Caitriona McGowan hätte es sicherlich sehr interessiert zu erfahren, was sich einige Wochen zuvor auf Outpost ereignet hatte. Doch General Hilaria Inira Mbena, die Oberbefehlshaberin der Terranischen Protektoratsflotte, setzte auf absolute Geheimhaltung. Nicht zuletzt deswegen, weil ihre Gesprächspartner darauf bestanden hatten.
Besagte Gesprächspartner, eine Delegation aus Regierungsvertretern und hochrangigen Militärs des Bundes von Harrel, war, an Bord eines kleinen Flottenverbands in der Nähe des Delta-Cephei-Systems aus dem Hyperraum gefallen und hatte um eine Landeerlaubnis auf Outpost ersucht.
Bereits zwei Wochen nach Neujahr war ein Kurier des Bundes auf Outpost gelandet und hatte sowohl mit Mbena, als auch mit dem Gouverneur des Systems gesprochen.
Bei diesen konstruktiven Gesprächen hatte es auf beiden Seiten Überraschungen gegeben. So zeigte sich Hilaria Mbena erfreut, als sie von der Inhaftierung der terranischen Verräterin Kim Tae Yeon erfuhr. Andererseits zeigten sich die Delegierten des Bundes von Harrel sehr erstaunt darüber, wie weit der Verrat des Computerprozessor-Produzenten Cole Hauser reichte und wie anfällig die Garrett-Hellmann-Prozessoren älterer Fertigung waren.
Als Zeichen von gutem Willen und Vertrauen überließ sie dem Kurier die technischen Unterlagen, nach denen die Schwachpunkte dieser Prozessoren isoliert werden konnten, sodass sie nicht länger durch Störgeräte der Konföderation Deneb beeinflussbar sein würden. Das war erwartungsgemäß gut beim Bund aufgenommen worden.
In der Folge dieses ersten Kontakts seit dem Überfall auf das Sol-System war dann vor etwa vier Wochen die Delegation auf dem Planeten gelandet und hatte, im Beisein des Gouverneurs, lange Gespräche mit der Oberbefehlshaberin und ihrem Stab geführt. Man hatte die Besorgnis zum Ausdruck gebracht, zwischen die Fronten des Krieges zu geraten und von wichtigen Handelsrouten und Nachschublieferungen abgeschnitten zu werden.
Da der Gouverneur von Outpost, der, als aktuell höchster ziviler Beamter des Terranischen Protektorats, in deren Auftrag, mit den Vertretern des Bundes verhandelte, ganz ähnliche Bedenken hegte, waren beide Seiten recht zügig zu einer Übereinkunft gelangt. Am Ende der Verhandlungen standen ein Militärbündnis und weitreichende Handelsabkommen, die es in dieser Form bisher nicht zwischen beiden Reichen gegeben hatte. Dabei wurde die Farradeen-Allianz, durch den Zusammenschluss von Terra und Farradeen, ebenfalls zum Teil dieses neuen Bündnisses.
Doch von alldem hatte die Kommandeurin der Zehnten Terranischen Raumflotte aktuell keine Ahnung, da man auf Seiten des Bundes von Harrel darauf bestanden hatte, das Bündnis erst dann allgemein bekanntwerden zu lassen, wenn sich die Notwendigkeit dazu ergab. Dieser Punkt war den Absichten der beiden Oberkommandierenden von Farradeen und der Terranischen Protektoratsflotte entgegengekommen.
So war es nicht verwunderlich, dass die Kommandeurin der Zehnten Flotte die strategische Lage wesentlich negativer einschätzte, als sie es mit dieser Information getan hätte. An der taktischen Situation hätte es nichts geändert, denn hier und jetzt galt es, sich gegen den neu auf den Plan getretenen Feind zur Wehr zu setzen.
Unbewusst nahm McGowan die grimmige Entschlossenheit der Männer und Frauen im Kommandozentrum zur Kenntnis. Bei ihnen gab es keine zwei Meinungen, zu wem dieses Raumgebiet gehörte – und wer hier absolut nichts zu suchen hatte.
Zunächst war der Plan von Generalmajor McGowan aufgegangen. Die Flotte hatte die Neuankömmlinge konsequent und kompromisslos angegriffen und in den freien Raum abgedrängt. Im Nachsetzen waren den terranischen Kriegsschiffen eine Reihe von kleineren Raumschiffen des Gegners zum Opfer gefallen. Doch als der Feind nach einer Weile die Hälfte seiner Einheiten ausscheren und Kurs zum Planeten nehmen ließ, musste sich die Zehnte Flotte ihnen zwangsläufig entgegenstellen.
Darum zogen sich die terranischen Kriegsschiffe seit etwa einer halben Stunde wieder in Richtung Strenia zurück. Zwar in voller Ordnung, doch zweifellos vor dem immer noch zahlenmäßig überlegenen Feind zurückweichend. Dabei ließ McGowan die Leichten Kreuzer und die kleineren Einheiten in kleineren Pulks zusammengefasst Flankenangriffe durchführen, während die Schweren Kreuzer und die Schlachtkreuzer Front machten, gegen den sich immer weiter dem Planeten nähernden Feind.
Oberst Christensen, der die Gefechtslage auf dem großen Frontbildschirm beobachtete, fuhr sich mit dem Handrücken über das Kinn und sah zu seiner Vorgesetzten. Dabei meinte er: „Seltsam, General. Seit einigen Minuten gewinne ich den Eindruck, als würden die antaresischen Flotten versuchen uns zum Planeten zu drängen, ohne selbst ernsthaft anzugreifen.“
Die rothaarige Frau nickte bedächtig und zeigte dann plötzlich ein breiter werdenden Lächeln. „Ja, wir erwecken bei denen, durch unsere Manöver ja auch die Absicht, als würden wir da gar nicht hin wollen.“
Der Kommunikationsoffizier der HAGEN VON TRONEGE unterbrach diese Betrachtung, indem er meldete: „Leutnant Famke Korkonnen informiert uns, dass die Zentrale der Raumabwehr in unserer Hand ist.“
McGowan nahm die Meldung zur Kenntnis und wechselte einen schnellen Blick mit dem Oberst, der anerkennend meinte: „Diese junge Frau ist aber von der schnellen Truppe.“
Caitriona McGowan schlug sich mit der rechten Faust in die linke Hand und erwiderte: „Umso besser. Ich möchte wetten, unsere ungebetenen Gäste erwarten das nicht. Oberst, doch wir ziehen uns weiterhin nur zögerlich in Richtung Strenia zurück. Ich werde den Kommandanten einen tangentialen Kurs befehlen. Sobald sich die Flotten von Antares in Schussweite befinden starten wir dann ein Umfassungsmanöver.“
Oberst Christensen wirkte zufrieden. Offensichtlich hielt er selbst diesen Plan für gut. Er kümmerte sich wieder darum, den Schlachtkreuzer zu kommandieren, während er mitbekam, wie seine Vorgesetzte die Kommandanten der Flotte neu instruierte. Doch bereits im nächsten Moment verlor sich der zufriedene Ausdruck auf seinem Gesicht, als ihm gemeldet wurde, dass weitere drei Raumschiffsverbände zu jeweils achtzig Einheiten in zwanzig Millionen Kilometern Entfernung aus dem Hyperraum hervorgebrochen waren.
Ingmar Christensen kommentierte die Meldung erbost, indem er sagte: „Verdammt, das schaffen wir nicht, General. Wir…“
Der Kommandant des Schlachtkreuzers unterbrach sich selbst, als der Offizier der Kommunikation beinahe jubelnd erklärte: „Es sind drei Flotten der Bundes-Raumflotte von Harrel. Die Kommandeurin behauptet, dass sie gekommen sei, um uns zu unterstützen. Sie will mit Ihnen reden, Generalmajor.“
„Auf die Lautsprecher!“
Es dauerte nur einen Moment, bevor eine etwas raue Frauenstimme aufklang. „Hier spricht General Jiraness van Klant. Ich komme mit Grüßen meiner Regierung, die mit der Ihren, bereits vor Wochen ein Bündnis geschlossen hat. Unsere Regierung, und auch die Ihre hielt es für besser, diesen Umstand zunächst nicht bekannt werden zu lassen. Nun, das wird sich nach dem heutigen Tage erledigt haben. Harrel hat Position bezogen. Ich übertrage jetzt den Kampfcode für diesen Einsatz, den ich von Ihrer Oberkommandierenden erhalten habe, damit die Freund-Feind-Systeme meine Einheiten als Verbündete identifizieren. Nach der derzeitigen Position meiner drei Flotten wäre es im Übrigen begrüßenswert, wenn Sie Ihre Einheiten noch etwas mehr auseinanderziehen.“
Es dauerte einen Moment, bis sich Caitriona McGowan gefasst hatte und erwiderte: „Hier spricht Generalmajor Caitriona Aleen McGowan. Ich heiße Sie willkommen, General.“
Die Kommandeurin sah kurz zur Seite und nach einem bestätigenden Kopfnicken fügte sie hinzu: „Ich werde Ihrem Rat folgen, General.“
Auf dem großen Holoschirm beobachtete die Kommandeurin der Zehnten Flotte, wie die 240 Kriegsschiffe des Bundes von Harrel auffächerten und das Feuer auf die Einheiten von Antares eröffneten.
Die Flotten von Antares wechselten nur wenige Augenblicke später den Kurs und begannen gleichzeitig, signifikant zu beschleunigen. Sie entfernten sich dabei mit hoher Geschwindigkeit sowohl von Strenia, als auch von den kombinierten Flotten von Terra und Harrel. Allerdings fiel McGowan dabei etwas Besonderes auf.
„Verdammt, Oberst, die verschwinden nicht in Richtung des Antares-Sternenreiches. Die antaresischen Flotten nehmen Kurs auf das Sol-System. Mit den Flotten der Armada von Deneb vereinigt, die dort verblieben sind, ist deren vereinte Schlagkraft zu groß, um einen Angriff auf Titan ernsthaft ins Auge zu fassen. Das wird General Mbena nicht gefallen.“
„Dafür ist deren Plan aber auch gründlich schiefgegangen“, machte Christensen den Versuch, der Situation etwas Positives abzugewinnen.
„Gar nicht gefallen“, wiederholte McGowan düster. Erst danach meinte sie seufzend: „Aber Sie haben Recht, Oberst. Wir haben das Sirius-System wieder, auch wenn unsere Infanterie noch so Einiges zu tun bekommen wird. Ich, für meinen Teil, werde der Oberkommandierenden der Bundes-Raumflotte den ihr gebührenden Respekt erweisen, und sie zum Abendessen auf meinem Flaggschiff einladen. Sie werden auch dabei sein.“
„Ich bin immer noch etwas überrascht, dass General Van Klant persönlich den Oberbefehl über die drei Flotten führt“, bemerkte der Oberst. „Ob sie uns damit zeigen wollte, wie ernst sie dieses neue Bündnis nimmt?“
„Das klingt plausibel. Ich denke, Sie haben damit Recht.“
Caitriona McGowan nickte dem Oberst zu und erklärte: „Wir landen auf Strenia, denn ich denke, General Mbena wird wissen wollen, was sich hier ereignet hat und dass der Plan, Titan in unsere Hand zu bekommen erst einmal illusorisch geworden ist. Mit der Funkanlage der Raumverteidigung ist eine Direktverbindung möglich.“
* * *
General Hilaria Inira Mbena stapfte mit verschlossener Miene in den kleinen Konferenzraum des Hauptquartiers auf Outpost. Sie hatte sich bereits vor zehn Minuten mit Generalmajor Traren, von der Farradeen-Allianz, und den drei Kommandeuren der weiteren verbündeten Raumflotten die er als eingesetzter Verbandsleiter mitgebracht hatte, treffen wollen. Doch dann hatte sie ein Anruf von Generalmajor Caitriona McGowan erreicht. Die Meldung von der erfolgreichen Rückeroberung war dabei von der Meldung überschattet worden, dass es keinen erfolgversprechenden Einsatz gegen Titan im Sol-System geben würde. Dementsprechend war es nun um ihre Laune bestellt.
Generalmajor Arolic Traren, der sie bereits vor einiger Zeit kennengelernt hatte, ahnte, dass sich etwas ereignet haben musste, das für den momentanen Gemütszustand der beleibten Frau verantwortlich war. Er und seine gleichrangigen Kollegen erhoben sich, als die Oberkommandierende der Terranischen Protektoratsflotte gemeinsam mit ihrem Adjutanten den Raum betrat.
„Nehmen Sie bitte Platz, meine Damen und Herren“, bat Mbena, noch bevor sie selbst den Tisch erreicht hatte. Sie ließ ihren Blick über die Gesichter der beiden Frauen und der beiden Männer der Raumflotte von Farradeen gleiten, während sie sich an das Kopfende des länglichen Tisches setzte. Guido Camparelli setzte sich ihr gegenüber an das andere Ende des Tisches. Auch er musterte die vier übrigen Anwesenden eingehend.
General Mbena deutete über den Tisch hinweg auf ihren Adjutanten und stellte ihn den drei Kommandeuren vor, die ihm bisher noch nicht begegnet waren.
Auf das Zeichen von Mbena stellte Arolic Traren den Mann zu seiner Rechten als Generalmajor Aurélien Flamant-Moreau vor. Sein dunkler Teint stand in eigenartigem Kontrast zu seinen eisgrauen Augen. Bei den beiden Frauen handelte es sich Traren nach um Kaleris Tarderance, die von hochgewachsener Erscheinung war, und um Cai-Liara Venkiera, die ihre asiatischen Vorfahren nicht verleugnen konnte. Im Gegensatz zu der blonden Frau neben ihr wirkte die Schwarzhaarige eher klein und sehnig.
Nachdem Traren die Vorstellung beendet hatte, erhob sich General Mbena und eröffnete das Gespräch, indem sie rasch auf den Punkt kam. „Ich heiße Sie Vier und die Mannschaften Ihrer Flotten herzlich im Delta-Cephei-System willkommen. Noch in dieser Stunde brechen die bisher zurückgebliebenen beiden Protektorat-Flotten Vier und Acht in Richtung Lahara VII auf. Mit der bereits vor Ort befindlichen Neunten Flotte werden wir dort den vor einer Woche aus dem Sol-System abgezogenen Flotten der Konföderation eine Falle stellen, in die sie hoffentlich hinein tappen. Zwei Ihrer Flotten werden ihnen im Anschluss an diese Besprechung folgen, dabei befindet Generalmajor Traren darüber, welche Flotten dorthin starten werden.“
General Mbena machte eine kleine Kunstpause, bevor sie die Katze aus dem Sack ließ und berichtete: „Leider wird der von uns geplante Angriff im Sol-System nicht stattfinden. Zwar konnte unsere Zehnte Flotte das Sirius-System inzwischen erfolgreich sichern, doch seitdem steht fest, dass das Antares Sternenreich nun offiziell als Alliierter an der Seite der Konföderation Deneb steht. Zwei antaresische Flotten haben die Präsenz des Feindes im Sol-System erhöht, sodass vorerst kein erfolgversprechender Rückeroberungsversuch, in Bezug auf den Saturnmond Titan, unternommen werden kann.“
Als General Mbena endete, übernahm Brigadegeneral Camparelli für sie und führte weiter aus: „Allerdings gibt es auch Gutes zu berichten. Der Bund von Harrel hat seine Bündnisverpflichtung eingehalten und über Strenia gegen die Kaiserlich Antaresische Flotte an unserer Seite gekämpft. General Jiraness van Klant selbst leitete den Einsatz.“
Die vier Generalmajore der Farradeen-Allianz sahen sich überrascht an, ob der letzten Worte des Brigadegenerals. Es war schließlich Generalmajor Cai-Liara Venkiera, die Kommandeurin der Kometenschweif-Flotte, die meinte: „Wenn die Oberkommandierende selbst dabei war, dann hat diese Tatsache einen hohen Stellenwert. Das wird beim Diktator von Deneb entsprechend ankommen.“
Hilaria Mbena sah die hagere Mittfünfzigerin direkt an. „Ja, diese Einschätzung teilt unser Flottenstab mit Ihnen. Was unser Stab hingegen nicht annimmt ist, dass es einen signifikanten Einfluss auf die kriegstreiberischen Pläne des Diktators haben wird. Nach unserer Einschätzung besitzt Laskarin Carom einen nahezu krankhaften Ehrgeiz, der an Fanatismus grenzt, in Bezug auf seine Expansionsgelüste. Fall Irgendjemand in diesem Raum angenommen hat, es könnte auf absehbare Zeit eine Einigung mit der Konföderation geben, die für alle Beteiligten annehmbar ist, so muss ich diese Hoffnungen leider enttäuschen.“
„Hat keiner“, spöttelte die Kommandeurin der Sternenlicht-Flotte, Kaleris Tarderance, die sich bisher zurückgehalten hatte. Schnell wieder ernst werdend fügte sie hinzu: „Wenn es zu einer Einigung mit der Konföderation Deneb kommen soll, so muss vorher eine Änderung von innen heraus stattfinden. Doch danach sieht es bisher nicht aus.“
Generalmajor Aurélien Flamant-Moreau, der ebenso bei den Worten seiner Kameradin geschmunzelt hatte, wie alle anderen Anwesenden, sah in die Runde, Der Kommandeur der Supernova-Flotte erkundigte sich: „Denken Sie, dass die NOVA SOLARIS, die kurz vor uns in diesem System eingetroffen ist, bei der Eroberung von Lacerta II einen Unterschied machen kann? Wie ich hörte, soll der Eris-Einsatz des noch sehr jungen Majors, der diesen Leichten Kreuzer kommandiert, ziemlich abenteuerlich verlaufen sein.“
„Er hat den Einsatz damals erfolgreich abgeschlossen“, erinnerte Mbena sofort und mit leisem Erstaunen spürte Aurélien Flamant-Moreau, die Bereitschaft von Mbena, notfalls für den jungen Major Partei zu ergreifen.
Arolic Traren, dem dies ebenfalls nicht entgangen war, vermittelte rasch: „Das Haarsträubende passierte im Grunde erst bei seinem zweiten Einsatz auf dem Mars. Das auch nur, weil es zu den katastrophalen Ausfällen unserer Schiffssysteme kam. Wie ich hörte, haben er und sein Erster Offizier als Verbandsleiter gut funktioniert.“
General Mbena, deren emotionale Reaktion bereits wieder abgeflaute, nickte: „Das ist korrekt, Generalmajor. Ihre untergebenen Offiziere brachten den Verband sicher hierher.“
Traren räusperte sich und erklärte dann mit etwas verändertem Tonfall: „Ich werden an der Spitze meiner eigenen Flotte und der Kometenschweif-Flotte in wenigen Stunden von hier aufbrechen, um gegen Lacerta II vorzurücken. Die übrigen beiden Flotten lasse ich unter dem Oberbefehl von Generalmajor Tarderance zur Sicherung des Systems hier. Sie wird direkt Ihrem Oberbefehl unterstehen, General Mbena.“
General Hilaria Mbena nickte dem Generalmajor mit einem unmerklichen Lächeln zu. Im Anschluss besprachen die sechs Anwesenden die Einzelheiten der beiden geplanten Aktionen, bis sie sich eine Stunde später trennten.
* * *
Im Vorraum des Konferenzraumes saß Major Dean Corvin wie auf glühenden Kohlen. Er hatte am Morgen bei Generalmajor Traren wegen einer Unterredung vorgefühlt und sein Kommandeur hatte darauf vertröstet, sich nach der Einsatzbesprechung Zeit für ihn zu nehmen. So wartete er nun seit bereits einer halben Stunde darauf, dass die Besprechung ein Ende finden würde. Denn in Bezug auf Rian und Karambalos hatte er in den letzten Stunden sein ursprüngliches Vorhaben erheblich abgeändert.
Als sich endlich das Schott des Konferenzraumes öffnete und sechs Flaggoffiziere heraustraten, hatte Corvin den Eindruck gewonnen, bereits seit einem halben Tag hier zu sein.
Arolic Traren, der den Major sofort bemerkte, als er gemeinsam mit Mbena als Letzter den Konferenzraum verließ, entschuldigte sich beim General und steuerte auf seinen Kreuzerkommandanten zu, der vorschriftsmäßig vor den übrigen hochrangigen Offizieren salutiert hatte.
Arolic Traren erwiderte den Gruß des jungen Mannes und erkundigte sich stirnrunzelnd bei ihm: „Die von Ihnen angedeutete Angelegenheit, wegen der Sie mich sprechen wollen, scheint ja ziemlich wichtig zu sein, wenn Sie mich gleich hier abpassen, Major Corvin. Also, dann reden Sie.“
Unangenehm berührt, wegen der versteckten Kritik, röteten sich die Wangen des Majors etwas, als er rau sagte: „Es ist zumindest mir sehr wichtig, Generalmajor Traren. Es handelt sich um zwei Unteroffiziere der NOVA SOLARIS. Jene beiden, die im Imperium, das inzwischen ja offiziell aufgehört hat zu existieren, als staatenlos galten.“
Generalmajor Arolic Traren runzelte die Stirn und deutete dann auf das Schott des Konferenzraumes. „Gehen wir dort hinein. Das Ganze wird vermutlich einige Minuten dauern und nicht nur Sie haben mit mir zu reden.“
Sie betraten gemeinsam den Konferenzraum und setzten sich an einem der Tischenden gegenüber. Beim auffordernden Blick des Generalmajors begann Corvin: „Die besagten beiden Unteroffiziere haben mich auf dem Flug hierher ersucht, ihrer Versetzung nach Farradeen stattzugeben. Ich habe mich damit einverstanden erklärt, doch damit wäre das eigentliche Problem nicht gelöst. Darum bitte ich Sie um Hilfe, Sir. Die Sache ist so: Ganz im Gegensatz zum Rest meiner Crew haben sich diese beiden Unteroffiziere nie wirklich damit angefreundet, Terra hinter sich zu lassen und Angehörige der Farradeen-Allianz zu werden. Beide wollten auch nie ein Bordkommando. Sie würden sich zwar auf einer der Werften auf Farradeen wohler fühlen, als auf der NOVA SOLARIS, doch im Grunde wollen beide zurück dorthin, woran ihre Herzen hängen. Und das ist das Terranische Protektorat.“
Generalmajor Traren sah Corvin ernst an und erwiderte unwillig: „Diese beiden Unteroffiziere wissen sehr viel über die Systeme der NOVA SOLARIS und über das ATS. Warum sollte ich also diese beiden Unteroffiziere gehen lassen? Sie verlangen da ein ziemlich großes Opfer von mir.“
Dean Corvin sah seinen Vorgesetzten mit brennendem Blick an. „Sir, dasselbe Opfer hat General Mbena erbracht, als sie mich und meine Crew an die Farradeen-Allianz überstellte. Es wäre ein gerechter Ausgleich.“
Trarens Blick wurde stechend, doch der junge Mann hielt ihm stand. Erst nach einer Weile deutete Traren ein flüchtiges Lächeln an und fragte: „Wissen Ihre beiden Unteroffiziere davon, wie sehr Sie sich für sie ins Zeug legen, Dean?“
Corvin atmete erleichtert auf, denn wenn Traren seiner Marotte nachgab, Untergebene beim Vornamen zu nennen, war die Lage nicht hoffnungslos. Ernsthaft antwortete er: „Nein, ich wollte den beiden keine Hoffnungen machen, bevor ich mit Ihnen gesprochen habe. Doch ich bin mir sicher, dass beide es zu schätzen wissen werden und wenn sie sich hier doppelt so sehr ins Zeug legen, dann wird es uns, als Alliierten, letztlich ja auch zugutekommen. Mein ehemaliger Akademie-Kommilitone wird beide sicherlich zu Höchstleistungen anspornen. Er hat bereits mit Feldwebel Onoro gearbeitet.“
Traren seufzte übertrieben und erklärte: „Also schön, ich werde im Anschluss mit General Mbena reden. Möglicherweise wird die Oberkommandierende Sie deswegen nochmal kontaktieren. Doch das wird vermutlich Ihr geringstes Problem werden, denn wie man hört stehen Sie beide sich so.“
Die Art, wie Traren bei seinen letzten Worten demonstrativ den Zeigefinger seiner rechten Hand vor seinem Gesicht in die Luft reckte brachte Corvin zum Grinsen. Sich rasch wieder beherrschend erwiderte er: „Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, Generalmajor.“
„Ja, Sie und Ihr Erster Offizier“, grollte Traren gespielt finster bevor er unvermittelt das Thema wechselte. „Und jetzt kommen wir zu dem, was ich Ihnen zu sagen habe. Sie kommen in den Genuss meiner Sie-wurden-im-Einsatz-schwer-verwundet-Rede. Als erster meiner Untergebenen übrigens.“
„Habe ich ein Glück“, entfuhr es Corvin unwillkürlich.
„Oh ja, das hatten Sie tatsächlich“, hakte Traren sofort ernst ein. „Denn wären einige Ihrer Untergebenen weniger beherzt und wohl auch eigensinnig gewesen, dann wäre die Sache vielleicht unglücklicher ausgegangen. Doch so konnte man Ihr Leben retten und Sie einigermaßen wiederherstellen. Jetzt, da Sie wieder annähernd genesen sind und man Sie wieder für diensttauglich befindet, da denken Sie vermutlich, Sie könnten einen Schalter umlegen und wieder da weitermachen, wo Sie aufgehört haben. Doch ich fürchte, so funktioniert es nicht, Dean. Sie werden es erzwingen wollen und das kann nur schiefgehen. Darum bitte ich Sie dringend darum, die Hilfe von Freunden anzunehmen. Reden Sie mit Personen, denen Sie vertrauen und hören Sie zu, was die Ihnen zu sagen haben. Versprechen Sie mir, beim nächsten Einsatz nichts übers Knie zu brechen. Ich brauche sowohl Sie als auch die NOVA SOLARIS bei dem bevorstehenden Einsatz. Sonst wären Sie noch gar nicht wieder dabei, das versichere ich Ihnen. Sollte mir zu Ohren kommen, dass Sie es übertreiben, dann versetze ich Sie zur Flottenwerft von Xorolan. Haben Sie das verstanden, Major.“
Es hätte für Corvin nicht des ernsten Blickes von Traren bedurft, um ihm klarzumachen, wie ernst der Kommandeur der Sonnenwind-Flotte seine Worte meinte. Allein die Tatsache, dass er ihn mit seinem Rang angesprochen hatte, tat das in ausreichendem Maß. Darum straffte sich die Gestalt des Majors unwillkürlich, als er bestätigte: „Verstanden, Generalmajor Traren. Ich werde meinen Ersten Offizier und die Kommandantin der Raumlande-Einheit stärker einbinden, als bisher.“
Traren lehnte sich in seinem Sessel zurück und nickte zufrieden. „Dann haben wir soweit wohl alle Punkte geklärt. Außer es wäre noch etwas von Ihrer Seite zu sagen.“
„Nein, Sir.“
Traren erhob sich und Corvin tat es ihm gleich. „Dann kehren Sie zurück an Bord und informieren Sie ihre beiden Unteroffiziere. Die beiden haben drei Stunden Zeit, um ihre Sachen zu packen, denn in etwas mehr als drei Stunden werden wir bereits aufbrechen.“
Sie verließen den Konferenzraum - beide mit einem bestimmten Ziel.
* * *
Nachdem Dean Corvin wieder zur NOVA SOLARIS zurückgekehrt war, hatte er Rian Onoro und Karambalos Papadopulous zu sich bestellt. Beide hatten kaum glauben wollen, was der Major ihnen in knapper Form eröffnet hatte. Doch zum Reden war nicht viel Zeit geblieben, denn beide sollten von Bord gehen, bevor die Sonnenwind-Flotte zum Einsatz gegen Lacerta II aufbrach.
Während die beiden Unteroffiziere in fieberhafter Eile ihre Siebensachen packten, erreichte Dean Corvin ein Anruf der terranischen Oberkommandierenden in seinem Quartier, ganz so, wie es ihm Traren prophezeit hatte. Zu Corvins Überraschung entdeckte er auf dem Bildschirm neben Hilaria Mbena seinen Freund Rodrigo Esteban, den er während seines Aufenthaltes leider nicht im Hauptquartier angetroffen hatte. Er ahnte, dass sie es Mbenas Muttergefühle zu verdanken hatten, dass er nun anwesend war.
„Major Corvin, ich unterrichte Sie davon, dass mich Ihr Vorgesetzter aufgesucht hat, wegen der Übernahme von Feldwebel Rian Onoro und Stabsunteroffizier Papadopulous“, eröffnete die Frau das Gespräch. „Diese beiden Unteroffiziere sind mir herzlich willkommen, denn sie werden das Team rund um Hauptmann Esteban signifikant verstärken. Die Dienstzeit in der Flotte von Farradeen werde ich anrechnen lassen. Da beide inzwischen keine Staatenlose mehr sind, steht diesem Schritt nichts im Wege. Ich kann nur erahnen, dass Sie diese Beiden nicht gerne ziehen lassen.“
Dean Corvin nickte knapp. „Ich hätte beide Unteroffiziere gerne an Bord behalten. Doch beide wollten nie ein Bordkommando. Sie in die Crew aufzunehmen war von Vornherein zum Scheitern verurteilt, denke ich. Es gab damals lediglich keine Alternative.“
„Ihr Verlust ist unser Gewinn, Major. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Mannschaft alles Gute und lasse Sie nun noch ein paar Worte mit dem zukünftigen Chef ihrer Leute reden.“
Damit verschwand General Mbena aus dem Erfassungsbereich der Kommunikation und Rodrigo Esteban rückte in dessen Zentrum. Grinsend den Freund ansehend meinte der Madrilene: „Ich freue mich, dass es dir wieder gut geht, mein Freund. Deine beiden Unteroffiziere werden hier in guten Händen sein, das verspreche ich dir.“
Esteban sah kurz zur Seite und Corvin ahnte warum, als der Hauptmann mit abgesenkter Stimme fragte: „Hey, was ist das ständig, zwischen dir und dem General?“
Dean Corvin antwortete nicht darauf, sondern zog lediglich die Stirn kraus. Inständig meinte er schließlich: „Behandele die Beiden gut, Don Rodrigo. Die können etwas.“
„Du vergisst offensichtlich, dass ich Feldwebel Onoro bereits kenne“, versetzte Esteban gutgelaunt. „Ich bin froh darüber, sie wiederzuhaben.“
„Lass das bloß nicht Nayeli hören. Wie geht es ihr?“
Rodrigo Esteban machte ein zufriedenes Gesicht. „Wir sind glücklich miteinander. Natürlich hatte sie der Tod von Tabea, als wir an Bord der KIROV geflohen sind, sehr mitgenommen. Doch inzwischen ist sie weitgehend darüber hinweg. Bis auf manche stillen Momente. Doch dann bin ja ich für sie da.“
Corvin nickte in Gedanken. „Das ist gut, Don Rodrigo. Ich muss leider jetzt die Verbindung unterbrechen, um mich von meinen Leuten zu verabschieden. Ich hoffe, wir sehen uns auf Outpost, wenn dieser Einsatz gelaufen ist.“
„Na klar“, gab Esteban gutgelaunt zurück. „Bis dann.“
„Bis dann“, erwiderte der Kanadier und unterbrach die Verbindung. Für eine Weile starrte er nach vorne, ohne wirklich etwas zu sehen. Nach einem Moment straffte er sich und verließ das Quartier. Rian und Karambalos mussten inzwischen reisefertig sein.
Als Dean Corvin in den Gang einbog, der zu den Quartieren der beiden Unteroffiziere führte, entdeckte er beide Kameraden keine zehn Meter vor sich. Etwas überrascht erkundigte er sich bei den Beiden: „Hattet ihr vor, euch ohne Abschied von Bord zu schleichen?“
„Natürlich nicht“, gab der Grieche rasch zurück und warf Rian einen Blick zu, der sie davon abhielt etwas auf die Bemerkung ihres Ex-Freundes zu erwidern. „Wir waren nur auf dem Weg, unser Gepäck zur vorderen Steuerbordschleuse zu bringen. Danach wollten wir dich aufsuchen, um uns zu verabschieden.“
Das Gesicht des Kanadiers hellte sich auf. „Komm, ich helfe euch mit dem Gepäck.“
Nachdem sie die Schleuse erreicht hatten, öffnete Corvin das Schott und betätigte die Kontrollen zum Ausfahren der Rampe. Danach seh er zu Karambalos Papadopulous und meinte ernst: „Wir zwei verabschieden uns zuerst voneinander und danach gibst du mir und Rian noch ein oder zwei Minuten unter vier Augen.“
Der Grieche reichte Corvin die Hand, doch der lachte amüsiert und nahm den Hünen zwanglos in die Arme, wobei er mit der Rechten fest auf den Rücken des Mannes klopfte, bevor er ihn wieder losließ. Danach einen Schritt zurücktretend sah er den Unteroffizier eindringlich an und mahnte: „Du wirst Rian besser behandeln, als ich es getan habe, Papa. Sonst komme ich hierher zu dir und dann wird es Zack-Wumm-und-Peng gehen, wenn du verstehst, was ich meine.“
Papadopulous grinste bei den Worten des Majors erleichtert. Er hatte sich zuvor einige Szenarien ausgemalt, die anders verlaufen waren. „Verstanden, Herr Major.“
Corvin übersah geflissentlich das Zwinkern, als der Hüne sein Gepäck aufnahm und die Rampe hinunter schritt. Stattdessen wandte er sich nun Rian zu, deren Augen feucht schimmerten. Er ahnte, wie es in ihr aussah, denn ihm selbst ging es ganz ähnlich.
Rian wollte etwas sagen, doch Corvin trat rasch zu ihr und nahm sie in die Arme. Dabei bat er leise: „Nicht Rian. Ich weiß, dass du mich nicht verletzen wolltest. Ich dich doch auch nicht. Es gibt Entwicklungen, die wir nicht verhindern können und vielleicht auch nicht verändern sollten. Ich wünsche dir, dass du glücklich wirst. Du und Papa.“
Für eine Weile blieb es still zwischen ihnen, während sie sich in den Armen hielten. Endlich sagte Rian. „Danke für das, was du für uns beide getan hast. Gerade Papa konnte sich nie damit anfreunden, diese schwarze Uniform zu tragen.“
„Bei meinem Freund Rodrigo werdet ihr gut aufgehoben sein“, beruhigte sie Corvin. „Du kennst ihn ja bereits von den Luna-Werften. General Mbena versprach mir zudem, eure Dienstzeit bei uns anzurechnen, was den Beförderungstakt bei der Protektoratsflotte also nicht nach hinten schieben wird. Ich finde das nur gerecht.“
Es dauerte eine Weile, bis sich Rian von Dean löste und ihn aus geröteten Augen ansah. Kratzig sagte sie: „Pass bei dem bevorstehenden Einsatz gut auf dich auf, Dean. Du bist nicht nur für dein Leben verantwortlich, sondern auch für das deiner Leute.“
„Das werde ich. Versprochen. Und du pass auf dich und Papa auf, hörst du?“
Rian lächelte tapfer. „Ich höre.“
Damit nahm die Frau ihr Gepäck auf. Sie sah Dean Corvin an und öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen. Doch dann schwieg sie und verließ beinahe fluchtartig die Schleusenkammer der vorderen Steuerbordschleuse des Leichten Kreuzers. Als sie das untere Ende der Rampe erreichte, rannte sie fasst und Karambalos Papadopulous, der dort auf sie wartete, fing sie auf. Gemeinsam sahen sie zu ihm herauf und salutierten.
Dean Corvin bemerkte, dass Tränen über die Wangen der Frau rannen. Er straffte sich, erwiderte den Gruß winkte dann ihr und Papadopulous mit einem Ziehen im Magen zu. Dann schloss er rasch das Schott der Schleuse und machte sich auf den Weg zurück.
Vor dem Innenschott der Schleusenkammer wäre er fast mit Oberfeldwebel Anaris Ikari zusammengeprallt. Etwas überrumpelt stieß Corvin aus: „Was, bei allen Sternenteufeln, wollen Sie denn hier?“
„Aufpassen, dass sie, bei einem vermutlich tränenreichen Abschied, nicht vor lauter Trennungsschmerz über Bord gehen“, gab die schlanke Frau ironisch zurück. „Wir brauchen Sie bei dem kommenden Einsatz nämlich noch, Sir.“
Dean Corvin musste gegen seinen Willen grinsen. Betont grob meinte er: „Ich wollte mich im Grunde nochmal bei Ihnen bedanken, weil Sie mir nach meiner Verletzung sehr beherzt das Leben gerettet haben. Doch ich fürchte inzwischen, Sie werden sich dann zu einer noch größeren Nervensäge entwickeln.“
Anaris Ikari grinste schief und erkundigte sich rasch: „Haben Sie einen kurzen Moment für mich, Sir?“
Die momentane Heiterkeit des Majors verlor sich und etwas ernster als noch vor einem Moment fragte er misstrauisch: „Ist es, weil Hayes oder Spencer Sie auf mich angesetzt haben, Oberfeldwebel?“
Die dunklen Augen der Frau begannen gefährlich zu funkeln und etwas heiser erwiderte sie: „Nein, Herr Major, ich komme aus eigenem Antrieb. Nicht in meiner Funktion als Ihre Untergebene, sondern als jemand, der sich Sorgen um Sie macht. Und zwar, seit Sie im Krankenhaus von Erron wieder zu sich kamen. Sie haben sich verändert, Major Corvin, und nicht zum Positiven, wie mir scheint.“
Dean Corvin schien es in diesem Moment fast so, als würde Tabea Carrick, in der Gestalt von Anaris Ikari, vor ihm stehen. Die auf dem Mond umgekommene Kameradin hatte mitunter in derselben Art mit ihm gesprochen.
„Gehen wir in mein Quartier“, schlug Corvin nach einem Moment vor. „Dieser Gang ist nicht der geeignete Ort für eine derartige Unterhaltung.“
Sie schritten eilig durch die Gänge des Raumschiffs fuhren mit dem Lift zum Hauptdeck hinauf und betraten schließlich das Quartier des Kommandanten. Dort deutete der Major zu der kleinen Sitzecke und fragte: „Möchten Sie einen Kaffee?“
Ikari lehnte dankend ab und kam sofort auf den Punkt, indem sie sagte: „Mir ist bewusst, dass die Trennung von Rian Onoro schmerzlich für Sie ist. Doch dafür haben wir gegenwärtig keine Zeit, Major Corvin. Auch nicht für das Selbstmitleid, dem Sie frönen, seit sie aus dem Koma erwacht sind. Wir brauchen einen Kommandanten mit klarem Kopf.“
Corvin, der im Begriff gewesen war sich eine Tasse zu nehmen, schleuderte sie wütend zur Seite, wo sie klirrend an der Wand zerschellte. Aufgebracht sprang er auf und Oberfeldwebel Ikari tat es ihm nach.
„Ja, Herr Major, lassen Sie es ruhig raus!“, herrschte die Frau ihren Vorgesetzten aufgebracht an. „Demolieren Sie ruhig die gesamte Einrichtung Ihres Quartiers, aber das ändert nichts an den Tatsachen, Sir!“
Der Kanadier schritt zu Anaris Ikari, bis er nur noch einen Schritt von ihr entfernt war. Wütend zischte er: „Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden?“
„Das hätte längst schon passieren sollen!“, gab Ikari um keinen Millimeter nach. „Aber man hat Rücksicht auf Sie genommen. Das war jedoch falsch, wenn Sie meine Meinung dazu wissen wollen, Sir!“
„Machen Sie, dass Sie rauskommen, Oberfeldwebel!“
Zu Corvins Überraschung kam die Frau seinem Befehl nicht nach. Stattdessen nahm die nur um zwei Zentimeter kleiner gewachsene Frau sein Gesicht in beide Hände und gab entschlossen, mit gefährlich leiser Stimme zurück: „Oh nein, Sir, das könnte Ihnen so passen. Einem unangenehmen Thema ausweichen, indem Sie sich hinter Ihrem Rang verstecken. Aber das wird diesmal nichts. Sie werden sich jetzt anhören, was ich Ihnen bereits seit einiger Zeit sagen wollte. Sie müssen damit aufhören sich selbst zu bemitleiden. Sicher, Sie sind schwer verwundet worden, und zudem ist Ihre Beziehung zu Rian gescheitert. Doch das Eine hat nichts mit dem Anderen zu tun, Sir. Rian hat Sie nicht wegen der Verletzung verlassen. Auch nicht, weil Sie sich im Krankenhaus ihr gegenüber wie ein Arsch benommen haben. Sie ist gegangen, weil sie unglücklich mit der gesamten Situation war und weil sie sich längst in einen anderen Mann verliebt hatte, bevor Sie Rian Onoro auf dem Mars befreit haben. Sie müssen das aus dem Kopf bekommen, oder wir alle werden bei dem demnächst bevorstehenden Einsatz mit der NOVA SOLARIS explodieren. Aber wissen Sie, Sir: Ich will nicht explodieren.“
Bei ihren letzten Worten hatte Corvin die Frau bei den Schultern gepackt. Jetzt schob er sie mit sanfter Gewalt aber bestimmt etwas nach hinten und veranlasste sie dazu, sein Gesicht wieder freizugeben. Ihre Schultern langsam loslassend sah er Anaris Ikari für einen langen Moment in die Augen und wieder schien es ihm, die tote Kameradin vor sich zu haben, mit der er mehr als zwei Jahre auf Titan gedient hatte.
„Woher, zum Geier, wissen Sie so viel darüber, was in Rian vorgegangen ist?“, fragte Corvin schließlich mit leicht hochgezogenen Augenbrauen.
Wieder ruhiger sah Anaris Ikari ihren Vorgesetzten an. Sie hatte, wegen ihrer vorangegangenen Unbeherrschtheit mit einem Donnerwetter gerechnet. Die Tatsache, dass der Major sie nun so ruhig gefragt hatte verwirrte sie etwas. Endlich antwortete sie: „Um das zu bemerken brauchte es keine übersinnlichen Fähigkeiten. Man hat es gespürt, sobald Feldwebel Onoro und Stabsunteroffizier Papadopulous in der Nähe waren. Aber es war nicht meine Aufgabe, mich in Ihr Privatleben einzumischen, Sir.“
Etwas verlegen, wegen seiner vorangegangenen Unbeherrschtheit murmelte Corvin: „Das mit der Tasse tut mir leid, Oberfeldwebel. Ich sollte mich besser im Griff haben.“
Sie schwiegen für eine Weile, bevor Anaris Ikari sich räusperte und meinte: „Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen, Sir.“
„Nein, Sie sollten ganz bestimmt jetzt besser gehen“, konterte der Kanadier trocken.
Die Frau wandte sich ab und schritt zum Schott. Dort angekommen wandte sie sich zu Corvin um und sagte: „Sir, auch wenn Ihnen das vielleicht momentan nur ein kleiner Trost ist. Es gibt Menschen an Bord dieses Kreuzers, denen Sie wichtig sind.“
Damit ging die schlanke Frau und ließ einen nachdenklichen Kommandanten zurück.