Durch einen lauten Ruf, der durch die offenen Fenster in das Innere des Bungalows schallte, wurde Mark geweckt. Noch schlaftrunkend blinzelte er zu der Wanduhr, die neun Uhr abends anzeigte. Mit einem ausgiebigen Gähnen streckte er sich und während er sich in eine aufrechte Lage setzte, schaute er sich um. Zwischen einem Spalt der zugezogenen Vorhänge blinzelte die rotleuchtende Abendsonne hindurch und warf einen hellen Schein auf die linke Wand. Mit dem Blick auf das Fenster gerichtet, stand Mark auf und schob die weichen Stoffe des Lichtschutzes zu beiden Seiten, um das abendliche Panorama, das sich dahinter verbarg, zu betrachten.
Die untergehende Sonne, die bereits zur Hälfte vom Horizont in das Meer eingetaucht war, warf ein in orangeroten Farben schimmerndes Lichtspiel auf die glitzernden Wellen des Ozeans. Im Wind, der deutlich an Kraft verloren hatte, wiegten die langen Halme der Dünenlandschaft nur noch sanft hin und her. Menschen hatten es sich auf Sandhügeln gemütlich gemacht und bildeten einen kontrastreichen Schatten vor dem tiefer sinkenden Feuerball.
Die Terrassentür öffnend, lief Mark mit langsamen Schritten, ohne dabei den Blick von dem Abendpanorama abzuwenden, in die wohltemperierte Abendluft hinein und lehnte sich mit der Schulter an die aufgewärmte Fassade des Ferienhauses. Die feinen Haare an seinen Armen stellten sich auf, als ein Windhauch seine Haut streifte.
Die Luft tief einziehend, entfachte in Mark ein Gefühl der Befreiung. Jedes Detail, das die dargebotene Szene vor seinen Augen zeigte, versuchte er in sich aufzunehmen und fest zu verankern, um später, wenn er wieder dem Alltag unterliegen würde, daran zu denken und zu zehren.
Aus dem Inneren des Hauses vernahm Mark das regelmäßige Brummen seines Smartphones und er seufzte auf. Sich von der Wand abstoßend, machte er kehrt und lief auf das leuchtende Mobiltelefon zu. Melanie. Erneut drückte er den Anruf seiner Exfreundin weg und überlegte, ob er die Nummer auf die Blockierliste setzen sollte. Entschied sich vorerst aber dagegen. Er nahm sich vor, ein klärendes Gespräch mit Melanie zu führen, damit die Anrufe und Nachrichten ein für alle Male aufhörten.
Als Mark zurück auf die Terrasse kam, wehten leise Gitarrenklänge zu ihm herüber. Woher sie kamen, wusste er nicht einzuschätzen. Vermutlich hatten sich junge Leute am Strand zusammengefunden und genossen gerade mit der zart gezupften Melodie den Sonnenuntergang.
Den Blick über die Sandlandschaft schweifend, entdeckte Mark ein vorbeifahrendes Segelboot, das behäbig in den tiefroten Leuchtball einzutauchen schien. Er griff nach seinem Handy und machte einige Aufnahmen von der Szenerie. Nebenbei beantwortete er zwei Nachrichten von seiner Mutter und Dennis.
»… Xylometerzulinhydrochlorid?«
Mark bemerkte die Stimme erst, als er von dem Mobiltelefon abließ. Den Blick hebend erkannte er David, der lässig an einer der hüfthohen Laternen des Weges stand. »Wie bitte?«
»Das war der Wirkstoff von Nasenspray. Davor war es eine Hautcreme, dann eine binomische Formel und davor ein doppeltes Hallo«, erklärte David ausführlich. »Aber schön, dass du mich überhaupt wahrgenommen hast.«
»Tut mir leid, ich war am Schreiben und habe dich nicht gehört. Nasenspray?« Marks Augenbraue erhob sich wie von selbst und ein schiefes Lächeln formte sich auf seine Lippen.
»Jup. Einfaches Nasenspray. Also, wer oder was beansprucht dich so dermaßen, dass du von der Außenwelt nichts mehr mitbekommst?« David umkreiste die Wegbeleuchtung.
»Ach, nur ein Kumpel und meine Mutter. Sag, was machst du hier?« Mark stieß sich von der Fassade ab und lief ein paar Schritte auf den anderen zu. Zwischen ihnen lag ein einfacher Holzzaun, dessen lose Latten nur mit einem Bindedraht verbunden war.
»Na, was wohl? Meine zehn Euro abholen. Die wolltest du mir doch vorbeibringen. Schon vergessen?« Es klang weder vorwurfsvoll noch lag Verärgerung in seiner Tonlage.
»Stimmt. Warte, ich hole es.« Er bedeutete dem Anderen mit erhobenem Zeigefinger zu warten und machte Anstalten sich abzuwenden.
»Lass gut sein. Reicht, wenn ich sie morgen bekomme. Obwohl …« David griff sich mit einer Hand ans Kinn und verengte die Augen zu Schlitzen, mit denen er Mark zweifelnd ansah.
»Was? Glaubst du mir nicht? Ich hatte heute morgen meine Tasche vergessen. Du hast doch gesehen, dass ich keine dabei hatte, oder?«, fragte er pikiert. Das war doch nicht zu fassen. Kam er bei seinen Mitmenschen so unglaubwürdig herüber?
»Kein Plan. Gedächtnis wie ’n Sieb.«
»Ach, aber an die Zusammensetzung von Nasenspray kannst du dich erinnern?« Herausfordernd sah er David an.
»Touché« Er blieb stehen und stützte sich mit beiden Armen auf der Laterne ab. »Wusstest du, dass heute Abend ab neun im Schuppen Happy hour ist? Cocktails, Bier und Kurze für die Hälfte.«
»Nein. Ich bin doch erst heute morgen angereist. Hat Maria dir das gesagt?«
»Ja. Du könntest mir deine Schulden auch in zwei, drei Cocktails zurückzahlen. Hast du Lust?« Die noch eben zweifelhafte Miene wich einem schalkhaften Grienen.
»Ich soll mit dir zum Strandcafé?«
»Nee, aber du darfst mit mir dorthin gehen. Und?«
»Na ja, eigentlich … obwohl …« Mark war unschlüssig und überlegte hin und her.
»Bist du immer so unentschlossen? Du hast doch Urlaub, oder?«
»Nein, ja … aber was ist denn mit deinen Freunden? Wollen die nicht mit dir gehen?«
»Vergiss es. Die kleben wie zwei Kletten aneinander und flüstern sich so viel Süßes zu, dass selbst meine Zähne davon Karies kriegen …« Er verzog das Gesicht zu einer angewiderte Miene.
Mark prustete auf der Stelle los und verfiel in ein herzliches Lachen. Das befreiende Gefühl, das sich dabei entwickelte, hatte er schon lange nicht mehr gespürt und weitaus länger als verloren geglaubt. »Oh Mann … klingt für dich nach einem tollen Urlaub, was?«
»Wie man's nimmt. Also, geh’n wir? Ich brauch’ was zu trinken, sonst halt’ ich es mit den beiden in einem Haus nicht aus.« Sich aufrichtend, setzte er sich auf die Wegbeleuchtung, die im selbigen Augenblick mit einem warmen Schein aufflackerte.
»Okay. Pass auf, ich ziehe mir eben was anderes an, dann können wir los. Möchtest du solange reinkommen?«
»Yes!«, rief David begeistert aus. »Nee, ich warte hier. Und jetzt mach’ voran.«
»Bis gleich.« Mark machte kehrt und begab sich zurück ins Ferienhaus. Nachdem er sich umgezogen und bereits den ersten Fuß auf die andere Seite der Tür gesetzt hatte, kam ihm siedend heiß das Portmonee in den Sinn, schnappte es sich und trat in die wohltuende Abendluft nach draußen.
»Na, auch ma’ fertig?«
Mit der Geldbörse in der Hand winkend, zuckte Mark mit den Schultern und lief auf den anderen zu. »Ich bin heute nicht Herr meiner Sinne. Anscheinend soll ich heute kein Geld ausgeben, denn fast hätte ich es wieder liegengelassen.«
»Na, noch hab’ ich genug Kohle. Aber irgendwann bin auch ich blank. Können wir?« David erhob sich von der Lampe und blieb daneben stehen.
»Ja.«
Die ersten Minuten auf ihrem Weg schwiegen sie und verharrten einen kurzen Moment auf dem Dielenweg am Strand, das unruhige Meer betrachtend. Die Sonne war bereits versunken und ein heller Schimmer ließ erahnen, wo sie untergegangen war. Auf der linken Seite war ein Gemurmel zu hören, das Marks Aufmerksamkeit erregte.
Eine Gruppe junger Leute saß um ein Lagerfeuer, dessen lodernde Flammen die Gesichter der Personen in ein gelbrotes Licht tauchten, und das klirren von Glas schallte herüber.
Den Blick zurück auf das Gewässer richtend, seufzte Mark auf bevor er murmelnd etwas sagte.
»Ich könnte mir das stundenlang ansehen …«
»Was’n?«
»Das Meer. Es hat etwas Beruhigendes an sich und ist völlig frei.«
»Was bist denn du für ’n Romantiker?«
»So meinte ich das nicht. Egal … lass uns gehen. Ich könnte jetzt ein Bierchen vertragen.«
»Das wollte ich hören«, sagte David euphorisch und klatschte einmal in die Hände.
Beide setzten sich in Bewegung. Der Sand, der heute Mittag noch angenehm warm gewesen war, hatte sich deutlich abgekühlt und hinterließ bei Mark eine leichte Gänsehaut.
Warmweiße Lichterketten, die an der Außenfassade des Cafés in der Abenddämmerung brannten, ließen das Strandlokal einladend wirken. Die am Treppenaufgang befindliche Fackeln, deren lodernde Flammen zum schnellen Rhythmus der Musik zu tanzen schienen, ließen geheimnisvolle Schattenspiele auf der Sandlandschaft entstehen.
Auf der obenliegende Terrasse angekommen, stellte sich für beide Jungs für diesen Abend eine Vorfreude ein. Zahlreiche Kerzen zierten Tische und Fenstersimse und erschafften damit ein Lichtermeer, dessen Atmosphäre durch den klaren Sternenhimmel unendlich schien.
»Geil! Ist ja fast wie am Ballermann …«, sagte David und johlte.
»Ballermann?« Mark teilte die Meinung des Anderen nicht im Geringsten. »Beeile dich lieber, da vorne ist noch ein Tisch frei und ich brauche was Kaltes« Er lief mit zur Musik passendem Rhythmus zielstrebig darauf zu und setzte sich so, dass er das Meer, das nur noch zu erahnen war, im Blick hatte.
»Gerade noch ’n Träumer und jetzt ’n Partylöwe. Läuft bei uns, was?« Er nahm gegenüber von Mark Platz.
»Findest du?«
»Jup. Sag’ mal, bist du ganz alleine hier?« Grinsend lehnte er sich vor und legte seine Arme auf dem Tisch ab.
»Ja. Und das ist auch gut so. So kann ich mal runterkommen und entspannen.«
»Ich glaub’, das macht der Freund meiner Schwester auch gerade«, flachste er und giggelte.
Mark brauchte einen Moment, um das Gesagte zu verstehen, bis ihm ein imaginäres Licht aufging und seine Miene sich erhellte.
»So genau wollte ich das jetzt gar nicht wissen. Weißt du schon, was du trinken möchtest?« Mit dem Finger auf die Karte zeigend, sah er dem anderen dabei ins Gesicht und betrachtete einen Moment lang dessen blaue iriden, die wie ein geheimnisvoll lebendiger Ozean auf ihn wirkten. Über diese Gedanken verwundert, rüttelte er sich selbst in das Hier und Jetzt zurück.
»Jup. Ich nehm’ ’ne Piña Colada. Darauf hab’ ich mich schon seit heute morgen gefreut.« Nach einer Bedienung suchend, hob David, als er Maria erkannte, den Arm und winkte sie zu sich.
»Und was ist mit dir? Warum bist du denn alleine hier, ausgenommen deine Schwester und ihr Freund?«
»Na, ich bin ’n Sondermodell. Und das dürfen nur auserwählte haben. Ergo bin ich noch mutterseelenallein«, erklärte David und schob die Unterlippe vor.
Sonderbar, frech und vorlaut waren Marks Gedanken, aber ein wenig Symphatie schenkte er ihm dennoch. Gerade als er zu einer Antwort ansetzen wollte, grätschte ihm Marias freundliche Stimme dazwischen.
»Hi Jungs. Habt ihr euch nun doch etwas kennengelernt? Welchen Wunsch kann ich euch den erfüllen?« Maria hielt Block und Stift parat und sah geschafft aus.
»Wir sind noch dabei«, erklärte David für Mark mit, »Mach’ mir bitte ’ne Pina Colada.«
»Ich hätte gerne ein großes Pils.«
»Alles klar. Bis gleich.« Mit diesen Worten verschwand Maria im Getümmel.
Jetzt war es Mark, der sich nach vorne beugte und den Anderen musterte. »Dann sind wir also zwei einsame Herzen, die den Urlaub in vollen Zügen genießen können, hm?«
David suchte den Blick seines Gegenübers und zeichnete mit einem Finger unsichtbare kleine Kreise auf die Tischplatte. »So ist der Plan. Erzähl, was machste sonst so?«
»Was möchtest du denn wissen?«
»Na, Job, Hobbies und was weiß ich …«
»Ich bin gelernter Einzelhandelskaufmann und arbeite in einem kleinen Familienbetrieb. Ich spiele gelegentlich Fußball, schwimme sehr gerne und lese blutrünstige Bücher. Und du?«
»Ich gehe meinen Mitmenschen auf die Nerven.«
»Ist das jetzt Hobby oder Beruf?«, fragte Mark lachend und strich sich eine verirrte Haarsträhne von der Stirn.
»Beides«, flachste er, »nein, ich bin ein Bürohengst. Ich hocke den ganzen Tag lang in einem kleinen Abstellraum und mache Buchführung. Mach’ mit ein paar Freunden Musik und versuche alle anderen auf die Palme zu bringen.«
»Interessant. Und? Klappt das immer?«
»Zu neunundneunzig Prozent.«
Erneut wurde Mark die Chance auf eine Erwiderung genommen, als Maria die Getränke brachte.
»So, einmal Pils, einmal Piña Colada. Zum Wohle, Jungs.«
»Danke«, kam es synchron wie aus einem Mund von den beiden Männern und beide sahen Maria noch hinterher. So schnell sie auch da war, so flink war sie auch schon wieder verschwunden.
»Na dann … auf einen schönen Abend, David.« Das Glas hebend stieß er mit dem anderen an.
»Jau, das wird megageil.«
Während beide Jungs den Abend feucht fröhlich genossen, zogen unbemerkt dicke Wolken am Himmel auf. Die sanften Winde entwickelten sich zunehmend zu kräftigen Böen, die das Kerzenlicht zum Tanzen brachten. Erst als überraschend der erste Donner grollte, sahen die jungen Männer erschrocken auf. Mark seufzte, weil er sich an die Worte seiner Mutter erinnerte.
»Ich glaube, wir sollten zahlen und gehen, bevor wir noch nass werden«, sprach Mark seine Bedenken aus.
»Du könntest recht haben.« David warf einen Blick gen Himmel und bekam sogleich den ersten Regentropfen ins Gesicht, den er sich wegwischte. »Nein, du hast recht. Komm, lass’ uns gehen.«
Beide standen ungeachtet davon, dass die Getränke noch nicht geleert waren, auf und bezahlten ihre Rechnung bei Maria, die den Jungs mit einem bedauernden Lächeln noch einen schönen Abend wünschte. Während beide Männer eilig durch den Sand stiefelten, brach mit einem weiteren Donnerschlag über ihnen der Himmel zusammen. Das rhythmische Prasseln der noch eben herrschenden Regentropfen entwickelte sich schlagartig zu einem feuchten Trommelwirbel, der sich sinnflutartig über ihren Köpfen gnadenlos erstreckte.
David suchte rasend schnell nach einer Unterstellmöglichkeit und erblickte eine der kleinen Strandhütten, deren Tür im ungezähmten Wind mit lautem Klappern auf und zu geschlagen wurde. »Mark!«, rief er dem anderen zu und schnappte instinktiv nach dessen Arm. So erreichte er mit Mark im Schlepptau das hölzerne Haus und schob den Mann zuerst ins Innere. Er drängte sich dazu und schloss die Tür, die er mit einem Metallriegel verschloss. Eng aneinanderstehend schnappten beide nach Luft und rieben sich bibbernd über die nasse Haut ihrer unbekleideten Arme. Die Kleidung der beiden Männer war bereits völlig durchtränkt und legte sich wie eine zweite Haut um ihre Körper. Gekräuselte Haarsträhnen klebten Mark in der Stirn.
»Alter … ich bin völlig nass. So ’n scheiß«, beschwerte sich David und zupfte blind im Dunkel des Raumes an seinem T-Shirt herum.
»Mir geht es nicht besser. Hoffentlich hört das bald auf. Ich habe keine Lust meinen Urlaub krank im Bett zu verbringen.«
»Na, immerhin haben wir ein Dach über’m Kopp. Mann … ist das eng hier. Was steht hier überhaupt rum?« David holte sein Smartphone hervor und schaltete die Lampe ein. »Geil … Liegen, Sonnenschirm, Bälle … was’n das?«
»Das ist eine Strandmuschel.«
»Aha.«
Da sie so dicht aneinander standen, berührten sich ihre Körper und jeder spürte die Wärme des anderen. Mark stieg das Aftershave des Jungen in die Nase und fand gefallen an der frischen Note, die ihn gedanklich ein Bild von tosenden Gewässern sehen und den lauten Ruf nach aufregenden Abenteuern hören ließ. Im nächsten Moment zuckte Mark zusammen, als der Schein des Lichtes erzitterte und ein lautes Niesen den Raum erfüllte. Mit schnell klopfendem Herzen, ausgelöst durch das Geräusch, fokussierte er David, in dessen blauen Augen er das weite Meer erkannte, das er eben noch in Gedanken gesehen hatte. Davon irritiert wandte er den Kopf zur Seite.
»Gesundheit. Wir sollten schnellstmöglich in unsere Häuser zurück und unter die heiße Dusche gehen«, sagte Mark stockend und fuhr sich fahrig durch die nassen Haare.
»Witzbold. Schon ma’ nach draußen geguckt? Da kriegen mich keine zehn Pferde raus.«
»Kannst du denn irgend etwas an die Seite stellen, damit wir uns setzen können? Meine Beine sind schon ganz kalt«
»Nope. Du?«
»Leuchte mal rüber, bitte.«
David schwenkte das Smartphone und blickte an dem Körper des Mannes vorbei. »Und?«
»Nein, alles voll.«
»Okay, Pass’ auf … du gehst runter und ich setz’ mich auf dich. Deal?«
»Ähm … « Für Mark wurde die Situation unangenehm und nach einer anderen Lösung suchend, schaute er sich erneut in der Behausung um.
»Hey! Ich bin nicht schwer. Mein Bett wär’ mir jetzt auch lieber …«
»Ja, schon gut.« Mit diesen Worten zwang sich Mark auf den Boden und der schwere Körper des Jungen fand den Weg auf seine Beine.
Und da saßen sie nun, mit den Gesichtern zueinander. Im Hintergrund prasselte noch immer der Regen und pfeifend suchte sich der Wind einen Weg ins Hausinnere.
»Erzähl mir was«, forderte David flüsternd mit gesenkten Kopf. Die Situation fand auch er merkwürdig, aber es war die einzige Möglichkeit, nicht im Stehen zu frieren. Die Wärme, die von Mark ausging, übertrug sich auch auf ihn.
»Was möchtest du denn hören?«
»Weiß nicht. Haste eine Freundin?«
»Hmm … ich hatte eine Freundin bis vor vier Wochen. Ich habe es nach zwei Jahren beendet. Irgendwie haben wir uns auseinandergelebt. Wie das halt so ist. Stress, Eifersucht … das volle Programm eben.«
»Mist. Aber hey, weniger Stress mehr Spaß, oder?« David hob den Kopf und musterte mit einem schelmischen Grinsen sein Gegenüber.
»Ja, schon richtig. Aber sie lässt mich nicht in Ruhe. Ständig ruft sie an, schreibt mir oder telefoniert mit meiner Mutter. Ein Grund, weshalb ich auch hier bin. Ich brauche Abstand.« Mark sprach leise und suchte im Gesicht seines Gegenübers das ehrliche Interesse, das er glaubte zu spüren.
David brummte verstehend. Sich vorbeugend betrachtete er den anderen im Schein des Lichtes. »Siehst auch etwas geschafft aus.«
Mit einer abrupten Bewegung wich Marks Kopf zurück, doch den Blickkontakt brach er dabei nicht ab. »Wirklich glücklich siehst du aber auch nicht aus …«
»Na hör’ mal … wenn du mit zwei verknallten Wahnsinnigen drei Wochen in einem Haus leben musst, würdest du jetzt genauso aussehen.« Seine Stimme klang amüsiert und es bildeten sich kleine Grübchen um die Mundwinkel, als er schief lächelte.
Schmunzelnd lehnte Mark sich an einen Gegenstand in seinem Rücken zurück und betrachtete erneut das Gesicht vor sich. »Keine schöne Vorstellung, da muss ich dir recht geben. Hör’ mal … es regnet nicht mehr.« Er legte den Kopf in den Nacken und musterte die Dachunterseite, dabei trat sein Kehlkopf deutlich hervor.
David nickte und sein Fokus legte sich auf den auf und ab hüpfenden Adamsapfel, der seine Aufmerksamkeit erregte. Er wusste nicht warum das so war, aber er fand es auf eine so unerklärliche Weise interessant, dass er nicht wegsehen konnte. Noch nie hatte er so etwas faszinierendes gesehen, schon gar nicht bei einem Mann. Von einem Räuspern, das ihn aus seinen Gedanken weckte, sah er auf und blickte geradezu in grüne Iriden. Aus unerfindlichen Gründen fühlte er sich ertappt und ein rötlicher Schimmer legte sich auf seine Wangen. Sich die Lippen benetzend, formte sein Mund die Worte wie von selbst. »Komm’, raus hier und ab inne Kiste.« Umständlich zog er sich an den umstehenden Gegenständen nach oben, drehte sich zur Tür, die er mit einem einfachen Handgriff öffnete. Den Arm heraussstreckend spürte er nur wenige Tropfen, die perlend von der lebhaften Abendluft, die zugleich auch sein Gesicht abkühlte, hinweggeblasen wurden. »Nieselt noch etwas, aber das geht schon.«
»Hilf mir mal, bitte«, sagte Mark und hob seinen Arm in die Höhe.
»Na, so alt sind deine Knochen doch noch gar nicht. Also doch faul, was? Na, komm, hoch mit dir …« David kam der Aufforderung nach und zog ihn auf die Beine, dabei hielt er den bestehenden Handkontakt einen Moment länger als nötig.
Mark spürte die fremde Wärme angenehm auf der eigenen Haut.
Ein leichtes Kribbeln machte sich auf ihr Bemerkbar, doch er schob es auf eine Fehlhaltung durch die engen Begebenheiten in der Hütte. »Danke.«
»Kein Ding.« David winkte bloß ab und trat ins Freie. Hinter ihm hörte er Schritte, die ihm folgten.
Der Wind hatte sich zwischenzeitlich etwas beruhigt und vereinzelte Regentropfen verirrten sich auf die Gesichter der beiden Jungs. Auf ihrem Weg zur Feriensiedlung redeten sie über belanglose Dinge und erreichten den Bungalowpark ohne weitere Überraschungen aus dem Himmel.
»So, das ist die Liebeshölle, da muss ich jetzt wohl oder übel leider rein.«
»Alles klar. Dann gute Nacht, David. Wir sehen uns dann morgen um elf.«
»Jup. Ich steh’ dann vor deiner Karre«, zog er den anderen auf und wandte sich dem Eingang des Hauses zu.
»Vogel.« Lachend nahm Mark seinen Weg zur eigenen Hütte auf und betrat kurz darauf das noch von der Tagessonne erwärmte Haus. Eine Wohltat. Er zog sich die nasse Kleidung aus und hängte sie zum trocknen über die Badewanne. Und während er sich mit einem Handtuch abtrocknete, klopfte es unerwartet an die Tür.
Wer konnte das jetzt sein? Beim zweiten Mal öffnete er und blickte direkt in das Gesicht von David.
»Ähm … das klingt jetzt etwas blöd, aber erstens hab’ ich meinen Schüssel nicht dabei und zweitens schieben die gerade ’ne ziemlich krasse Nummer im Bett. Und wenn du mich nur einen Prozent leiden kannst, würd’ ich gerne bei dir auf dem Klappsofa schlafen. Deal?«
Zuerst wunderte sich Mark über das kleinlaute Auftreten des Jungen, das aus unerfindlichen Gründen bei ihm selbst etwas auszulösen schien. War es Mitleid, das er fühlte?
Es war, als würde ein kleiner unschuldiger Knabe bei seinem Nachbarn nach dem verloren gegangenen Ball fragen, der zuvor versehentlich in dem fremden Garten geschossen wurde.
»Komm’ erstmal rein. Aber ich muss dich enttäuschen, denn ich habe hier nur das Bett.«
»Oh … Haste ’ne Luftmatratze?« Fragend blickte er auf und erntete ein Kopfschütteln.
»Scheiße. Egal, ich geh’ einfach wieder. Ich klopf’ die aus dem Bett.« David war Inbegriff zu gehen, doch wurde er durch einen plötzlichen festen Griff an seinem Arm davon abgehalten. Erschrocken blickte er auf.
»Bleib. Ich lege dir ein paar Klamotten von mir raus und dann kannst du mit im Bett schlafen. Deal?«, fragte Mark unsicher.
David schien mit sich zu hadern, willigte aber ein. Nachdem einer nach dem anderen sich geduscht und umgezogen hatte, lagen sie nebeneinander im Bett, umgeben vom Dunkel der Nacht. Kein Wort war zu vernehmen, stattdessen lauschten sie dem leisen Atem des jeweils anderen.
»Gute Nacht.« Mark drehte dem Jungen den Rücken zu und fragte sich, ob er den letzten Cocktail besser nicht hätte trinken sollen. Beim nächsten Besuch des Cafés würde er weniger trinken, damit die undefinierbaren Gefühle in seiner Magengegend nicht noch einmal auftreten würden.
»Nacht, Mark.« Auch David legte sich auf die Seite und hing seinen Gedanken nach. Eigentlich war es für ihn ein toller Abend gewesen. Aber wäre der Regen und die nasse Kleidung nicht gewesen, dann hätte er sich in diesem Moment sicherlich besser gefühlt und würde sich jetzt nicht mit diesen kribbeligen Empfindungen beschäftigen müssen.
Nach einer kleinen Weile der Stille, beherrschten gleichmäßige Atemzüge das Zimmer.