Du bist Karja Sturmvogel.
„Ich gehe nicht in die Kanalisation. Tut mir leid. Egal, wie sicher das ist.“ Elred ist entschlossen. „Die Aufzüge sind die einzige Option!“
Ihr widersprecht ihm nicht. Selbst wenn die Aufzüge ein größeres Risiko darstellen, ihr werdet jeden Strohhalm ergreifen, um nicht durch die Flüsse aus Scheiße waten zu müssen.
Die Aufzüge sitzen in den Wänden der zylindrischen Höhle. Aus den Tunneln zu den Seiten kommen nicht nur Brücken wie jene, über die ihr geflohen seid, sondern auch Schienensysteme mit Loren, wo Erze aus dem Berg gefahren werden. Diese kommen dann auf die Plattformen, die teils in Schächten, teils an der Wand sichtbar nach oben gefahren werden.
Weiter oben werden die Steine dann irgendwann sortiert. Bis dahin solltet ihr von dem Förderband abspringen. Spätestens hinter der Sortierung, falls ihr euch dabei verstecken könnt, denn dann kommen die Rohmetalle in große, glühende Schmelzen, wo sie weiterarbeitet werden.
Ihr geht zum nächsten Aufzug. Die Fackel lasst ihr nun zurück, die würde euch nur verraten. Du wirfst sie in eines der größtenteils abgedeckten Becken der Kanalisation, die unter dem Boden in Flüssen verläuft.
Die Aufzüge bestehen aus mehreren Plattformen, die mit Ketten aneinander befestigt sind und konstant nach oben fahren, angetrieben von Wasserkraft. Die Ebene bebt und ruckelt unter euren Füßen. Du musst dir klarmachen, dass sie Tonnen von Stein aushält und darum wohl kaum unter euch zusammenbrechen wird. Nervös bist du trotzdem, insbesondere, wenn die schützenden Wände sich öffnen und du die wachsende Tiefe sehen kannst, die unter euch liegt.
Außerdem müsst ihr immer aufpassen. Mehrmals kippt sich eine Lore über euch aus, dann müsst ihr den Brocken von golddurchsetztem Stein ausweichen. Dass das manchmal in den offenen Schachtbereichen passiert, bedeutet, dass ihr gefährlich nah an den Rand taumelt, wo es nur ein knöchelhohes Mäuerchen gibt, das euch nicht vor einem Sturz retten würde. Du behältst Brenna dabei besonders im Blick – gerade jetzt, wo ihr ein tödlicher Sturz vorhergesagt wurde.
Quälend langsam geht es hinauf. Mehrmals kommt der Aufzug völlig zum Stillstand. Ihr harrt aus, zwischen staubigen Steinbrocken und Geröll, und lauscht auf Stimmen von draußen. Eure Angst, dass die Zwerge sich die nach oben transportierten Erze noch einmal genauer ansehen, wächst mit jeder Pause. Eigentlich ist oben aber vermutlich nur ein Stau, weil nicht so viel Gold benötigt wird, wie gerade heraufkommt.
Ringsum dröhnen und knirschen verschiedene andere Aufzüge, die ihre Last langsam nach oben. Auch diese bremsen immer wieder.
„Sie haben doch die Kontrollen an den Aufzügen nicht verschärft, oder?“, fragt Elred flüsternd.
Du schluckst. „Das … sicherlich nicht.“
„Wieso nicht?“ Brenna sieht dich von der anderen Seite an. Eure Gesichter sind mit Steinstaub verschmiert. „Sie wissen, dass wir hier sind und dass wir oben zum Stein wollen.“
Du schluckst. Brenna hat natürlich recht, aber du wolltest nicht so genau darüber nachdenken … Wie sollt ihr denn einer solchen Kontrolle entkommen? Es ist nicht gerade so, als könntet ihr euch unsichtbar machen!
Je näher ihr den belebten Bereichen oben kommt, desto deutlicher hört ihr die Stimmen der Zwerge, die hier herumwuseln. Ihr könnt den Thron in der Mitte wieder erkennen, allerdings nur von der Seite. In der Mitte gibt es eine Erhöhung, die den Thron vor dem Abgrund abschirmt und gleichzeitig die Rückseite eurer Bühne bildet. Dort hängen viele der Gegenstände direkt am Stein befestigt.
Du blinzelst, als du das Podium siehst, von dem ihr den Obsidianspiegel gestohlen habt: Es ist leer! Der Schöpferstein ist fort!
Allerdings seht ihr auch die anderen Aufzüge und stellt fest, dass dort ab einer gewissen Höhe an jeder Ebene ein Zwerg mit einem Spaten steht und in die Goldhaufen sticht. Ob das nun eine besondere Sicherheitsmaßnahme euretwegen ist oder eine Routinearbeit, spielt keine Rolle: Sie werden euch entdecken.
„Wir springen auf der ersten Ebene raus“, sagt Brenna flüsternd. „Beim ersten Zwerg.“ Sie umfasst den Imperial. „So weit unten sind die Gänge leer. Wir rennen und suchen ein Versteck. Und dann … sehen wir weiter.“
Du nickst. Brenna hat offensichtlich einen Plan.
Wenig später schiebt sich die obere Plattform über die Ebene eines Ganges, der direkt an den Aufzug grenzt. In dem wachsenden Spalt seht ihr beschlagene Stiefel, dann die Hose, dann das Gemisch aus Pelzen, Leder und Kettenhemd, das der Zwerg trägt.
Als der Schein seiner Fackel die Augen offenbart und er erschrocken die Luft einsaugt, weil da drei Fremde auf dem Gold hocken, aktiviert Brenna den Imperial.
Der Blick des Zwergs wird sofort glasig und er lässt den erhobenen Spaten wieder sinken. Völlig willenlos lässt er zu, dass ihr auf den festen Boden steigt.
Brenna konzentriert sich vollkommen auf den Zwerg. Sie will wohl nicht riskieren, dass er sich aus dem Zauber befreit und Alarm schlägt. Du siehst dich, genau wie Elred, auf der Ebene um und suchst nach anderen Wachen.
Der Gang ist jedoch leer. Es gab nur diese eine Wache in Sichtweite. Andere Zwerge an den Aufzügen sind nicht mal auf eurer Ebene oder zu weit entfernt, auf der anderen Seite der großen Höhle.
„Was machen wir mit ihm?“, fragt Brenna leise. „Wir können ihn ja schlecht wieder freilassen.“
„Kannst du ihm befehlen, uns zu vergessen?“, schlägst du vor.
Sie schüttelt den Kopf. „Ich denke nicht. Man kann ja nicht bewusst etwas vergessen.“
Brenna trägt den Stein, also wird sie wissen, wovon sie spricht. Du nickst Elred zu, der kurzerhand sein Messer zieht und dem wehrlosen Zwerg die Kehle durchschneidet. Brenna verzieht das Gesicht.
Du nimmst die Fackel an dich. Den Toten lasst ihr neben dem Aufzug liegen und begebt euch in einen Seitentunnel.
Allerdings hört ihr schon bald schwere Schritte hinter euch, begleitet von metallischem Klappern.
Elred dreht sich mit aufgerissenen Augen zu dir um. „Patrouille!“
Ihr huscht tiefer in den Gang. Doch das eigentliche Problem liegt hinter euch: Die Patrouille entdeckt den toten Zwerg sofort. Ein Hornsignal schlägt Alarm. Ihr rennt los, während sich die Zwerge hinter euch aufteilen und die Suche nach euch beginnen.
„Scheiße, scheiße, scheiße!“, zischt Brenna im Laufen.
„Die wäre vielleicht doch die bessere Wahl gewesen“, antwortest du murmelnd.
Ihr sucht nach einem Versteck. Da ihr euch nicht auskennt, könnt ihr nur aufs Geradewohl in Tunnel abbiegen. Einmal kommt ihr an den Fuß einer Treppe, von deren höheren Stufen ihr die Schritte einer ganzen Horde Zwerge hört, worauf ihr schlitternd umdreht und zurück in die Gänge flieht. Endlich werden die Rufe etwas leiser und ihr könnt Luft schöpfen.
„Das hat ja wunderbar funktioniert“, brummt Brenna finsteren Blickes. „Was machen wir jetzt?“
„Es gibt ein Problem“, sagst du. „Habt ihr gesehen, dass der Stein nicht mehr da ist?“
Das haben deine Freunde nicht. Entsetzt hören sie dir zu, als du vom leeren Podium erzählst.
„Wo kann er sein?“
„Vielleicht in einem Tresor. Vielleicht wird er bewacht.“ Du zuckst mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht sollten wir besser fliehen und unsere Haut retten. Uns draußen neu gruppieren und mit allen zurückkehren.“
Insbesondere mit den Schöpfersteinen der anderen Gruppe. Ohne diese habt ihr keine Chance. Wenn ihr erst in einer Weile zurückkehrt, werden sich die Zwerge vielleicht auch sicher fühlen.
Damit ihr diesen Plan umsetzen könnt, müsst ihr allerdings zunächst entkommen. Und schon das dürfte sich schwierig gestalten.
Ihr erstarrt, als ihr ein lautes, jedoch wohlvertrautes Brüllen hört.
„Der Drache!“, haucht Brenna. Sie scheint noch blasser zu sein als ohnehin. Sicherlich muss sie an die Warnung der anderen Gruppe denken.
Flammen und ein Sturz. Du hast es selbst nicht eine Sekunde vergessen.
„Das ist unmöglich“, haucht Elred. „Kein derartig komplexer Zauber ließe sich so schnell transportieren!“
„Und wenn es ein zweiter ist?“
Er sieht dich an. „Nein. Du begreifst nicht, wie teuer so etwas wäre.“
Der Flügelschlag der Bestie hallt in der großen Halle wider. Dann hört ihr das laute Schaben von Krallen auf Stein und das Fauchen der Flammen. Die Zwerge haben sich wohl einfach aus dieser Ebene zurückgezogen, um dem Drachen nicht im Weg zu sein. So viel dazu, dass ihr die Verfolger abgehängt hättet!
„V-vielleicht ist er echt“, murmelt Brenna ängstlich. Ihr könnt hören, wie sich das Tier durch die Tunnel schiebt. Es scheint euch zu wittern, denn die Geräusche werden lauter. Zielsicher nähert sich der Drache eurer Position.
Stolpernd und so leise wie möglich weicht ihr zurück. Ihr durchquert flache Hallen und kommt an versperrten Toren vorbei. Die Zwerge haben euch eindeutig eingesperrt. Schließlich seht ihr den Hauptschacht wieder. Ihr seid in einem breiten Tunnel ohne Abzweigungen, der Drache muss nah hinter euch sein.
Über einen Aufzug kämt ihr vielleicht nach oben, fort von dem Drachen. Die einzige andere Chance besteht darin, direkt auf die Bestie zuzulaufen … Wenn ihr Glück habt und schnell genug seid, könnt ihr an ihm vorbei aus dem Tunnel fliehen und ins Labyrinth eintauchen, um einen anderen Aufstieg zu suchen.
Du siehst zu den beiden Kalynorern, die ebenso ängstlich gucken wie du dich fühlst.
Welcher Weg kann euch retten?
- Du wählst den Schacht. Lies weiter in Kapitel 26.
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- Du wählst den Drachen. Lies weiter in Kapitel 27.