Mark drückte David fest an sich und ignorierte, dass sich ihre nackten Oberkörper berührten. »Was ich gesagt habe, meinte ich auch so. Okay?» Er drückte David an den Schultern etwas von sich und sah diesem in die Augen, die verdächtig zu schimmern begannen. »Sowas hörst du wohl nicht oft, oder?« Anscheinend hatte Mark mit seinen Worten einen wunden Punkt bei ihm getroffen.
Es war kaum wahrnehmbar, als David mit dem Kopf schüttelte. »Nein.« Es löste sich eine einzelne Träne aus seinem linken Auge, die eine feuchte Spur auf seiner Wange hinterließ und wie eine Perle von seinem Kinn auf den Stoff seiner Hose fiel.
Mark war dieser mit seinen Augen gefolgt und als er zurück in Davids Gesicht blickte, hätte er am liebsten weggesehen, denn sein Gegenüber kämpfte offensichtlich mit sich selbst, nicht die Fassung zu verlieren. »Hey, sieh mich an«, forderte er. »Egal was die anderen bisher zu dir gesagt haben, du bist ein toller Typ. Und jetzt«, Mark legte seine Hände neben Davids Mundwinkel und schob diese nach oben, »lach mal wieder.« Und tatsächlich spürte er, wie sich dessen Muskeln unter seinen Fingern anspannten und sich ein Lächeln bildete, ganz ohne sein zutun.
»Danke«, hauchte David und wandte den Kopf zur Seite. »Und jetzt, lass uns die Dosen austrinken und was Essen gehen. Ich hab Hunger.« Als er zurück zu Mark sah, war seine verstimmte Miene verflogen und ein Grinsen zierte seine Lippen, als wäre nichts gewesen.
»Abgemacht«, sagte Mark und ließ von David ab. »Essen bei Maria?«
»Jip. Auf Kochen hab ich jetzt keine Lust. Außerdem wollte ich nach dem Essen wieder zum Strandkorb zurück und mit dir noch 'ne Flasche köpfen.« Er klopfte auf die Kühltasche.
Gerade als Mark etwas erwidern wollte, brummte sein Smartphone auf. »Vorbei mit der Ruhe«, sagte er und zog das vibrierende Gerät aus der Strandtasche. Die Rufnummer war unterdrückt und er haderte damit, den Anruf entgegenzunehmen. Entschied sich jedoch dafür.
»Ja? Hallo?«
Im Hörer erklang ein Atemgeräusch und Mark wiederholte seine Begrüßung.
»Mark? Bitte leg’ nicht sofort auf.«
»Melanie, was willst du?« Seufzend stand er auf und setzte sich unweit vom Strandkorb entfernt in den Sand. Er blickte über seine Schulter zu David, der ratlos dreinblickte.
»Mark, ich … ich vermisse dich.«
Die Luft tief einziehend, legte er den Kopf in den Nacken und blinzelte der Sonne entgegen. »Warum willst du nicht verstehen, dass das mit uns keinen Sinn mehr hat? Ich liebe dich nicht mehr. Akzeptiere das endlich.«
»Weil ich das nicht einfach so hinnehmen will. Wir waren zwei Jahre zusammen«, fuhr sie Mark an. »Und dann machst du einfach Schluss mit mir. Hast du eine andere? Dann sag es mir. Ich werde das Miststück aus dem Weg räumen, egal wie …«
»Du machst dich gerade lächerlich, weißt du das? Ich habe auch keine Lust, es dir jetzt zum wiederholten Male zu sagen. Lass mich einfach in Ruhe«, rief Mark lauter als beabsichtigt in den Hörer und blickte auf seine Füße, die zum Teil im Sand begraben lagen. Neben ihm tauchte ein Schatten auf und Mark hob den Kopf. David. Er ignorierte ihn und blickte in die Ferne.
»Du lügst mich an. Wer ist sie? Oder sollte ich eher fragen wer ist er?« Ihre Stimme klang anklagend und ihre gewählten Worte trafen Mark wie eine Ohrfeige ins Gesicht.
Bitte? Wie kommt sie darauf?
»Was?», stieß er fassungslos aus. »Bist du jetzt völlig übergeschnappt?« Er fuhr sich mehrmals durch die Haare und schlug danach mit der Faust in den Sand.
»Mark, ich bitte dich … niemand macht einfach mit mir Schluss. Deine ganzen Fußballfreunde lechzen mir hinterher und du willst mir doch nicht weismachen, dass du urplötzlich nichts mehr für mich empfindest. Das glaubst du doch selbst nicht. Also, wer ist der Typ? Und verkauf’ mich jetzt nicht für blöd.« Ihr Tonfall klang vorwurfsvoll und noch etwas anderes lag darin, was Mark einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
»Weißt du was? Du spinnst. Ich lege jetzt auf. Und rufe mich nicht wieder an.« Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und ließ sich rücklings in den Sand fallen. Es kam ihm so vor, als wäre er in irgendeinem schlechten Film gelandet, in dem er eine ihm nicht zugeschnittene Rolle spielen musste.
»Geht's dir gut?« fragte David verhalten und ließ sich neben Mark nieder, dabei legte er eine Hand an dessen Schulter und drückte diese.
»Ich weiß es nicht. Irgendwie gerät momentan alles aus dem Ruder.« Er wandte den Kopf zur Seite und sah David an. »Das war übrigens meine Ex. Jetzt ruft sich mich schon mit einer unbekannten Nummer an. Unfassbar …«
»Hey, steck jetzt nicht den Sand in den Kopp.«
»Was?« Mark bemerkte Davids Mundwinkel verdächtig zucken. »Steck den Kopf nicht in den Sand, heißt das«, verbesserte er ihn.
»Ist doch egal, wie rum.« Grinsend wandte David den Kopf zur Seite.
Für Mark klang dieser Satz zweideutig, aber warum? Ahnte jetzt auch David etwas von seinem Gefühlschaos? Das war unmöglich. Anscheinend spielte Marks Fantasie ihm einen Streich.
»Was wollte sie denn schon wieder?«, wollte David wissen und legte sich auf die Seite, den Blick auf sein Gegenüber gerichtet.
»Das Übliche. Sie kann nicht loslassen und hat mir den Vorwurf gemacht, dass ich eine andere hätte.« Dass Melanie ihn jedoch indirekt damit konfrontierte hatte, dass er angeblich einen anderen Mann an seiner Seite hätte, verschwieg er bewusst. Es war ihm schlichtweg unangenehm. Hätte es sein können, dass Melanie mit seiner Mutter gesprochen hatte? Woher sollte sie von einem vermeintlichen Mann sonst wissen?
»Hey, jetzt guck nicht wieder so«, sagte David und riss Mark damit aus den Gedanken. »Lass uns lieber noch ’ne Düppe trinken und danach gehen wir was essen. Denk nicht weiter darüber nach, was das Weibsstück gesagt hat.«
»Sagst du so einfach. Am Liebsten würde ich mich schreiend in die Fluten stürzen und abtauchen.« Marks Worte entsprachen dem, was er tatsächlich gerade fühlte. Ihm kam das letzte Erlebnis in den Sinn, als er in der Nacht mit David zusammen im Wasser gewesen war. Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer hatte ihn alle seine Sorgen vergessen lassen. Warum konnte das für ihn nicht immer so sein?
»Ach komm’, das wär’ doch schade um dich. Überlässt du mir dann vorher noch dein Bungalow?«
Mark versuchte sich echauffiert zu geben. »Du würdest mich also nicht davon abhalten ins Meer zu springen, nur um an meine Hütte zu kommen? Das muss ich erstmal sacken lassen.«
»Jetzt machst du mir aber ein schlechtes Gewissen«, frotzelte David und tat so, als müsste er überlegen. »Aber auf der anderen Seite hätte ich eine eigene Bude …«
»Du redest dich gerade in die Falle, das ist dir klar, oder? Und aus der Nummer kommst du nicht mehr raus.«
»Verdammt. Also muss ich dich doch erst aus den Fluten retten. Aber weil ich ja dann dein Lebensretter wär’, müsstest du mich weiterhin bei dir wohnen lassen. Deal?«
Und da war es wieder, dieses unbeschwerte Lächeln, das sich in Marks Gesicht schlich. Egal wie negativ seine Gedanken noch eben waren, sie wurden schlichtweg von David vertrieben, wie so häufig. »Habe ich eine andere Wahl?«
»Nöö. Also, Deal?«
»Deal. Und jetzt lass uns zu Maria gehen, ich verhungere.« Mit diesen Worten erhob sich Mark und hielt David seine Hand hin, die dieser ergriff und sich von ihm hochziehen ließ. Sie zogen sich beide ein T-Shirt über und machten sich auf den Weg.
Als sie wenig später das "Strandliebe" erreichten, blieben sie vor einem großen Schild stehen, das am Holzphahl neben dem Treppenaufgang angebracht war. Farbenfrohe Cocktailgläser zierten das Plakat und in bunten Lettern stand dort geschrieben:
>Endlich ist es wieder soweit. Unsere diesjährigen ‚karibischen Nächte‘ beginnen am Sonntag um 20:00 Uhr. Lasst euch eine ganze Woche lang von den Klängen der ‚Amore Bandidos' mächtig einheizen und von unseren Cocktails verzaubern.<
»Geil! Genau sowas brauche ich«, sagte David enthusiastisch. »Und morgen beginnt das Hafenfest. Du weißt was das heißt? Spaß ohne Ende.«
»Die machen hier echt eine ganze Menge«, fand Mark und erklomm die erste Stufe der Treppe, die daraufhin knarzte. »Scheint so, als würden wir noch allerhand erleben. Mir gefällt es jedenfalls.«
»Hey Jungs«, flötete Marias Stimme zu ihnen herunter. Sie stand auf der obersten Stufe und hielt ein Stück weiße Kreide in der Hand, mit der sie anscheinend die vor ihr befindliche Tafel beschreiben wollte. »Ihr kommt gerade richtig, wenn ihr essen möchtet. Ist noch ruhig heute Abend.«
Beide begrüßten die junge Frau und liefen die restlichen Stufen herauf.
»Ich habe heute eine Platte für zwei Personen im Programm. Hier«, sie deutete auf die Tafel. »Wäre das was für meine zwei Lieblingsjungs?«
»Nehmen wir« entschied David für Mark gleich mit und klopfte ihm auf die Schulter. »Und bringst du mir bitte noch einen Latte Macchiato? Ich brauch’ dringend ’nen Koffeinschub.«
»Ich nehme auch einen. Machst du mir bitte einen Schuss Karamell mit rein?«
Maria schrieb sich alles auf ihren kleinen Block, den sie zurück in ihre Schürze packte. »Natürlich. So, ich bin dann mal weg.« Mit diesen Worten machte sie kehrt und lief zielstrebig ins Café.
Mark und David steuerten währendessen auf einen Tisch zu, an dem sie bereits mehrfach gesessen hatten. Wie immer setzte sich Mark so, dass er das Meer im Blick hatte.
»Ich glaube, du hast einen Sonnenbrand im Gesicht.« Mark lehnte sich mit seinen Ellenbogen auf den Tisch und betrachtete Davids Haut. »Hast du dich nicht eingecremt?«
»Nöö. Das Zeug hat Manu mitgenommen. So schlimm?« David fasste sich auf die Stirn.
»Du solltest es nachher auf jeden Fall kühlen. Ich gebe dir nachher etwas von der Apresmilch.« Gerade als Mark sich zurücklehnen wollte, trat Maria an ihren Tisch.
»Latte für unseren Herrscher und Latte spezial für unseren …«, sie stockte. »Welche Rolle spielst du überhaupt? Der Diener oder der Sklave?« Schmunzelnd stellte sie beide Gläser mit der dampfenden Flüssigkeit auf den Tisch.
»So ziemlich alle. Mark der Ratlose, Mark der Halunke, aber ich lasse ihn bei mir im Bungalow schlafen, weil sein Palast anderweitig belegt ist. Also suche dir was aus, was dazu passt.«
»Na sowas, ein Multitalent«, stieß sie zwischen ihrem Lachen hervor.
»Ihr wisst schon, dass ich auch hier sitze?«, schaltete sich David ein und griff nach dem Latte Macchiato.
»Wie könnten wir das vergessen?«, fragte Mark. »Dein rotes Gesicht ist unübersehbar.«
»Das war mir auch schon aufgefallen. Ist da etwa jemand verlegen?«, wollte Maria wissen und zwinkerte David zu.
»Eher zu lange in der Sonne gelegen«, sagte dieser. »So schnell werde ich nicht verlegen. Und jetzt hopp, hopp, holde Köchin, mir knurrte der Magen.«
Maria deutete eine Verbeugung an. »Ihr seid so gnädig mein Herrscher, ich werde mich sputen.« Lachend wandte sie sich um und rief über ihre Schulter: »Bis gleich.« Beschwingt entfernte sie sich von den Jungs und stellte im Vorbeigehen eine umgefallen Karte auf einem anderen Tisch auf.
Kurze Zeit später brachte sie die Platte für zwei, die reichlich mit Fisch und Fleisch, sowie Gemüse und Salat bestückt war.
»Guten Appetit », wünschte Maria und machte sich auf den Weg zu einem anderen Tisch.
Beide langten kräftig zu, als hätten sie seit Tagen nichts mehr zu Essen bekommen. Nachdem nichts mehr übrig war, brachte Maria ihnen danach noch ein Eis.
Als Mark den Blick von der Südländerin abwendete und zu David herübersah, war dieser in seinem Smartphone vertieft. Gelegentlich bildeten sich Grübchen um dessen Mundwinkel, während seine Finger flink über das Display wischten. Erst jetzt fielen Mark die langen Wimpern auf, die Davids Augen umrandeten. Im Vergleich zu seiner Exfreundin waren diese natürlichen Ursprungs und mit jedem weiteren Wimpernschlag, der ihm wie in Zeitlupe vorkam, brannte sich dieses Bild in sein Gedächtnis. Erst als David ihn fokussierte, rüttelte Mark sich aus seinem Starren. Ertappt wandte er den Blick ab und nach der Speisekarte greifend, die vor ihm auf dem Tisch lag, tat er so, als würde er diese Lesen. Hitze schoss ihm in sein Gesicht, als er feststellen musste, dass er sie falsch herum hielt. Anscheinend war David es nicht aufgefallen, denn Mark rechnete jeden Augenblick damit, dass dieser seinen Fauxpas kommentieren würde, allerdings blieb es still um ihn herum. Einen kurzen Blick riskierend, erkannte er, dass sein Gegenüber ihn zu mustern schien.
Verdammt, er hat es doch bemerkt.
Mark fühlte sich in seine Schulzeit zurückversetzt, wie er damals als schwerverliebter Junge einem Mädchen hinterhersah. Immer wenn dieses seinen Blick bemerkt und aufgesehen hatte, war er entweder aufgestanden und gegangen oder aber er hatte so getan, als hätte er in seiner Zeitschrift gelesen.
Erneut erhaschte er einen kurzen Blick zu David und war erleichtert, dass dieser sich seinem Smartphone wieder zugewandt hatte.
Reiß dich zusammen, Junge! Du bist keine dreizehn mehr.
»Hat sich Manuela eigentlich schon bei dir gemeldet?«
David schien ihn nicht gehört zu haben und reagierte auch nicht. Also versuchte Mark es noch einmal.
»Hey, Smombie!«
Aufblickend, bildete sich ein Grinsen auf Davids Lippen. »Smombie? Wo hast du den denn her?«
»Sagt man so, wenn jemand nicht reagiert. Also, hat deine Schwester sich gemeldet?«
»Jip, sie bleiben auf der Insel und ich habe sturmfreie Bude.«
In Mark machten sich gemischte Gefühle breit. Auf der einen Seite hätte er sein Bett wieder für sich allein, wenn er Davids Äußerung richtig interpretiete, aber auf der anderen Seite hatte er das Gefühl, sein Herz würde zunehmend schwerer werden.
»Schön, dann habe ich mein Bett ja endlich wieder für mich.« Er versuchte sich an einem Lächeln, aber seine Muskeln schienen ihm wohl nicht richtig zu gehorchen.
»Genieße es, denn spätestens morgen Abend beanspruche ich die linke Seite wieder für mich.«
»Sagt wer?«
»Dein Herrscher und jetzt mach mal hinne, sonst hast du gleich Suppe auf deinem Teller, oder ich schnappe es mir, such es dir aus.«
Die Wahl fiel für Mark recht schnell aus und er begann sein Eis zu genießen. Nachdem er auch den allerletzten Tropfen verschlungen hatte, bemerkte er Maria, die sich näherte.
»Na, hat es den Herren gemundet?«
»War richtig gut«, waren Davids Worte, dabei klopfte er sich auf den Bauch.
»Er wollte mir sogar meinen Teller stehlen, so gut fand er es«, teilte Mark mit.
»Schön, das freut mich. Ach, habt ihr das Plakat unten an der Treppe eigentlich gesehen? Dumme Frage, es ist ja nicht zu übersehen. Also, seid ihr dabei? Und ich schwöre euch, ihr werdet die Jungs lieben.«
»Du meinst die karibischen Nächte?«, mutmaßte Mark.
»Ja, genau. Ich hatte die Jungs mal entdeckt, das war so vor … vier Jahren, da war ich zwei Orte weiter bei einem Schützenfest gewesen. Die machen eine richtig gute Show und dann habe ich sie gefragt, ob sie nicht Lust hätten, hierher zu kommen. Tja, und irgendwie kann ich gar nicht genug von denen bekommen. Der Sänger, Joao, bescherrt mir jedes Mal eine Gänsehaut und süß ist der auch noch oben drauf.« Sie kicherte wie ein zwölfjähriges Mädchen und nahm die beiden Dessertschalen vom Tisch an sich.
»Klingt doch ganz gut, was meinst du, David?«
»Na, da stand doch auch was von Cocktails und so auf dem Schild, oder? Dann wäre ich sofort dabei.«
»Die wirst du auch brauchen, glaube mir. Ich habe extra meinen Cousin dafür angagiert, der hat nämlich noch ganz andere Leckereien in Petto. So, ich bringe das jetzt erstmal weg und dann gibt's noch eine Aufmerksamkeit des Hauses. Nicht weglaufen, Jungs.« Mit hastigen Schritten entfernte sich Maria und verschwand wenig später im Inneren des Cafés.
»Wenn das hier so weitergeht, dann werden wir noch richtig Spaß bekommen. Erst das Hafenfest und dann die karibischen Nächte. Geil.«
Kopfschüttelnd betrachtete Mark sein Gegenüber. »Du denkst doch nur an die vielen Cocktails und Schnäpse, gib es zu.«
»Und wenn schon … ich habe sicherlich nicht vor, auf dem Trockenen zu bleiben. Reicht, wenn Sascha das schon tut. Und bevor du fragst, er trinkt nur selten. Er meinte mal, der Alkohol würde nur seine geliebten Hirnzellen kaputtmachen und die bräuchte er schließlich noch. Sein Pech.«
»Jeder, wie er mag«, waren Marks lapidare Worte und er zuckte mit den Schultern. Er selbst wollte nicht jeden Tag seines Urlaubs im Rausch verbringen, aber gegen den einen oder anderen Cocktail hatte er nichts einzuwenden.
Mit schnellen Schritten näherte sich Maria dem Tisch der beiden Jungen. In ihrer rechten Hand balancierte sie ein rundes Tablet mit zwei Gläsern, die mit einer orangefarbenen Flüssigkeit gefüllt waren. An den Glasrändern befand sich ein Stück Honigmelone, in jenem ein kleiner Papierschirm steckte.
»Eure Hoheit, werter Mark, ein Geschenk der Küche.« Sie präsentierte die Getränke und deutete schmunzelnd eine ehrfürchtige Verbeugung an.
Mark sah zuerst auf. »Das ist wirklich sehr nett von dir, Maria, aber ziehst du diese Rolle jetzt die nächsten Wochen durch?«
»Endlich wissen die Menschen mich zu würdigen«, schaltete sich David ein. »Ich ziehe einfach hierher. Was genau habt Ihr uns gebracht, holde Köchin?« Neugierig musterte er die Gläser, die Maria sogleich auf den Tisch abstellte.
»Das riecht lecker«, bemerkte Mark, der an dem Getränk roch.
»Das meine lieben, findet ihr nicht in der Karte. Mein ‚Magikí apoplánisi‘ ist etwas ganz besonderes, den ich nur ganz bestimmten Leuten serviere.«
»Magische Verführung … «
Erstaunt rissen sowohl Mark als auch Maria ihren Kopf zu David herum.
»Was guckt ihr denn jetzt so?«, echauffierte sich David. »Auch wenn ihr es nicht glaubt, aber ich bin nicht dumm. Griechisch fand ich schon immer toll und habe es mir selbst beigebracht.«
»Und warum?«, wollte Maria wissen.
»Wir sind früher oft nach Rhodos geflogen und ich habe dort kein einziges Wort verstanden, wenn der Kellner etwas gesagt hat. Ach, und Spanisch, Niederländisch und Englisch spreche ich auch noch. Da seid ihr jetzt platt, was?« Schmunzelnd lehnte sich David an seine Stuhllehne zurück. Die Genugtuung war ihm deutlich anzusehen.
»Respekt, mein Lieber. Ich würde ja gerne noch etwas mehr erfahren, aber ich muss weiter«, sagte Maria. »Ihr seht ja, wie voll es ist.« Sie deutete mit ihrer linken Hand zu den anderen Tischen.
»Ihr dürft gehen, holde Köchin«, witzelte David und griff nach dem Glas.
»Wie großzügig von Euch, mein Herrscher. Also, bis nachher«, flötete Maria und verließ den Tisch.
»Du steckst voller Überraschungen», stellte Mark fest und nahm den Cocktail in seine Hand, prostete David zu, der es ihm gleichtat, und nippte an der Flüssigkeit. »Wow! Das ist eher eine ‚absichtliche Körperverletzung‘.« Das Gesicht verziehend stellte er sein Getränk zurück auf den vorherigen Platz. Für sein empfinden war dort viel zu viel Alkohol drin.
»Stell dich nicht so an. Das Zeug ist der Hammer, endlich mal ‘ne Mischung nach meinem Geschmack«, fand David und nahm einen weiteren großen Schluck.
Während sich beide Jungs noch weitere Cocktails gönnten und Pläne für die kommenden Tage schmiedeten, tauchte die Sonne allmählich ins Meer und ließ das Firmament in einem satten Orange erstrahlen. Als Mark dieses bemerkte, fiel ihm wieder ein, dass David und er sich den Sonnenuntergang vom Strandkorb aus ansehen wollten. Und genau darauf machte er den anderen auch aufmerksam. David sprang sofort auf und bezahlten für Mark mit, was der allerdings gar nicht wollte. Aber das würde er am morgigen Hafenfest ausgleichen, denn das stand auch noch bevor. Als sie wenig später an ihrem Strandkorb zurückgekehrt waren, zückte David zwei weitere Dosen aus der Tasche hervor, wovon er eine Mark reichte.
»Mir ist gerade voll die mega Idee gekommen«, sagte David enthusiastisch. »Wenn wir morgen auf dem Hafenfest sind, bleiben wir einfach da, weil du sowieso nicht mehr fahren können wirst. Was meinst du? Soll ich uns dort ein Zimmer buchen?«
»Du bist doch verrückt, oder? Das sind doch nur knapp zehn Kilometer, da können wir doch auch ein Taxi nehmen. Außerdem muss ich ja nicht unbedingt was trinken und könnte selbst fahren …«
»Das kannst du dir gleich abschminken. Wir machen morgen so richtig einen drauf. Sei nicht immer so spießig und genieße mal dein Leben, Markiboy. Und Mutti muss auch nicht immer alles wissen. Also, ich buche uns nachher ein Zimmer und dann lassen wir mal richtig die Sau raus.«
»Ich weiß nicht, David. Ich kann wirklich fahren, das macht mir nichts aus. Wir können auch …«
»Einfach dableiben und Spaß haben, richtig. Schön, dass du das auch endlich so siehst«, redete David dazwischen und nahm sein Smartphone zur Hand. »Und weißt du was? Ich kenne da auch eine gute Pension. Vertrau mir einfach.«
Mark konnte nur belustigt mit dem Kopf schütteln. Keiner seiner Freunde, Dennis eingeschlossen, waren so penetrant wie sein Gegenüber. Vielleicht hatte dieser auch recht und er sollte sich mal locker machen, wie Dennis es ihm auch immer gesagt hatte. War es nicht das, was Mark wollte? Abschalten und was anderes erleben? Verrückte Dinge tun, die er in seiner Heimat sonst nicht tat?
Davids Anwesenheit bescherte ihm ein beflügelndes Gefühl, als der mit seiner Schulter Marks berührte, als wäre es das normalste von der Welt. Er versuchte sich zu entspannen und den Blick auf den Sonnenuntergang zu richten, aber seine Gedanken machten ihm einen großen Strich durch die Rechnung. Immerzu tauchte sein Sitznachbar darin auf und die Szenen, die sich in seinem Kopf abspielten, waren nicht viel anders, als die vorherigen.
»Pension "Zum Seestern", Doppelzimmer mit Frühstück. Und … die haben auch einen Pool. Geil, oder?« David hielt sein Smartphone so, dass Mark es sehen konnte. »Und weißt du, was das bedeutet?«
»Ich kann es mir denken«, erwiderte Mark augenrollend.
Volle Kraft voraus, der Wirbelwind kommt und macht den Hafen unsicher.
»Ich weiß nicht, was du gerade gedacht hast, aber dein Grinsen gefällt mir.« David stupste ihn in die Seite. »Wir werden morgen richtig Spaß haben, das steht schon mal fest. Und komm mir nicht mit „Ich trinke nicht viel“, denn das wirst du. Wird mal Zeit, dass du dich mal gehen lässt. Vergiss Mutti und deine Ex, klar?«
»Habe ich eine andere Wahl?«
»Nope.«
Ergeben seufzte Mark auf und richtete seinen Blick auf den Sonnenuntergang. Der Feuerball war zu zwei Drittel im Wasser versunken und spiegelte sich auf der Wasseroberfläche. Eine Frau in einem weißen Kleid, das im Wind flatterte, trat in sein Blickfeld. Sie warf einen Stock und rief etwas. Daraufhin rannte ein Bernhardiner an ihr vorbei, der laut und tief bellte. Als er das Holzstück erreichte und mit seinen Zähnen packte, lief dieser leichtfüßig zu seiner Besitzerin zurück und ließ den Gegenstand vor ihren Füßen fallen. Anscheinend gefiel ihm das Spiel, denn sein Schwanz wedelte hin und her, während er sich lauernd in den Sand legte und den Ast mit der Schnauze anstupste. Mark überlegte, ob er sich ebenfalls einen Hund zulegen sollte, aber verwarf den Gedanken, als ihm einfiel, dass er durch die langen Arbeitszeiten nicht ausreichend Zeit für das Tier hätte. Ihm entfloh ein leises Brummen, als er feststellen musste, dass er für seine Freunde genauso wenig Zeit fand. Als er damals die Ausbildung begonnen hatte, war ihm der chronische Zeitmangel nicht bewusst gewesen, aber die Erkenntnis darüber ließ ihn über eine Lösung nachdenken. Dabei fiel ihm das Buch wieder ein, das er zu Lesen begonnen hatte. Aber er konnte doch nicht wie Isabella, die Protagonistin, einfach so seinen Job kündigen und auf eine bessere Stelle hoffen, die mehr Freizeit verspräche, oder doch?
»Was ist los?«
Erst jetzt bemerkte Mark, dass David ihn musterte. Er erzählte ihm, was ihm durch den Kopf gegangen war, das Buch ließ er unerwähnt. Dabei wich er Davids stechendem Blick aus, weil ihm jedes Mal, wenn er in seine Augen sah, das Sprechen schwerer fiel. Er griff immer öfters zu seinem Getränk und versuchte damit gegen den trockenen Mund anzukämpfen – vergebens.
»Du denkst eindeutig zu viel«, ließ David ihn wissen. »Wenn dich der Job ankotzt, dann hau in den Sack und such dir was Neues. Machen statt denken, verstanden?«
Mark nickte und versuchte sich weiter nach außen zu setzen, um etwas Abstand zu David zu bekommen. Obwohl sie beide an der frischen Luft saßen, schien diese nur nach Davids Aftershave zu riechen. Ein Fluch und Segen zugleich.
»Gut, also wenn du zurück bist … oder besser noch: schaue dir nachher Jobs in deiner Umgebung an, vielleicht findest du etwas, das dir mehr liegt.«
Zustimmend brummte Mark und fixierte erneut die rötliche Stelle, an der die Sonne nur noch zu erahnen war. Zeitgleich kamen kühle Windböen auf und eine Gänsehaut bildete sich auf seiner Haut. »Sollen wir zurückgehen? Mir wird kalt.«
»Jup, können wir machen.« David erhob sich umständlich aus dem Strandkorb und hielt Mark seine Hand hin, der sie ergriff und sich hochziehen ließ.
»Danke.« Das Kribbeln in seinen Fingern, das durch den Handkontakt zustande kam, versuchte Mark zu ignorieren. Aber mit jeder weiteren Berührung, die er mit David hatte, schien das Gefühl stärker zu werden. Es kam ihm so vor, als hätte sein Körper ein Eigenleben entwickelt, gegen das er nichts machen konnte. War das möglich?
Zusammen versetzten sie den Strandkorb in seinen ursprünglichen Zustand und David setzte das Holzgitter ein.
Als sie sich auf den Weg zurück zum Bungalow machten, passierten sie zwei Männer, die auf einer Decke sitzend sich in den Armen lagen. Ungeniert musterte Mark die beiden. Sie schienen sich nicht im geringsten irgendwelche Sorgen zu machen, dass irgendwer sie hätte sehen können. Als wäre es für sie etwas völlig normales, küssten sie sich und Mark sah in ihnen sich selbst und David. Als hätte dieser seine Gedanken gesehen, stupste er Mark gegen den Oberarm.
»Was ist? Willst du bei den beiden mitmachen? Du guckst die an, als …«
»Was?«, rief Mark lauter als beabsichtigt und fuhr mit dem Kopf herum. »Nein, ich … fand das Muster der Decke toll.«
Ganz toll, Mark, wirklich einfallsreich!
David schnaubte amüsiert und im nächsten Moment legte der ihm seinen Arm um die Schulter. »Ich hätte es dir geglaubt, wenn du nicht so geguckt hättest, als würdest du dir wünschen, einer von ihnen zu sein.«
Mark sah zur Seite und versuchte sein Gesicht vor David zu verstecken. Es war ihm mehr als nur unangenehm, dass der andere mit seiner Vermutung richtig lag, auch wenn sie etwas davon abweichte. Wie käme er jetzt ist dieser Nummer wieder heraus? Wo war der Boden, in dem er versinken konnte um zu flüchten?
»Mark?«
»Okay, was willst du hören? Ja, ich habe sie angesehen, na und? Was ist dabei? Ich bin auch nur ein Mensch, der …«
»Hey, hey, hey, beruhige dich. Das sollte doch nur ein Spaß sein.«
»Und wenn es aber tatsächlich so ist? Vielleicht bin ich nicht davon abgeneigt, mich mit einem Mann einzulassen, okay? Ich weiß momentan selbst nicht, was mit mir los ist.« Mark stieß einen Laut der Verzweiflung aus und holte tief Luft, die er kontrolliert und langsam ausblies. »Sorry, ich wollte dich nicht so angehen.«
»Wow, das ist das erste Mal, dass ich dich so erlebe. Wie lange frisst du das schon in dich hinein?«
»Ich weiß es nicht«, log Mark, denn er wusste sehr wohl, seit wann er so fühlte. Aber hätte er es David gesagt, würde der doch eins und eins zusammenreimen können.
»Mark?«
»Ja?«
»Wir sind da. Soll ich noch mit rüberkommen?«
Erst jetzt nahm Mark seine Umgebung wieder wahr und erkannte, dass sie vor Davids Ferienhaus standen.
»Nein, alles gut. Wann treffen wir uns morgen?«
David zuckte mit den Schultern und holte ihm nächsten Moment sein Smartphone hervor, das er Mark entgegenhielt. »Trag deine Nummer ein, dann melde ich mich morgen bei dir, okay?«
Mark kam der Aufforderung nach und gab nach erfolgter Eingabe das Mobiltelefon zurück. »Dann wünsche ich dir eine gute Nacht und bis morgen.« Winkend drehte er sich um und setzte sich in Bewegung.
»Jip, bis morgen. Und Mark?«
»Ja?«
»Mach dir keinen Kopf, du bist ein toller Typ, okay? Egal, wie du bist. Das wollte ich dir noch sagen. Und jetzt hau dich gut weg. Bis morgen.« Mit diesen Worten öffnete David die Tür und verschwand kurz darauf im Bungalow.
Erst als ein Mann mit einem Jungen an Mark vorbeilief, machte er sich selbst auf den Weg zu seinem Ferienhaus. Dabei ließ er sich Davids Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Wie unterschiedlich die Meinungen der Menschen doch ausfallen konnten, wenn es um gleichgeschlechtliche Liebe ging. Es war ihm ein Rätsel, weshalb das so war. Als er sein Haus erreicht hatte und ins Innere trat, vibrierte sein Smartphone einmal kurz auf. Aufs Display schauend, musste Mark unweigerlich schmunzeln. David. Dieser wünschte ihm noch einmal eine gute Nacht. Unter dem Text fand Mark ein Foto, auf dem David breit grinsend auf einem Doppelbett lag und einen Daumen noch oben zeigte. Anscheinend genoss er die einmalige Gelegenheit, nicht auf einer Schlafcouch oder bei Mark zu übernachten. Mark antwortete mit einem Emoji und machte sich fürs Bett fertig. Wenig später holte er das Buch aus der Schublade des Nachttisches hervor, legte sich ins Bett und begann zu lesen.
Isabella, die Protagonistin, war mit Pascal in einer Stadt unterwegs und liefen später über die Strandpromenade. Dort fanden sie ein nettes Café, in das sie spontan einkehrten und sich bei einem Kaffee besser kennenlernten. Pascal erzählte ihr, er sei schon einmal auf Gran Canaria gewesen und wüsste so manche Orte, die sehenswert seien und die er ihr gerne zeigen würde. Als sie später in einen kleinen Regenschauer gerieten, flüchteten sie zu einem überdachten Hauseingang und fuhren später mit dem gemieteten Roller zum Hotel zurück. Noch am selben Abend gestand sich Isabella ein, dass sie sich in den charmantan Pascal verliebt hatte. Aber wie sollte sie es ihm nur sagen? Eigentlich war sie nicht auf einen Urlaubsflirt aus, aber was konnte sie schon gegen ihre eigenen Gefühle tun? Ihre Gefühlswelt veränderte sich mit jedem weiteren Tag und doch behielt sie alles für sich.
Mark konnte Isabella sehr gut verstehen und wünschte sich, dass sie endlich den Mut finden würde, um Pascal ihre Gefühle zu gestehen. Er schlug das Buch zu und legte es neben sich auf die Matratze. Auch wenn er es eigentlich gewöhnt war, alleine zu schlafen, so fehlte ihm die Nähe zu David. Ob der bereits schlief? Mark sah auf die leere Betthälfte, dabei stieg ihm ein Duft in die Nase. Davids Aftershave. Er nahm das freie Kissen an sich und vergrub die Nase in diesem. Augenblicklich begann sein Herz schneller zu schlagen. Er schaltete das Licht aus und schlief wenig später mit dem Duft von Ozean und Abenteuer in seinen Armen ein.