Äußerlich gelassen aber stolz durchschritt Tirzah die Straßen, wie er es vor so vielen Jahren getan hatte. Die Nachricht, dass er und Laryn zurückgekehrt waren, verbreitete sich offenbar schnell. Mit jedem Schritt, den sie zurücklegten, kamen neue Schaulustige. Nicht nur Cobras, auch Mitglieder der anderen Clans kamen um zu gaffen. Tirzah war das nur recht. Je mehr seine Rückkehr sahen, hörten, was er zu sagen hatte, desto besser. Von daher kam es ihm nur zu sehr gelegen, dass die Räte sie tatsächlich vor der Halle empfingen und ihnen damit demonstrativ den Zutritt verwehrten. Wenige Schritte vor ihnen blieben sie stehen.
„Du wagst es, dein Gesicht hier zu zeigen?“, kam es von Kryz. Laut genug, dass alle Umstehenden es hören konnten. Der angeschlagene, aggressive Tonfall sorgte dafür, dass Thanos zu knurren begann.
Furchtlos erwiderte Tirzah die abweisenden Blicke. „Ich wage es nicht nur, hier zu erscheinen. Ich bin hier, um etwas einzufordern!“ Er ließ einen bedeutungsvollen Moment verstreichen, bevor er weitersprach. „Einen Platz im Rat, wie es mir zusteht!“
Ein teils erschrockenes Raunen ging durch die Menge, als sie hörten, was Tirzah wollte. Laryns einzige Reaktion, die sie zeigte, war, ein Stück weit einen ihrer Mundwinkel zu heben. Ein angedeutetes Lächeln. Sie war stolz auf ihn und stolz darauf, seine Gefährtin zu sein. Plötzlich machte sie Rhazad aus. Dieser verschränkte gerade seine Arme und verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. Mit ihm hatte sie noch eine Rechnung offen, ebenso wie mit Rikkar. Thanos spürte ihren inneren Hass und wandte sich direkt an den Zamteh. Bedrohlich ging er in Angriffsstellung und knurrte. Er war bereit, Laryn zufrieden zu stellen.
„Thanos“, meinte sie ruhig und eher leiser, aber durchaus bestimmend. „Später.“ Er gehorchte und straffte seine Schultern.
Kryz wehrte ab. „Du hast das Recht auf deinen Platz im Rat verwirkt, indem du ihn wieder und wieder ausgeschlagen hast“, brachte er vor. „Dein Platz ist an Talin vergeben.“
Erhobenen Hauptes trat Tirzah einen Schritt weiter vor. „Du verstehst nicht“, antwortete er ruhig. „Ich fordere nicht meinen Platz im Rat, ich fordere einen Platz im Rat.“ Ein erneutes Raunen ging durch die Menge. Lauter dieses Mal und die Ratsmitglieder wechselten verständnislose Blicke.
„Die Abtrünnigen leben!“, offenbarte Tirzah laut genug, dass es jeder hören konnte. „Sie wurden vom Rat betrogen, so wie auch ich. Hätte der Rat die Forschungen nicht aus eigener Vorteilssucht heraus toleriert, wäre diese Situation nie entstanden.“ Zwei Mitglieder des Rates griffen nach ihren Waffen, doch Tirzah hob gebietend eine Hand und ließ sich nicht aufhalten. „Wäre auch nur ein Ratsmitglied damals nicht an einen Clan gebunden, hätte er Veto eingelegt. Diese schändliche Tat hätte nie einen Fleck der Ehrlosigkeit auf unserem Volk hinterlassen! Ich fordere genau diesen Platz! Ich habe keinen Clan mehr und werde auch nie wieder einem angehören! Entsprechend unbeeinflusst kann und werde ich meine Entscheidungen treffen!“
Als zwei Ratsmitglieder nach ihren Waffen griffen, tat auch Laryn es. Sie war bereit, gegen jeden einzelnen zu kämpfen, der es auch nur wagte, gegen Tirzah vorzugehen. Sie sollten ihn wenigstens ausreden lassen! So begann sie hinter ihm auf und ab zu gehen. Bedrohlich spielend drehte sie die Messer in ihren Händen. Thanos selbst legte die Ohren an und machte wieder mit einem herrischen Knurren auf sich aufmerksam.
Das Ratsoberhaupt eines anderen Clans, den sie noch nie zuvor sprechen gehört hatte, trat hervor. „Ich stimme dafür!“, gab er lauthals kund und schaffte es, dass die Köpfe aller anderen Ratsmitglieder zu ihm ruckten.
„Schweig still!“, fauchte das Zamteh-Oberhaupt. „Er ist nicht ehrenhaft!“
„So bist du es auch nicht!“, kam die barsche Antwort. „Eine Lüge befleckt unsere Mitte!“
„Wieso ist dieses Ding hier?“, lenkte der Cobras-Anführer wieder die Aufmerksamkeit auf sich.
Interessiert beobachtete Tirzah, wie sich die Situation zu seinen Gunsten neigte. Einen Rat hatte er offenbar bereits überzeugt. Gut so, denn er musste zumindest vier der Räte überzeugen, damit die anderen drei überstimmt waren. „Dieses Ding heißt Laryn!“, beantwortete er die Frage. „Sie ist das Ergebnis der damaligen Entscheidung des Rates und sie ist meine Schülerin. Keiner von euch wollte die Verantwortung für sie übernehmen, obgleich ihr für ihre Existenz verantwortlich seid.“
Ein Knurren des Zamteh-Führers antwortete. „Du biegst dir die Dinge zurecht, wie sie dir passen!“, warf er Tirzah vor. „Nicht wir sind dafür verantwortlich. Das sind allein die Abtrünnigen und wir sollten dieses Ding töten, bevor es die Gedanken unserer Kinder vergiftet!“
Wieder erhob der Anfürhrer der Lynx die Stimme. „Er hat doch recht. Hätten wir die Forschungen nicht selbst gewollt, hätten wir die Abtrünnigen nie in die Verbannung geschickt. Sie hätten nie einen Grund gehabt, dieses We... diese Frau zu erschaffen. Ob es dir gefällt oder nicht, es waren unsere Entscheidungen.“
Laryn hatte inne gehalten, als man so abfällig über sie sprach. Sie blickte zu den Ratsführern. Oh, ihr lag bereits etwas auf der Zunge, dass sie nur zu gerne loswerden wollte. Rhazad schuldete ihr noch einen Sieg und der Rat hätte es damals auch anerkennen sollen! Ein Schnauben entkam ihr. Ihr lag so einiges auf der Zunge, aber sie hielt sich mit aller Gewalt zurück. Tirzah musste sprechen, denn auch er würde vorschlagen, sie die Initiation beschreiten zu lassen. Eine Stille war ausgebrochen, keiner sagte auch nur ein Wort.
Einen Moment wartete Tirzah noch ab, bevor er erneut seine Stimme erhob. „Ich bin hier, um den Platz eines Unabhängigen im Rat einzunehmen“, verdeutlichte er sein Anliegen. „Nicht, um zu schaden, sondern um Schaden zu verhindern. Fehler wurden begangen, die uns bis jetzt verfolgen. Es wird Zeit, dass wir uns diesen stellen und daraus lernen.“ Er wandte sich Laryn zu und bat sie mit einer Geste neben ihn zu treten.
Und sie trat neben ihn, nachdem sie ihre Waffen mit einem einzigen Ruck wieder verstaut hatte. Ihre ganze Haltung sprach von Mut, Beharrlichkeit und Stolz. Nichts konnte sich ihr in den Weg stellen. Sollte ein Predator sie zum Kampf herausfordern, sie würde annehmen und siegen. Tirzah hatte sie gelehrt und es wusste niemand besser als sie, dass er der beste Lehrer und Meister war, den man haben konnte.
Kaum stand sie neben ihm, legte er ihr die Hand auf die Schulter. Eine Geste, die sowohl aussagte, dass er sie schützte, aber auch, dass er sie in ihrem Wunsch unterstützte. „Laryn hier, um mit Zustimmung des Rates die Initiation zu beschreiten.“ Wieder die Blickwechsel der Räte. Dieses Mal jedoch schwankend zwischen Empörung, Fassungslosigkeit und Zweifel. Tirzah ließ sich davon nicht beirren.
„Ich habe sie ausgebildet und unsere Wege gelehrt. Ganz wie ihr vor so vielen Jahren beschlossen habt, habe ich ihre Fähigkeiten ausgelotet und ich bin noch nicht fertig damit.“ Er sah die Räte kühl an. Mit voller Absicht hatte er ihren damaligen Befehl wieder ans Licht gebracht. „Sie kämpft stets ehrenhaft und achtet den Weg des Jägers. Der nächste logische Schritt ist, zu prüfen, ob sie diesem Weg auch weiter folgen kann.“ Nicht, dass er daran zweifelte. Er kannte ihre Fähigkeiten.
„Das ist eine Beleidigung!“, kam es plötzlich vom Rand des Platzes, bevor einer der Räte antworten konnte. Rikkar trat vor. Nur kurz streifte sein Blick Laryn, bevor er ihre Anwesenheit demonstrativ ignorierte. „Die Initiation ist unsere heiligste Tradition! Einem Menschen zu gestatten, sie zu beschreiten ist ein Schlag ins Gesicht aller Jäger!“
Tirzah ließ Laryn los und trat einen Schritt zurück. Ein eindeutiges Zeichen, dass sie darauf antworten sollte. „Ruhig. Erst denken...“, brachte er ihr leise die erste Lektion wieder ins Gedächtnis, die er ihr beigebracht hatte.
Der Ruf schallte über den Platz und sie wusste, wem die Stimme gehörte. Laryn holte tief Luft, um ihren Zorn zurück zu halten. Er hatte den Befehl Tirzahs verweigert und sie in tiefe Dunkelheit stürzen lassen! Er hatte ihre Waffen gestohlen! Sie wurde von ihrem Gefährten losgelassen und sie bekam die Möglichkeit zu handeln. Oh, am liebsten würde sie Rikkar auf der Stelle zum Kampf herausfordern. Ihr Blick wurde kurz finster, doch dann atmete sie einmal tief durch und wartete, bis sich ihre Gedanken sortiert haben. Ihre angespannte Haltung lockerte sich und sie ging einen Schritt in seine Richtung.
„Ich bin kein Mensch“, antwortete sie ruhig, aber sowohl auch laut genug, das alle es hören konnten. Ihr Blick wechselte zwischen ihm und dem Rat, damit sich beide Parteien angesprochen fühlten. „Ein Mensch hätte nicht die Möglichkeit, nach all dieser Zeit wieder vor euch zu stehen. Ich bin euch ähnlicher, als das mein Aussehen es erahnen lässt. Lasst es mich beweisen und die Initiation beschreiten.“
Tirzah könnte in diesem Moment kaum stolzer auf Laryn sein. Er kannte ihr Temperament und schon er war nicht gut auf Rikkar zu sprechen. Von daher konnte er zumindest ahnen, welche Selbstbeherrschung es sie kostete, so ruhig zu bleiben. Mit dem ruhigen Statement und der darauffolgenden Bitte hatte sie nicht nur den anderen Jäger vor den Kopf gestoßen, sondern auch den Rat erstaunt.
„Wir werden uns beraten“, sagte Kryz letztendlich und ging den anderen voraus in die Ratshalle. Dieses Thema wollte er nicht in der Öffentlichkeit diskutieren. Nicht, wenn der Rat ohnehin geteilter Meinung war, was Tirzah anging. Sie mussten einig und stark erscheinen.
Letzterer trat neben Laryn und schenkte ihr ein sachtes Nicken. Sie hatte ihre Sache gut gemacht. Rikkar hingegen traf ein eiskalter Blick. „Wie der Rat auch entscheidet“, sagte er kühl. „Du wirst dafür zahlen, was du getan hast.“ Wenn der Rat dazu kam, dass Laryn die Initiation beschreiten durfte, würde er es ihr überlassen, danach den Jäger herauszufordern. Akzeptierte der Rat hingegen nur seine eigene Forderung nach einem Platz in ihrer Mitte, würde er dafür kämpfen, dass Laryn eine vollwertige Jägerin werden durfte. Wieder mit dem selben Ergebnis der Herausforderung. Traf keines von beidem zu, würde Rikkar die nächste Beute sein, die seine Gefährtin erlegen würde.
Der Rat entschied sich dazu, zuerst einmal untereinander die Angelegenheit zu besprechen. Laryn nickte und beobachtete sie, bis sie in dem Gebäude verschwunden waren. Dann drehte sie sich zu Tirzah um, der zu ihr getreten war und wollte ihm schon lachend in die Arme springen. Sie hatten den ersten Erfolg! Da konnte sie wohl von Glück reden, dass er zu Rikkar blickte und eine saftige Drohung aussprach. Nein, es war keine Drohung mehr, sondern ein Versprechen. Hätte sie es getan, wäre wohl zu früh rausgekommen, dass da irgendetwas zwischen ihnen war.
Als wollte Thanos Tirzahs Meinung unterstreichen und ihm wie ein Partner zur Seite stehen, sprang er vor und knurrte den Angesprochenen an. Er fletschte nicht nur die Zähne, nein, selbst sein Speichel tropfte bereits hervor, als würde er sich vorstellen, wie er ihn zerriss und ihn Bissen für Bissen genießen würde. Er wartete nur auf eine zu schnelle Bewegung und schon würde er ihm nachsetzen...
„Halte dieses Vieh von mir fern!“, verlangte Rikkar abschätzig. Es ging über seinen Verstand, dass ein Jäger der etwas von sich hielt, so ein Tier als Haustier hielt. Das war Beute. Sogar nur solche für junge Jäger. Gefährlich, ja, nicht einfach zu töten, auch, aber dennoch 'kleine' Beute.
Beruhigend legte Tirzah eine Hand auf Thanos' Nacken, bevor dieser zum Angriff überging. „Ganz ruhig mein Freund“, raunte er sacht und tatsächlich entspannte sich der Dusoq ein wenig. Was nicht bedeutete, dass er aufhörte zu knurren oder die Zähne zu zeigen. „Dieses 'Vieh' war mir in den letzten Jahren ein treuerer Begleiter, als du es je sein könntest, Rikkar“, entgegnete er ruhig. „Er hat mich zumindest noch nie betrogen.“
Es war bewundernswert, wie großartig ihr Gefährte doch kontern konnte. Ein Schmunzeln bildete sich auf ihrem Gesicht, während sie zärtlich über den schuppigen Körper ihres Begleiters strich. Ihr Blick war weiterhin auf Rikkar gerichtet. Er hatte sich kaum verändert. Er war ein wenig gewachsen, aber sie konnte keine weitere Narbe an seinem Körper ausmachen. Er hatte Jahrzehnte Zeit gehabt, seine Ehre noch weiter auszubauen, hatte es aber nicht getan. Wieso, so fragte sie sich.
Im nächsten Augenblick trat der Rat wieder auf den Platz. Überrascht wandte sich Laryn ihnen wieder zu. Sie waren schneller zurück, als sie es erwartet hatte. Hoffentlich war das Urteil zu ihren Gunsten…
Um die Worte Tirzahs und ihre eigenen noch mehr Wahrheit zuzuschieben, begrüßte sie sie mit einer respektvollen Geste und dem Senken ihres Kopfes, ehe sie sie wieder ansah und darauf wartete, dass sie zu sprechen begannen.
Rikkar hatte noch etwas entgegnen wollen, doch das Erscheinen des Rates hielt ihn davon ab. Widerwillig schwieg er, wie alle anderen auch. Es war eine fast gespenstische Stille, bis Kryz das Wort ergriff. Selbst Thanos hatte aufgehört zu knurren. „Der Rat hat entschieden!“, offenbarte er. „Laryn wird die Initiation beschreiten.“ Hier und da ging ein Flüstern durch die Menge, doch es verstummte sehr schnell wieder. Jeder wollte hören, was der Rat beschlossen hatte. „Sollte sie erfolgreich sein, wird der Rat Tirzah einen Platz zugestehen.“ Er trat einen Schritt auf besagten Jäger zu. „Welches Zeichen wird sie tragen, sollte sie bestehen?“, fragte er ihn.
Scheinbar völlig emotionslos hörte dieser das Urteil. Damit lag großer Druck auf seiner Gefährtin, doch er wusste, dass sie es schaffen konnte. Auf Kryz Frage verzog er das Gesicht zu einem minimalen Lächeln. „Keines“, antwortete er. „Denn sie ist ebenso keinem Clan zugehörig, wie ich.“ Erneut ging ein Raunen durch die Menge, doch dieses Mal lauter. Und es hielt an. Das Zeichnen mit dem Blut der Beute war ein entscheidendes Merkmal der Initiation. Es zeigte, dass er es wert war, seinem Clan anzugehören. Wie sollte da sichtbar werden, dass sie tatsächlich siegreich gewesen war?
Tirzah wandte sich für einen Moment Laryn zu und suchte ihren Blick. Dann erst sah er wieder zum Rat. „Sofern sie kein eigenes Zeichen wählt, wird sie dem Rat den Schädel eines Xenomorphs bringen“, legte er fest.
Laryn hielt unbewusst ihren Atem an. Sie hatte keinen einzigen Moment daran gezweifelt, dass sie es nicht schaffen könnte... bis jetzt. Nun stand viel mehr auf dem Spiel, als ihr Leben. Ihr Erfolg wirkte sich auf Tirzahs rechtmäßigen Platz aus. Schaffte sie es nicht, würde er erneut verbannt werden oder schlimmeres! Nein, sie durfte auf keinen Fall verlieren! Nur kurz wandte sie den Kopf zu ihrem Gefährten, als sie seinen Blick auf sich spürte. Nur minimal nickte sie, schließlich hatten sie das Ganze schon größtenteils besprochen. Vielleicht sollte sie auch beides tun. Ein Zeichen tragen und den Kopf des Xenomorphs bringen.
Erneut ging ein Raunen durch die Menge. Tirzah ignorierte es. „Sollte der Rat Zeitpunkt und Ort bestimmt habe, weiß er, wo er uns finden kann.“ Damit machte er klar, dass sie keinen Fuß von Yautja-Prime setzen würden, bis der Rat Wort gehalten hatte. Gleichzeitig distanzierte er sie beide von allen anderen. Noch waren sie offiziell ausgestoßen. Er wandte sich um und nickte Laryn zu. „Komm Thanos“, sprach er den Dusoq an, der noch einmal demonstrativ knurrend in Richtung Rikkar schnappte und dann den beiden folgte.
tbc...