Du bist Karja Sturmvogel.
„Eine Aufführung ist so verrückt, das könnte glatt funktionieren“, gibst du zögerlich zu. Die beiden Kalynorer dir gegenüber nicken bekräftigend. Im Duo sind sie unerträglich!
„Außerdem sind wir so noch nie vorgegangen“, fügt Elred hinzu. „Die Zwerge sind ja nicht dumm. Sie rechnen damit, dass wir auftauchen werden.“
Das stimmt. „Die Geschichten über eure Taten haben sich mittlerweile sicherlich verbreitet, erst recht hier.“ Du rückst grinsend die falsche Augenklappe zurecht. „Aber damit rechnen sie nicht.“
„Wo würden wir denn überhaupt anfangen?“, fragt der Elf eifrig.
„Aufführungen gibt es hier häufiger“, erklärst du. „Wir müssen uns allerdings beim Anführer der Wache anmelden. Dafür sollten wir wissen, was wir aufführen wollen.“
„Doch nicht etwa tanzen?“ Elred wird bleich.
„Singen kann ich schon mal nicht“, sagt Brenna.
Du muss lachen. „Ich dachte eher an eine Geschichte. Die Zwerge stehen auf alte Geschichten und so. Legenden über ihre Volkshelden. Ich kenne ein paar, ich brauche nur etwas Zeit, um die zu sortieren. Ihr beide solltet euch so lange überlegen, wie wir den Schöpferstein verstecken, wenn es so weit ist!“
Elred nickt. Somit trennt ihr euch, um eure jeweiligen Aufgaben zu erfüllen und euch vorzubereiten.
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Du arbeitest hart und schreibst ein ganzes Theaterstück. Dann prügelst du deinen Begleitern den Text innerhalb weniger Stunden ein, sodass ihr schon in kürzester Zeit auf die Bühne treten könnt. Das ist keine Seltenheit. Viele reisende Schausteller schätzen die Bühne vor dem Thron als einzigartigen Schauplatz. Die Wachen sind kein bisschen verwundert, als ihr die Stufen hinaufsteigt. Die Anmeldung war auch problemlos.
Rasch strömen einige Zwerge und Händler herbei, um euch zuzusehen. Du grinst. Solche Gelegenheiten sind hier sehr beliebt. Dass deine Schauspieler gerade wirklich nervös werden, stört dich da wenig. Die beiden werden das schaffen!
„Wir beginnen in einem finsteren Wald“, verkündest du dem wachsenden Publikum. „Zwei tapfere Königskinder befinden sich auf der Flucht vor ihren Häschern.“
Das sind du und Brenna. Ihr spielt die Töchter eines Königreichs der Zwerge, das von einem konkurrierenden Clan niedergebrannt wurde. Damit seid ihr die einzigen Überlebenden, während der Anführer des bösen Clans – gespielt von Elred – sich auf den Thron schwingt.
Eine Geschichte, die die Zwerge hier kennen und lieben. Es ist ein beliebtes Volksmärchen, die Zwerge fiebern wirklich mit. Allerdings siehst du auch viele kritische Mienen. Dass ihr keine Profis seid, merkt das kritische Publikum ebenfalls. Vielleicht hättest du eine weniger bekannte Geschichte wählen sollen … aber diese ist dir zuerst eingefallen und du hattest wenig Zeit.
Schließlich folgt der Endkampf, Brenna gegen Elred. Du dagegen bist gefangen und steht daneben. Ab und zu musst du um das Leben deiner geliebten Schwester flehen. Dabei krebst du Schritt für Schritt auf den Obsidianspiegel zu. Niemand hat diese Schätze irgendwie gesichert. Mit einem so dreisten Diebstahl, wie ihr ihn plant, rechnet niemand.
Als Brenna und Elred ihre Waffen ziehen und mit funkenstiebenden Klingen aufeinander losgehen, ist dein Moment gekommen. Du streckst die Hand aus, schnappst dir den Obsidianspiegel und steckst ihn unter dein Hemd. Der Schöpferstein ist schwarz und eine flache, polierte Scheibe, etwa so groß wie deine Handfläche, an einer goldenen Kette befestigt. Für seine Größe ist er ziemlich schwer.
Nichts passiert, als du den Stein berührt. Das war etwas, wovor du Sorge hattest. Doch der Stein ist wohl nicht bereit, dir seine Macht zu gewähren. Was aktuell sicherlich besser so ist.
Plötzlich heult das Publikum auf. Als du dich umdrehst, sind die beiden Kalynorer in einem Kuss versunken. Dass man sie nicht eine Minute aus den Augen lassen kann! Die Abweichung von der Legende kommt nicht gerade gut an, aber das war definitiv eine wichtige Ablenkung!
Brenna sieht zu dir und du nickst unauffällig. Also beendet sie den Kampf rasch. Elred wird besiegt und du schlüpfst zurück in die Rolle des Erzählers. Abschließend berichtest du, wie die Königskinder ein neues Reich auf den Ascheruinen ihrer Heimat errichteten. Ein Reich, das Barkan’dor genannt ward.
Ihr verbeugt euch vor dem eher gemäßigten Applaus des Publikums und steigt von der Bühne. Als ihr euch wieder in das Gedränge mischen wollt, erklingt jedoch ein lauter Ruf.
„Halt! Stehenbleiben!“
Du drehst dich um. Eine der Wachen kommt auf euch zu. Zwei weitere stehen auf der Bühne und betrachten die Auslage. Sie haben den fehlenden Stein bemerkt!
„Lauft!“ Brenna ergreift Ka Elreds Hand und wühlt sich in das Gewirr aus Zwergen und anderen Wesen, die eben noch eure Zuschauer gebildet haben. Hände haschen nach euch, während ihr durch das Gedränge sprintet. Jemand hält deinen Arm fest. Als du dich losreißt, spürst du den Stein unter deinem Hemd rutschen. Du hattest keine Zeit, diesen irgendwie zu befestigen. Verzweifelt versuchst du, ihn festzuhalten, doch ein Zwerg sieht deine Geste. Ehe du reagieren kannst, packen stahlharte Finger dein Hemd und zerren den Schöpferstein hervor.
„Ha!“
Du windest dich aus dem Griff deines Gegners und rennst weiter. Während der Zwerg den schwarzen, flachen Stein in die Luft reckt, folgst du deinen Gefährten weiter, die auf eine der breiten Treppen zuhalten, die ohne jedes Geländer in die Tiefe führen. Die Zwerge springen euch aus dem Weg, denn sie wollen nicht in den Abgrund gestoßen werden. Das verschafft euch den nötigen Freiraum, um die flachen, breiten Stufen hinabzurennen. Armbrustbolzen prallen viel zu dicht an euch von den Stufen ab.
Die Treppen führen in geraden Linien nach unten, auf großen, gewölbten Säulen. Rufe und Hörner hallen von den Wänden wider, während ihr lauft. Unter euch verzweigt sich der Weg in viele kleinere Brücken, die teilweise alt und marode aussehen. Brenna, die ganz vorne läuft, wählt einen Weg aus und stürmt dahinter in einen von Holzbalken gestützten Minenschacht.
Ihr habt ein wahres Labyrinth erreicht, die Minentunnel, die kreuz und quer und auf mehreren Ebenen durch den Berg führen. Inzwischen sind nur noch Zwergen hinter euch. In den großen Höhlen waren überall Wachen, doch hier ist es leerer.
Ihr passiert Bergarbeiter und überquert die Schienen eines offenbar ausgeklügelten Lorensystems. Immer wieder biegt ihr ab und schlagt scharfe Kurven, um die kurzbeinigen Verfolger endlich abzuhängen. Ihr gelangt durch offene Höhlen, in denen die Wände mit Arbeitern besetzt sind, die schimmernde Adern abschlagen. Ihr kommt an unterirdischen Wasserfällen und künstlichen, steinernen Bachbetten für Lavaströme vorbei, überquert Brücken und kriecht durch flache Durchbrüche.
Irgendwann könnt ihr keine Feinde mehr hinter euch hören und haltet in einem dunklen Tunnel, um Atem zu schöpfen. Unterwegs konntest du immerhin eine Fackel mitnehmen, sowie mehrere nicht entzündete Scheite. So habt ihr wenigstens ein bisschen Licht. Doch ihr habt euch verlaufen.
„Gib Brenna den Stein. Wir müssen gucken, ob er auf einen von uns reagiert“, verlangt Elred. „Das ist unsere beste Hoffnung.“
„Ich habe ihn nicht mehr“, musst du gestehen. Niedergeschlagen berichtest du, wie die Menge ihn dir vom Leib gerissen hat.
„Scheiße.“ Brenna tritt gegen die Wand und verzieht das Gesicht. „Au.“
„Sie werden uns suchen“, fährst du mit den schlechten Neuigkeiten fort. „Früher oder später finden sie uns hier. Das ist nur eine Frage der Zeit. Wir können in Bewegung bleiben, um uns etwas mehr Zeit zu verschaffen. Aber jetzt brauchen wir eine gute Idee. Oder ein Wunder.“
Eure Verkleidungen sind bei der Flucht abgefallen. Überhaupt würden sie euch jetzt nicht mehr schützen. Elred wirkt allerdings nicht besonders traurig darüber, dass die kratzige Mütze weg ist.
„Also gut“, murmelt Brenna. „Wir brauchen also ein Wunder.“
„Ein richtig großes Wunder.“ Elred stockt. „Moment … hört ihr das?“
Ihr lauscht, noch immer etwas atemlos. Aus einem nahen Tunnel dringt eine Art Trommeln. Oder es sind schwere Schritt einer großen Kreatur.
Ihr haltet den Atem an. Du senkst die Fackel langsam, worauf ihr bemerkt, dass neuer Feuerschein in euren Tunnel fällt. Er kommt aus der Richtung des Lärms.
„Das klingt nicht nach einem Wunder“, kommentierst du.
Ihr tauscht einen Blick, dann schleicht ihr vorwärts und späht um die Kurve. Elred taumelt und hält sich an Brenna fest.
Es ist ein Drache! In einer großen Höhle, von zackigen Tropfsteinen in ein zahnbewehrtes Maul verwandelt, tritt ein großes Echsenwesen mit goldenen Schuppen voran. Mächte Schwingen erheben sich auf seinem Rücken. Die Luft vor dem Maul flirrt in Hitze, Flammen züngeln zwischen den großen Zähnen hervor.
Dann richtet der Drache seinen Blick auf euch. Die Pupillen verengen sich zu schmalsten Schlitzen. Sein Grollen lässt den Boden erzittern.
Ihr werft euch herum und rennt durch den Tunnel. Hinter euch fährt ein Feuerstrahl durch die Höhle. Ihr mobilisiert Kräfte, von denen ihr nach der langen Flucht nicht einmal geahnt hättet. Vor euch öffnet dich der Tunnel. Eine marode Holzbrücke führt über eine tiefe Schlucht, gehalten von modernden Seilen. Alte Seilzüge zeugen davon, dass dieser Seitenarm der Mine schon lange stillgelegt ist.
Ihr habt auch eine Vorstellung, wieso!
Außerdem geht es an der Seite des Abgrunds weiter, durch einen größeren Tunnel in eine Art Seitenhöhle. Du kannst nicht viel mehr als Dunkelheit erkennen. Durch den Tunnel könnte euch der Drache womöglich folgen, die Brücke sieht aber auch gefährlich aus. Dahinter gibt es jedoch einen kleinen Tunnel, wo ihr die Feuerechse auf jeden Fall abhängen könnt!
Ihr müsst euch jetzt entscheiden!
Du wählst …
- … die Brücke. Lies weiter in Kapitel 15.
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- … den Seitentunnel. Lies weiter in Kapitel 16.