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Leopold Wilhelm Witsch VI. stammt aus einer Dynastie von Kohlehändlern. Über vier Generationen hinweg betrieben sie den Handel und besaßen ein kaiserliches Monopol für Kohle, das "schwarze Gold", und waren k.u.k. Hoflieferanten. Sein Ururgroßvater, Leopold Franz Witsch III., war als "Kohlebaron" bekannt. Sein Urgroßvater errichtete Zinshäuser in der Vorstadt und war an der Errichtung der neuen Gasbehälter um 1904 in verschiedenen Bezirken beteiligt, wo Tonnen von Kohle in Stadtgas umgewandelt wurden.
Leopold Wilhelm Witsch VI., fortan kurz Leo genannt, ist der Letzte seiner Linie, da er seinen Sohn Martin und nicht nach der Familientradition benannt hat, was das Ende der Reihe "Leo Witsch & Sohn" nach sechs Generationen bedeutet. Die Hausmauern und das Kohlegeschäft, für die es einst üblich war, den Erstgeborenen nach dem Vater zu benennen, in der Hoffnung, dass er das Geschäft fortführt, sind nicht mehr vorhanden. Das Erbe, das die vorherigen Generationen aufgebaut hatten, ging durch Leos Großvater, den Vierten, verloren – verspielt an Besatzungssoldaten und einige andere geschickte, doch skrupellose Geschäftsleute. Das Wohnrecht für die ehemalige Hausherrn Wohnung der Familie Witsch war zumindest gesichert.
Noch vor der Geburt von Leo floh er in der Nacht mit der Hochzeitskutsche und einer alten, lahmen Stute, die nicht im Krieg requiriert worden war, nach Deutschland. Er unterhielt gute Beziehungen zur Besatzungsmacht, insbesondere zu den Amerikanern, mit denen er einen blühenden Handel mit ausgemusterten Lastkraftwagen pflegte. Man sagt, er sei die Inspiration für das Buch "Ami-Go Home" gewesen.
Wie alles begann: Es war der 15. Oktober 1950:
An diesem Sonntagnachmittag schlenderten zwei junge Frauen durch das neu gestaltete Flussbett des Schwarzbaches. Renate, 17 Jahre alt und für ihr Alter ungewöhnlich reif, und Inge, die kleiner und zierlicher war. Die beiden ungleichen Arbeitskolleginnen – beide Näherinnen – genossen ihre gemeinsame Zeit. Inge hatte den Eindruck, dass Renate ihre Gesellschaft bevorzugte, weil sie neben ihr noch anziehender wirkte: eine voll entwickelte Frau im Vergleich zu ihrem mädchenhaften Aussehen. Doch Inge störte das nicht; sie war einfach froh, ein paar Stunden dem Zuhause entfliehen zu können. An einem windgeschützten, sonnigen Platz setzten sie sich nieder, um die Sonnenstrahlen zu genießen. Ein Stück entfernt saß ein junger Mann, der durch sein Rennrad auffiel – ein für die damalige Nachkriegszeit sehr seltenes Gut. Doch es gab noch etwas, das die Aufmerksamkeit der beiden Mädchen auf sich zog. Zumindest Inge ihn fixierte, denn er hatte ein Brot dabei – und dazwischen lag ein Schnitzel, ein echtes paniertes Wiener Schnitzel! Nach einem ersten Blickkontakt und einem Lächeln setzte sich Renate und Inge zu ihm. Er schien Inges Blick auf sein Brot zu bemerken, riss es schließlich auseinander und reichte ihr ein Stück. Renate begann ein Gespräch mit ihm; anfangs war er etwas zurückhaltend, doch schließlich gelang es ihr, ihn zum Reden zu bringen – sein Name war Leopold. Renate gab ihr Bestes, lächelte verführerisch und gewährte sogar Einblicke in ihre imposante Oberweite, doch sie schien dieses Mal nicht erfolgreich zu sein. Leopold hatte nur Augen für Inge, die ihn später sogar nach Hause begleitete. Sie kurze Fahrradtouren zusammen auf dem Rad, wo es die Fahrbahn zuließ. Er sprach von einem Gericht – Schweinsbraten mit Kraut und Knödeln – das Inge noch nie gegessen hatte und das es bei ihm heute geben soll. Er lud beide ein, doch Renate mochte keinen Schweinsbraten und war zudem beleidigt.