Frauen hatten seit dem Mittag gezankt, aber in den Wochen der bisherigen Reise waren solche Streitereien an der Tagesordnung gewesen. Ein paar Sandstürme hatten sie aufgehalten oder zu Umwegen gezwungen, und die Nerven lagen blank.
„Ich kümmer mich drum“, murmelte Saamos und rief Sakil, Mirdha und Luijana zusammen.
„Luijana, wo sind Tuubari und Jakonos?“
„Die spielen Schneeballschlacht mit Sand“, antwortete die kleine Luijana anklagend. „Ich hab gesagt, mit Sand wirft man nicht, aber …“
„Pass bitte auf, dass sie sich nicht verletzen“, sagte Saamos. „Sakil und Mirdha, nehmt die Wasserschläuche und sucht eine Quelle.“
„Wie denn?“, fragte Sakil aufmüpfig. Er kam in das Alter, wo man sich für furchtbar schlau hielt. „Wir sind in einer Wüste!“
„Und auch Wüstentiere müssen trinken“, antwortete Saamos. „Jetzt lauft schon! Bevor es dunkel wird, seid ihr zurück.“
„Ja, Paps“, antwortete Mirdha liebenswürdig. Sie zog ihren Bruder mit sich und Saamos kehrte zu Elayra zurück, um ihr beim Errichten des Zeltes zu helfen.
Schweigend stellte er die Zeltstangen auf und half, den Sabib darüber zu spannen.
„Willst du reden?“, fragte er.
Das wirkte wie ein brechender Damm. „Es ist ja wohl nicht unsere Schuld, dass sie ihren Wagen so überladen haben!“, schimpfte Elayra. „Und jetzt sollen wir unsere Möbel zurücklassen, damit sie mitfahren können? Ich bin schwanger und gehe immer wieder Strecken zu Fuß, meine Kinder auch, das kann Tinidad auch mal machen!“
„Sie ist halt noch erschöpft vom Fieber“, versuchte Saamos zu schlichten.
„Das ist Wochen her!“, schimpfte Elayra. „Ich wette, der Wagen wäre noch heil, wenn sie mit ihrem fetten Hintern nicht die ganze Zeit hinten drauf gefahren wäre!“ Sie warf giftige Blicke hinüber zu der Stelle, wo Belogani mit seiner Familie lagerte. Breghil hatte inzwischen ebenfalls begonnen, sein Lager aufzuschlagen, auf halber Strecke zwischen beiden Familien. Ihr Scout Wijakii und der Rest ihrer Reisegesellschaft hatten sich ihm angeschlossen.
„Wir sollten wenigstens ihre Vorräte aufnehmen“, entschied Saamos. Als Elayra den Mund öffnete, um ihn ihre Meinung dazu mitzuteilen, hob er die Hand. „Es ist Nahrung, die werden wir alle früher oder später brauchen. Vielleicht müssen wir dafür eine Kiste mit Kleidung opfern, aber wir brauchen das Essen nun mal.“
Elayra seufzte und nickte schicksalsergeben.
„Wir dürfen jedenfalls nicht noch einen Tag verschwenden“, brummte Saamos. „Tut mir leid.“
„Schon gut. Wir haben eben einfach Pech. Erst die Sandstürme, jetzt der Wagen …“
„Das wird alles besser, wenn wir in Shakdee sind“, versprach er ihr.
~⁂~
Saamos schirmte die Augen mit der Hand ab. „Hey, da kommt Hrerne. Und ich glaube, er hat Beute gemacht.“
Die einsame Gestalt war in der flirrenden Hitze nur schwer auszumachen. Während die beiden verbliebenen Wagen gemächlich über den Treck rumpelten, ritt Hrerne auf ihrem besten Bakari aus und versuchte, ihre kargen Vorräte um frisches Fleisch zu ergänzen.
Für gewöhnlich hatte er wenig Glück. Die meisten Trecks waren vor einigen Wochen hier hindurchgezogen und hatten für die Nachzügler keine Beutetiere, dafür haufenweise von den verscharrten Leichen angezogene Qutrubs hinterlassen. Die flachen Grabhügel bildeten mit zurückgelassener Fracht und zerbrochenen Karren eine gut sichtbare Spur zwischen den wandernden Dünen hindurch. Die Qutrubs hatten viele der Gräber aufgescharrt. Manchmal sah man einzelne Gliedmaßen oder abgenagte Knochen aus dem Sand ragen.
Doch heute schien ein guter Tag zu werden. Als Hrerne näherkam, winkte er stolz mit einem geschlagenen Wolpertinger, drei weitere hingen am Sattel seines Bakaris.
Saamos sah zum Himmel. „Wir reisen noch eine Stunde, dann schlagen wir das Nachtlager auf!“
Der Rest nickte.
Die letzte Stunde streckte sich schier unermesslich. Seit Tagen hatte es für die Reisenden eigentlich nur Nai-Brote und getrocknetes Fleisch gegeben. Als sie hielten, strömten alle in Erwartung des Festmahls zusammen.
„Mach zwei Wolpertinger“, sagte Saamos zu Hrerne. „Die anderen beiden trocknen wir.“
„Sehr wohl, Chef.“ Der castianische Fallensteller nickte.
Mit der angespannten Stimmung der Gruppe war es selten geworden, dass sie sich alle zum Essen versammelten, doch heute schichteten Belogani und Breghil gemeinsam Feuerholz und Elayra und Tinidad bereiteten ihre Kessel vor, um gemeinsam zu kochen.
Saamos half dabei, die Ochsen auszuspannen und kletterte dann auf eine Düne, um von oben den Ausblick auf die friedliche Gruppe zu bestaunen.
So hatte er sich das Pioniersleben eigentlich vorgestellt: Ein Lager unter dem frühen Sternenhimmel einer mystischen Wüste, Nahrung aus dem Land selbst und eine mutige Gruppe Siedler, die ihm folgten.
So hatte er es sich erträumt, als er mit seinem besten Freund und seinem Bruder sowie deren Familien aufgebrochen war. Sie hatten zwei Eingeborene als Führer angeheuert, Wijakii und Jobadhas, und ihre Gruppe war um einige weitere Nachzügler angewachsen, die den großen Aufbruch verpasst hatten. Dazu gehörten Hrerne und das junge Pärchen Oilieera und Bashti, die offenbar gemeinsam durchgebrannt waren. Eine halbadelige Bergelfe und ein Halsabschneider. Nun, was ging es Saamos an?
Die letzten beiden ihrer auf 24 Leute angewachsenen Truppe waren Jaz, ein ältlicher Zwerg, der Wajbaqwinat vor seinem Ableben noch bereisen wollte, und Julle, ein verträumter Taugenichts, dessen rundes Mondgesicht ihm die Sympathie der Siedler eingetragen hatte. Er kümmerte sich um die kleine Herde, die dem Treck folgte, war gut mit den Tieren und immer freundlich und höflich. Er erinnerte Saamos an ein Schaf.
~⁂~
„Wie geht es Tumur?“, fragte er, als er zu Breghil und Dhaya trat.
Ihr zweiter von drei Söhnen war krank geworden. Er hatte Durchfall, Fieber und Erbrechen, sodass sie an diesem Abend früh rasten mussten, um ihm genügen Ruhe zu verschaffen.
Dhaya senkte den Blick. „Nicht gut.“ Die Stimme der Mutter war leise. „Er wird immer schwächer.“
Saamos schluckte. „Wir schicken Jobadhas los, um Heilkräuter zu finden.“
„Den Wilden?“ Dhaya rümpfte die Nase.
„Die Nunya kennen dieses Land. Vielleicht kann er helfen.“
„Wir hätten einen Arzt mitnehmen sollen“, sagte Dhaya. Sie klang genau wie Saamos‘ Gewissen.
Am nächsten Morgen war Tumur tot. Sie mussten ihn im Sand in einem flachen Grab zur Ruhe legen, wie so viele andere Unglückliche entlang des Weges.
Noch ein weiteres Unglück hatte sich ereignet: Oilieera und Basti waren fort, und mit ihnen zwei ihrer Kamele und Unmengen ihrer Vorräte. Das Pärchen hatte sich nicht länger an das langsamere Tempo der Planwagen ketten wollen.
Saamos registrierte den Verlust stillschweigend. Er spürte die Blicke der Anderen immer feindseliger auf sich ruhen.
Geschrumpft zogen sie weiter durch die Wüste.
~⁂~
Es war der Abend eines anstrengenden Tages. Saamos war die gesamte Zeit über von den Siedlern bedrängt worden.
Dann saß er auf einem Bakari und ritt hinten bei Tulle, in der Staubwolke hinter den Tieren. Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. Die Sonne brannte auf seinen Nacken. Sie hatten fast eine Woche Zeit verloren und ihre Vorräte waren nach Bastis Diebstahl zu wenig geworden. Auf Notrationen kämpften sie sich vorwärts. Es war klar, dass ihre Herde Shakdee niemals erreichen würde, die Tiere würden alle geschlachtet werden.
Tulle bat um einen Schluck aus Saamos‘ Wasserschlauch. Er verneinte. Tulle bat erneut, und zwar zu recht. Er war derjenige der immer hier hinten ritt und Staub schluckte, während die anderen ihm nur sporadisch Gesellschaft leisteten. Es war nicht viel, das er erbat.
Dennoch war es zu viel. Saamos wusste nicht genau, wie es zum Handgemenge kam. Ein Schuss löste sich, Tulle fiel vom Bakari.
Die Reisenden drehten sich um, und da saß Saamos, Blut an seinen Händen, Tulle vor sich im Sand.
Ein paar forderten seinen Tod, darunter Breghil. Seit dem Tod seines Sohnes war Saamos‘ bester Freund verändert. Nun waren seine beiden anderen Kinder ebenfalls erkrankt und er zweifelte Saamos‘ Führungsqualitäten offen an.
Elayra und Belogani schafften es, die Gemüter zu beruhigen. Saamos wurde auf ein Kamel gesetzt und behielt ein lächerlich kleines Paket Nahrung und Wasser.
Er ritt in den Sonnenuntergang, in eine Wüste, die mit Einbruch der Nacht eisig kalt wurde. Wie betäubt trieb er sein Kamel bis zum Morgen über den Pfad. Und weiter, durch den Salzsee vor dem Pass, über die Berge, und auf der anderen Seite bis Shakdee. Die Schönheit des Landes bemerkte er nicht, seine Gedanken weilten bei seiner Frau und seinen Kindern. Er fand eine Siedlung von Pionieren, und bat um ihre Unterstützung. Sie stimmten zu und brachen mit Vorräten auf. Die Zeit der Doppelsonnen nahte, und die Siedler würden ohne Wasser in der Wüste festsitzen.
Saamos versuchte, den Rettungstrupp zu begleiten, doch er war so erschöpft, dass er nach wenigen Meilen umkehren musste. Besorgt sah er zu, wie die rote Sonne sich Tag für Tag vor die Goldene schob und ihre Hitze das Land sengte.
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„Wir hätten niemals aufbrechen sollen“, sagte Dhaya, als sie ihren zweiten Sohn zur Ewigen Ruhe bei Torobari betteten. Das Fieber hatte auch Jakillis gefordert, nur der Älteste, Miikas, hatte überlebt.
Neben ihnen begrub Elayra Tuubari, einen der beiden jungen Zwillinge. Saamos würde diesen Sohn nie wieder in den Armen halten können. Noch vor dem nächsten Morgen würden die Qutrubs sich an ihren Knochen laben, denn tief konnten die Siedler nicht graben.
Breghil, der nun der neue Anführer war, sah zum Himmel. Die kleine, rote Sonne war noch nicht dort. Noch. „Wir können jetzt nicht mehr umkehren.“
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In dieser Nacht kamen die Qutrubs. Sie erschreckten die Herde. Die Siedler konnten in der Finsternis nichts ausrichten.
Am nächsten Morgen waren ihre Schafe und Kühe fort.
Mit zwei Wagen näherten sie sich der weißen, wie Schnee glänzenden Fläche des Salzsees Tiiwan. Sie mussten ihn durchqueren, um den Pass zu erreichen.
Unter der sengenden Goldsonne rumpelten die beiden Wagen dahin. Auf einem Wagen brieten Tubayin und Fayarin, Beloganis Söhne aus dritter Ehe, getrocknete Streifen einer Wolldecke in der Sonne und aßen sie gegen den Hunger.
„Jaz hält nicht mit“, vermeldete Hrerne. „Er hat vor einer Stunde angehalten.“
Breghil ließ anhalten. „Jemand muss zurückreiten und ihm helfen.“
Niemand regte sich. Schweiß perlte den Siedlern von den Stirnen.
„Jemand muss zurückreiten! Jaz braucht uns!“, rief Breghil. Er sah Belogani um.
„Meine Tochter ist krank“, sagte Saamos‘ Bruder. „Und ich kann meine Frau nicht verlassen.“
„Wir können nicht umkehren“, sagte Wijakii, der Wajba-Scout. „Sonst kommen wir nicht mehr über die Berge.“
„Es braucht nur einen Reiter!“, appellierte Breghil. „Ein schneller Reiter.“
Es fand sich keiner. Sie zogen weiter. Jaz, der alte Zwerg, blieb in der unbarmherzigen Hitze auf sich gestellt.
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Sie hatten kein Wasser mehr. Vor ihnen erhoben sich endlich die Berge, doch glühend stand das Auge der roten Sonne am Himmel. Die Temperaturen sanken auch nachts nicht mehr.
Breghil hieß sie anhalten.
„Die Ochsen können nicht weiter“, sagte er. „Wir müssen unsere Zelte aufschlagen.“
„Hier?“, fragte Belogani entgeistert und sah sich um. Bis zum Horizont erstreckte sich weißes Salz, flimmernd in der Hitze. Die Berge verschwammen vor ihrem Blick.
„Na los!“, brüllte Breghil.
Sie stellten die beiden Planwagen nebeneinander. Dann begannen sie, ein Zeltdach aus ihren Sabib-Stoffen zwischen ihnen zu spannen. Hier konnten die sechzehn verbliebenen Mitglieder der Expedition Schatten finden. Auch die Ochsen zogen sie in den Schatten zwischen den Planen, während die Reisenden sich in die Wägen flüchteten.
Es war nicht genug Platz für alle Tiere. Drei der acht Ochsen mussten in der Sonne stehen. Als sie Stunden ins Land krochen, hörten die Zusammengekauerten, wie einer nach dem anderen umfiel, erstickt an der Hitze der Luft.
Auch in den Wagen kletterten die Temperaturen immer höher. Belogani reichte seinen Wasservorrat an Tinidad und ihre Kinder weiter. Nur die drei Jüngsten, aus der Ehe mit Tinidad, waren auf diese Reise mitgekommen. Der Kleinste, Fayarin, war kein volles Jahr alt. Die Älteste, Maithrani, wurde unter dem Einfluss des dhubyanischen Fiebers immer schwächer.
„Sobald die Nacht hereinbricht, müssen einige von uns aufbrechen“, beschloss Breghil. „Wir suchen einen leichten Weg über die Berge. Oder wir holen Hilfe für den Rest.“
Hrerne ergriff zuerst das Wort. „Ich komme mit. Und lass uns die beiden Indianer mitnehmen.“
Breghil sah zu Jobadhas und Wijakii. „In Ordnung. Aber dann bleibt nur noch ein Mann zurück.“
Belogani nickte bestätigend. „Wir müssen hier ausharren.“
In der Dämmerung nahm Breghil schweren Herzens Abschied von Dhaya und seinem verbliebenen Sohn Miikas. Er sprach es nicht aus, doch er fürchtete, bei seiner Rückkehr auch seine Frau und sein letztes Kind verloren zu haben. Als die vier Männer aufbrachen, nur mit dem nötigsten Proviant ausgestattet, zeichneten die Untergänge der beiden Sonnen den Himmel in allen Farben des Blutes.
Sie zogen in die aufgeheizte Wüste, vorbei an den bereits vertrocknenden Kadavern der Ochsen. Die Salzwüste war selbst in der Nacht heißer als die Sandwüste am Tage. Das Leder ihrer Schuhe schmolz auf den weißen Körnern.
Die beiden Indianer hatten keine Probleme. Wijakii lief barfuß, scheinbar ohne die Hitze zu fühlen. Jobadhas‘ Kleidung schien den Temperaturen problemlos zu trotzen. Die beiden Siedler schleppten sich keuchend voran. Die Berge schienen nicht näher zu kommen.
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„Wie geht es Maithrani?“
Elayra näherte sich Tinidad vorsichtig. Ihre Schwippschwägerin sah auf, Verzweiflung in den braunen Augen.
Elayra seufzte und setzte sich neben sie. Das Mädchen lag vor ihr im wenigen Schatten und rang krampfhaft um Atem. Die Hitze hatte sich im Planwagen gestaut. Zusammen mit dem Fieber machte es das nur noch schlimmer.
Tinidad lehnte den Kopf an Elayras Schulter und begann aus heiterem Himmel, zu schluchzen.
Schweigend umfasste Elayra die andere Frau und drückte sie an sich.
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„Sieh dir die Wilden an“, knurrte Hrerne leise. „Da ist doch irgendeine Magie im Spiel.“
Breghil sah wie befohlen hoch. Er konnte nicht sehen, was der Jäger meinte. Die beiden Indianer taumelten unter der Last ebenso wie sie beide.
„Ich sag es dir, der Hexer hat irgendwas getan“, knurrte Hrerne. „Sie müssen unser Wasser gestohlen haben.“
Breghil blinzelte. Warum trug Hrerne Pfeil und Bogen in den Händen? Wann hatte er sie gezückt?
Die Sonnen brannten vom Himmel. Sie waren auf dem Rückweg, jedoch viel zu langsam, um der Hitze zu entgehen.
„Und jetzt lachen sie über uns!“, zischte Hrerne und hob den Boden.
„Nein!“, brüllte Breghil.
Hrerne ließ den Pfeil von der Sehne.
Wijakii stürzte mit einem gurgelnden Geräusch in den Sand. Blut spritzte aus der Wunde in seinem Hals. Jobadhas warf einen Blick auf den getöteten Wajba und ergriff die Flucht. Doch Hrerne schoss dem Nunya keinen Pfeil nach. Mit einem gierigen Jubel stürzte er sich auf den sterbenden Scout und beugte sich über dessen Hals.
Breghil wich zurück. Seine Finger zitterten. Mit geweiteten Augen sah er, wie Hrerne das Blut aus der gerissenen Wunde trank. Rote Flüssigkeit spritzte in sein Gesicht.
Breghil musste würgen. Er taumelte an Hrerne vorbei und begann zu rennen, weiter in das Weiß der Wüste, angetrieben von seinem klopfenden Herzen.
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Sie trugen Maithrani gemeinsam zu Grabe, Elayra, Dhaya und Tinidad, die drei Mütter. Nun hatten sie alle auf dieser furchtbaren Reise ein Kind verloren, und ihre Trauer schweißte sie zusammen nach all den Wochen des Streits.
Belogani war bei den Kindern geblieben. Fayarin war ebenfalls erkrankt und bekam kaum noch Luft. Bei Jakonos stieg das Fieber und auch Mirdha hustete inzwischen. Ihnen war das Wasser ausgegangen. Sie hatten nichts zu trinken. Und die Sonnen stiegen in die Höhe.
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Breghils Ankunft verursachte einigen Wirbel. Er erschien als einzelne Gestalt am Horizont, ehe Hrerne sich ihm anschloss. Schon lange, bevor die beiden angekommen waren, war das Lager in Aufruhr. Wieso kehrten nur zwei der vier zurück? Noch dazu ohne Hilfe oder Vorräte?
Manchmal flimmerte die Luft so schlimm, dass die beiden einsamen Gestalten in schwarzen Schlieren verschwanden wie ein Traum. Manch einer zweifelte gar daran, dass sie wirklich zurückkehrten. Spätestens, als der kleine Jakonos dem Fieber und Durst erlag. Seine Mutter Elayra vergoss bittere Tränen um ihn, doch Tinidad konnte nur daran denken, wie leichtgläubig sie das Wasser vergeudete.
Breghil und Hrerne stützten einander, als sie ins Lager taumelten. Über den Verbleib der Indianer verloren sie keine Worte. Breghil brach zusammen. Er lehnte sich an die Wand des Planwagens, mit rasselndem Atem. Er hatte sich bei seiner Flucht vor Hrerne überanstrengt. Während seine Atemzüge immer gequälter wurden, umfasste er Dhayas Arm mit eiserner Kraft.
„Ihr müsst … mein Blut trinken … wenn ich tot bin.“
Dhaya schüttelte entsetzt den Kopf. „Was redest du da?“
„Trinkt … das Blut. Nur so … könnt ihr überleben.“
„Nein!“, hauchte Dhaya kraftlos.
Breghils Lider flatterten. Dann erstarrte er und sank in sich zusammen.
Sie kämpfte, bis sich die Dämmerung erneut senkte. Dhayas Hals brannte, doch das hätte sie ertragen. Sie konnte sogar wegsehen, als die Anderen Mirdha nach draußen zogen und trotz der Hitze, unter dem Blick der Sonnen taumelnd, ein Grab aushuben. Sie konnte es ignorieren, dass Saamos nun ein drittes Kind niemals wiedersehen würde.
Doch sie konnte nicht zusehen, wie Miikas sich abkämpfte. Ihr einziger Sohn war matt und erschöpft. Also beugte sich Dhaya über ihren toten Ehemann und öffnete dessen Adern. Der Ekel war rasch überwunden, als sie ihren Durst endlich stillen konnte.
Als sie den Anderen von diesem Ausweg berichtete, währte das Entsetzen nur kurz.
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Breghil war leergetrunken. Die Tage krochen dahin und die rote Sonne würde noch einige Zeit am Himmel stehen. Die Luft im Zelt war zum Schneiden dick. Selbst unter der Plane waren die Ochsen verendet. Ihr Blut hatte die Siedler einige Stunden versorgt.
Nun wurde die Hitze erdrückender. Hrerne rückte ein Stück näher zu Belogani.
„Wir brauchen mehr Blut. Sonst sterben wir.“
„Es gibt keines“, erwiderte Belogani fest.
„Wir sind zu viele … zu viele Mäuler.“ Hrernes Blick irrte über Elayra und Dhaya. Elayra versuchte, Sakil und Luijana Luft zuzufächeln. „Wir könnten ein Kind überwältigen. Sie sind schwach … aber voller Blut.“
„Wag es nicht!“, zischte Belogani leise.
In der Nacht schlief er mit Tinidad und seinen beiden Jungen im anderen Wagen. Sofern man in dieser unbarmherzigen Hitze Schlaf finden konnte.
Am nächsten Morgen war Miikas tot. Statt Trauer empfanden die Siedler nichts. Der Junge wurde aufgeschnitten und sein Blut aufgefangen.
Nur Dhaya weigerte sich. Ihre aufgesprungenen Lippen wurden immer rissiger, ihr Blick glasig und leer. Noch vor dem Mittag folgte sie ihrem Sohn. Es schien, als habe sie aufgegeben, nun, da sie ihre gesamte Familie verloren hatte.
Hrerne und Belogani übernahmen die schreckliche Aufgabe, das Blut zu sammeln und einzuteilen. Schweiß hatte den Sand um sie herum dunkel gefärbt. Sie spürten bereits, wie ihre Körper unter den Folgen der Trockenheit litten.
Am Abend waren ihre Vorräte aufgebraucht. Hrerne starrte die vier Kinder an, Sakil, Luijana, Tubayin und Fayarin, und leckte sich unablässig über die Lippen.
Belogani wartete, bis der Jäger nach draußen trat, um sich zu erleichtern. Sie mussten nur noch selten auf die Toilette, denn sie hatten kaum Nahrung und kein Wasser. Dennoch passierte es. Belogani folgte ihm mit einer Holzplanke und tat, was er musste, um seine Familie zu schützen.
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Dann, endlich, wich die rote Sonne vom Himmel. Ein zweiter Rettungstrupp zog aus Shakdee los, diesmal in Begleitung von Saamos. Der ehemalige Anführer des Trecks traf mit der Gruppe rasch auf den ersten Trupp. Sie hatten in den Bergen lagern müssen, als die Hitze auch sie überrascht hatte. Geschlagen mussten sie zurückkehren, da ihre Vorräte nicht mehr reichen würden, um jemanden zu retten.
Der zweite Trupp jedoch zog zum Tiiwan-Salzsee.
Zunächst konnten die Siedler ihren Augen nicht trauen, als die Rettung nahte. Wasser und Lebensmittel wurden ungläubig in Empfang genommen.
Saamos schloss seine Frau in die Arme. Unter trockenen Schluchzern – für Tränen war keine Flüssigkeit geblieben – erzählte sie ihm, welches Schicksal drei ihrer Kinder ereilt hatte. Nur Sakil, der Älteste, und die jüngste Tochter Luijana hatten überlebt.
Und Luijana war letztendlich auch erkrankt.
„Sie kann noch nicht reisen. Ich muss hier bleiben, bei ihr“, flüsterte Elayra.
„Dann bleibe ich bei euch.“
„Nein, Bruder.“ Belogani konnte sich kaum auf den Beinen halten. „Du bist als einziger kräftig genug, um unsere Familien zurückzubringen. Bitte bring meine Frau und unsere Söhne in Sicherheit. Ich passe auf deine Tochter und dein Weib auf.“
So wurde es beschlossen. Saamos nahm seinen Sohn Sakil, seine Schwägerin Tinidad und seine Neffen Tubayin und Fayarin mit auf die Reise nach Shakdee. Belogani, Elayra und Luijana blieben zurück, großzügig mit Wasser ausgestattet, um zu Kräften zu kommen, bevor man auch sie holen würde.
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Vier Tage später kehrte Saamos mit einem dritten Rettungstrupp zurück. Sie führten einen Wagen mit sich, auf dem die Kranken liegen sollten.
Niemand begrüßte sie, als sie das kleine Lager aus Planwagen erreichten. Saamos spürte ein mulmiges Gefühl.
„Elayra!“, rief er. „Luijana!“
Die Plane flatterte im heißen Wind. Selbst ohne die rote Sonne war es in der Salzwüste heiß.
Vor den Zelten lagen die Wasserschläuche, die sie zurückgelassen hatten. Saamos kniete sich neben sie und nahm einen in die Hand.
Prallgefüllt. Warm, weil er in der Sonne gelegen hatte. Nicht angerührt.
„Elayra!“
Er schlug die Plane des Wagens zurück. Mit einem erstickten Schrei wich er zurück. Seine Frau lag auf dem Wagen aufgebahrt, der Hals aufgeschnitten. Sie war ausgeblutet.
„Mein lieber Bruder!“, rief Belogani. Er kletterte aus dem zweiten Wagen und breitete grinsend die Arme aus.
„Was ist passiert? Was hast du getan?“
„Ich konnte es nicht, mein Bruder, verstehst du? Ich konnte das Wasser nicht mehr trinken. Es war so fad. Es … es hat nicht genug Nährstoffe.“
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Die Donner-Expedition ist eine der unheimlichsten Geschichten aus der Besiedlung des Wilden Westens. Die von George Donner geführte Expedition wollte eine Abkürzung nehmen und wurde vom Winter überrascht. Der starke Schneefall schloss sie in einem Tal ein. Während mehrere Hilfstrupps losgeschickt wurden, erfroren in den hastig errichteten Hütten viele Menschen. Die Überlebenden mussten schließlich Menschenfleisch essen, und Berichten zufolge hat der zuletzt Gerettete, Louis Keseberg, das zurückgelassene Rindfleisch zugunsten von mehr Menschenfleisch verschmäht.
[Die Informationen stammen aus "Die Pioniere" von Houston Horn aus der Time-Life-Reihe über den Wilden Westen.]
Der Titel der Kurzgeschichte spielt übrigens auf "Der Weg nach Westen" von Robert Ullmann an, ein Roman, der sich ebenfalls mit der Expedition beschäftigt.