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In einem fensterlosen Raum steht ein quadratischer Tisch, an dem zwei Personen einander gegenübersitzen. Die Stahltür ist verschlossen, und eine runde Neonlampe erfüllt den Raum mit weißem Licht. Klassische Musik spielt aus einem Kassettenrekorder in ungewöhnlich hoher Lautstärke. Auf dem Tisch befinden sich ein kleines Diktiergerät, zwei Flaschen Cola, ein aus der Folie einer Zigarettenpackung gefertigter Aschenbecher, und die beiden Personen beugen sich eng zueinander. Einer ist ein korpulenter Mann in fortgeschrittenem Alter, der andere ist Leo, der in sieben Monaten 19 Jahre alt wird.
>>Max sprach sehr positiv über sie; er ist überzeugt, dass niemand besser für diesen Job geeignet ist. Ihre Loyalität, ihr Mut und ihre Charakterfestigkeit machen einen Wechsel ihrerseits auf die andere Seite unwahrscheinlich. Er äußert sich auch mir gegenüber, dass sie ihm auch etwas Schuldig währen, er dies nie ausnutzen würde, um sie unter Druck zu setzen, nur erinnern! – das war ihm wichtig, dass ich es betone.
Alle diese Pläne waren bereits für den 20. Juli des vergangenen Jahres vorgesehen. Die Operation "Sonnenfinsternis" war ursprünglich für diesen Zeitpunkt geplant, doch unerwartet fanden sie sich plötzlich in Lignano wieder. Sie reisten mit ihrer unerwiderten Liebe dorthin, verliebten sich schnell in eine Italienerin und wurden wegen dieser bereits am vierten Tag niedergeschlagen. Ein Krankenhausaufenthalt folgte, sie verliebten sich erneut, wurden dann am Strand im Schlaf beraubt. Sie nahmen einen Job an, lieferten frühmorgens Brötchen aus, um Geld für die Heimreise zu verdienen. Doch dann? Schon wieder eine neue Liebe, die sie auch noch mit nach Hause nehmen mussten. Aus dem fünftägigen Arbeitsurlaub wurden 42 Tage, was unsere Pläne durchkreuzte. Das Unternehmen, das Max aufgebaut hatte, hing von ihnen ab, sie waren unser Joker bei diesem Vorhaben. Nun, wir brauchen einen Leo, der bereit ist, eine enge Beziehung mit einer zwar schwarzhaarigen, aber sehr attraktiven Frau einzugehen.
Wir haben daher einen Ersatz namens "Burli" gefunden, der wurde jedoch vor drei Monaten erschossen. Es handelt sich um einen Auftrag, der durchaus lebensgefährlich sein kann. Aber Max ist der Meinung, dass das, sie niemals davon abhalten würde, mitzumachen.
Aber jetzt zu ihnen: Dieses Mal sind ihre Aussichten aus der Sache mit einem Freispruch heil aus der Sache zu kommen sehr gering. Ihr Gegner ist der Sohn eines einflussreichen Stadtpolitikers und aufgrund Ihrer Vorgeschichten ist die Wahrscheinlichkeit einen fairen Prozess zu bekommen, eher gering. Die Anklage wird höchstwahrscheinlich auf schwere Körperverletzung lauten, aufgrund des verlorenen Zahnes und der vielen anderen Verletzten, die es bei der Auseinandersetzung gegeben hat. Das könnte eine Freiheitsstrafe von drei bis fünf Jahren nach sich ziehen.<<
>>Das war aber das Überfallkommando! Die haben einen jeden niedergeknüppelt, der noch stand!<<
>>Es ist nachvollziehbar, dass sie verärgert waren, denn ich habe die Berichte bereits gelesen. Zu Silvester, anstelle mit Sekt auf das neue Jahr anzustoßen, wurden sie zu einem Einsatz gerufen! Vierzehn Stockwerke hoch durch ein enges Treppenhaus, woraufhin sie verständlicherweise dann auch ihren Frust herausließen. Es war sicherlich nicht angemessen, aber vielleicht können wir in Zukunft mit Ihrer Unterstützung und Hilfe eine Veränderung herbeiführen?
Bevor ich eine Entscheidung treffe, gibt es noch einige Unklarheiten, die ich nicht verstehe. Es gab 15 Verhandlungen mit der Anklage; § 3 Notwehr, und jedes Mal, in Notwehr freigesprochen. Wie genau das zustande kam, ist für mich momentan nicht von Interesse. Was mich beschäftigt, sind die drei Fälle von Notwehrexzess, die nach § 33 StGB angeklagt wurden. Obwohl ich kein Jurist bin, habe ich mich informiert und verstanden, dass in diesen Fällen sie zu den Personen, die beteiligt waren, keine mildernden Mittel zur Verteidigung eingesetzt haben, sie aber dennoch freigesprochen wurden.<<
>>was wollen sie wissen?<<
>>25.03.1967, ein Samstag, 23.38 Uhr? Kölblstraße?<<
>>Das war so! Ich fahre mit der Straßenbahn nach Hause, stehe vorne im alten Triebwagen und blicke hinüber – vis-à-vis, nur zwei Meter entfernt, in den neuen Wagen, mit den AUtomatischen Türen. Und der Schaffner zeigt kein Interesse daran, was in den ersten beiden Sitzen vorne passiert.<<
>>was ist da passiert?<<
>>eine junge Frau und ein Mann, streiten. Er schägt ihr ins Gesicht. Dann nimmt er ihre Hand, hält sie fest und zieht ihr die goldenen Armreifen hinunter. Habe nichts hören können, aber gesehen das es ihr weh tat. Und dann plötzlich greift er auch noch zu ihren Ohrinnge und reißt ihr diese einfach runter, so richtig brutal. Sie hat auch gleich geblutet. Der Schaffner auf sein Kien gestützt und gelesen, auch wohmöglich sich dabei die Ohren zugehalten. <<
>>was haben sie gemacht?<<
>>Bin natürlich an der nächsten Station ausgestiegen, den Knopf gedrückt, damit die Tür aufgeht, zur Notbremse gegangen, diese gezogen und den Mann von der Frau weggestoßen. Er war schnell wieder auf den Beinen, zog einen Schlagring auf und traf mich an der Stirn; man kann die Narbe über der Augenbraue heute noch sehen. Ich bin im Park und auf den Straßen aufgewachsen, daher bin ich solche Dinge auch irgendwie gewohnt, gelernt genau so etwas wegzustecken. Und ich bin ja auch kein Ministrant, trage einen Schlüsselbund bei mir, der so geformt ist, dass er die Handfläche innen komplett ausfüllt und ein kleiner Schlüssel, zwischen kleinen und Ringfinger herausragt. Ich habe mich damit verteidigt. Ich trat ihm so lange in seine Männlichkeit, bis seine Frau mich von ihm wegdrängte. Entschuldigung, aber ich kann bei so etwas nicht einfach wegschauen. Geht es mich nichts an? Wie hätte ich sonst reagieren sollen, wenn nicht einzuschreiten? Die Richterin undauch der Staatsanwalt hat es genauso gesehen. Letztendlich wurde ich als ersters von ihm verletzt, ich habe mich nur gewehrt. Er musste mir sechstausend Schilling Schmerzensgeld zahlen und ich wurde freigesprochen.<<
Der Ministerialrat nickte, schien beeindruckt.
>>um es kurz zu machen, bei den Ex Ehemann dieser Hilde, noch offiziell verheiratet, aber in Scheidung lebend, so ähnlich gelagert? <<
>>Ja, genau, er verlangte von ihr die ehelichen Pflichten, weil sie noch nicht rechtskräftig geschieden waren. Er war stark alkoholisiert, was später bei der Verhandlung als strafmildernder Umstand gewertet wurde. Mit seinen 90 kg stand er ihr, die knapp 48 kg wog, gegenüber – das Ergebnis war vorhersehbar, oder? Gerechtigkeit muss in jedem Fall warten, auf später verschoben werden – existiert sie überhaupt in der Justiz? Ich fuhr zu ihm, denn das muss sofort geahndet werden; kein guter Anwalt sollte das beschönigen. Bei dieser Auseinandersetzung wurden wir beide verletzt. Er schwerer, da er mit dem Rücken auf den Couchtisch gefallen war. Bei mir wurde es Notwehrüberschreitung, weil mir bekannt war, dass er schwerer und größer war als ich und ich trotzdem diese Auseinandersetzung, absichtlich herbeigeführt habe. <<
Der Mann namens Bodo blickte jetzt auf seine goldene Uhr;
>>Ich möchte nun zum Ende kommen, ich vertraue Ihnen und auch den Ausführungen von Maximilian. Herr Witsch, unsere Stadt und unsere Justiz dienen, wie Sie selbst sagten, nicht mehr den Bürgern dieser Stadt, sondern es hat sich eine Parallelgesellschaft entwickelt, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert. Ich habe eine Vollmacht des Bundespräsidenten; jede Person, jede Organisation, die im Staatsdienst steht, ist verpflichtet, mich zu unterstützen, mit Unterschrift und Siegel. Nur, das alleine hilft mir nichts. Wir brauchen jemanden, der sich in diesem Milieu umsieht, recherchiert und Beweise sammelt, um die Situation zu ändern. Max' Plan scheint passend und auf Sie abgestimmt zu sein; er glaubt, dass Sie sich dabei wohlfühlen werden. Wenn Sie zustimmen, können Sie gleich mit mir kommen. Innerhalb einer Stunde befinden Sie sich in einer Privatklinik, die sich um Ihre Verletzung kümmert. Max wartet bereits auf Sie im Café gegenüber.<<
>>Ja, okay, aber was genau muss ich machen?<<
>>Max wird ihnen alles erklären, aber es wird heute noch ein Zuhälter mit sehr viel Rauschgift im Auto erwischt, so viel, dass er einmal für mindesten 8 bis 10 Monate in U-Haft kommt. Sein Mädel werden sie übernehmen und auf sie Aufpassen, sie werden ihr Zuhälter.
Ein gewisser Freddie wird sie als Sohn seiner ehemaligen Geliebten in die Gesellschaft einführen. Er wird morgen für sie 50.000 als Kaution hinterlegen, sodass es für die Presse morgen zu spät sein wird, darüber zu berichten, und wir haben einen ganzen Tag Zeit, sie einzuschulen.
Ein einflussreicher Rotlichtboss in der Stadt, er ist Besitzer zahlreicher Nachtclubs, hat eine Stieftochter. Der Kontakt zu ihrer Mutter besteht schon lange nicht mehr, da sie in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Doch an seiner Tochter hängt er sehr. Und sie sind ein attraktiver und vor allem interessanter junger Mann, und es wird der Tag kommen, an dem sich Ihre Wege kreuzen – Max oder Freddie wird dafür sorgen.
Wir sind übrigens nur mit ihnen, vier Personen, die an dieser Action beteiligt sind. Finanziell habe ich einen großen Rahmen bekommen, aber sollte man sie irgendwann einmal auf eine Wachstube mitnehmen oder sie mit sonstiger Exekutive zusammenkommen, dürfen sie nicht erwarten, dass jemand von uns für sie etwas tun kann. Dass sie uns nicht verraten werden, ist für uns sowieso gewiss. Ansonsten wir alle vier mit Betonpatschen in der Donau stehen. Also? Höre ich da in dieses Tonbandgerät ein Ja, ich bin bereit, ich mache mit? <<
Der Justizwachebeamte zeigte kein besonderes intelligentes Gesicht, wie ihm der Ministerialrat erklärte, dass Leo mit ihm kommen würde. Leo wandte ein, dass seine Lederjacke noch im Zimmer sei.
„Wir haben eine komplett neue Garderobe und vieles mehr für dich gekauft, lass die Jacke, komm schon!“