Der nächste Tag war zwar offiziell ein Feiertag ohne Pflichten, doch das traf leider nicht auf alle zu. Der Rat musste verfügbar sein. Und so raffte sich Tirzah auf. Er musste einiges prüfen. Zum Beispiel, wie viele Weibchen während der Feierlichkeiten verstoßen worden waren und wie viele davon angehende Jägerinnen waren. Das war ein Punkt, der wohl unvermeidlich gewesen war, doch das konnte leicht größere Kreise ziehen. Möglicherweise auch mit Konsequenzen, die das Gleichgewicht empfindlich stören könnten.
Laryn war wach geworden, als er aufgestanden war. Zum Abschied streichelte er ihr über die Wange. „Sammelst du nachher noch meine Rüstung ein?“, fragte er nach. „Ich fürchte, ich musste gestern Nacht eine Jägerin so hart umwerben, dass ich sie einfach verloren habe.“
Laryn verzog das Gesicht, als sie beobachtete, wie Tirzah begann, sich für den Tag bereit zu machen. Er streichelte so sanft über ihre Wange, dass sie ihre Augen schließen musste. Ihre Hand fing die seine auf. Genießend schmiegte sie sich in sie. Seine Worte trieben ein sanftes Lächeln in ihr Gesicht, das aber schnell wieder verschwand. "Was, wenn ich dich ans Bett fessle?", fragte sie. "Es wäre ein triftiger Grund warum du deinen Pflichten nicht nachkommen könntest."
Aber auch sie sollte eigentlich aufstehen und sich um Delia kümmern. Ein paar Stunden Training konnten sie bestimmt ablenken. Vielleicht auch eine Jagd. Da kam ihr schon eine andere Frage in den Sinn, die ihre Stirn runzeln ließ. Durfte sie denn nun bei Tirzah wohnen?
Er lachte leise. Nicht, dass er daran zweifelte, dass Laryn es fertig brächte ihn zu fesseln. „Die anderen Räte würden dann wohl ganz schön glotzen, wenn sie kommen, um mich zu suchen“, erwiderte er. Doch dann verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck. „Was bedrückt dich?“ Auch wenn er sich eigentlich auf den Weg machen sollte, stellte er diese Frage. Nur, weil er ein paar Minuten später kam, würde die Welt nicht unter gehen.
Völlig verblüfft, dass Tirzah sie aus den Gedanken riss, blickte sie ihn an. Natürlich. Ihm konnte sie nichts verheimlichen. "Ich... warum bist du noch da?", fragte sie und grinste ihren Gefährten spielerisch an. "Das hat bis später Zeit." Immerhin konnte sie ihn nun sehen, wann immer sie das Bedürfnis hatte. Sie mussten es nicht mehr geheim halten. Nie wieder. Liebevoll hauchte sie einen Kuss auf seine Handfläche. "Nach all dieser Zeit liebe ich dich immer noch so stark, wie am ersten Tag... geh endlich, sonst falle ich gleich wieder über dich her!"
„Du hast mich festgehalten“, scherzte er und entzog ihr letztendlich seine Hand. Nicht, dass er etwas dagegen hätte, sich erneut mit seiner Gefährtin zwischen den Laken zu wälzen, doch die Festlichkeiten waren vorbei und der Alltag sollte wieder einkehren. „Wir sehen uns später“, versprach er. Nun konnte er es. Sie waren vor allen verbunden. Niemand würde sie nun daran hindern können, sich zu sehen oder es hinterfragen. Und dann konnte sie ihm in aller Ruhe erzählen, was sie beschäftigte. Ganz so, wie es die letzten Jahrzehnte gewesen war.
Laryn lachte leise und öffnete demonstrativ ihre Hand, damit er gehen konnte. Auf sein Versprechen nickte sie. Wenige Minuten später durchquerte sie das riesige Haus von Tirzah. Es war gigantisch und dafür ausgelegt, dass ein Ratsmitglied alle seine Weibchen und Kinder bei sich haben konnte. Ein Platz, der bei ihrem Gefährten wohl verschwendet war. Mit ihr an seiner Seite wird sich ihm kein anderes Weibchen nähern können. Immerhin war ein wenigstens ein Zimmer an Ruthvak vergeben, der sich mit seiner Eroberung bestimmt noch im Bett befand. Kaum zu glauben, dass die beiden tatsächlich eine Freundschaft verband.
Ganz wie Tirzah sie gebeten hatte, sammelte sie seine Rüstung ein. Doch anstatt sie zu ihm nach Hause zu bringen, brachte sie sie in ihre Wohnung, die sie aus Rücksicht auf ihre Freundin leise betrat. Ihre Bemühungen stellten sich als sinnlos heraus, denn Delia saß wach auf ihrem Bett und streichelte Thanos, der seine Vorderpfoten auf ihrem Schoß abgelegt hatte.
"Hey...", begrüßte sie sie leise und legte die Rüstungsteile auf die Seite.
Delia sah auf, als Laryn herein kam. „Guten Morgen“, wünschte sie mit einem leichten Lächeln, doch als sie die Rüstungsteile sah, verfinsterte sich ihr Gesicht schon wieder. Thanos blieb einfach liegen und genoss das Streicheln. Er wandte den Kopf Laryn zu und klopfte mit dem Schwanz auf das Bett, machte aber keine Anstalten aufzustehen. Es war nicht so, dass ihm seine liebste Freundin egal war, doch in diesem Moment genoss er das Streicheln zu sehr.
„Danke, dass ich hier bleiben durfte“, sagte Delia, ohne aufzusehen. Es wäre für sie unerträglich gewesen in dieser Nacht ins Gemeinschaftshaus zu gehen, wo zu diesem Zeitpunkt nur die zu alten und zu jungen Weibchen anwesend waren. Wahrscheinlich wären auch ein paar ungebundene Weibchen aufgetaucht, wenn sie genug gefeiert hatten, doch nach ihrer Erfahrung waren die wenigsten Weibchen nach dem Fest allein.
Laryn erwiderte das Lächeln vorsichtig, auch wenn das ihrer Freundin bereits erstorben war. Sie setzte sich neben Delia und strich Thanos kurz über den schuppigen Kopf. Er genoss es wohl offensichtlich, so verwöhnt zu werden. Seine Schuppen hatte einen blau-grauen Ton angenommen. Ganz anders bei seinen aggressiven Stimmungen, in der sie sich feuerrot färbten.
„Heute ist der Trainingsplatz so gut wie leer“, erklärte Laryn. „Ein Jammer, dass wir das nicht ausnutzen werden. Wir werden jagen gehen.“ Es wäre Delias erste Jagd.
Augenblicklich ruckte deren Kopf herum. Meinte Laryn das ernst? Offensichtlich. „Aber...“ Es war nicht so, dass sie sich nicht auf ihre erste Jagd freute. „Ist das nicht zu früh?“, hakte sie nach, doch was sie eigentlich fragen wollte war: 'Bin ich schon soweit?' Sie hatte trainiert, doch ganz hatte sie ihre Pflichten gegenüber dem Clan und vor allem ihrer Kinder nicht vernachlässigen können. Sie fühlte sich nicht bereit für eine Jagd.
Laryn musste auf Delias Reaktion schmunzeln. Natürlich fühlte sie sich nicht bereit. Niemand war bereit für seine erste Jagd. „Ich werde bei dir sein“, beruhigte sie sie. „Du wirst zusehen und lernen. Vielleicht findest du heute deine erste Beute.“ Bei ihr selbst war es mehr Zufall gewesen, dass sie den Shamruk erlegt hatte. Lag es doch weniger an Tirzahs damaligen Unterricht, als an ihren genetischen Erinnerungen. Wären sie nicht gewesen, hätte das Tier sie ernsthaft verletzen können. „Aber ich kann nicht garantieren, dass du unverletzt bleibst“, warnte die Jägerin sie vor.
Delia schluckte, doch dann nickte sie. „Ich weiß“, antwortete sie fest. Eigentlich hatte sie auch keine Angst vor Verletzungen oder Schmerzen, doch sie hatte nicht erwartet, dass sie so bald auf ihre erste Jagd gehen würde. Sanft streichelte sie weiter über Thanos schuppigen Kopf, doch wirklich darauf konzentriert war sie nicht. Es war keine Angst, die sie verspürte, doch etwas ähnliches, das sie nicht benennen konnte.
Laryn stand auf und zog sich ihre Rüstung an. Die Messer brachte sie an Ort und Stelle. Wie gut, dass sie sich auf diesen Moment schon vorbereitet hat.
„Steh auf“, forderte die Jägerin. Jegliche Sanftheit war aus ihrer Stimme verschwunden. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, hielt sie Delia einen Gegenstand vor die Nase. Es war ein Dolch. Gut ausbalanciert, die Klinge scharf genug, dass es ohne Widerstand in jegliches Fleisch gleiten konnte. Die Scheide hatte sie selbst mit aufwendigen Mustern verziert. Ihre erste eigene Waffe.
Nicht ein Funken ihrer Unsicherheit war zu sehen, als Delia dem Befehl ihrer Meisterin gehorchte und aufstand. Wie gern würde sie behaupten, auch der Griff nach dem Messer wäre so furchtlos, doch sie zögerte nur einen winzigen Moment. Der Griff lag bequem in ihrer Hand. Sie zog die Klinge aus der Scheide und betrachtete sie. Ihre erste Waffe als Jägerin. Entschlossenheit blitzte in ihren orangegelben Augen auf, als sie die Klinge zurück schob. Sie sah Laryn an. „Ich werde mich würdig erweisen“, versprach sie.
„Das hoffe ich doch“, antwortete Laryn auf das Versprechen ihrer Schülerin. „Ich will es nicht bereuen, deine Rüstung in Auftrag zu gegeben zu haben.“ Die Jägerin zeigte ihr Schmunzeln nicht, sondern ging einfach voraus. Noch musste Delia eine vom Training benutzen. Sie passte ihr nicht, was nur darauf zurückzuführen war, dass die wenigsten Weibchen den Weg des Jägers lange genug folgten. Es war besser als keinen Schutz, aber dennoch nicht optimal. Für die nächsten Schritte, die sie geplant hatte, sollte sie jedoch eine passende bekommen. Thanos folgte ihnen. Sie war sich sicher, dass auch er heute jagen gehen würde.
Die Überraschungen hörten gar nicht mehr auf. Völlig perplex sah Delia Laryn hinterher. Ihre eigene Rüstung? Natürlich war das letztendlich Teil des Weges als Jägerin, aber so bald? Damit hatte sie nicht gerechnet. Nicht, dass sie es nicht zu schätzen wusste. Ihre jetzige Rüstung war zusammengestückelt und passte nicht wirklich. Die Tür war schon fast wieder zugefallen, als sich Delia wieder fasste. Schnell lief sie hinterher.
Nur kurz machten sie bei Delias altem Heim halt, wo sie ihre wenigen Besitztümer zusammenpackte und die geliehene Rüstung anlegte. Noch war es ruhig. Möglicherweise waren Makish und seine anderen Frauen noch auf dem Festivalplatz, doch das war gut so. Delia wollte keinem von ihnen begegnen.
Laryn stand ihrer Freundin in jeder Sekunde zur Seite. Sie half ihr die Sachen zu packen und ebenso zu tragen. Je schneller Delia eine Jägerin wurde, desto besser. Dann konnte sie ihr eigenes zu Hause aufbauen und wäre von niemandem mehr abhängig. Ebenso wenig ihre Kinder. Sie musste erfahren, dass bei einer Trennung die Obsorge der Kinder den anderen oder der neuen Gefährtin des Vaters zufiel. Etwas, dass sie nicht verstehen konnte. So sehr sie auch den Predator glich, sie war immer noch bei den Menschen aufgewachsen und hatte auch dort einige Vorstellungen von Moral übernommen. Vielleicht sollte sie mit Tirzah darüber reden. Er hatte ihr stets alles geduldig erklärt und nicht nur einmal überzeugt.
Nachdem Delia ihre Sachen bei ihr zu Hause verstaut hatte, gingen sie Richtung Wald. Wenige Jäger passierten ihren Weg, doch letztere Begegnung schaffte es, dass Laryn lächeln musste.
„Schon auf den Beinen, Rhutvak?“, fragte sie geradeaus.
Der Jäger lächelte zurück. „Ich fühle mich so lebendig, wie noch nie“, protzte er und ließ die Muskeln seiner Arme spielen. Es war die erste Nacht gewesen, die er in Gesellschaft von Weibchen verbringen konnte und er hatte sie in vollen Zügen genossen. Als er Tirzahs Aufforderung gefolgt war, die Venturas zurück nach Yautja-Prime zu führen, hatte er nicht damit gerechnet, dass die Weibchen die Angehörigen seines Clans überhaupt ansehen würden. Immerhin waren sie verbannt worden und damit ohne Ehre. Stattdessen waren es mehr als nur verstohlene Blicke, die sie ernteten. Nicht nur er hatte am vergangenen Abend mehr als ein Weibchen beeindruckt. Entsprechend lebhaft war seine Nacht gewesen.
Delia sah den beeindruckenden Krieger das erste Mal aus dieser Nähe. Und in diesem Augenblick rutschte es. Sie war nicht länger gebunden. Niemand würde ihr einen Vorwurf machen, wenn sie ihn lockte oder gar mit ihm Sex hatte. Indem Makish sie verstoßen hatte, hatte er ihr damit gleichzeitig die Freiheit geschenkt. Die Freiheit der eigenen Entscheidungen und nun würde sie selbst entscheiden, wann sie sich das nächste mal band.
Sie konnte nicht anders, als zu lachen. „Dass dir das alles ja nicht zu Kopf steigt“, warnte sie ihn spielerisch. „Ich besiege dich, ob mit ein paar dutzend Weiber oder ohne.“ Ein Scherz und nichts weiter. „Möchtest du dich unserer Jagd anschließen? Es wäre gut, wenn Delia nicht nur meine Ratschläge bekommen würde.“
Rhutvak erwiderte das Lachen. „Wir werden sehen“, gab er den Scherz zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust und besah sich die beiden Frauen vor sich. Delia fehlte noch eine passende Rüstung, doch Laryn war das Abbild einer Jägerin. Als sie vor über hundert Jahren vor ihm gestanden hatte, hatte er nicht erwartet, dass sie sich so gut machen würde, selbst da er ihre Herkunft kannte. Nun hatte sie beeindruckend bewiesen, dass sie ihr Erbe stolz trug und gab sogar ihr Wissen weiter. „Ich denke, die erste Jagd sollte unter Schülerin und Meisterin bleiben“, sagte er schließlich mit einem Lächeln. „Doch es wäre mir ein Vergnügen, meine Erfahrungen mit den jungen Jägerinnen zu teilen.“
Delia rann ein angenehmer Schauer den Rücken hinunter, als sie den Blick des großen Jägers sah, der sie betrachtete. Sollte sie? Nein, sie fand noch nicht den Mut zu locken. Noch nicht. Nicht, wenn das betreffende Männchen einem Ältesten nahe kam. Selbst, wenn sie keine Jägerin wäre, würde sie sich zu jung, zu unwichtig für ihn fühlen.
Laryn verbeugte sich leicht. Rhutvak mochte ein angenehmer Umgang geworden sein und sie scherzten oft miteinander, aber dennoch vergaß sie nicht, ihn auch zu respektieren. Er hatte es sich mehr als nur verdient. "In diesem Fall auf Bald, Rhutvak", verabschiedete sie sich. "Genießen deinen Tag in vollen Zügen."
„Viel Erfolg bei der Jagd“, wünschte er im Gegenzug und neigte ein Stück den Kopf zum Gruß. Dann setzte er seinen Weg zum Trainingsplatz fort. Nachdem er zu Beginn noch skeptisch gewesen war, ob es eine gute Idee wäre, die Weibchen darin zu bestärken, Jägerinnen zu werden, gefiel es ihm immer besser. So würden nicht nur die Jagdtalente des Vaters auf die Jungen übergehen, sondern ebenso die der Mutter. Konnte es einen besseren Weg geben, das Volk zu stärken? Nun, besser schon, doch dieser war ihnen für immer verwehrt. Doch es war ein guter Weg.
Delia tat es Laryn gleich und verneigte sich, doch sie kam nicht umhin dem Anführer der Venturas hinterher zu sehen, als er ging. Ihr drängte sich die Frage auf, ob sie für jemanden wie ihn die Ausbildung zur Jägerin sein lassen würde, doch sofort wurde ihr bewusst, dass die Antwort darauf 'nein' war. Nicht, nachdem sie schon so viel dafür hatte geben müssen und nicht, nachdem sie so viel Spaß und Ehrgeiz entwickelt hatte. Sie wollte jagen gehen und frei sein.
Laryn war schon weitergegangen, als ihr auffiel, dass Delia ihr nicht mehr folgte. Nur kurz warf sie einen Blick zurück zu ihrer Freundin, ehe sie sich wieder auf den Weg konzentrierte. War sie inzwischen einem Venturas je näher als ein paar Meter gekommen? Rhutvak selbst war ein sehr beeindruckender Zeitgenosse und übertraf mit seiner Größe nicht nur sie, sondern ebenso Tirzah, der auch für die Bewohner Yautja-Prime ungewöhnlich groß war, um ein paar Zentimeter. Dementsprechend stark war er auch.
"Beeil dich", wies sie Delia an.
Laryns Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Ja!“ Sofort lief sie ihrer Meisterin hinterher. Eine Weile setzten sie ihren Weg schweigend fort. In Delia rannten die Gedanken um die Wette. Fragen, Vermutungen, Unsicherheiten, die sie ausräumen wollte, doch sie fand keine Worte dafür.
Laryn verzog das Gesicht, als sie auf die Schritte von Delia lauschte. Sie waren alles andere als leise und wenn sie sich bemühte, klang dies auch anders. Es war nicht so, als hätte sie selbst das nach wenigen Wochen gekonnt. Neben ihrem Gefährten kam sie sich manchmal immer noch vor, wie ein tollpatschiger Elefant. Laryn blieb stehen und blickte zu Delia zurück. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihr gleich, dass sie mit den Gedanken nicht bei der Jagd war.
"Delia", kam es ihr mahnend und mit strenger Miene. "Wo sind deine Gedanken?"
Die Angesprochene zuckte zusammen und beeilte sich, aufzuholen. „Verzeih“, bat sie. „Es...“ Einen Moment stockte sie. „Es ist nicht wichtig. Zumindest nicht im Moment.“ Im Moment war die Jagd wichtig. Wenn sie sich nicht darauf konzentrierte, dann würde sie ganz sicher verletzt werden. Ganz gleich, was sie für Fragen hatte, sie konnten warten. Vor allem darauf, dass sie sie in vernünftige Worte fasste.
Energisch drängte sie alles, was sie ablenken könnte, in die hinterste Ecke ihres Verstandes. Das hier war ihre erste Jagd, verdammt. Da sollte sie sich anstrengen, lernen und vor allem all ihre Fähigkeiten nutzen und nicht irgendwelchen Dingen nachhängen, die sie ohnehin noch nicht benennen konnte.
"Dann konzentrier dich", verlangte Laryn.
Als sie nach ein paar Stunden zurückkehrten, kamen sie ohne Beute. Delia hatte viel übers Spurenlesen und Tarnen gelernt, ebenso gewissen Zeichen zu deuten. Doch auf einen Kampf hatte Laryn es nicht ankommen lassen. Ein Schritt nach dem Anderen. Erst, wenn sie sich hundert Prozentig sicher war, würde sie Delia wirklich ein Tier angreifen lassen. Es war also trotz leeren Händen ein erfolgreicher Tag gewesen. Und für wenige Minuten hatte Laryn ihre Freundin ablenken können.
"Wie fühlst du dich?", erkundigte sie sich, als sie den Wald verließen und die Stadt betraten.
Delia ließ sich auf das Bett fallen. „Erschöpft“, antwortete sie nach einem Moment lachend. Sie hatte nicht geglaubt, dass es so anstrengend sein konnte, durch den Dschungel zu pirschen. Tief durchatmend ließ sie sich hintenüber fallen und blieb mit ausgestreckten Armen liegen. Es war nicht das gewesen, was sie erwartet hatte, doch sie waren Spuren gefolgt und hatten sich an einige Tiere angepirscht. Auch ganz ohne Beute war Delia zufrieden. Wobei sie nicht behaupten könnte, sie würde sich nicht darauf freuen, wenn sie endlich Beute erlegen durfte.
„Warum hast du es mir eigentlich nicht gesagt?“, fragte sie plötzlich. Als ob die Jagd ihre Gedanken sortiert hätte, fiel es ihr mit einem Mal leicht, sie in Worte zu fassen.
"Was habe ich dir nicht gesagt?", fragte sie, als sie sich auf den Boden kniete und Tirzahs Rüstung auf den Schoß zog. Liebevoll begann sie sie zu putzen. Es war ein Ritual für sie, sich nach der Jagd um ihre Utensilien zu kümmern. Aber irgendwie hatte sie das Bedürfnis zuerst Tirzahs zu putzen und zu pflegen.
Delia stützte sich auf ihre Unterarme. Sofort sah sie, dass ihre Freundin die Rüstung ihres Gefährten an sich genommen hatte und sie putzte. Ohne Hast drehte sie sich um, so dass sie auf dem Bauch liegen konnte und Laryn trotzdem sah. Den Kopf stützte sie bequem auf. Nur leicht nickte sie zu den Rüstungsteilen auf dem Boden. „Dass du schon einen Gefährten hast.“ Es war nicht nur einmal vorgekommen, dass sie sie danach gefragt hatte, doch immer war Laryn ausgewichen oder hatte gemeint, dass sie keinen Gefährten wollte. Nun wusste Delia weshalb. Der clanlose Rat Tirzah, Ältester, ehemals Cleaner, Jäger, war ihr Gefährte und dieser hatte getan, was nur wenige der ältesten Jäger taten. Er hatte sich ein einziges Weibchen auserkoren und sich an sie gebunden. Deshalb war das riesige Haus von Tirzah nahezu leer.
Nun, da sie es wusste, fragte sich Delia, warum sie das nicht schon früher bemerkt hatte. Andererseits fragte sie sich das wohl nur, weil die beiden ihre Beziehung nicht länger geheim hielten.
Laryn konnte nicht anders, als auf Delias Worte zu schmunzeln. Ohne den Blick von ihrer Arbeit zu heben, machte sie sich an eine Antwort:
"Es wäre eine Sensation gewesen. Der große Tirzah hat sich nicht nur an ein clanloses Weib gebunden, sondern ebenso an ein Relikt, das nicht existieren dürfte. Ich konnte kein Risiko eingehen. Hätte der Rat es vorher erfahren, hätten wir erst gar nicht nach Yautja-Prime zurückkehren müssen."
„Ich meinte ja auch nicht, dass du es gleich allen sagen solltest“, winkte sie ab. „Aber du hättest dir meine ewige Fragerei sparen können...“ Delia richtete sich auf und begann ihre eigene Rüstung abzulegen. Rein technisch gesehen gehörte sie ihr nicht, sie war Gemeingut, doch gerade deshalb musste sie sich darum kümmern. Um das Bett nicht zu versauen, ließ sie sich auf den Boden rutschen, so dass sie Laryn quasi gegenüber saß. Sorgfältig begann sie mit der Pflege.
"Ich kannte dich nicht so gut wie jetzt, Delia", erklärte sie weiter. "Ich wusste nicht, ob du es für dich behalten würdest. Deshalb habe ich geschwiegen. Und einerseits..." Laryn strich über die Rüstung und seufzte. "... einerseits macht es tatsächlich keinen Sinn, dass ich mir einen Gefährten suche. Ich bin nicht in der Lage, Kinder zu kriegen. Welcher Jäger würde mich schon haben wollen? Tirzah ist... ich-... ich kann es nicht verstehen, Delia. Und andererseits will ich es auch nicht verstehen. Ich will einfach nur ihn. Wäre mein Verlangen nach diesem Mann nur halb so stark, könnte ich ihn von mir stoßen. Hätte ich es doch damals nur getan..." Die kreisenden Bewegungen hielten sie ruhig. So sehr sie auch über die Beziehung zu ihrem Gefährten geschwiegen hatte, es schien plötzlich alles nur aus ihr hervor zu brechen. "Ihm wäre vieles erspart geblieben. Er hätte es nicht geheim halten müssen, dass er eine Gefährtin hat. Er hätte nicht erfahren, wo die Venturas gelebt haben und er wäre nicht verbannt worden. Alles was ihm die letzten Jahrzehnte widerfahren ist, ist allein meine Schuld und... dennoch stand er heute morgen auf und ließ seine Finger über meine Wange gleiten. Es... stört ihn nicht einmal, dass ich ihm keine Nachkommen schenken kann. Er ist-... er ist-" Ihr fehlten die richtigen Worte. "... einfach verrückt."
Während sie zuhörte, kam Delia nicht umhin zu schmunzeln. Selbst wenn es nicht die gleichen Begebenheiten waren, doch jedes Weibchen sollte so von ihrem Gefährten schwärmen. Sorgfältig polierte sie einen leichten Kratzer weg. „So wie ich das sehe, ist er nicht clangebundener als du“, gab sie ihre eigene Meinung kund. „Es gibt Spekulationen über Tirzah, seit ich denken kann“, erzählte sie. „Was nicht verwunderlich ist, da ich noch so jung bin. Er hat sich nie einen Harem angesammelt und hätte er auf den Fruchtbarkeitsfesten keine Weibchen umworben, gäbe es sicher Vermutungen, ob er überhaupt in der Lage wäre, sich fortzupflanzen. Bis zu seiner Verbannung gab es sogar einen Wettbewerb unter den ungebundenen Weibchen. Jede wollte diejenige sein, die er schließlich zu seiner Gefährtin erklärt.“ Sie sah auf. „Angesichts der Tatsache, dass er seinen Standpunkt jetzt wohl klar gemacht hat, dürfte dieser Wettbewerb endgültig vorbei sein.“
Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Rüstung. „Hättest du denn gern Kinder?“
Laryn schüttelte sacht den Kopf, als bei Delias Worten doch tatsächlich ihre Eifersucht zu brodeln begann. Immerhin konnte sie nun jedem Weibchen klar machen, dass es sich mit ihr anlegte, wenn es um Tirzah warb. Die Frage ihrer Freundin schaffte es, dass sie innehalten musste. Ihre Blicke trafen sich und sie lächelte traurig.
"Ja", gab sie zu. "Ich... hätte wirklich sehr gerne Kinder. Aber so wie es scheint, ist es nicht mein Schicksal. Ich bin Jägerin und etwas anderes kann ich nicht sein."
Einen Moment lang hielt Delia in ihrer Arbeit inne. Es bedrückte Laryn sehr, das spürte sie. Kein Wunder. Sie selbst konnte sich nicht vorstellen, ohne Kinder zu sein. Selbst wenn sie jetzt Jägerin war, wollte sie sich dennoch nicht von der Aussicht auf einen Gefährten abhalten lassen. Es gab sicher Jäger, die die Idee einer weiblichen Jägerin nicht so ablehnten. „Ich wünschte, Janna könnte hier sein“, sagte sie schließlich leise. Nicht nur um ihrer selbst willen, auch für Laryn.
Laryn schmunzelte und legte ihre Hand auf den Oberarm ihrer Freundin. "Dann liegt es an mir, aus dir so schnell wie möglich eine Jägerin zu machen. Sobald du deine Initiation bestanden hast, wirst du dein eigenes Haus haben." Thanos schnaubte, als könne er dem Gerede der Frauen nicht mehr zuhören und leckte prompt Delia über die Wange.
Delia lächelte sacht, als Thanos sie tröstete. „Ich werde mich als würdige Schülerin erweisen“, versprach sie und ergriff Laryns Hand. Zwar glaubte sie nicht, dass sie es schaffen würde, bevor Janna erwachsen war, doch sie konnte es versuchen.
tbc...