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Datum: 1746 nach Bernstein
Nach dem Prompt „Königsseestern [Tierische Geschichten mit dem Golf von Mexiko]“ der Gruppe „Crikey!“
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Das Zeichen ' steht für einen Klicklaut der Sprache der Yyaya-Stämme. Vereinfacht kann man es als T lesen.
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Das Mondlicht schimmerte silbern auf den Wellen der Wibaaye-Bucht. Im Süden und Südwesten zog sich als dunkles Band die Linie der Dschungel an der Küste entlang, dunkle Wipfel bis an die Berge und die See im Norden und Südosten. Nördlich der Berge zog sich die flache Landschaft der Shakdee-Wüste um die Bucht, mit dem breiten Mündungsgebiet der großen Flüsse, als silberne Streifen im ansonsten dunklen Land zu erahnen.
Während der Sobótsc mit ruhigen Schwingenschlägen über dem Wasser flog, flüsterte der Wind säuselnd von Feuer, Sturm und Tod.
Yi'a hatten gespürt, dass heute ein Tag des Omens war. Ya'oma hatte es gespürt, die eine Hälfte der verschmolzenen Seele. Ihr Körper saß tief in den Dschungeln in einem ihrer Verstecke, während Ivska, der Sobótsc, auf ihr Geheiß hin losgeflogen war. Mit ihr, durch ihre Entscheidung - sie waren eins, diese unterschiedlichen Wesen, verschmolzen vor sehr langer Zeit und dazu verdammt, für immer gemeinsam zu kämpfen. Dieser Kampf zwischen Stammeskriegerin und Siedler, der auch in der realen Welt tobte, als der Kontinent unter der Last von zu vielen Konflikten erzitterte.
"Blut tränkt diesen Boden", hörte Ivska Ya'omas Stimme. "Wäre es Wasser, wäre die Wüste längst fruchtbar geworden."
In Gedanken nickte er. Seit Jahrzehnten bezeugte er gemeinsam mit Ya'oma den fortschreitenden Krieg. Ivska, einst ein Siedler wie sie alle, hatte gelernt, dass die Magie der Stämme sie weiter sehen und mehr hören ließ als jedes andere lebende Wesen.
Der Sobótsc ging tiefer, bis seine Hufe beinahe die Wellen streiften. Er lauschte nach dem Omen, das Ya'oma erwartete. Längst hatte er gelernt, nicht an ihr zu zweifeln.
Und so war es auch heute. Als er über dem flachen Wasser kreiste, bemerkte er einen bunten Flecken unter den Wellen. Noch während der Sobótsc kreiste, lehnten Yi'a sich durch seine Augen vor, streckten gemeinsam ihren Geist, um das Ding in den Wellen zu beobachten.
Es war ein Seestern, der widerstreitende Gefühle in Yi'a auslöste. Ivska hatte ein solches Tier noch nie gesehen: Von tiefem, aristokratischem Purpur, mit einem deutlichen, orangen Rand, der sich aus abgehobenen Stacheln zusammensetzte. Ein auffälliges, magisch aussehendes Tier. Ya'oma dagegen erkannte ihn.
"Ayi'as Stern", flüsterte sie. "Das Geschenk des Meeresgottes an die Stammesmutter, nachdem sie im Meer ertrank, um ihre Kinder zu retten. Sein Herz brach über dieses Opfer und Iyima'a erschuf das Schönste, zu dem er fähig war, um sie zu ehren."
Die Legenden der Yyaya kannte Ivska inzwischen. Ayi'a war die mystische erste Yyaya gewesen, die Schönste dieses Volkes, das nichts höher als Schönheit wertete. Doch für gewöhnlich liebten die Yyaya silberne und schwarze Dinge, nichts Buntes.
"Es ist die Schönheit des Meeres, des Sonnenuntergangs", erklärte Ya'oma leise. "Die Schönheit der Götter."
Yi'a kehrten heim, ohne darüber zu sprechen. Sie waren ein Wesen, Worte waren nicht vonnöten. Als der Sobótsc neben dem Körper der meditierenden Kriegerin landete, schrumpfte er zu einem bleichhäutigen, dunkelhaarigen Mann zusammen, der sich der dunkelhäutigen, weißhaarigen Kriegerin gegenüber setzte. Gleichzeitig öffneten sie die Augen und sahen sich an.
"Was bedeutet es?", murmelte Ya'oma. Ivskas Lippen bewegten sich lautlos mit. "Der Stern der Stammesmutter - doch das ist nur eine Geschichte. Was ist das Omen? Vielleicht ist es der Stern. Ein faszinierender Seestern, dieses Tier muss sehr selten sein."
Es waren ihrer beider Worte, doch da Ivska soeben als Sobótsc geflogen war, schonte er seine Stimme wieder und sprach mit Ya'omas Klang. So einigten sie sich mit raschen Worten und noch rascheren Gedanken.
Der Seestern war ein Omen. Ein gepanzerter Stern, der für die Yyaya stehen konnte. Es bedeutete Schutz, zeigte ein wehrhaftes und doch wunderschönes Tier.
"Es bedeutet einen Kampf", erkannten Yi'a. "Die dunkle Schönheit des Kampfes ..."
"Aber die Yyaya ... werden sie gewinnen?", fragte Ivska dann.
"Das können die Omen uns nicht sagen", erwiderte Ya'oma.
"Feuer, Sturm und Tod", murmelten Yi'a dann gemeinsam. Eine alte Prophezeiung, die jedes Stammesmitglied kannte. "Es heißt, dass auch die Dschungel nicht länger verschont bleiben. Dieser Sturm wird uns ebenfalls erfassen, das Feuer wird brennen, und Tod wird kommen. Wir müssen wehrhaft sein. Wehrhaft wie Ayi'a Stern!"