(Tristan ist hier zehn und Lorelei neun Jahre alt.)
(Content Note: Krankheit)
Lori schniefte und schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht nach draußen."
"Nur weil du ein bisschen Schnupfen hast?" Tristan rollte mit den Augen. "Wenn ich zu lange in der Sonne bin, löst sich meine Haut ab – und ich sitze trotzdem nicht die ganze Zeit in meinem Zimmer."
"Du kannst dir wenigstens etwas anziehen!", zischte Lori. "Wenn es richtig heiß ist, gehst du auch nicht in die Sonne."
"Die Sonne ist etwas anderes als Blumen. Mach dich nicht lächerlich."
Mit zusammengepressten Lippen sah Lori ihren Cousin an, der ihr deutete, ihm aus dem Zimmer zu folgen – in den Garten des Anwesens ihrer Familie, wo nun ein Meer aus Frühlingsblüten ihre Pollen verbreiteten. Nicht einmal in ihrem stickigen Zimmer mit dem abgedichteten Fenster war sie sicher, aber draußen würden ihre Augen und ihre Kehle zuschwellen und ihre Haut bei Kontakt mit Gras anschwellen wie die von Tristan in der Sonne. Der sollte sie verstehen, aber über Einfühlungsvermögen verfügte er anscheinend nicht.
"Komm schon", sagte er. "Das Problem ist nicht neu. Deine Familie kann sich doch einen Zauber leisten, um das zu heilen."
Lori ließ sich auf ihr Bett fallen und drückte ihr angeschwollenes Gesicht in die Decke. "Ich bekomme die Behandlung erst, wenn ich erwachsen bin", schniefte sie.
Sie hörte, wie Tristan sich auf ihren Lesesessel setzte und tief seufzte. "So ein Unsinn. Wieso musst du warten?"
"Weil ..." Ihre Eltern hatten ihr das erklärt, aber sie hatte nicht alles daran verstanden. "Es ist so sicherer, glaube ich."
Für eine Weile rührte Tristan sich nicht, dann legte er eine Hand sanft auf ihren Rücken. "Ich habe eine Idee. Du kannst heute mit mir nach draußen, dann mache ich es rückgängig. Deine Eltern merken nichts davon."
"Bist du sicher?", fragte Lori leise.
"Natürlich." Er klopfte sanft auf ihren Rücken. "Ich bin gegen nichts allergisch, aber ich weiß, wie Allergien funktionieren. Ich kann das aufheben."
Eine Woche später saß Tristan auf seinem Koffer und wartete darauf, dass jemand ihn zum Zug nach Hause brachte. Er wusste nicht, wer im Haushalt der Drakelings das tun würde. Das wussten im Moment vielleicht nicht einmal die.
Es war schlimm genug, dass er zurück zu seiner Mutter musste, aber dazu kam die Schuld und die Sorge um Lori.
"Wie bist du überhaupt auf diese Idee gekommen?", fragte Marcelle.
Tristan kannte Marcelle nur schwindend. Sie war entfernt mit ihm verwandt, aber die nicht rein menschliche Seite seiner Familie war so konfus, dass es einfacher war, sie als seine Tante zu verstehen.
Sie war Ärztin und verstand die physischen wie auch die übernatürlichen Weisen, den menschlichen Körper zu heilen; bis jetzt war er davon ausgegangen, dass seine magische Begabung ihm eine Ahnung von letzterem gab. Aber da Marcelle nun Lori behandeln musste, war das offensichtlich falsch.
Er räusperte sich. "Allergien sind doch das Immunsystem, das überreagiert. Ich dachte, wenn ich das schwäche, dann ..."
Marcelle drückte ihre Finger gegen ihre Schläfen. "Dabei hattest du nicht den Gedanken, dass Lorelei krank werden könnte?"
Tristan biss auf seine Unterlippe. "Leute werden im Winter krank, nicht im Frühling."
"Niemand hat dir beigebracht, dass ...", murmelte Marcelle, offensichtlich an sich selbst gewandt.
Während sie das Foyer auf und ab lief, sank Tristan weiter in sich zusammen and dachte an Lorelei, die solchen Spaß daran gehabt hatte, mit ihm durch den Blumengarten zu laufen und endlich frei atmen zu können - bis sie fünf Tage danach durch das schwere Fieber zusammengebrochen war.
Das alles war seine Schuld. Wenn sie daran starb, hatte er niemanden mehr außer seiner Mutter.
Er zuckte, als er Marcelles Hand an seiner Schulter fühlte.
"Hoffentlich habt ihr drei etwas daraus gelernt", sagte sie.
"Was?", fragte er heiser.
"Du, aus offensichtlichen Gründen. Lorelei ebenfalls. Es war deine Idee, aber sie sollte wissen, sich nicht als Versuchsobjekt für Magie zu melden." Als sie seine weit aufgerissenen Augen sah, lächelte sie. "Sie wird überleben. Die Sache wird Folgen haben, aber die werden hoffentlich auswachsen."
Tristan schluckte und starrte ins Leere. Er hatte Lori nicht umgebracht.
"Und dann bleibt deine Mutter", fuhr Marcelle fort. "Sie weiß, dass ihr Sohn eine biomantische Begabung hat, während ihm das Wissen fehlt, sie richtig oder nicht einzusetzen."
Seine Mutter? Er blinzelte. "Meine Mutter lernt nichts aus irgendetwas."
"Doch, das wird sie, sobald ich mit ihr darüber spreche." Marcelle schnaubte und wuschelte durch Tristans Haar. "Ich begleite dich."
"Was? Aber Lori ..."
"Lorelei ist hier in sicheren Händen", sagte Marcelle, während sie Tristans Schulter drückte. "Dein direktes Umfeld ist es nicht, solange du keine Ahnung hast. Im Zug kann ich dir ein paar Dinge beibringen und dann sehen wir weiter. Du brauchst eine Ausbildung."
Er schluckte. Eine Person, die ihm mehr Körper beibringen konnte, als er durch seine Fähigkeit spüren konnte, war einer seiner größten Wünsche. Das konnte nicht stimmen.
"Aber das ist keine Bestrafung", flüsterte er.
"Du bist ...", begann Marcelle laut, bevor sie in den Knöchel ihres linken Zeigefingers biss und auf den Boden starrte. "Du bist ein Kind, das nicht weiß, wie es sicher mit seinen Fähigkeiten umgeht. Es war nur eine Frage der Zeit, dass du dadurch eine Person verletzt."
Tristan zuckte mit den Schultern.
Mit einem tiefen Seufzen schüttelte Marcelle ihren Kopf. "Ich werde mit deiner Mutter sprechen."