Prolog: Karg und voller Reichtum
Dieses Land ist wohl eines, das nur ein Zwerg lieben könnte – einer jener Kreaturen, die einzig Gold und Edelsteine als Schönheit anerkennen und die Finsternis unter dem Gestein lieben. Denn an der Oberfläche ist das Gebirge Barkan’dor so finster, wie ein Reich nur sein kann.
Graubraune Gipfel recken sich nach den Wolken eines schweren Himmels, wie kahle Häupter bestanden mit einzelnen, dürren Kiefern, die nur offensichtlicher machen, dass kaum etwas auf dem harten Felsen wachsen kann.
Tiefe, klaffende Gruben gibt es hier, die kaum als Täler zu bezeichnen sind. Spalten und Löcher, gefüllt mit Erde, in die nur wenige Samen fallen. Hier waren Gräser, hart wie Draht, oder sturmgeplättete Blumen, deren Blüten mit der Zeit immer blasser und kleiner wurden. Es scheint, dass alles Leben in diesem Reich verdorrt. An Tieren überleben hier nur braune, rattenähnliche Nager oder dürre Ziegen, zu stur, um der Schwerkraft zum Opfer zu fallen. Geier nisten in den höheren Felsnischen, die einzige Art von Leben, die nicht verkümmert, sondern stattdessen riesig wird. Oft sieht man diese mächtigen Wesen um die Klippen kreisen, die von Zeit und Wind zerfressen sind, und oft hört man ihre hohen, klagenden Rufe, wenn sie ihre Artgenossen von weither zu einer Mahlzeit im Dreck rufen.
Die Lebewesen in diesem Land sind gedrungen, zäh und hart, und ebenso sind die Zwerge. Ein langlebiges Volk, doch kaum halb so groß wie ein Mensch. Haar und Bart sind so wirr wie die Äste der windgepeinigten Kiefern. Ihre Knochen sind hart wie das Gebein der Berge selbst und ihre Herzen finster wie die Höhlen und Tunnel, in denen sie hausen. Ihre Augen jedoch strahlen wie die Edelsteine unter der Welt.
Sie sind ein merkwürdiges Volk. Finger, kurz und breit, die sich nicht für feine Arbeiten zu eignen scheinen – und doch erschaffen sie Kunstwerke von erlesener Schönheit! Sie können hartes Eisen zu einem filigranen Schmetterlingsflügel formen, so leicht, dass er scheinbar jederzeit abheben könnte. Ganz ohne Schmetterlinge in ihrer düsteren Welt zu kennen. Und obwohl die Arbeit zart und zerbrechlich wirkt, kann eine Faust sie kaum vernichten.
Die Zwerge bannen einen ganzen Sternenhimmel in eine Kette voller Edelsteine und sperren die Sonne in ihre Laternen unter der Erde. Sie leiten das Erdblut in Flüssen durch ihre Städte, damit die Lava sie wärmt und ihre Schmieden befeuert, so leben sie Seite an Seite mit dem glühenden Tod. Doch Lava ist eine der wenigen Dinge, die einen Zwerg töten können. Denn dem Altern widerstehen sie für Jahrhunderte, als würden sie sich einfach vor dem Wind der Zeit beugen und ihre Blüten einziehen, damit sie nicht abgerissen werden.
Kaum ein Mensch hat je ihre verborgenen Städte erblickt, jene Wunder unter der Erde, deren Existenz viele bezweifeln. Wie kann es unter dem Gebirge, das so tödlich, schroff und leer ist, ein blühendes Imperium geben? Wie kann etwas anderes als Mangel und Elend hier gedeihen?
Doch es gibt Reichtum in Barkan’dor, wie ihn ein sterbliches Herz kaum fassen kann. Gold, Silber und Edelstein warten, eingeschlossen in einem Grab, auf den Tag, da man sie befreit.
Barkan’dor schenkt seinen Bewohnern alles, was sie benötigen. Diese müssen nur lernen, danach zu graben. Es ist eine mühsame und gefährliche Arbeit. Minen sind verästelte Labyrinthe ohne Schilder, wo die Zwerge ihre Wege kennen müssen. Einstürze drohen jederzeit, denn die einzigen Stützen hier unten bestehen aus dem brüchigen Holz jener wenigen Kiefern, deren Wurzeln sich aus dem Gestein lösen lassen. Erst in den Städten, wo wertvolle Gesteine und importierte Kostbarkeiten vorherrschen, löst sich der beklemmende Druck der Klaustrophobie. Der Wanderer ist selbst auf ein Juwel gestoßen, einen besonderen Edelstein, ein Diamant in einem Nest aus Kohle, unter härtesten Bedingungen zur Perfektion gepresst.
Er ist fast noch wertvoller als der Schöpferstein, der in der Stadt Barkan’dor geschützt wird. Ein magischer Stein mit einer finsteren Kraft …