Nachdenklich schritt Kimi Korkonnen neben Rian Onoro durch den langen, hell erleuchteten Gang des Militärkrankenhauses der Metropole Erron, der Hauptstadt des Planeten Wega-IX. Sie befanden auf dem Weg zu Dean Everett Corvin, der bereits vor fünf Monaten hier eingeliefert worden war. Schwer verwundet.
Bei einer Explosion an Bord der NOVA SOLARIS hatte ihm ein scharfkantiges Trümmerteil seinen linken Arm abgetrennt. Der Leichte Kreuzer war schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, nachdem die kombinierten Raumflotten der Terraner und Farradeener über dem Mars eine empfindliche Niederlage hatten hinnehmen müssen.
Im Grunde beging Irina Hayes, die als Erster Offizier des von Corvin kommandierten Kreuzers fungierte, einen Akt von Befehlsverweigerung, als sie sich nach der Schlacht nicht dem farradeenischen Flottenverband angeschlossen hatte, zu dem auch die NOVA SOLARIS gehörte, sondern auf eigene Faust den Kurs zum Wega-System hatte einschlagen lassen. Ihre Sorge um den Major war größer gewesen, als die Angst vor einer Bestrafung durch ihren Kommandeur, Generalmajor Arolic Traren. Sie hatte den fadenscheinigen Vorwand angeführt, dass die Funkanlage beschädigt worden sei und man deshalb den Befehl zur Umkehr nicht hatte empfangen können.
Generalmajor Arolic Traren, ohnehin nicht der gelassenste aller Flottenkommandeure, hatte diese Ausflucht natürlich durchschaut und ihr daraufhin prompt den zu erwartenden Rüffel verpasst. Zum Glück für Irina Hayes hatte er dabei nicht leibhaftig vor ihr gestanden.
Irina Hayes war sich indessen sicher, dass Traren ihr Vorgehen insgeheim billigte. Doch das konnte und durfte er, als Kommandeur im Krieg, natürlich nicht offen zugeben.
Rian Onoro lächelte schwach, als sie an das Gespräch mit Irina Hayes zurückdachte, bei dem sie mit ihr darüber gesprochen hatte. Damals hatte sie von ihr verlangt, die Funkanlage zu demolieren, falls Traren ihre Behauptung nachprüfen würde. Ihr war dabei die Frage herausgerutscht, wie es Hayes denn genehm wäre. Mit einem Hammer, einer Plasmawaffe oder mit einer Bombe. Als Feldwebel der Technik reparierte sie mehr, als dass sie ein Gerät zerstörte. Etwas mutwillig zu beschädigen war jedem Techniker zuwider. Darum hatte Irina Hayes ihr diese Frage auch nicht verübelt.
Anders, als auf vielen anderen Kriegsschiffen der Raumflotte von Farradeen, herrschte an Bord der NOVA SOLARIS ein deutlich familiärerer Umgang, was Vorgesetzte und Untergebene betraf. Dies war bereits seit jenem Moment so, als Dean Corvin und ein zusammengewürfelter Trupp, dem auch sie sich angeschlossen hatte, auf dem Mond der Erde den Leichten Kreuzer bemannt, und ihn im letzten Moment dem Zugriff der angreifenden Raumlandetruppen der Konföderation Deneb entziehen konnte. Sie selbst war damals gezwungenermaßen freiwillig auf Luna zurückgeblieben, um dem Rest des Teams die Flucht zu ermöglichen. Später hatte Dean Corvin sie auf dem Mars befreien können, wohin der Feind sie brachte, nachdem sie in Gefangenschaft geraten war.
Schon während der gemeinsamen Flucht auf Luna hatte sie diese besondere Verbindung zu Dean gespürt. Sie war ihm bereits mehr als zwei Jahre zuvor auf der Erde begegnet, doch zu diesem Zeitpunkt hatte er seinerseits ihre Anwesenheit nicht wahrgenommen. Das Schicksal hatte sie dann, während des laufenden Angriffs der Armada von Deneb auf das Sol-System, erneut zusammengeführt. Zumindest war Rian Onoro ganz fest davon überzeugt, dass es sich um Schicksal handeln musste.
Nach ihrer Rettung hatten sie dann zueinandergefunden. Obwohl sie zuerst aufeinander reagierten, wie Hund und Katze. Was, wie die junge Technikerin zugeben musste, zu einem nicht unerheblichen Teil an ihr selbst gelegen hatte.
Für einen kurzen Augenblick wurde Rian Onoro warm ums Herz, doch der Moment verging als sie das Schott zum Krankenzimmer erreichte. Bereits zu oft war sie hier gewesen, in den letzten Monaten. Dabei konnte sie von Glück reden, dass die Reparaturen an den Systemen der NOVA SOLARIS immer noch andauerten. Ansonsten wären das Raumschiff und seine Crew längst nach Farradeen zurückbeordert worden. Sollte der Fall tatsächlich eintreten, dass die NOVA SOLARIS fertig wurde bevor Dean Corvin die Freigabe des behandelnden Arztes bekam, auf die Krankenstation des Raumschiffs überführt werden, würden sie sich ganz bestimmt eine lange Zeit nicht sehen. Dieser düstere Gedanke ließ sie innerlich erschaudern.
Die finsteren Gedanken abschüttelnd legte sie ihre Hand auf den Öffnungskontakt. Mit einem leisen Zischen fuhr das Schott auf und sie betrat das Einzelzimmer.
Kimi Korkonnen folgte der Frau. Auch er machte sich Sorgen um den Freund, der ihm so nahe stand wie ein Bruder. Der hochgewachsene Skandinavier war froh, vor fünf Monaten den Dienst auf einem Raumschiff der Zehnten Flotte angetreten zu haben. Er kommandierte nun die CARDIFF, eine schnelle und wendige Fregatte mit einer Länge von 147 Metern.
Korkonnen überließ es Rian, den Freund zuerst zu begrüßen. Dabei stellte er zu seiner gelinden Verwunderung fest, dass diese Begrüßung von Seiten des Freundes recht kühl ausfiel. Korkonnen fragte sich ob Rian deswegen so schweigsam gewesen war, seit er sie vor dem Krankenhaus getroffen hatte. Denn das war sonst so gar nicht ihre Art. Kimi nahm sich vor später mit Rian darüber zu reden.
Rian, die Dean einen raschen Kuss gegeben hatte, trat etwas zur Seite damit auch Kimi seinem Freund Hallo sagen konnte. Zu ihrem Verdruss stellte die junge Frau dabei fest, dass sich die Miene des Mannes in den sie verliebt war erst jetzt zufrieden entspannte. Bereits seit sieben Wochen ging es nun so, dass Dean ihr das Gefühl vermittelte hier unerwünscht zu sein. Gesagt hatte er ihr das natürlich nicht direkt, doch trotzdem verfestigte sich dieser schmerzende Eindruck mehr und mehr bei ihr. Er wirkte von Woche zu Woche kühler und unnahbarer ohne darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Vielleicht merkte er selbst gar nicht wie sehr er sich gegenwärtig veränderte und wie sehr ihr das weh tat.
Bisher hatte sie Rücksicht auf den gesundheitlichen Zustand ihres Freundes genommen. Doch inzwischen fragte sie sich manchmal, ob es das nicht vielleicht schlimmer machte anstatt besser. Andererseits konnte sie ihm schlecht die Leviten lesen, so kurz nach dem Verlust seines linken Arms. Das war bestimmt eine einschneidende Veränderung für sein Leben, so wie es auch eine Belastung für seinen mentalen Zustand bedeutete.
Beinahe flehend und mit ihren Blicken um Unterstützung bittend sah Rian Onoro zu Kimi, nachdem dieser sich bei seinem besten Freund erkundigt hatte, wie es ihm ging.
Dean entging der Blick nicht und mit irgendwie matter, aber auch finster klingender Stimmer erkundigte sich der Kanadier grob bei seiner Freundin: „Was hast du, Rian? Musst du zu Kimi sehen, weil du meinen Anblick nicht ertragen kannst? Du musst nicht aus Mitleid bei mir bleiben.“
Die Augen der Frau weiteten sich ungläubig und die hellen Augäpfel stachen beinahe unnatürlich aus ihrem dunklen Gesicht heraus.
Kimi Korkonnen, der nicht weniger erschrocken war wegen dieser harschen Worte bemerkte, dass Rian den Mund öffnete, weil sie etwas sagen wollte. Doch nur ihre Lippen bebten, bevor sie den Mund wieder schloss. In ihren Augen sah der Skandinavier Tränen schimmern, bevor sie sich wortlos abwandte und aus dem Raum stürmte.
Kimi, der ihr nachsah, wandte sich nach einem Moment wieder an den Freund, der ihn musterte, als sei überhaupt nichts vorgefallen. Verstimmt fragte der Blonde: „Musste das sein, Dean? Was hat Rian dir eigentlich getan? Warum behandelst du sie so schlecht?“
„Ich will ihr Mitleid nicht!“, platzte der Kanadier heraus. „Ich will von niemandem Mitleid, Kimi! Nicht von ihr und auch nicht von dir!“
„Jetzt mach aber mal einen Punkt!“
Obwohl Kimi Korkonnen sich vorgenommen hatte ruhig zu bleiben und er in den letzten Wochen bereit gewesen war dem Freund einiges zuzugeben, platze ihm nun der Kragen. „Was denkst du eigentlich, wen du vor dir hast? Eins lass dir von mir sagen, mein Freund: In dieser Art wirst du weder mit mir noch mit Rian je wieder reden, oder aber du lernst mal eine Seite an mir kennen, die du bisher noch nicht kennengelernt hast!“
Etwas verblüfft starrte Dean Corvin seinen Freund an, der normalerweise eher zu den ruhigen Typen gehörte. So aufgebracht wie jetzt hatte er Kimi noch nie erlebt.
Als Dean Anstalten machte etwas auf seine Worte zu erwidern, wetterte Kimi bereits weiter: „Nein, jetzt wirst du gar nichts sagen, sondern mir mal zuhören. Du lässt dich gehen, Dean, und das seitdem du aus dem Koma erwacht bist. Wenn das wirklich der wahre Dean Everett Corvin ist, dann bin ich schwer enttäuscht von dir. In diesem Fall: Suhle dich weiter in Selbstmitleid. Aber bitte ohne mich, denn dazu ist mir meine Zeit zu schade! Also, mach es gut mein Freund. Ich gehe.“
Damit stieß sich Kimi Korkonnen mit den Händen heftig vom Fußende des Krankenbettes ab, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte schnurstracks zum Schott des Krankenzimmers heraus. Dabei kostete es den Finnen viel seelische Kraft, nicht bei seinem Freund zu bleiben. Doch ihm war andererseits klar, dass etwas passieren musste, damit Dean merkte, was er gegenwärtig tat und dass dies nicht in Ordnung war. Er nahm sich vor, dringend mit Rian zu reden. Gemeinsam mit ihr würde er etwas unternehmen, um dem Freund, der ihm so nahe stand wie ein eigener Bruder, aus der Misere zu helfen, in der er sich nun bereits seit Wochen bereits befand. Er hoffte nur, dass es diesen Weg auch gab.
* * *
Nachdem sie das Krankenzimmer frustriert und wütend verlassen hatte, lehnte sich Rian Onoro mit dem Rücken gegen die Gangwand und schlug die Hände vor das Gesicht. Sie ließ ihren Tränen, die sie nun seit Wochen zurückgehalten hatte freien Lauf.
Die junge Frau wusste nicht zu sagen, wie viel Zeit vergangen war, bis sie eine sanfte Berührung an ihrer Schulter spürte. Sich rasch über das Gesicht wischend sah sie in das Gesicht von Kimi Korkonnen. Etwas verwundert sah sie ihn an.
„Wir müssen uns ernsthaft miteinander unterhalten“, sagte der Hauptmann bestimmt. „Dean steckt psychisch in einer bestimmt verständlichen Krise. Doch so wie eben darf es nicht weitergehen. Was hältst du davon, wenn wir unser Lieblings-Café aufsuchen und mal ganz in Ruhe darüber reden, was wir machen können, um Dean wieder einigermaßen auf Kurs zu bringen?“
Rian Onoro wischte sich die letzten Tränen fort und sah Kimi dankbar an. „Ich weiß nicht mehr weiter, Kimi. Ich habe Angst, dass wir uns bereits so weit voneinander entfernt haben könnten, dass es keine Umkehr mehr gibt.“
Kimi schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln. „Na, na, na, so schlimm ist es ganz bestimmt nicht, Rian.“
Im Magen der jungen Frau grummelte es und sie wollte etwas darauf erwidern. Doch der Finne kam ihr zuvor, indem er über die Schulter mit dem rechten Daumen zum Schott des Krankenzimmers deutete und meinte: „Oh ja, natürlich habe ich die Szene da drin eben mitbekommen. Aber ich kenne Dean. Vielleicht besser als jeder andere Mensch. Darum bin ich mir sicher, dass Dean dich absichtlich brüskiert. Nicht weil er nichts für dich empfindet, sondern aus Angst. Angst davor, du könntest wirklich nur aus Mitleid an seiner Seite bleiben. Vielleicht entspringt diese Angst der Zurückweisung durch die Art und Weise, wie Dean nach seiner ersten Liebe von dem zweiten Mädchen behandelt wurde, in dass er sich verliebte.“
Sie setzten sich in Bewegung und schritten den Gang hinunter.
Als Rian nach etwa zwanzig Metern stehenblieb und Anstalten machte, wieder umzukehren, packte Kimi sie fest am Oberarm und zog sie nachdrücklich mit sich. Dabei erklärte er ihr mit entschlossener Miene: „Auch wenn es dir weh tut und noch so schwerfällt. Du musst jetzt genügend Kraft aufbringen und hart bleiben. Dean lässt sich momentan haltlos gehen und das dürfen wir nicht mehr länger hinnehmen. Das geht nun offensichtlich schon viel zu lange so aber nun ist Schluss damit.“
Rian Onoro wollte aufbegehren, doch sie spürte, dass der Finne Recht hatte. Sie selbst spürte seit einiger Zeit, dass es so war, wie Kimi es eben ausgeführt hatte, doch sie hatte es nicht sehen wollen. Vielleicht weil Dean bisher immer der mutige Kämpfer gewesen war, der niemals aufgab. So zumindest hatte es den Anschein gehabt.
Als sie das Krankenhaus verließen umfing sie die Betriebsamkeit der Metropole Erron. Die Hauptstadt des neunten Planeten des Wega-Systems hatte sich in den letzten anderthalb Jahren zur neuen Hauptstadt des gesamten Imperiums gemausert. Das militärische Hauptquartier der HARRISON-CROENEN-BASIS war seitdem massiv ausgebaut und gleichzeitig modernisiert worden.
Als Namensgeber der Basis diente Harrison Ardal Croenen, ein Generalmajor während der Interstellaren Kriege von 2950 bis 2987. Croenen hatte, zum Ende des Krieges hin, unter Einsatz seines Lebens, die Evakuierung eines Grenzplaneten des ehemaligen Terranischen Reiches ermöglicht. Über 250.000 Kolonisten konnten durch den ebenso geschickten wie gewagten Einsatz seines Kampfverbandes, von der Oberfläche des bedrohten Planeten fliehen. Nur Minuten bevor eine überlegene Flotte der Konföderation Deneb den Planeten bombardierte, entkam das letzte zivile Raumschiff aus dem System.
Bei diesem Einsatz wurde das Flaggschiff des Generalmajors, bei dem verzweifelten Rückzugsgefechtes gegen die überlegenen Feindverbände, vollkommen zerstört. Dabei kam neben der gesamten Crew des Schlachtkreuzers auch Harrison Croenen ums Leben.
Nach dem Ende des Krieges wurde dann, im Jahr 2988, die WEGA-NEUN-BASIS auf dem Planeten Wega-IX nach Harrison Ardal Croenen in HARRISON-CROENEN-BASIS umbenannt. Obwohl Generalmajor Harrison Croenen noch für das alte Staatengebilde des Terranischen Reiches gekämpft hat, galt er im 33. Jahrhundert im Terranischen Imperium immer noch als einer der größten Helden des Interstellaren Krieges.
All das hatte Rian Onoro bereits zu ihrer Schulzeit im Geschichtsunterricht gelernt, doch sie hätte sich zu dieser Zeit niemals träumen lassen, dass sie selbst an einem Krieg teilnehmen würde. Doch nun befand sie sich seit 17 Monaten bereits mittendrin. Sie würde in einer Woche, am 16. Mai des Jahres 3222, ihren zweiundzwanzigsten Geburtstag feiern, und sie hatte bereits mehr Kriegserfahrung gemacht, als so mancher altgediente Offizier der ehemaligen Terranischen Flotte - der jetzigen Terranischen Protektoratsflotte.
Die junge Technikerin wurde abgelenkt, als sie das kleine Park-Café erreichten. Gleichzeitig erinnerte sie sich daran, was Kimi ihr im Krankenhaus gesagt hatte. Irgendetwas daran hatte eine Saite in ihr zum Klingen gebracht. Erst nach einem Moment erinnerte sie sich daran, was es gewesen war. Darum fragte sie den Finnen, während sie sich an einen der Tische setzten, die auf der überdachten Terrasse standen: „Was meintest du vorhin damit, dass Andrea Dean abgewiesen hat?“
Etwas erstaunt sah Kimi in die dunklen Augen der Frau. „Na, als sie ihm sagte, dass er bei ihr nicht… Ach, du Schande.“
Rian ahnte, warum der Finne sich selbst unterbrochen hatte, denn die plötzliche Erkenntnis in ihren Augen musste er bemerkt haben. Geradeheraus sagte sie: „Dean hat mir gesagt, dass Andrea eine gute Freundin von euch beiden ist. Dass da mehr war, darüber hat er kein Wort verloren.“
Abwehrend hob Kimi die Hände. „Es war nie mehr. Nicht von Andreas Seite. Aber du hast es richtig erkannt, Dean war für eine Weile ziemlich in Andrea verschossen. Doch das ist gefühlt bereits eine Ewigkeit her. Darüber ist er längst hinweg.“
„Warum hat er dann mit mir nie darüber geredet?“
Kimi machte eine vage Geste. „So ist Dean eben. Dazu kommt, wie ich im Krankenhaus bereits sagte, was er mit Kim Tae Yeon erleben musste. Vielleicht hat ihn das dermaßen nachhaltig geprägt, dass er über seine Gefühle für beide Frauen nicht reden will.“
Rian war dankbar dafür, dass in diesem Moment eine Bedienung bei ihnen erschien und sich nach ihren Wünschen erkundigte. Erst nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, erwiderte Rian, wobei sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten: „Gib dir keine Mühe, Dean zu verteidigen. Es wird einen triftigen Grund haben, dass er mir nichts von dieser romantischen Schwärmerei für Andrea erzählt hat.“
Für einen Moment schien der Finne nicht zu wissen, was er darauf erwidern sollte, was Rian mehr sagte, als es Worte vermocht hätten. Also war sich selbst der beste Freund ihres Freundes nicht sicher, ob Dean diese Angelegenheit wirklich abgehakt hatte.
„Ich bin mir sicher, dass er es ehrlich mit dir meint“, drangen die Worte Korkonnens in ihre Gedanken. „Selbst, falls da noch ein Rest von Verliebtheit für Andrea sein sollte.“
Zweifelnd sah Rian den Finnen an, in dessen Augen sie kein Falsch erkennen konnte. Er schien also davon überzeugt zu sein.
Die junge Frau schluckte und zwinkerte sich die Tränen fort. Danach atmete sie tief durch und gab zurück: „Vielleicht mache ich mir wirklich zu viele Gedanken, was Deans Gefühle für Andrea angehen.“
Der Blonde nickte aufmunternd, während ihre Heißgetränke gebracht wurden. Kimi beglich die Rechnung sofort und wartete, bis sich die Bedienung entfernt hatte, bevor er seine Tasse hob und meinte: „In Ordnung. Zuerst ein Kaffee und danach überlegen wir, wie wir unserem Freund helfen können.“
Sie nahmen beide einen Schluck von ihrem Getränk. Erst danach sagte Kimi: „Ich habe da so etwas ticken gehört, als ich zuletzt mit Jayden gesprochen habe. Ich weiß nicht, ob ich mich irre, aber falls nicht, so ist das Thema Andrea für Dean ein für allemal erledigt.“
Rian Onoro sah den Finnen fragend an, doch der machte keine Anstalten mehr zu sagen, weshalb die Frau grummelnd meinte: „Das beruhigt mich noch nicht wirklich.“
„Dennoch wirst du ab sofort Härte zeigen müssen“, lenkte Kimi sie schnell ab und holte sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. „Ich weiß, dass du das kannst und du musst auch. Ich weiß auch, dass dir das nicht leichtfallen wird, aber es gibt keine Alternative. Du wirst ihn also für mindestens eine Woche nicht mehr besuchen.“
Erschrocken sah Rian Onoro ihr Gegenüber an. Alles in ihr sperrte sich gegen diesen Rat des Finnen und sie wollte heftig widersprechen, doch Kimi kam ihr zuvor.
„Ich meine das zu einhundert Prozent ernst, Rian. Du darfst in dieser Situation kein falsches Mitleid an den Tag legen. Ich kenne Dean sehr gut. Der wird nur dann anfangen über sein Verhalten nachzudenken, wenn du das wirklich konsequent durchziehst. Ich versichere dir, das ist der kleinere Schmerz. Wenn du ihn nach etwa einer Woche – besser noch nach zehn Tagen – wieder besuchst, dann falle ihm auch nicht gleich um den Hals.“
Wieder war Rian versucht zu einer heftigen Erwiderung anzusetzen, und wieder kam ihr der Finne zuvor.
„Ja, ich weiß, dass das heftig wird. Aber dennoch. Dean wird erst dann ernst nehmen, welche Konsequenzen sein Verhalten hat, wenn du ihm das drastisch vor Augen hältst. In dieser Hinsicht braucht er mitunter einen etwas direkteren Hinweis. Bevor du ihm also um den Hals fällst, wirst du mit ihm ein ernstes Wort reden – und erst danach fällst du ihm um den Hals. Damit es bei Dean auch wirklich ankommt.“
Rian nickte, nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und sah mürrisch zu einer Gruppe von Zivilisten, die das Café erreichte und einige Tische auf der Terrasse bevölkerte. Damit war es mit einer ungestörten Unterhaltung unter vier Augen vorbei. Doch Kimi hatte ihr offensichtlich ohnehin alles Wesentliche gesagt.
Die Technikerin wechselte das Thema und fragte mit veränderter Stimme: „Wann startet die Zehnte Flotte zum Einsatz? Ich habe gehört man plant die Befreiung des Planeten Strenia, im Sirius-System. Außerdem soll auf dem Planeten immer noch erbittert gekämpft werden. Offensichtlich ist der Kommandeur der dort stationierten Bodentruppen ein harter Knochen, der sich einfach nicht ergeben will.“
Kimi machte eine zustimmende Geste und ging ansonsten über den abrupten Themenwechsel hinweg. „Ja, einen solchen Kommandeur brauchen wir in Freiheit und deshalb werden wir ihn und seine Leute heraushauen. Und die drei Milliarden Zivilisten gleich mit. Das wird unseren Männern und Frauen einmal mehr wieder Auftrieb geben.“
Rian Onoro setzte zu einer Antwort an, doch heute kam sie einfach nicht richtig zu Wort. Diesmal war es das Multi-Funktions-Armband des Hauptmanns, dass ihre Unterhaltung unterbrach.
Der Vibrationsalarm des Armbandes hatte den Mann abgelenkt und mit einem entschuldigenden Blick hob er seinen Arm an und aktivierte das Funksegment per Stimmenkommando. Es genügten die ersten Worte der automatischen Nachricht, um den beiden Flottenangehörigen klarzumachen, dass es vorerst mit ihrem Treffen vorbei war.
„Wenn man vom Teufel spricht, dann steht er bereits hinter einem“, entfuhr es Kimi Korkonnen düster. „Generalmajor McGowan kann es wohl nicht abwarten zum Sirius-System aufzubrechen. Sie ruft alle Crewmitglieder der Zehnten Flotte zurück zu ihren Raumschiffen. Was wollen wir wetten, Rian, dass wir damit in ein riesengroßes Hornissennest stechen?“
„Ich wollte, ich könnte dabei sein“, versetzte die junge Technikerin. Ich bekomme hier auf Wega-IX bereits langsam einen Planetenkoller.“
Sie tranken rasch aus und erhoben sich. Dabei sagte Kimi überzeugt: „Ich schätze, dass die NOVA SOLARIS bald wieder kräftig mitmischen wird. Kommst du mit?“
„Ja. Mein Dienst beginnt zwar erst in einer Stunde, doch allein hier zu sitzen, dazu habe ich auch keine Lust. Der LI wird sich freuen und vielleicht bringt mich die Arbeit an den Systemen der NOVA auf andere Gedanken.“
„Wird alles werden“, munterte der Finne sie auf, bevor sie sich gemeinsam auf den Weg zur nächsten Magnetbahn-Station machten.
* * *
Im Militärkrankenhaus von Erron hatte Dean Corvin perplex auf die beiden Schotthälften gestarrt, nachdem sein bester Freund ihn so unverblümt abgekanzelt hatte. So wütend hatte er Kimi nur selten erlebt. Nicht einmal an jenem Tag an der Sektion-Venus, als sie noch Kadetten gewesen waren, und er eine Kampfsimulation versaut hatte. Zumindest nach Ansicht seines Ausbilders.
Damals hatte Andrea es übernommen ihm dafür die Leviten zu lesen. Ausgerechnet das Mädchen in das er sich damals so heftig verliebt hatte.
Baroness Andrea von Garding.
Inzwischen war sie mit seinem Freund Jayden Kerr verheiratet und er selbst führte eine Beziehung mit einer anderen Frau, die er nicht minder zu lieben gelernt hatte. Doch ausgerechnet ihr stieß er momentan gegen den Kopf. Dabei hätte er sie so gerne hier gehabt und ihre Nähe und Zuneigung genossen. Doch seit seiner Verletzung ließ ihn der Gedanke nicht mehr los, dass sie nicht länger mit ihm zusammen bleiben wollte. Mit einem Mann, der nur noch einen Arm besaß - dass sie ihn nur aus Pflichtbewusstsein jeden Tag besuchte und in Wirklichkeit woanders sein wollte.
Dieser und ähnlich deprimierende Gedanken quälten und verunsicherten ihn. Sie hatten ihn auch bis zu einem gewissen Grad verschroben werden lassen, ohne dass ihm dies bewusst geworden war.
Bis eben.
Zum ersten Mal, seit er vor sieben Wochen aus dem Koma erwachte, hatte ihm jemand gesagt, dass er sich mies benahm. Ausgerechnet sein bester Freund Kimi.
Dean ließ seinen Oberkörper nach einem langen Moment zurück auf das Lager sinken. Brütend starrte er unter die Decke. Wenn selbst Kimi gegen ihn war und er sich auf Rians Seite schlug, so war das ein Anlass zur Nachdenklichkeit. Niedergeschlagen aber auch ernüchtert realisierte er, dass der Freund vermutlich Recht damit hatte, ihm so offen die Meinung gesagt zu haben.
Doch was, wenn seine Befürchtungen in Bezug auf Rian ihn nicht trogen? Er würde es nicht ertragen, falls sie aus Mitleid bei ihm blieb. Lieber wollte er allein sein.
Er wusste nicht zu sagen, wie lange er so vor sich hin gebrütet hatte. Versunken in die finstersten Gedanken – aus Unsicherheit geboren. Irgendwann klang das leise Zischen des Schotts auf und erwartungsvoll richtete Dean seinen Blick dorthin.
Es war jedoch nicht Rian, die wieder zu ihm kam, sondern es handelte sich um Jayden Kerr. Er und Andrea hatten ihn regelmäßig besucht, als er noch bewusstlos gewesen war. Zumindest hatte ihm Jayden das versichert, als er das letzte Mal allein bei ihm gewesen war. Kurze Zeit nach seinem Erwachen aus dem Koma. Seitdem hatte er jedoch weder ihn noch Andrea zu Gesicht bekommen und erwartungsvoll sah er um Jayden herum zum Schott. Doch auch diesmal kam der Jamaikaner nicht in Begleitung seiner Frau, wie es schien. Etwas mürrisch sah Dean deshalb zu dem Freund, als er sich zu ihm ans Krankenbett setzte.
Erfreut und wie immer gutgelaunt, wie Dean feststellte, sah Jayden ihn an und fragte neugierig: „Wie geht es dem größten Haudegen der Galaxis heute? Bist du bald wieder dienstfähig? Ohne dich ist die Flotte doch dem Untergang geweiht.“
Etwas überfahren von dieser überschwänglichen Begrüßung gab der Kanadier perplex zurück: „Es wird wirklich Zeit, dass ich hier herauskomme, sonst entwickele ich Depressionen. Vielleicht habe ich aber auch schon welche.“
„Das will ich nicht hören“, überspielte Jayden die düsteren Worte des Freundes. „Rian wird dich schon aufheitern. Wo ist sie eigentlich? Ich dachte, sie wäre bei dir.“
Ablenkend und ohne die Frage des Freundes zu beantworten, erkundigte sich Dean Corvin seinerseits: „Wo hast du Andrea denn gelassen. Hat sie Dienst? Bereits das letzte Mal habe ich sie vermisst.“
Für einen kurzen Moment überflog ein Schatten Jayden Kerrs Blick und in Dean, der den Freund seit dem Beginn seiner Kadettenzeit kannte, erwuchs der unbestimmte Verdacht, dass er ihm etwas verheimlichte. Hinter der Stirn des Kranken begann es erneut zu arbeiten. Vielleicht hielten Jayden und alle Anderen ihn ja für schwachsinnig, seit er verletzt worden war, orakelte Corvin, doch sein Gehirn funktionierte ausgezeichnet. Eine leise Ahnung begann schließlich in ihm aufzukeimen und so fragte er unvermittelt: „Wann bringst du Andrea denn das nächste Mal mit?“
Die Reaktion des Freundes sagte Dean Corvin, dass er auf der richtigen Spur war. Zögerlich wollte der Freund etwas auf seine Frage erwidern, doch er kam nicht dazu.
„Verdammt, sie ist schwanger!“
Jayden zuckte förmlich zurück, als Dean ihn mit verzerrten Gesichtszügen und beinahe fiebrig glänzenden Augen so laut anbrüllte, dass seine Stimme sich dabei unerträglich schrill überschlug.
Bereits im nächsten Moment wurde das Schott zum Krankenzimmer von Außen
geöffnet und eine rotblonde Frau betrat den Raum.
„Herein mit dir!“, rief Dean der Frau entgegen. Er hatte sofort erkannt, um wen es sich handelte und er sah ebenfalls ihren Zustand. Etwas weniger laut meinte er dann: „Wann wolltet ihr es mir sagen? Wenn das Kind die ersten Zähne bekommt?“
„Wir wollten warten, bis es dir besser geht“, gab Andrea von Garding spitz zurück. „Denn offensichtlich bist du gegenwärtig nicht in der Lage so etwas zu verdauen.“
Für eine Weile blieb es still im Krankenzimmer, denn Dean Corvin war es peinlich, wie er sich eben benommen hatte. Schließlich sagte er leise: „Tut mir leid. Ich weiß momentan nicht, wo mir der Kopf steht. Vorhin habe ich Rian und Kimi vergrault und nun lasse ich meine schlechte Laune auch noch an euch beiden aus.“
Das Gesicht der Schwangeren wurde um eine Spur weicher. Rasch setzte sie sich an die andere Seite des Bettes und nahm seine gesunde Rechte in ihre Hände: „Was ist denn nur los, Dean? So warst du doch noch nie. Du bist doch nicht der Typ, der einfach aufgibt und sagt: Das war´s. Das kann und will ich nicht glauben.“
Verlegen wich der Kanadier dem fragenden Blick der Frau aus. Mit schwankender Stimme sagte er kratzig: „Ich habe Angst, Andrea. Angst, dass Rian nur aus Mitleid bei mir bleibt und nicht, weil sie etwas für mich empfindet.“
Jayden stieß zischend die Luft aus.
Andrea schüttelte ihrerseits energisch den Kopf. „Das ist doch nun wirklich Nonsens. Rians Gefühle sind aufrichtig. Das habe ich auf meiner Hochzeit gemerkt. Das hat sich auch bestimmt nicht geändert, nur weil du jetzt einen künstlichen linken Arm hast. So oberflächlich ist Rian nicht. Aber das müsstest du doch wohl am besten wissen.“
Beschämt sah Dean Corvin von Andrea zu Jayden, der nichts dazu sagte, sondern nur bedeutungsvoll nickte. In solchen Momenten überließ der Jamaikaner, das wusste Dean, lieber seiner Frau das Reden.
Andrea fuhr sich mit der Linken durch das lange Haar und ließ Dean etwas Zeit um sich zu sammeln, bevor sie ihre Rechte auf den gesunden Unterarm des Freundes legte und etwas sanfter meinte: „Rian empfindet eine Menge für dich, ebenso viel, wie du für sie. Das ist nicht selbstverständlich, also behandele sie gut. Rian hat keinen Freund verdient, der ihr permanent gegen den Kopf stößt. Also reiß dich mal zusammen, hast du gehört?“
Dean Corvin schluckte und nickte stumm. Es war einige Zeit her, dass sie so energisch und ernst mit ihm geredet hatte. Ihm wurde klar, dass sie Recht hatte und er schämte sich in diesem Moment, wie selten zuvor in seinem Leben. Doch auch noch etwas Anderes bewegte ihn seit längerer Zeit. Genau genommen, seit dem ersten Kommandounternehmen auf dem Mars, bei dem er Rian aus der Gefangenschaft befreien konnte. Doch es hatte weniger mit Rian zu tun, als mit einer anderen Frau. Bisher hatte er nur kurz mit Kimi darüber gesprochen – vor seiner Verletzung und jetzt waren die Personen anwesend, denen er sich in dieser Hinsicht vollkommen anvertrauen konnte.
Dean atmete tief durch, sah die Freunde nacheinander an und sagte dann, zu Andrea gewandt: „Ich erinnere mich daran, dass ich dir, vor deiner Hochzeit, im Hotel von meinem ersten Mars-Einsatz erzählt habe. Du weißt schon, dass mir Tae Yeon dabei über den Weg lief und später durch die Lappen ging.“
Andrea sah den Freund fragend an. „Ja, aber…“
„Ich wollte dir bereits damals noch etwas dazu erzählen, worüber ich bis dahin nur mit Kimi geredet habe“, sprudelte es aus dem Kanadier heraus. „Tae Yeon gab mir damals, mehr oder weniger deutlich, zu verstehen, dass sie noch romantische Gefühle für mich hegt. Ich wäre seinerzeit beinahe explodiert deswegen. Nach alldem was war hatte sie die Dreistigkeit mir zu verstehen zu geben, sie würde mich lieben.“
Der Dunkelblonde wurde von Andrea abgelenkt, als Jayden rasch einhakte: „Aber das allein war es nicht, habe ich Recht?“
Ob der permanenten guten Laune des Freundes hatte Dean ihn früher bereits einige Male unterschätzt. Auch diesmal sah er etwas erstaunt zu Jayden, bevor er zugab: „Nein, das allein war es nicht. Das Schlimmste war, dass ich in diesem Moment etwas ganz tief in mir gespürt habe. Für Tae Yeon. Ein Gefühl von inniger Zuneigung und den Wunsch, ich könnte sie seelisch erreichen. Ich habe mir intensiv gewünscht, sie verhaften und mit mir nehmen zu können. Aber seltsamerweise nicht aus dem Wunsch heraus geboren, sie zu bestrafen. Ich wollte damals auch sie befreien. Es klingt vermutlich verrückt, doch ich spürte in mir diesen intensiven Wunsch, Kim Tae Yeon daran zu erinnern, dass sie nicht so abgrundtief böse ist, wie es den Anschein hat. Dafür hasse ich sie seitdem noch mehr, denn es hat seinerzeit eine alte Wunde aufgerissen, die ich als geheilt erachtete.“
Dean sah den Freund an und grenzenloser Zorn erfüllte ihn in diesem Moment.
Der Jamaikaner schien zu erahnen, wie es in ihm aussah, denn mit einem beinahe bedauernden Blick erwiderte er: „Du kannst mit diesem Hass nicht leben, mein Freund. Du musst einen Weg finden, dich davon zu befreien, oder er wird dich verzehren und auch all das, was dir wichtig ist. Lass dir dabei von Rian helfen. Sprich mit ihr darüber.“
Dean sah mit glänzenden Augen von Jayden zu Andrea und wieder zu dem Jamaikaner. Er schluckte und sagte entschlossen. „Das werde ich.“
In diesem Moment sprach der Vibrationsalarm der Multi-Funktions-Armbänder von Andrea und Jayden an. Sie aktivierten die Funksegmente und Dean bekam mit, dass man sie zu ihrem Raumschiff zurückbeorderte.
Die Erste Flotte wird in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, erklärte Jayden. „Vermutlich, weil die Zehnte Flotte schon in einer Woche zu ihrem Einsatz ins Sirius-System aufbricht. Wir besuchen dich wieder, sobald wir können.“
Die Freunde verabschiedeten sich rasch von ihm und nachdenklich blieb Corvin allein im Krankenzimmer zurück. Dabei verwünschte er den Krieg und hoffte, seine Freunde gesund wiederzusehen. Sehr nachdenklich sah er wieder unter die Zimmerdecke und begann über das nachzudenken, was die beiden Freunde ihm geraten hatten.
* * *
Entgegen dem Rat von Kimi schaffte es Rian Onoro lediglich, Dean fünf Tage lang zappeln zu lassen. Dann hielt sie es nicht länger aus und suchte am Morgen des sechsten Tages das Militärkrankenhaus auf. Fest entschlossen Dean gründlich die Meinung zu sagen, was sein Verhalten betraf.
Als sie das Krankenzimmer ihres Freundes beinahe erreicht hatte, rannte sie fast. Sie verhielt den Schritt, atmeten mehrmals tief durch und richtete ihre Uniform, bevor sie die letzten Schritte zum Schott ging und es öffnete.
Zu ihrem Missfallen saß Oberfeldwebel Anaris Ikari am Bett ihres Freundes. Sie hatte ihn an Bord der NOVA SOLARIS gefunden, nachdem er verletzt worden war und vielleicht hatte ihr beherztes Eingreifen Dean seinerzeit das Leben gerettet. Aber das hielt Rian Onoro nicht davon ab ein wenig eifersüchtig auf die Raumlandespezialistin zu sein. Denn sie spürte jedesmal die Sorge um Dean in den Blicken der Frau. Eine Sorge, die nach ihrer Meinung über bloße Kameradschaft eine Spur hinaus ging.
Rian Onoro bemerkte aber auch die Wandlung, die mit Dean vor sich ging, als sie zum Schott hereinkam. Noch bevor sie einen guten Morgen wünschen konnte, sagte er rasch zu Anaris Ikari: „Bitte entschuldigen Sie uns, Oberfeldwebel. Rian und ich haben eine dringende Privatangelegenheit zu besprechen.“
„Natürlich, Sir.“
Die schlanke Frau, an der sofort das asketisch geschnittene Gesicht und die auffallend großen, leicht schrägstehenden, dunklen Augen auffielen, erhob sich von dem Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, erwiderte freundlich den erst jetzt erfolgenden Morgengruß ihrer Raumschiff-Kameradin und verließ rasch das Krankenzimmer. Dabei runzelte die Raumlandespezialistin leicht ihre Stirn, als sie an Rian vorbei schritt.
Rian, die als Feldwebel zu derselben Ranggruppe gehörte wie Ikari, sah der Frau mit finsterem Blick nach, bevor sie sich Dean zuwandte. Langsam zu dem Bett schreitend sagte sie düster: „Feldwebel Ikari ist sehr besorgt um dich, wie mir scheint.“
Das anfängliche Strahlen auf dem Gesicht des Mannes verlor sich etwas und mit leicht gereiztem Tonfall meinte er: „Bitte, keine Szene wegen Ikari. Da ist nichts, außer dass sie sich immer noch Sorgen um mich macht. Ich finde das irgendwie goldig.“
„Goldig?“, echote Rian und setzte sich zu Dean ans Bett. Ohne es zu wissen zu der Seite, an die sich auch Andrea vor fast einer Woche am Krankenbett niedergelassen hatte.
„Na, wenn das nicht goldig ist, was denn dann?“
Dean sah Rian fest in die Augen und wollte dazu ansetzen ihr etwas zu sagen, doch Rian kam ihm zuvor. „Also goldig. Schön. Ungeachtet dessen hörst du mir jetzt ganz genau zu, Dean: Ich habe in der letzten Woche sehr gründlich nachgedacht. Dabei bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich mir deine Launen nicht mehr bieten lassen werde. Niemand hat das Recht, mich so schlecht zu behandeln, wie du es in den letzten zwei Monaten getan hast. Damit ist jetzt Schluss. Auf die ein oder andere Weise.“
Bei ihren letzten Worten versagte Rian beinahe die Stimme. Das Gesicht ihres Freundes verschwamm vor ihren Augen, als er betreten sagte: „Du hast Recht Rian. Das hast du nicht verdient. Ich habe mich fürchterlich benommen, in den letzten Wochen. Weil ich ganz entsetzliche Angst hatte.“
Rian wischte sich über die Augen. „Angst? Ausgerechnet du?“
Dean nickte stumm und schluckte. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen, bevor er schließlich nickte und erklärte: „Angst dich zu verlieren, Rian. Angst, du könntest mich nun anders sehen. Das hat mich vollkommen unsicher gemacht. Hilflos, weil ich kaum noch weiß was real ist und was ich mir einbilde. Ein wenig haben mir Jayden und Andrea einen Schubs in die richtige Richtung gegeben, als sie zuletzt hier waren.“
Rian sah in die grauen Augen ihres Freundes und sie erkannte darin die Hilflosigkeit, die er eben beschrieben hatte. Ihre Gefühle drohten sie zu übermannen, als sie sich etwas vorbeugte und sein Gesicht fest in ihre Hände nahm. Doch da war noch etwas, das sie unbedingt loswerden musste.
„Apropos Andrea“, zischte Rian gefährlich leise. „Du hast sie, mir gegenüber, stets nur als gute Freundin bezeichnet, doch das war eine ziemliche Untertreibung. Ist es nicht so?“
Unangenehm berührt nickte Dean, bevor er zugab: „Da war einmal sehr viel mehr. Von meiner Seite, doch nie von ihrer Seite. Aber das ist sehr lange her. Während ihrer Hochzeit habe ich auch den letzten Rest losgelassen, was die romantischen Gefühle für Andrea betrifft. Darum waren wir damals eine geraume Weile nicht im Festsaal. Weil ich mit Andrea abschließend über dieses gesamte emotionale Chaos geredet habe.“
Etwas verwundert bei diesen offenen Worten richtete sich Rian ein Stück auf.
Dean nutzte die Gelegenheit, um zu erklären: „Über all das müssen wir reden, Rian. Ich habe dich bisher von diesem Teil meines Lebens ausgeschlossen, weil ich nicht wusste, wie du das aufnehmen wirst. Doch das alles darf nicht länger zwischen uns stehen. Ich werde auch über Kim Tae Yeon mit dir reden müssen. Was ihr Verhalten mit mir gemacht hat und über das emotionale Durcheinander, dass das letzte Wiedersehen in mir auslöste. Ich wollte bisher nicht, doch Schweigen ist der falsche Weg, das ist mir nun klar.“
Das Gesicht der Frau näherte sich wieder dem des Mannes, bis ihre Nasenspitzen nur noch eine Handbreit voneinander entfernt waren.
„Andrea scheint dir ja wirklich den Kopf zurechtgerückt zu haben“, flüsterte Rian etwas misstrauisch. „Ich frage mich, ob da nicht…“
„Sie ist schwanger, Rian. Sie und Jayden bekommen ein Kind.“
Rian vergaß, den Rest dessen zu sagen, was sie sagen wollte, ob dieser Neuigkeit. Stattdessen korrigierte sie sich nach einer Weile, indem sie erneut anhob: „Ich frage mich, ob du das, was immer sie dir gesagt haben mag, auch begriffen hast?“
„Ja.“
Diese knappe und prägnante Antwort brachte Rian etwas aus dem Konzept. Forschend sah sie Dean in die Augen. Nach einigen langen Augenblicken hielt sie es nicht mehr aus und heiser verlangte sie: „Nimm mich in die Arme, Dean. In beide Arme.“
Der Kanadier kam ihrer Aufforderung nach. Zum ersten Mal, seit er den künstlichen elektronisch-mechanischen Arm trug, bewegte er diese silbern glänzende Prothese mit den bläulich glühenden Elementen, die sich von den oberen Anschlüssen bis hinab zu dem künstlichen Handgelenk zogen.
Ächzend verlangte die Frau im nächsten Moment: „Vielleicht etwas weniger fest.“
Mit entschuldigender Miene verringerte er den Druck des linken Arms etwas und Rian sagte ironisch: „Das musst du noch üben, Dean. Denn irgendwann möchte ich auch Kinder haben, und die willst du dann ja nicht verletzen.
Bei Deans ungläubigem Blick wiegelte Rian rasch ab: „He, nicht jetzt sofort. Wir sind ja nicht einmal verlobt, geschweige denn verheiratet. Wir müssen zunächst erst einmal wieder zueinander finden. Das hat also noch eine ganze Menge Zeit. Aber irgendwann will ich schon Kinder haben. Mit dir, Dean.“
Sie vibrierte am gesamten Körper, als Dean sie erleichtert ansah, ohne zu ahnen, warum er so erleichtert war. Immer noch sein Gesicht haltend konnte sie sich nun nicht länger zurückhalten. Sie legte ihre Lippen auf seine und sie küsste den Mann, für den sie so viel empfand, dass sie keine Worte dafür hatte. Wild und ungezügelt. Sie verspürte den Wunsch, all das nachzuholen, was ihr in den letzten Monaten mit Dean versagt geblieben war.
Sie lösten sich erst nach geraumer Weile voneinander und in den Augen ihres Freundes erkannte Rian eine Mischung aus grenzenloser Erleichterung und Freude. Aber auch Scham, weil er sich so schlecht benommen hatte und Verlegenheit. Und über das Thema Kinder – nun darüber würden sie später noch ausführlich reden können.
Als die Augen des Mannes feucht zu werden begannen, legte Rian ihren Kopf an seine Schultern um ihn nicht zu beschämen. Dabei sagte sie leise: „Wir werden all das gemeinsam überstehen, Dean. Trotz aller Unsicherheiten. Ich will mit dir zusammen sein.“
Sie spürte, wie Dean sie mit dem rechten Arm etwas stärker heranzog. Doch erst nach einer ganzen Weile hörte sie, wie er kratzig antwortete: „Und ich mit dir, Rian.“