Rating: P16 (Erwähnungen von Mord/Folter von Tieren)
Datum: etwa 1752 nach Bernstein
Nach dem Prompt „Diamant-Klapperschlange“ der Gruppe „Crikey!“
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Indhiya betrachtete ihren Schreiber. Das leise Kratzen der Feder auf Pergament war ein merkwürdiger, neuer Gesang in den Palästen der vampirischen Königin. Ein Lied, das die Blutbarden nicht kannten, das den neuen Untertan von außerhalb in ihrer Achtung steigen ließ.
"Was schreibst du?", fragte sie ihn.
Der Fremdling hob den Kopf. "Ich tue nur, was Ihr mir auftrugt, meine Königin. Ich notiere meine Erinnerungen über den Kontinent." Es war keine Ehrerbietung, die er ihr entgegenbrachte. Er sah in ihr nur eine Vampirin auf einer Insel, keine Göttin. Doch seine Höflichkeit reichte ihr, denn im Austausch erhielt sie Botschaft vom fernen Festland, jenseits von Wajbaqwinaria.
"Welche Erinnerung ist es gerade?"
Nachdenklich legte der Schreiber die Federspitze vor die Lippen. "Eigentlich ... eigentlich ist es nur ein Gedanke. Meine Königin, ich muss Euch dies fragen: Welches Tier, denkt Ihr, kann als Sinnbild für den neuen Osten stehen?"
"Aus der Sicht der Siedler, nehme ich an." Ein bitteres Lächeln kräuselte Indhiyas Lippen. Sie hatte Kwiraa lange nicht mehr verlassen. Angestrengt versuchte sie, sich zu erinnern. "Unsere Fledermäuse und Motten können es nicht sein, sie existieren nur hier. Vielleicht die Riesenadler? Oder die Hyänen? Die Bisons?"
"Das sind zweifellose majestätische Tiere", sprach der Schreiber. "Doch ich denke an die Klapperschlangen der Wüste."
"Schlangen?"
"Die große Diamant-Klapperschlange, wenn ich ehrlich bin. Lasst mich ausführen: Wajbaqwinat ist vor allem als Wüstenkontinent berühmt. Es muss also, denke ich, ein Tier der Wüste sein. Die Symboltiere sind oft gefährlich, und die Schlange erfüllt dieses Kriterium eindeutig. Doch mehr noch: Wajbaq ist wunderschön, aber auch tödlich. Es ist von der alten Welt durch das Schlangenmeer getrennt. Und zuletzt denke ich, dass die Klapperschlange auch ein Symbol für den Untergang der Neuen Welt darstellt."
"Du spielst vermutlich auf den barbarischen Brauch der Wabawi an."
"Die Schlangenprobe, ja. Es ist eine traurige Ironie, dass diese majestätischen Tiere als Gürtelschnallen enden sollen. Nichts weiter als ein Prunkstück, ein exotisches Accessoire. Noch dazu ist es ein unnötiger Brauch, der nur so beliebt ist, weil so viele daran sterben."
Die Königin der Blutbarden lehnte sich auf ihrem Knochenthron zurück. "Ein schönes Bild für die Dummheit und Unachtsamkeit der Siedler, für ihre Art, die unseren Kontinent vernichtet. Ihren Mangel an Voraussicht."
"Doch nicht nur die Siedler töten diese Schlangen - auch viele Indianer, allen voran die Nunya."
"Zu einem ordentlichen Proviant gehört seit jeher getrocknete Klapperschlange." Nun war Indhiya überrascht.
"Ja, die Tradition. Aber ich denke, es ist bemerkenswert, dass in diesem Krieg auch die Indianer nicht gerade unschuldig sind. Nein, meine Königin", kam er ihrem Einwand zuvor, "ich will nicht bestreiten, dass die Siedler den größeren Schaden anrichten. Doch wie mit der List der Wajba, den Überfällen der Yyaya und den Kriegszügen der Nunya tragen die Indianerstämme auch am Untergang der Schlange ihren Anteil."
Indhiya schwieg eine Weile, den Kopf schiefgelegt, und lauschte auf den Gesang der Fledermäuse, den ihr Gast nicht wahrzunehmen schien.
"So siehst du es also?", fragte sie.
"Ja, meine Herrin. Ich sehe den Untergang des Kontinents, des Wilden Ostens, durch die Hand von sowohl Siedlern als auch Indianern."
"Und wie ist es nun ... ich habe gelernt, dass die Geschichten deines Volkes meist eine Moral haben."
"Ich fürchte, in diesem Fall kann ich nur ein Fazit aussprechen. Denn, meine Königin: Die Klapperschlange ist so ein schönes Tier. Sie trägt den Namen eines der schönsten Edelsteine nicht zu unrecht. Und doch wird sie getötet. Aus Angst, aus Unverständnis. Ich denke mir ... wenn wir nur innehalten würden. Zusehen, zuhören. Vielleicht könnten wir dann verstehen und bewahren."