2.2.1 Historisch
Schon in der Vergangenheit spielte das Geschlecht im Sport eine große Rolle. Ob eine Person als „männlich“ oder als „weiblich“ klassifiziert wurde, bestimmte maßgeblich, ob und welche Sportarten sie ausüben durfte. Entstanden ist diese Unterscheidung durch soziale Faktoren. Sport treiben galt als „unweiblich“ und Frauen* wurden aufgrund ihres Körperbaus als nicht geeignet für solche Kraftakte eingestuft. Hier wurde auch mit biologischen Faktoren argumentiert. So war beispielsweise lange verbreitet, dass sportliche Aktivität bei weiblichen Personen zur Unfruchtbarkeit führe. Das Ausüben von Sport wurde Frauen* in großen Teilen erst Ende des 20. Jahrhundert erlaubt – jedoch blieben ihnen viele Sportarten verwehrt. Insgesamt waren Sportarten wie Tanzen, Gymnastik oder Turnen für sie meist früher erlaubt als Ball- oder Teamsportarten.
2.2.2 Geschlecht als Leistungsklasse
Grundsätzlich folgt besonders der Leistungssport in unserer Gesellschaft dem Höchstleistungsprinzip. Demnach geht es um das Erbringen einer Höchstleistung, eines Rekordes. Um diesen Rekord als allgemeingültig darzustellen, müsste allerdings von jeglichen Leistungsklassen abgesehen werden. Ein Sporttreiben ohne jegliche Leistungsklassen ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht umsetzbar – unter anderem aufgrund der großen Teilnehmerzahl.
Im Sport gibt es zwei Arten von Leistungsklassen. Die sogenannten „präsumtiven Leistungsklassen“ basieren auf Indikatoren für die mögliche Leistungsfähigkeit. Hier werden die Klassen also vor Beginn des Sports eingeteilt. Mögliche Klassen sind etwa Alter, Gewicht oder Größe, aber auch Herkunft oder Geschlecht. Die Alternative ist die Einteilung in als „funktionelle Leistungsklassen“ bezeichnete Kategorien. Hier erfolgt die Einteilung basierend auf erbrachter Leistung. Es kann also einen Vorentscheid geben oder eine Lizenz/ein Abzeichen zur Teilnahme notwendig sein.
Das Geschlecht als Leistungsklasse im Sport ergibt sich vor allem aus historischen und sozialen Faktoren. Diese Geschlechterdifferenzierung wird im Sport, anders als in den meisten anderen Bereichen des Lebens, als „naturgegeben“ und rechtmäßig empfunden. Begründet wird diese Trennung mit der biologisch belegten höheren körperlichen Leistungsfähigkeit der Männer*. Jedoch wird in diesem Punkt außer Acht gelassen, dass auch andere körperliche Faktoren, wie etwa die ethnische Herkunft oder die Körpergröße beziehungsweise das Gewicht, die grundsätzliche Leistungsfähigkeit beeinflussen. Das Geschlecht ist hier also nur ein mögliches Merkmal zur Aufteilung.
2.2.3 Probleme mit dem Geschlecht als Leistungsklasse
Die Verwendung des Geschlechts als Leistungsklasse ist nicht ganz unproblematisch. Vor allem die bereits in 2.1.1 Geschlecht biologisch erläuterte Uneindeutigkeit des menschlichen Geschlechts aufgrund von außen nicht sichtbarer Merkmale machen eine faire Einteilung schwierig.
Immer wieder gibt es Fälle, in denen Spitzensportler:innen gezwungen werden, ihr Geschlecht überprüfen zu lassen. Hierfür gibt es schon seit den 1960er Jahren Tests – angefangen wurde damals mit einem Blick auf die primären Geschlechtsteile. Noch vor 1970 gab es Verfahren wie beispielsweise den Barr-Body-Test[1], welche die Chromosomen einer Frau* überprüften – als Frau* starten durfte also nun, wer ausschließlich X-Chromosomen besaß. Heute wird die Weiblichkeit einer Frau* im Sport an ihrem Testosteron-Wert festgemacht. Die allermeisten weiblichen Personen produzieren zwischen 0,2 und 3 Nanomol Testosteron/Liter, während der Wert von Männern* mit 10 – 35 Nanomol Testosteron/Liter deutlich höher liegt. Als Frau* starten darf also jede:r mit einem Testosteronwert unter 10 Nanomol Testosteron/ Liter. Auch diese Überprüfungsmethode der Weiblichkeit ist insofern schwierig, als dass die Anzahl an Frauen* mit mehr Testosteron als üblich im Leistungssport etwa 140 Mal höher ist, als in der Normalbevölkerung.
Leistungssportler:innen, deren Testosteronwert zu hoch liegt, werden häufig zu operativen oder hormonellen Eingriffen gedrängt, um wieder starten zu können. Ihnen wird vermittelt, dass mit ihrem Körper etwas falsch sei. Immer mehr Frauen* beginnen, sich gegen diese Forderungen zu wehren. Beispiele solcher Fälle sind die 18-jährige Inderin Dutee Chand[2], die südafrikanische Caster Semenya[3], welche mit ihrem Weltmeisterschaftssieg im Jahr 2009 die Debatte über Intersexualität anstieß oder die ebenfalls indische Santhi Soundarajan[4].
Insgesamt werden bei der Einteilung der Leistungsklassen nach Geschlecht nicht nur immer wieder Frauen* aufgrund ihrer Hormonwerte ausgeschlossen, sondern auch andere Menschengruppen kategorisch ausgegrenzt – beispielsweise alle intersexuellen Sportler:innen können in diesem System keinen Platz finden oder müssen sich anhand ihrer Hormonwerte in Kategorien einordnen, die nicht ihrer Natur entsprechen.
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[1] Barr-Body (deutsch: Barr-Körperchen): Barr-Körperchen, Geschlechtschromatin, im Zellkern weiblicher Säugerzellen mit Hilfe des Lichtmikroskops nachweisbares kondensiertes X-Chromomsom.( https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/barr-koerperchen/1268 [06.01.2021; 18.19Uhr])
[2] http://www.berliner-zeitung.de/sport/dutee-chand--ich-bin-wie-ich-bin-,10808794,28495470.html [23.09.2014]; http://www.taz.de/!147384/ [10.10.2014]
[3] http://www.taz.de/!147384/ [10.10.2014]; http://www.zeit.de/sport/2011-04/regelung-iaaf-semenya-intersexualitaet [13.04.2011]
[4] http://www.berliner-zeitung.de/sport/dutee-chand--ich-bin-wie-ich-bin-,10808794,28495470.html [23.09.2014]