Auf Outpost, im Delta-Cephei-System, herrschte ein kontrolliertes Chaos aus anfliegenden und startenden Raumschiffen aller Klassen und Größen. Als dritter von insgesamt zwölf Planeten eignete nur er sich als für menschliches Leben.
Im letzten halben Jahr hatte die Oberkommandierende der terranischen Streitkräfte die Abwehranlagen des rund 900 Lichtjahre von Terra entfernte Systems massiv aufrüsten, und bestehende Anlagen ausbauen lassen. Inzwischen galt das Delta-Cephei-System, nach dem Wega-System, als das am besten befestigte Sternensystem des ehemaligen Terranischen Imperiums, das offiziell als Staatengebilde nicht mehr existierte.
Dass die Planeten des Imperiums, bereits im Herbst letzten Jahres, als Protektorate in die Farradeen-Allianz übergegangen waren, hatten viele Terraner mit gemischten Gefühlen aufgenommen, auch wenn die Mehrheit die Notwendigkeit dieser Maßnahme einsah.
In demselben Moment, als der Frachter MORENA zum Antares-System aufbrach, suchte General Hilaria Inira Mbena das Büro von Hauptmann Rodrigo Esteban auf. So wie alle anderen Militärangehörigen des nun nicht mehr existenten Terranischen Imperiums trug auch sie nun die neue, dunkelgraue Uniform der Protektorats-Flotte.
Da sich Mbena zuvor bei Rodrigo Esteban angekündigt hatte, reagierte der übernächtigt wirkende Madrilene nicht überrascht, als sie hereinkam.
Nachdem er aus seinem Sessel, hinter dem Schreibtisch, aufgestanden war und salutiert hatte, meldete er der Oberbefehlshaberin aller terranischen Streitkräfte: „Guten Morgen, General. Die Umrüstung des letzten Kreuzers, der Ihnen unterstellten Flotten, ist vor wenigen Minuten abgeschlossen worden. Damit sind keine der manipulierten Garrett-Hellmann-Prozessoren mehr an Bord unserer Kriegsschiffe. Außerdem sind nun die verbesserten Schildgeneratoren und Antriebsprojektoren in Kompaktbauweise in den Einheiten installiert, die erstmalig bei der NOVA SOLARIS verbaut wurden. Sie sind bereits um beinahe fünfzig Prozent leistungsfähiger, als ihre Vorgänger, auch wenn sie kaum mehr als achtzig Prozent von deren Volumen beanspruchen. Da wir den Platz jedoch nicht verschwenden wollten, besitzen die Aggregate sogar eine noch höhere Leistung, gegenüber den ausgebauten Geräten. Auch die Energieerzeuger an Bord hätten wir, bei gleichem Leistungsausstoß kleiner gestalten können. Doch auch hier haben wir den ursprünglichen Platz genutzt, sodass allen Systemen an Bord dieses Kreuzers mehr Energie zur Verfügung steht. Die Geschütze der Kriegsschiffe haben unsere Techniker ebenfalls aufgerüstet. Die phasengesteuerten Plasmakanonen besitzen nun deutlich mehr Feuerkraft, als die der Kriegsschiffe aller anderen Sternenreiche.“
Ein unmerkliches Lächeln überflog die Lippen der molligen Frau, bevor sie mit dienstlichem Tonfall erwiderte: „Guten Morgen, Hauptmann Rodrigo. Sie haben Wort gehalten und die Umrüstung tatsächlich in der von Ihnen zuvor veranschlagten Zeitspanne eingehalten. Offen gestanden, ich hatte nicht geglaubt, dass unsere Techniker das schaffen.“
Rodrigo erlaubte sich ein pfiffiges Grinsen, bevor er sich in Erinnerung rief, wer hier in seinem Büro stand. Schnell wieder sachlich werdend erklärte er: „Das war auch nicht so einfach, wie es sich anhörte, Sir. Tatsächlich stehen viele der eingesetzten Männer und Frauen kurz vor dem Zusammenbruch. Ich möchte sagen, dass ich stolz auf unser technisches Personal bin. Es hat beinahe übermenschliches geleistet, während der letzten Monate. Ich hoffe, dass die Techniker der Farradeen-Allianz inzwischen damit begonnen haben, ihre Kriegsschiffe ebenfalls mit diesen neuen Aggregaten zu bestücken.“
„Ja, nach letzten Meldungen ist die gesamte Sonnenwindflotte inzwischen umgerüstet worden“, bestätigte Hilaria Mbena und trat etwas näher an den Schreibtisch heran.
Die Frau setzte sich in einen der beiden Sessel, die vor dem Schreibtisch des Hauptmanns standen und bedeutete ihm, ebenfalls wieder Platz zu nehmen. Kaum, dass sie saß, erkundigte sie sich bei ihrem Untergebenen: „Sie haben persönlich die von Ihnen und Ihrem Team entwickelten Prozessoren, die wir zwangsläufig als Ersatz für die sabotierten Garrett-Hellmann-Prozessoren in die Systeme unserer Kriegsschiffe integrieren mussten, geprüft. Wie hoch liegt nun die tatsächliche Effizienz der Systeme, die auf diese neuen Prozessoren zurückgreifen. Ungeachtet der erwähnten Aufrüstung?“
Rodrigo Esteban grinste schief, obwohl das Ergebnis besser war, als er es zuvor gehofft hatte. „Ich kann Ihnen melden, dass die Effizienz, unter diesem Gesichtspunkt, bei knapp einundachtzig Prozent des vorherigen Wertes liegt, General. Damit haben die neuen Prozessoren meine Erwartungen noch um ein paar Prozent übertroffen. Aber selbst damit befinden wir uns im Nachteil, gegenüber aller anderen Sternenreiche. Mehr war jedoch in einer akzeptablen Zeitspanne nicht zu erreichen.“
Hilaria Mbena, die mit weniger gerechnet hatte, nickte anerkennend. „Aber das ist doch schon etwas. Was ist am Ende mit den GH-Prozessoren passiert, die nicht von dem Reizimpuls beschädigt wurden? Konnten diese Prozessoren gegen eine Beeinflussung gesichert werden? Sie deuteten in Ihrem letzten Memo so etwas an.“
Das Gesicht des Hauptmanns entspannte sich etwas und zufriedener als zuvor versicherte er: „Was das betrifft kann ich Positives vermelden. Entgegen meiner ersten Befürchtung ist es mir gelungen eine wirksame Abschirmung für diese Prozessoren zu entwickeln. Unsere Techniker haben diese Abschirmung bereits auf den meisten terranischen Kriegsschiffen eingebaut und wir werden in der Lage sein, diese Abschirmung auch bei unseren Verbündeten von der Farradeen-Allianz zum Einsatz zu bringen. Es wäre meiner Meinung nach sinnvoll, nur einen Teil dieser Abschirmungen zur Allianz zu liefern. Ein anderer Teil der Flotte sollte hier umgerüstet werden. Da unser technisches Personal bereits Erfahrung darin hat, würde die Umrüstung hier deutlich schneller erfolgen. Das gilt natürlich ebenfalls für die Umrüstung der übrigen Schiffssysteme.“
General Mbena machte Anstalten, das linke Bein über das rechte zu schlagen, doch nach einem Moment entschied sie sich anders und unterließ es. Stattdessen lehnte sie sich im Sessel zurück und meinte: „Ich werde diesen Vorschlag General Ty-Verrin unterbreiten. Wir stehen, seit einem halben Jahr in engem Kontakt und ich denke, sie wird zustimmen. In diesem Fall kommt zusätzliche Arbeit auf Sie und unsere Techniker zu.“
„Falls wir es nicht so übertreiben, wie in den letzten Monaten, werden wir damit zurechtkommen, General“, gab sich Esteban zuversichtlich. „Außerdem wäre das System zusätzlich geschützt, falls unsere umgerüsteten Kriegsschiffe rein zufällig zu einem ungewissen Unternehmen aufbrechen würden.“
Hilaria Mbena hob ihre Augenbrauen und sah den Spanier fragend an. „So, so. Man munkelt also bereits über eine bevorstehende Aktion?“
Rodrigo Esteban schüttelte den Kopf und erwiderte: „Das kann man so nicht sagen, General. Wer nicht regelmäßig mit Ihnen zusammenarbeitet, der hätte die kleinen Anzeichen dafür vermutlich gar nicht wahrgenommen. Doch ich habe den Eindruck, dass Sie darauf brennen, unsere drei Flotten, die sich hier im System aufhalten, wieder einsetzen zu können.“
Mbenas Blick wurde stechend, als sie sich mit abgesenkter Stimme erkundigte: „Das ist ja interessant, Sie haben also diesen Eindruck, Hauptmann Esteban?“
„Nun…“
„Der Eindruck ist korrekt“, unterbrach Hilaria Mbena den Erklärungsansatz ihres Untergebenen. „Doch das werden Sie gefälligst für sich behalten. Mir gefällt übrigens Ihre strategische Denkweise.“
Etwas verlegen wirkend bedankte sich der Madrilene bei Mbena.
Die Oberbefehlshaberin sah den jungen Mann am Schreibtisch prüfend an, bevor sie mit verändertem Tonfall sagte: „Ich bin, bevor ich zu ihnen kam, die Nachrichten aus dem Wega-Sektor durchgegangen. Vielleicht freut es Sie, zu erfahren, dass Ihr Freund Dean Corvin soweit wiederhergestellt ist, dass er in einigen Tagen auf die Krankenstation seines Kreuzers verlegt werden wird. Wie mir eher inoffiziell berichtet wurde, hat sein Erster Offizier währenddessen erfolgreich verhindern können, dass die NOVA SOLARIS bereits zwei Monate eher wieder einsatzbereit ist und ohne ihn abfliegt.“
Bei ihren letzten Worten stahl sich ein Grinsen auf das Gesicht des Hauptmannes, als Hilaria Mbena sinnend hinzufügte: „Während der wenigen Male, die ich mit dem Major zu tun hatte, ist mir eins klargeworden, Hauptmann Esteban. Ihr Freund ist ein bemerkenswerter junger Mann, der es sicherlich noch weit bringen wird, in seinem Leben. Wenn sich seine Leute so sehr für ihn einsetzen, dann spricht das für sich. Ich würde mir, an Ihrer Stelle, also nicht allzu große Sorgen machen.“
Die Erleichterung bei Esteban war unverkennbar. „Vielen Dank, General.“
Eine weitere Viertelstunde lang erörterte General Mbena noch einige Detailfragen mit Esteban, bis sie nickte und sich langsam aus ihrem Sessel erhob. Sanft in Richtung des Madrilenen lächelnd sagte sie: „Sie entschuldigen mich nun bitte, Herr Hauptmann. Ich habe eine wichtige Besprechung vorzubereiten.“
Als Mbena das Büro verlassen hatte und durch den Gang schritt, murmelte sie mit einem Schmunzeln: „Ein ungewisses Unternehmen…“
* * *
Bereits eine halbe Stunde später saß Hilaria Mbena mit den Generalmajoren Claudine Poirot, Hu Xin Fo und Stuart Phillips im kleinen Konferenzraum des Flottenhauptquartiers zusammen und erörterte mit ihnen die bevorstehende Operation. Tatsächlich hatte sie in den letzten Tagen und Wochen förmlich darauf gelauert, dass alle Einheiten der Vierten, Achten und Neunten Flotte wieder einsatzbereit sein würden.
Nachdem Hilaria Mbena die Anwesenden von ihrem Gespräch mit Esteban unterrichtet hatte, sah sie in die Runde und erklärte: „Die Depeschen, welche ich im vergangenen Jahr mit der VESTERGAARD ins Wega-System geschickt habe, enthielten Kopien der aufgewerteten Aggregate und Waffensysteme. Außerdem Pläne der energetischen Zuführung der Torpedos zu den Rampen an Bord unserer Kriegsschiffe und das neu entwickelte Autonome-Taktische-System, kurz ATS. Auf mein Geheiß hin sind die ab da im Wega-System produzierten Flottenschiffe mit diesen neuen Systemen ausgerüstet worden. Dazu die Kriegsschiffe der Heimatflotte, denen die bis heute neu gebauten Kampfschiffe zuerst zugeteilt worden sind.“
Es war Stuart Phillips, der sich erkundigte: „Wie hat Generalmajor Azadeh Hazrat den notwendigen Rückzug, nach dem Angriff auf das Sol-System, inzwischen verarbeitet?“
Mbena wusste, dass Phillips die Kommandeurin der Heimatflotte persönlich kannte. Sie nickte ihm beruhigend zu. „Generalmajor Hazrat ist zäh. Wie ich von Generalleutnant Fournier erfahren habe, brennt sie inzwischen darauf, das Sol-System zu befreien. Was man ihr nicht verdenken kann, denn sie musste damals ihren Freund und ihre Kinder auf Terra zurücklassen. Doch dieser Umstand hat sie zum Glück nicht gebrochen. Es wäre ein herber Verlust gewesen, eine so fähige Flottenkommandeurin zu verlieren.“
Hu Xin Fo lächelte unmerklich. „Bei einem der alljährlichen Planspiele, vor der Attacke der Konföderation Deneb, hat sie mich mal ziemlich blass aussehen lassen. Interessanterweise hatte sie damals simulierte Feindverbände geführt.“
„Kommen wir zum eigentlichen Thema zurück“, mahnte Mbena gutmütig. „Unsere drei Flotten, hier über Outpost, sind bereit. Die Schlagkraft der Ihnen unterstellten Raumschiffe ist signifikant gesteigert worden. Alle Einheiten besitzen nun jenes Zusatzgerät, das die Scanner-Störsysteme der Konföderation Deneb unwirksam macht. Eingedenk der Tatsache, dass die nicht durch den Reizimpuls unbrauchbar gemachten GH-Prozessoren, entgegen der ersten Befürchtungen unserer Entwicklungsabteilung, doch abgeschirmt werden konnten, stehen wir momentan nicht so schlecht da, wie es noch vor fünf Monaten den Anschein hatte. Damit ist ein von mir geplantes Unternehmen gegen die Konföderation Deneb nun in greifbare Nähe gerückt.“
General Mbena machte eine kleine Pause und beobachtete die Mienen ihrer drei Flotten-Kommandeure, bevor sie die Katze aus dem Sack ließ. „Wir werden, in einer Woche bereits, gegen den Stützpunkt Lahara VII losschlagen. Im weiten Orbit dieses Planeten befindet sich eine moderne Ortungsphalanx, die weit in unseren Raum scannen kann. Von dort aus wird jeder Anflug in einem Radius von fünfhundert Lichtjahren registriert. Diese Phalanx und gleichfalls die Kolonie, werden wir in unseren Besitz bringen.“
Die drei Flottenkommandeure sahen sich, teils verwundert, teils ungläubig an. Schließlich war es Claudine Poirot, die sich erkundigte: „Was denken Sie, wie Diktator Laskarin Carom darauf reagieren wird? Der hält bestimmt nicht sehr lange still, wenn wir das Lahara-System annektieren. Der Gegenschlag wird bestimmt umgehend erfolgen. Ich vermute innerhalb weniger Wochen.“
„Darauf hoffe ich!“, grollte Mbena finster. „Denn wir werden dort einen Hinterhalt legen. Deshalb werden bereits wenige Stunden nach unserem Aufbruch vier Flotten der Farradeen-Allianz über Outpost erscheinen. Zwei werden das System sichern und die anderen beiden Flotten unterstützen unsere Operation, knapp außerhalb der Scannerreichweite unseres Feindes, der seine Besatzungsflotte ausdünnen muss, um den Gegenschlag zu führen. Einige Tage nach dem Angriff auf Lahara VII wird unsere Zehnte Flotte einen Handstreich im Sirius-System durchführen. Unterstützt von zwei Flotten der Farradeen-Allianz.“
Die drei Flottenkommandeure horchten auf, bei den letzten Worten ihrer Vorgesetzten. Sie waren es gewohnt, auch aus den kleinsten taktischen Hinweisen folgerichtige Schlüsse zu ziehen. Wie jetzt, aufgrund des Hinweises auf die unterstützenden Flotten von Farradeen.
Stuart Phillips erkundigte sich prompt: „Wir denken also daran, das Sol-System zurückzuerobern? Sind wir bereit dazu?“
Mbena machte eine wiegende Bewegung mit der rechten Hand. „Ich denke nicht an einen einzigen Schlag gegen ein inzwischen vermutlich wieder stark befestigtes System. Wir werden stattdessen in mehreren Abstufungen agieren. Zuerst muss es gelingen, die verbleibenden Kriegsschiffe im System kampfunfähig zu machen. Selbst eingedenk der ungeheuren Kapazitäten unserer Luna-Werften wird es lange dauern, bis sich die Konföderierten davon erholen. In dieser Zeit können wir, zumindest theoretisch, die verschiedenen Planeten relativ unbehelligt ansteuern. Das werden wir in einem zweiten Schritt ausnutzen, um den Saturnmond Titan zu befreien und dort einen Brückenkopf zu errichten. Nur wenn diese beiden Schritte erfolgreich verlaufen werden wir zum finalen Schlag ausholen und hart gegen die Konföderierten auf Mars, Terra und Venus vorgehen. Hier werden wir speziell auf die Disziplin unserer Untergebenen bauen müssen, denn es wird nicht einfach werden, für unsere Leute, wenn sie ihre Heimat unter Feuer nehmen müssen. Auch nicht in dem Wissen, dass es sich zumeist um rein militärische Ziele handelt.“
„Was ist mit der kampferfahrenen Besatzung der NOVA SOLARIS?“, hakte Phillips ein. „Wir könnten das Wissen von Major Corvin und auch die Fähigkeiten des Kreuzers sicherlich gut gebrauchen, sobald wir gegen Titan losschlagen. Nach meinem Kenntnisstand hat der Major dort mehrere Jahre gedient.“
„Ich habe deswegen bereits bei Generalleutnant Fournier vorgefühlt“, erwiderte Hilaria Mbena zur Überraschung des Flottenkommandeurs. „Der Major wurde bei der Schlacht über dem Mars schwer verwundet. Er befindet sich aber momentan auf dem Weg zur Besserung und ich hoffe, dass er uns für die geplante Aktion zur Verfügung steht. Sofern mein Kollege von der Farradeen-Allianz mitspielt, kann Major Corvin in knapp einer Woche aufbrechen. Vier Kurierschiffe unserer Flotten werden ihn in diesem Fall hierher eskortieren. Ich habe mir von Fournier sagen lassen, dass Generalmajor Traren nicht begeistert davon war, dass Corvins Erster Offizier den Kreuzer, nach Corvins Verletzung, zum Wega-System flog, statt sich den zurückweichenden Flotten der Farradeen-Allianz anzuschließen.“
„Bisher hat sich Traren aber doch stets als sehr kooperativ erwiesen“, gab Claudine Poirot zu bedenken. „Vielleicht können Sie ihn mit stichhaltigen Argumenten überzeugen.“
„Habe ich bereits versucht. Auch in Bezug auf die ebenfalls bald bevorstehende Aktion gegen Lacerta II. Gegenwärtig warte ich auf seine Antwort.“
Bevor General Mbena noch etwas hinzufügen konnte, betrat Guido Camparelli, den sie vor einigen Monaten zu ihrem Adjutanten ernannt hatte, den Raum und kam rasch näher.
Erwartungsvoll sah Mbena zu dem Brigadegeneral auf, der zufrieden lächelnd meldete: „Generalmajor Arolic Traren hat uns eben kontaktiert, General. Er hat von seiner Vorgesetzten das Einverständnis für Ihre Vorschläge erhalten. Inklusive der Anfrage bezüglich der NOVA SOLARIS. Traren und die Flotten von Farradeen werden gemäß dem Zeitplan für die von Ihnen geplanten Unternehmen hier eintreffen.“
Sichtlich erleichtert sah Hilaria Mbena in die Runde und stieß mit rauer Stimme aus: „Na bitte. Dann werde ich gleich mal Kontakt zu Fournier aufnehmen, damit er die momentane Kommandantin der NOVA SOLARIS informieren kann. Wir treffen dann morgen zur selben Zeit wieder hier zusammen und erörtern weitere Einzelheiten. Ich hoffe, dass der erste Teil unseres Vorstoßes auf Lahara VII erfolgreich abgeschlossen sein wird, wenn die NOVA SOLARIS über Outpost erscheint, damit wir dann umgehend handeln können.“
Die Oberbefehlshaberin der Terranischen Protektoratsflotte erhob sich, zum Zeichen dafür, dass die Besprechung beendet war. Als sie mit Guido Camparelli allein im Raum war, grinste sie ungeniert und meinte: „Major Dean Corvin und ich sehen uns definitiv viel zu oft, seit er für Farradeen kämpft.“
„Hoffentlich kommen unsere Leute deswegen nicht auf komische Gedanken“, spöttelte der Brigadegeneral ironisch.
Mbena warf ihrem Adjutanten einen strafenden Blick zu. „Das soll mal einer wagen.“
Schnell wurde die Oberkommandierende der Terranischen Protektoratsflotte wieder ernst und sah Camparelli auffordernd an. „Erstatten Sie Bericht, Brigadier. Wie ist die aktuelle politische und militärische Lage. Das Militärische bitte zuerst.“
Guido Camparelli räusperte sich und berichtete: „Der befehlshabende Schulleiter von Sektion-Cephei trifft sich heute Mittag mit dem Gouverneur. Er wird gegen 17:00 Uhr Standardzeit zurückerwartet. Ein Schwerer Kreuzer und zwei Fregatten der Neunten Flotte befinden sich momentan noch in der Werft und werden umgerüstet. Bis zum Beginn des von Ihnen geplanten Unternehmen Feuersturm werden alle drei Einheiten kampfbereit sein. Die Zehnte Flotte, unter dem Kommando von Generalmajor Caitriona McGowan, befindet sich in voller Gefechtsbereitschaft im Wega-System. Sie wird sich auf den Weg zum Sirius-System machen, sobald unser Angriff auf Lahara VII stattgefunden hat. Die Erste Flotte sichert in dieser Zeit weiterhin das Wega-System. Gegenwärtig verfügt deren Befehlshaberin, dank der hohen Werftkapazitäten des Systems, über etwa achtzig Prozent der Sollstärke. Wir reden von insgesamt einhundertunddrei kampfbereite Einheiten.“
Bei den letzten Worten des Brigadegenerals hakte Hilaria Mbena ein: „Die Erste Flotte verfügt nun also wieder über eine Stärke wie eine unserer übrigen neun Flotten. Das ist gut. Doch vermutlich wird Azadeh Hazrat alles daransetzen, bald wieder auf die Gesamtstärke von einhundertundfünfundzwanzig Kriegsschiffen zu kommen.“
Camparelli nickte zustimmend und legte seine Hände auf den Rücken. Nachdenklich fuhr er fort: „Die Zweite Flotte, unter Generalmajor Enrik van den Broek, unternimmt zur Zeit, vom Aldebaran-System aus, vereinzelte Vorstöße in die Umgebung des Sol-Sektors, vordringlich zum System von Wolf 359. Als Flare-Stern verschafft der rote Zwergstern den Aufklärern die ideale Tarnung, wenn sie dort aus dem Hyperraum fallen. Generalmajor Nomu Tschuban hat seine Dritte Flotte bei M-7 weit auseinandergezogen. Er kontrolliert mögliche Flottenbewegungen des Antares-Sternenreiches zwischen deren Sektor und dem Bund von Harrel. Imperator Rosellisher III verhält sich bisher jedoch abwartend.“
„Das passt mir überhaupt nicht“, knurrte General Mbena finster. „Ich bin mir sicher, dass Rosellisher mit dem Diktator von Deneb paktiert, wenn auch nicht offensichtlich.“
Camparelli äußerte sich nicht dazu. Solche Vermutungen überließ er gerne seiner Vorgesetzten. Stattdessen nahm er seine Berichterstattung wieder auf. „Generalmajor Ilana Stern hat die zuvor nach Wega beorderten Einheiten der Fünften Flotte inzwischen nach Hermes zurückbeordert. Sie ist bereit uns zu unterstützen, sobald der Gegenangriff der Konföderation Deneb bei Lahara VII erfolgt. Die Einheiten der Sechsten Flotte, unter Generalmajor Ronald Bluebeaver, patrouillieren entlang der Grenze, zwischen dem terranischen Raumgebiet und dem des Antares-Sternenreiches. Nur für den Fall. Die Siebte Flotte unter Generalmajor Joe Montana befindet sich wieder im Wega-System. Den Schutz der Hyaden übernimmt derzeit die Mondschatten-Flotte von Farradeen. Soweit zu den wichtigsten militärischen Eckpunkten unserer Flottenbewegungen.“
„Danke, Brigadier“, gab Hilaria Mbena nachdenklich zurück. „Wie sieht die Kriegslage an den verschiedenen Fronten aus?“
„Beinahe unverändert. Außer, dass die Konföderation eine ganze Reihe von Truppentransportern zum Sol-System entsendet hat. Vermutlich wurde das Kontingent der Bodentruppen und der militärisch geschulter Spezialisten massiv aufgestockt.“
„Darüber wird mir Generalleutnant MacPherson vielleicht mehr berichten können“, mutmaßte Mbena. „Seit Melanie von hier aus den Militärischen Geheimdienst wieder reorganisiert hat, blüht sie förmlich auf. Zumindest hatte ich in den letzten Wochen den Eindruck, sie wäre nur noch über Funk zu erreichen. Ich treffe mich im Anschluss mit ihr. Dabei werden wir die Planung des Unternehmens Feuersturm noch einmal durchgehen. Ich erwarte sie jeden Moment.“
Gerade so, als wären die Worte der beleibten Oberkommandierenden das Stichwort gewesen, öffnete sich das Schott zum Konferenzraum und Melanie MacPherson betrat den Raum. Energisch schritt sie zu Mbena und Camparelli. Nachdem die hagere Frau gegrüßt hatte, warf sie dem Brigadier einen auffordernden Blick zu und der Mann verabschiedete sich schnell von ihnen beiden.
Als sie unter sich waren, schritten die beiden Frauen zum Tisch und nahmen über Eck am Kopfende Platz. Mbena bot der Kommandeurin des Geheimdienstes einen Kaffee an, den diese dankbar entgegennahm. Sie wartete, bis sich die Oberkommandierende ebenfalls bedient hatte, bevor sie mit rauer Stimme begann: „Ehe wir zu den Details der bevorstehenden Aktion gegen Lahara VII kommen, möchte ich Sie von den letzten Geheimdienstberichten in Kenntnis setzen, General Mbena. Nach aktuellen Meldungen aus dem Sol-System hat die Konföderation Deneb die Präsenz ihrer Bodentruppen dort auf fünfundzwanzig Millionen angehoben. Das ist nach meiner Einschätzung mindestens die Hälfte dessen, was die Konföderation insgesamt an Bodenstreitkräften aufbieten kann. Eher noch mehr. Dabei handelt es sich vermutlich um relativ neu ausgehobene Einheiten, denn vor dem Überfall auf das Sol-System lag deren Anzahl bei maximal fünf Millionen insgesamt. Wären diese Truppen älteren Datums, so hätten wir bereits vor dem Angriff Kenntnis von einer solchen Aufstockung gehabt.“
Hilaria Inira Mbena sah ihre Untergebene ernst an. „Sind Sie sich in diesem Punkt ganz sicher, Melanie? Könnte es nicht sein, dass man diese Einheiten unter völliger Geheimhaltung ausbildete?“
Das flüchtige Lächeln von MacPherson sprach für sich. „Sie wissen doch so gut wie ich, dass es keine hundertprozentige Geheimhaltung gibt, Hilaria. Nein, diese massive Truppenstärke ist neueren Datums. Es handelt sich also um rasch ausgebildete relativ ungeübte Soldaten. Welchen Ausbildungsstand die Offiziere und Unteroffiziere haben wissen wir hingegen nicht. Da will ich nicht herumraten. Können wir übrigens für das geplante Unternehmen gegen Lacerta II und Titan mit der NOVA SOLARIS rechnen?“
An diese sprunghaften Themenwechsel der Geheimdienstchefin hatte sich Hilaria Mbena inzwischen gewöhnt und so erwiderte sie umgehend: „Traren hat uns wissen lassen, dass die Oberkommandierende der Raumflotte von Farradeen unserem Ansinnen zugestimmt hat. In etwa einer Woche wird sich die NOVA SOLARIS hierher in Marsch setzen. Unter dem Kommando von Dean Corvin, der bei der Schlacht über dem Mars schwer verwundet wurde. Man entlässt ihn in einer Woche aus dem Militärkrankenhaus auf Erron.“
„Wird er dienstfähig sein?“
Hilaria Mbena machte eine wiegende Geste mit der Hand. „Nach Aussage der Ärzte ja, aber davon werde ich mich lieber selbst überzeugen, sobald der Kreuzer hier ist. Denn immerhin wird er wieder, wenn auch nur temporär, unter meinem Oberkommando stehen, falls wir die Aktion gegen Lacerta II wirklich abrollen lassen können. Doch dazu muss zunächst einmal unser Handstreich gegen Lahara VII glücken.“
Melanie MacPherson schob eine Strähne ihrer strohblonden Haare hinter das linke Ohr, bevor sie meinte: „In Ordnung, kommen wir zu Lahara VII. Wie Sie vermutlich wissen wurde dieser Planet erst im Jahr 2998, durch ein Forschungsteam der Konföderation Deneb erstmals erkundet. Bereits einige Jahre später entstand auf einer der großen Inseln, in der Nähe des planetaren Südpols, eine hochmoderne Hyperraum-Scannerphalanx, während die beiden großen Kontinente und einige der Inselgruppen dünn besiedelt wurden. Bis heute leben dort etwa einhundert Millionen Menschen. Neben der Phalanx gibt es dort mehrere Garnisonen und einen gut befestigten Flottenstützpunkt. Diesen Stützpunkt sollten wir auf jeden Fall möglichst unbeschadet in die Hände bekommen, wenn es geht. Sofern es uns gelingt, hart und schnell gegen die Garnisonen vorzugehen haben wir eine reelle Chance.“
„Haben Sie die von mir angeforderten aktuellen Zahlen, was die Stärke der dort stationierten Raumverbände betrifft?“, erkundigte sich Mbena.
Die hagere Geheimdienstlerin nickte und erwiderte: „Nach einem Bericht der mich gestern erst erreichte, operieren dort lediglich zwanzig Kriegsschiffe. Darunter nur ein Schlachtkreuzer. Der Rest des Verbandes setzt sich aus zwei Schweren Kreuzern, vier Leichten Kreuzern sechs Zerstörern und sieben Fregatten zusammen. Kommt der Landeverband in Minimalnähe aus dem Hyperraum, dann kann, bei einer gut organisierten Landeoperation, der Flottenstützpunkt durchaus genommen werden, ohne dass es zu allzu großen Zerstörungen kommt.“
Hilaria Mbena nickte zufrieden. „Das klingt bisher ziemlich gut. Wir setzen in einer Woche jedoch nochmal zusammen. Ich möchte nicht von der Konföderation überrascht werden. Sollten die Aussichten dann annähernd dieselben sein schlagen wir zu.“
Mbena erhob sich und Melanie MacPherson tat es ihrer Vorgesetzten nach. Nachdem die beiden Frauen sich voneinander verabschiedet hatten, schritt die Oberkommandierende zur Fensterfront und sah hinaus auf einen der drei militärisch genutzten Raumhäfen. Dort herrschte aktuell ein permanentes Kommen und Gehen, während sie selbst hier im Hauptquartier weilte und das Zusammenspiel aller militärischen Verbände koordinierte. In diesem Moment wünschte sie sich ihr Kommando über die Siebte Flotte zurück, die nun von Joe Montana kommandiert wurde. Dabei gab sie ein leises Seufzen von sich.