Knapp zwei Monate waren seit jenem denkwürdigen, hochemotionalen Gespräch zwischen Rian Onoro und Dean Corvin vergangen.
Die Crew der NOVA SOLARIS bereitete sich darauf vor wieder in den Kampf zu fliegen. Gestern hatte Hauptmann Irina Hayes die Besatzung darüber informiert, dass sie den Marschbefehl für den Kreuzer und deren Besatzung erhalten hatte. Von Generalmajor Arolic Traren über den terranischen Generalleutnant Fournier persönlich.
Mit dem Gedanken daran war Rian Onoro an diesem Morgen in ihrem Quartier erwacht. Sie fühlte sich etwas gerädert, denn noch immer hatte sich ihr Körper nicht vollständig auf den 27-Stunden-Rhythmus von Farradeen, der auch an Bord der farradeenischen Raumschiffe galt, eingestellt.
Die Technikerin erledigte ihre Morgentoilette, nicht ohne zuvor eine Kanne Kaffee aufgesetzt zu haben. Nachdem die junge Frau sich angekleidet hatte, aß sie einen Happen und erwartete danach Karambalos Papadopulous. Dass er eine halbe Stunde vor Dienstbeginn bei ihr erschien, war in jener Zeit, in der Dean Corvin im Koma gelegen hatte, zu einer Art von Ritual geworden. Auch im Anschluss daran hatten sie beide an diesem morgendlichen Ritual festgehalten. Irgendwie hatte es sich so ergeben. Dabei hatten sie sich einander freundschaftlich noch mehr angenähert, als es während der gemeinsam überstandenen Gefangenschaft auf dem Mars der Fall gewesen war.
Rian Onoro vermutete, dass so etwas zwangsläufig passierte, wenn man gemeinsam eine Menge durchmachte. Wobei das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen ein viel innigeres zu sein schien, als das zwischen ihr und Dean. Vielleicht lag das daran, dass sie mehrere Monate lang quasi nur über die miteinander geführten Unterhaltungen die Chance gehabt hatten, etwas voneinander zu erfahren und sich gegenseitig einzuschätzen.
Rian schüttete sich einen Kaffee ein und nahm vorsichtig einen Schluck von dem heißen Getränk. Dabei wurde ihr bewusst, dass sich gleichzeitig auch ihr Verhältnis zu Dean verändert hatte, in den letzten Wochen und Monaten. Nicht erst, seit er wieder das Bewusstsein erlangte und sie abweisend behandelt hatte. Nein, diese Veränderung hatte sie bereits zuvor schon gespürt. Im Grunde, seit Karambalos, nach Deans Verwundung, permanent an ihrer Seite stand und ihr den Rücken stärkte. Quasi auch jetzt noch.
Vor zwei Monaten noch hatte sie sich zunächst beinahe euphorisch gefühlt, nach dem ernsten Gespräch mit Dean. Doch unmerklich hatte sich dieses Gefühl gewandelt in den letzten Wochen. Das spürte sie in letzter Zeit immer deutlicher. Sie wurde durch den Summton abgelenkt, der ihr bewusst machte, dass Karambalos offensichtlich auch an diesem Morgen zur üblichen Zeit erschien.
Schnell schritt sie zum Schott und legte die Hand auf den Öffnungskontakt.
Wie erwartet war es Karambalos, der zwanglos hereinkam und sie in die Arme schloss. Auch dies war inzwischen selbstverständlich. Gleichfalls, dass sie sich zur Begrüßung auf die Wangen küssten.
Rian lächelte den Hochgewachsenen an – erfreut ihn zu sehen und deutete mit dem rechten Zeigefinger über die Schulter. „Der Kaffee ist fertig.“
„Prima“, lobte Papadopulous. Er bediente sich wie üblich selbst. Danach begab er sich zu der Sitzecke des Wohnraumes von Rians Quartier, wo sie seit einiger Zeit bereits, jeden Morgen miteinander plauderten, während sie ihren Kaffee genossen.
Nach einem großen Schluck schnalzte der Unteroffizier genießerisch mit der Zunge und fragte unvermittelt: „Morgen wird Dean also aus der Obhut der Ärzte entlassen. Ich hörte ein Gerücht, dass wir noch an demselben Tag aufbrechen werden. Weißt du, wohin es gehen wird? Dein Freund wird doch bestimmt bereits in Kenntnis gesetzt worden sein.“
Rian Onoro nickte zustimmend. „Ja. Dean hat mir das zwar unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten, aber vor dir habe ich keine Geheimnisse, Papa. Es wird nach Outpost gehen. Angeblich plant General Mbena einige riskante Einsätze und die NOVA soll bei mindestens einem davon eine Rolle spielen. Außerdem werden wir bei dem Flug von mehreren Einheiten der Protektoratsflotte flankiert werden. Sie wurden zuvor von Mbena als Kurierschiffe eingesetzt und begleiten uns nun zurück nach Outpost. Als größtes Raumschiff des Verbandes wird die NOVA SOLARIS als Verbandsleitschiff fungieren.“
Die Augen des hünenhaften Mannes öffneten sich ein Stück weiter, als bisher. „He, das ist toll für Dean und Irina. Das wird nämlich in deren Dienstakten vermerkt werden. Ich freue mich für die beiden.“
Rian nickte missmutig. „Ja, schön für die beiden. Für uns bedeutet dieser Flug langweilige Dienstroutine. Weißt du, Papa: Mir fehlt es, ein eigenes Team in einer Flottenwerft zu haben. Jeden Tag mehr. Ich wollte ursprünglich kein Bordkommando.“
Karambalos Papadopulous machte eine zustimmende Geste. „Ich auch nicht. Reparaturen und Wartung sind nicht meine Welt. Allerdings immer noch besser, als in einer Gefängniszelle der Konföderation Deneb zu verrotten, oder von unseren Leuten interniert.“
Rian seufzte schwach. „Du hast ja Recht und ich will auch nicht undankbar sein. Es ist nur…“
Die Frau unterbrach sich und es dauerte einen langen Moment, bis ihrem Gegenüber klarwurde, worauf sie hinauswollte.
„Du willst von Bord, Rian? Aber das kann unmöglich dein Ernst sein. Überleg dir das nochmal. Ich bin sicher, das gibt sich, sobald Dean erst einmal wieder an Bord ist.“
Impulsiv ergriff der Mann die Hand seiner Kollegin und drückte sie sanft, bevor er seinen Kaffee austrank. Nach einer Weile meinte er: „Vielleicht wäre es aber für mich das Richtige, wenn ich nach diesem Einsatz um eine Versetzung zu den Flottenwerften von Xorolan bitte.“
Beinahe erschrocken sah Rian den Hochgewachsenen an und schüttelte den Kopf. „Auch du wirst dir das nochmal überlegen, Papa.“
Sie erhob sich und meinte auffordernd zu dem Griechen: „Jetzt sollten wir uns auf den Weg machen, denn Mahmalad hasst es, wenn seine Leute nicht mindestens fünf Minuten vor der Zeit den Dienst antreten.“
Gemeinsam verließen sie das Quartier und machten sich auf den Weg zum Maschinenraum der NOVA SOLARIS.
* * *
Drei Stunden später beendeten die beiden Techniker die Reparatur der energetischen Zuführung des vorderen Steuerbord-Torpedoschachtes. Einige der Energieleiter waren bei der letzten Schlacht in Mitleidenschaft gezogen worden und hatten ersetzt werden müssen. Außerdem war eine Rekalibrierung des Systems nötig gewesen.
Während der gesamten Zeit hatten sie, ganz im Gegensatz zu sonst, kaum miteinander geredet und das machte Karambalos Papadopulous geradezu kribblig. Als Rian, die sich neben ihm in dem engen Zugangsweg befand, die letzten Wartungsklappe verriegelte, legte er entschlossen seine Hand auf die seiner Kollegin und sah sie eindringlich an. Zu seinem gelinden Erstaunen zog Rian die Hand nicht weg. Zumindest im Moment nicht.
Die Technikerin erwiderte stumm den Blick ihres Kollegen und schien etwas sagen zu wollen. Doch dann entzog sie dem Mann nur sanft ihre Hand und begab schritt etwas zur Seite. Dabei meinte sie mit kratziger Stimme: „Überprüfe du hier, ob die Zuführung nun wieder exakt arbeitet. Kontrolliere am besten auch die aller anderen Röhren, wenn du schon einmal dabei bist. Ich werde mich um die Gravitationsplattierung auf den oberen Decks im Heckbereich kümmern. Die machen seit gestern Probleme, wie mir der Chief sagte.“
Damit zog sich Rian rasch zurück und ließ einen verwirrten Unteroffizier zurück, der ihr mit brennendem Blick hinterher sah.
Im nächsten Moment zuckte der Unteroffizier erschrocken zusammen, als Fatul Mahmalad, der sich unauffällig genähert hatte, laut lospolterte: „Na, na, junger Mann! Was soll den das? Benehmen Sie sich gefälligst!“
Ertappt und gleichzeitig peinlich berührt sah Papadopulous seinen Vorgesetzten an. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Dicht an den hochgewachsenen Techniker herantretend musterte der Chief ihn mit stechendem Blick. So ruhig, wie noch niemand an Bord den Offizier hatte reden hören, erkundigte sich Fatul Mahmalad im nächsten Moment: „Wie lange geht das schon?“
Immer noch etwas konsterniert sprudelte es aus dem Techniker hervor: „Im Grunde bereits, seit der Gefangenschaft auf dem Mars. Natürlich, ohne dass Feldwebel Onoro etwas davon geahnt hat. Ich selbst habe es ja zu dem Zeitpunkt auch noch nicht gemerkt. Doch in letzter Zeit wurde mir immer stärker bewusst, wie viel sie mir bedeutet. Wissen Sie: Auf dem Mars, da haben wir uns zwar kaum gesehen. Nur gehört. Doch sie war immer da. Allein ihre Stimme zu hören hatte so etwas…“
Während Karambalos Papadopulous nach Worten suchte, nickte Mahmalad und erwiderte ernst: „Sie hatten den Feldwebel quasi ganz für sich und vermutlich hatten Sie nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet der Mann Sie und Rian Onoro befreien wird, der bereits zuvor eine Rolle für den Feldwebel gespielt hat. Das muss frustrierend gewesen sein.“
Der Grieche grinste schief: „Rian erzählte mir in der Zelle von Major Corvin. Natürlich durfte sie nichts von ihren wahren Gefühlen für ihn verraten, weshalb sie ihn monatelang verflucht hat. Als er dann kam, um uns zu befreien wäre es fast Zack-Wumm gegangen, weil ich dachte, sie würde wirklich so für den Major empfinden. Sie wenig später, zusammen mit ihm auf der Hochzeit einer Freundin des Majors zu sehen hat mich beinahe wütend werden lassen. Sie war so wunderschön anzusehen und sie hatte nur Augen für Dean Corvin. Zu dem Zeitpunkt hatte ich alle Hoffnungen aufgegeben. Nachdem der Major jedoch im Krankenhaus lag haben wir uns einander sehr stark angenähert. Dabei wollte ich doch nur als Freund für sie da sein.“
„Na, das hat ja geklappt“, gab Mahmalad triefend ironisch zurück. Mit verändertem Tonfall fügte der Beleibte an: „Ihnen muss klar sein, dass in diesem Fall weder der Major, noch Sie entscheiden können. Das liegt allein bei ihr und wenn Sie klug sind, dann sollten Sie nichts forcieren. Am Ende kommt ohnehin alles so, wie es soll.“
Mit einer fast väterlich anmutenden Geste legte der Chief seine Rechte auf die Schulter seines Untergebenen und drückte sie. Danach verließ er den Torpedoraum und ein zweites Mal an diesem Morgen wirkte der Unteroffizier zutiefst verwirrt.
* * *
Als Rian Onoro am nächsten Morgen, auf offiziellen Befehl von Hauptmann Irina Hayes hin, Dean Corvin vom Krankenhaus abholte, hatte sie die Ereignisse des Vortages weitgehend verdrängt. Gegenwärtig freute sie sich, Dean Corvin gesund und munter wieder in der schwarzen Uniform der Farradeen-Allianz zu sehen. So gekleidet fiel der künstliche linke Arm kaum auf. Außerdem hatte er das Grüblerische abgelegt. Etwas, worüber sie sich gegenwärtig am meisten freute.
Zwar hatte es sich etwas seltsam angefühlt, als sie sich vor dem Verlassen des Krankenhauses rasch küssten, doch das schob die Technikerin den gestrigen Ereignissen und ihrer Freude über seine Rückkehr an Bord zu. An diesem Tag hatte sie Karambalos noch nicht gesehen, doch das würde sich bald ändern. Gestern hatte sie keine Worte gefunden, aber heute würde sie mit ihm reden müssen. Wobei sie sich noch immer nicht sicher war, was sie ihm sagen würde.
Anders, als Dean, wusste Rian Onoro, dass Hauptmann Irina Hayes für ihren Vorgesetzten ein großes Willkommen geplant hatte. Sie würde ihm offiziell das Kommando über die NOVA SOLARIS übergeben, das sie nach seiner Verletzung übernommen hatte.
So überraschte es nur Dean Corvin, dass die gesamte Besatzung vor dem Bug an Steuerbord angetreten war. Unauffällig begab sie sich zu ihren angetretenen Kameraden, als Irina Hayes vortrat und drei Schritte vor dem Major stehenblieb. Zackig salutierend meldete die rothaarige Frau mit klarer Stimme: „Major Corvin, ich übergebe Ihnen hiermit das Kommando über die NOVA SOLARIS. Außerdem möchten ich und die gesamte Besatzung Ihnen zu ihrer Genesung gratulieren, Sir.“
Eingedenk dessen, was ihm die Ärzte vor seiner Entlassung aus dem Krankenhaus geraten hatten, erwiderte der Major den Gruß deutlich weniger zackig, jedoch nicht weniger vorbildlich. In die strahlenden Augen der Kameradin sehend gab er zurück: „Ich danke Ihnen und der Besatzung der NOVA SOLARIS, Hauptmann Hayes. Lassen Sie die Besatzung nun an Bord wegtreten.
Während der Erste Offizier des Leichten Kreuzers bestätigte, sagte Dean Corvin mit abgesenkter Stimme, sodass nur sie ihn verstehen konnte: „In exakt zwei Stunden Standard werden wir aufbrechen. Du weißt ja bereits wohin. Vermutlich plant General Mbena wieder einmal eine Sonderveranstaltung und wir sollen dabei sein.“
„Guck gefälligst nicht so verdammt unternehmungslustig“, zischte Irina Hayes ebenso leise. „Du bist noch längst nicht wieder voll einsatzfähig.“
Die Stellvertretende Kommandantin des Kreuzers zwinkerte Corvin dabei zu, bevor sie sich umwandte und mit klarer Stimme den Befehl zum Bemannen des Kreuzers gab.
Gemeinsam schritten die beiden höchsten Offiziere der NOVA SOLARIS zur vorderen Steuerbordschleuse. Dabei fragte Corvin amüsiert klingend: „Wie oft hat dir Traren eigentlich den Kopf gewaschen, weil du auf Wega-IX gelandet bist und danach immer wieder die Klarmeldung der NOVA SOLARIS hinausgezögert hast? Das hat der Alte doch gemerkt.“
„Natürlich hat er das gemerkt und er hat es mir durchgehen lassen“, erwiderte Irina Hayes schmunzelnd. „Jetzt hat er eine Menge gut bei mir. Das ist ihm bewusst.“
„Einlösen müssen werde ich es“, knurrte Corvin, gespielt finster. „Besten Dank auch.“
Sie sahen sich an und grinsten gleichermaßen ironisch. Schnell wieder ernst werdend fügte Irina Hayes an: „Noch etwas. Du wirst dich, nach dem Startbefehl, umgehend bei Doktor Langdon, auf der Krankenstation melden. Während des Fluges nach Outpost wirst du täglich nicht mehr als vier Stunden Dienst leisten.“
Widerspruch lag im Blick des Kanadiers, doch bevor er etwas sagen konnte, sagte die Frau drohend: „Wenn das nicht klappt, dann werde ich dich wegen Unzurechnungsfähigkeit vom Dienst suspendieren und du bleibst während des gesamten Fluges nach Outpost auf der Krankenstation, damit du klarsiehst.“
„Das kriegst du wieder“, murrte der Major, halb ernsthaft, halb im Scherz.
Unbeeindruckt meinte Irina Hayes: „Ich werde Oberfeldwebel Ikari damit beauftragen dich im Auge zu behalten. Die lässt sich von dir nicht um den Finger wickeln.“
Sie erreichten das Schott und betraten das Innere des Raumschiffs, als die Frau das sagte und Dean Corvin unterdrückt aufstöhnte: „Auch das noch. Anaris Ikari hat mich doch schon im Krankenhaus nicht aus den Augen gelassen.“
Auf dem Weg zum Lift runzelte Irina Hayes unwillig die Stirn. „Du bist verdammt undankbar, mein Freund. Anscheinend hast du vergessen, dass sie es war, die sich dazu überwunden hat, die Hauptschlagader an deinem Armstumpf abzudrücken, damit du nicht zu viel Blut verlierst und überlebst. Sie war es, die dir das Leben rettete.“
Zum Ende hatte sich Irina Hayes fast in Rage geredet und peinlich berührt erwiderte der Major beschwichtigend: „Du hast ja Recht. Ich habe das auch nicht vergessen. Tut mir leid, dass das eben so herzlos klang. Ich bin Ikari dankbar und ich mag sie. Wirklich.“
Statt einer Antwort rempelte Irina Hayes den Freund von der Seite an. „In Ordnung, vergessen wir es. Aber ich will so etwas nie wieder hören, klar?“
„Klar.“
Gegen ihren Willen schmunzelnd meinte Irina Hayes nach einer Weile: „Die Hälfte der Besatzung vermutet übrigens, dass da mehr zwischen euch beiden ist, als nur mögen. Auch die Männer und Frauen an Bord haben mitbekommen wie oft dich Oberfeldwebel Ikari im Krankenhaus besucht hat.“
Als sie mit dem Lift nach oben fuhren, sah Dean Corvin die Freundin fassungslos an. „Sind die noch zu retten? Ikari hat sich lediglich zur Aufgabe gemacht auf mich aufzupassen. Aber nicht erst seit der Verletzung, sondern schon seit Eris. Ich vermute fast, für meine Sicherheit zu sorgen ist bei ihr zu einer fixen Idee geworden.“
„Das kann man ihr kaum verdenken, denn du bist schon ein tollkühner Bursche mit dem Hang sich allzu leicht in Gefahr zu begeben.“
Unbewusst griff sich Corvin mit der rechten Hand an den linken Arm. Dabei erwiderte er düster: „In dieser Hinsicht habe ich vielleicht etwas dazugelernt.“
Irina Hayes machte eine zweifelnde Miene, als sie die Liftkabine auf dem Kommandodeck verließen. Nebeneinander schritten sie in Richtung der Kommandozentrale. Als sie das Schott beinahe erreicht hatten blieb die Rothaarige stehen und sah ihren Vorgesetzten ernst an. „Ich freue mich aufrichtig, dass du endlich wieder auf Deck bist, Dean. Für eine Stunde werde ich dich verlassen, um mit Fatul nochmal den aktuellen Stand der Dinge durchzusprechen. Ich werde dir danach Bericht erstatten. Hast du dich übrigens bei Ikari schon für deine Rettung bedankt?“
Dean Corvin sah in die blauen Augen der Frau und antwortete ernsthaft: „Ja, natürlich habe ich ihr dafür gedankt. Was denkst du denn von mir?“
Die Kameradin lächelte beschwichtigend und gab dann bittend zurück: „Bedanke dich nochmal bei ihr. Mir zuliebe.“
Dean Corvin spürte, dass es der Freundin wichtig war und deshalb erwiderte er beruhigend: „Das werde ich. Während des Fluges nach Outpost werde ich mir die Zeit dafür nehmen, das verspreche ich dir.“
Irina Hayes sah den Kanadier dankbar an und drückte sanft seinen rechten Oberarm, bevor sie sich abwandte, um den Maschinenraum aufzusuchen.
Corvin sah ihr sinnend nach, bevor er lächelnd seine Hand auf den Kontaktgeber des Schotts zur Zentrale legte. Er betrat das Kommandozentrum, nickte den anwesenden Männern und Frauen zu und schritt zum Sitz des Kommandanten. Fast andächtig nahm Corvin in dem Sessel Platz und atmete tief durch. Endlich war er wieder hier.
* * *
Nur Minuten später fand Irina Hayes den Chefingenieur der NOVA SOLARIS und näherte sich mit fragender Miene. Der Chefingenieur hatte bereits mit ihrem Erscheinen gerechnet, denn er marschierte ihr entgegen, kaum dass sie den Maschinenraum betreten hatte. Sich vor dem Hauptmann aufbauend sagte der Beleibte überlaut: „Ich warte bereits seit Stunden auf Sie, Hauptmann. Warum diese Verzögerung?“
Irina Hayes rollte mit den Augen und gab giftig zurück: „Ich habe Ihnen schon eine Million mal gesagt, Sie sollen nicht immer so maßlos übertreiben, Oberleutnant. Also kommen Sie lieber zur Sache.“
Sprachlos starrte Fatul seine Vorgesetzte an. Missmutig erkannte er, dass sie inzwischen genau den richtigen Ton traf, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Widerwillig darauf verzichtend ihr weiterhin auf die Nerven zu gehen gab er zurück: „Also bitte. Gegenwärtig reparieren wir noch die letzten Gefechtsschäden. Hauptsächlich kleinere Schäden, die erst in einiger Zeit ein Problem geworden wären. Ich muss wohl nicht besonders betonen, dass die Terraner auf Wega-IX ziemlich knickerig waren, als es darum ging uns mit Ersatzteilen zu versorgen.“
Fatul Mahmalad bemerkte das Schmunzeln der Frau, während sie die obere Galerie entlang schritten und mit stechendem Blick fragte er: „Was daran ist so maßlos komisch?“
Irina Hayes sah den Ingenieur offen an und gab zu: „Daran gar nichts. Aber ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Sie von den Terranern sprachen? Seit wann zählen Sie uns nicht mehr dazu, Chief`“
Etwas überrascht erwiderte Mahmalad den fragenden Blick seiner Vorgesetzten und antwortete erst nach einem Moment zögerlich: „Na ja, wir dienen bei der Raumflotte von Farradeen. Ich weiß auch nicht…“
„Schon gut, Chief“, beschwichtigte Hayes. „Ich erwische mich gelegentlich selbst dabei, uns nicht mehr dazu zu zählen. Lassen wir das. Wie ist der Status der NOVA?“
„Insgesamt stehen wir ganz gut da. Trotz des kleinen Ärgernisses.“
Irina Hayes grinste verstehend. „Nun, Chief, jeder Werftleiter hat primär zunächst einmal den Kosten-Nutzen-Faktor im Blick. Wir an Bord interessieren uns hingegen viel mehr um den Einsatz von Mitteln aufgrund der Kampfstrategie. Wir würden gerne die verfügbaren Mittel restlos einsetzen. Ein Werftleiter darf die Vorratshaltung nicht aus dem Blick verlieren.“
„Etwas weniger Vorrat hätte den Freunden nicht das Rückgrat gebrochen“, beharrte der Chefingenieur der NOVA SOLARIS.
Irina Hayes lachte leise. „Lassen Sie es gut sein, Oberleutnant. Das Schiff wird also wie neu sein, wenn wir über Outpost ankommen?“
„So gut wie“, schnaufte Mahmalad. Er sah Irina Hayes für einen Augenblick lang unentschlossen an, bevor er mit veränderte Stimmlage fragte: „Haben Feldwebel Onoro und der Major Streit miteinander?“
Überrascht ihren Begleiter musternd blieb Irina Hayes stehen und fragte: „Wie kommen Sie denn darauf? Es hatte vorhin nicht den Anschein.“
Der Oberleutnant druckste etwas herum, was für seine Verhältnisse ungewöhnlich war. Verlegen meinte er dann: „Nun, es ist so, dass mir seit einiger Zeit eine Veränderung an dem Feldwebel aufgefallen ist. Außerdem…“
Als sich der Beleibte abrupt unterbrach, spürte Irina Hayes deutlich ein ungutes Gefühl in sich aufsteigen und rasch hakte sie ein: „Außerdem was?“
„Ich habe den Eindruck, dass Unteroffizier Papadopulous und Feldwebel Onoro. Nun ja, dass da irgendwie… Weiß auch nicht.“
Die Rothaarige sah Fatul Mahmalad ungläubig an. „Wollen Sie etwa unterstellen, dass Rian Onoro ihren Freund…“
„Ich unterstelle gar nichts“, unterbrach der Chief sie polternd. „Ich habe lediglich angedeutet, dass sich der Unteroffizier und der Feldwebel neuerdings seltsam verhalten. Vielleicht hat das ja auch ganz andere Gründe.“
„Ja vermutlich“, murmelte Irina Hayes ohne Überzeugung.
Die beiden Offiziere setzten den Rundgang fort und, zumindest in Hinsicht auf den momentanen Status der NOVA SOLARIS beruhigt, trennten sich ihre Wege eine Stunde später. Auf dem Weg zur Zentrale überlegte Hayes, ob sie mit Dean Corvin darüber reden sollte, was der Chief angedeutet hatte. Doch dann sagte sie sich, dass es wahrscheinlich besser sein würde, zunächst einmal abzuwarten und sich selbst ein Bild zu machen. Dabei wurde sie jedoch das Gefühl nicht los, dass Mahmalad mehr wusste, als er gesagt hatte.
Irina Hayes verscheuchte diese Gedanken, als sie das Kommandozentrum des Leichten Kreuzers betrat. Schnell begab sie sich zu Dean Corvin und unterrichtete ihn davon, was sie von Mahmalad erfahren hatte. Bis auf die Andeutungen des Chiefs in Bezug auf Rian Onoro und Karambalos Papadopulous.
Als der Moment gekommen war, gab der Major, nach erfolgter Rückmeldung der vier begleitenden Einheiten, den Startbefehl für alle fünf Kriegsschiffe.
Exakt aufeinander ausgerichtet stießen die fünf Raumschiffe ins All vor und entfernten sich immer schneller beschleunigend von dem Planeten. Corvin wartete eine halbe Stunde, bevor er den Befehl erteilte, den kleinen Verband in den Hyperraum springen zu lassen und sah zu Irina Hayes, als auf dem Hauptbildschirm die sternengesprenkelte Schwärze des normalen Weltalls verschwand.
Irina Hayes ahnte, was in dem Mann vorging und sie lächelte ihn aufmunternd an. Die Crew der NOVA SOLARIS hatte endlich ihren Kommandanten zurück.
* * *
Seit acht Tagen waren die fünf Raumschiffe unter der Führung der NOVA SOLARIS nun in Richtung Delta-Cephei unterwegs. Schneller als gedacht hatte sich die Dienstroutine an Bord wieder eingespielt. Mit leichter Einschränkung für den Kommandanten.
Gegen Abend besuchte Diana Elodie Spencer, die als Kommandeurin der Kommandoeinheiten an Bord weilte, ihre Freundin Irina Hayes. Seit einigen Monaten bereits führten sie eine feste Beziehung miteinander. Doch zu mehr Intimitäten als leidenschaftlichen Küssen war es bisher zwischen ihnen nicht gekommen. Entgegen ihrer Natur hatte sich Diana Spencer bisher zurückgehalten, da sie Irina Hayes in einer Phase der Trauer um ihre ehemalige Partnerin kennengelernt hatte. Das hatte zu einer ungewohnten Unsicherheit bei der blonden Frau geführt. Sie wollte keinesfalls die Dinge überstürzen.
Irina Hayes in ihrem Arbeitsraum vorfindend begab sich Diana lächelnd zu der jungen Frau, für die ihr Herz inzwischen sehr stark schlug. Hinter Irina tretend umarmte sie die Freundin und hauchte ihr einen flüchtigen Kuss auf die linke Wange. Dabei erkundigte sie sich leise bei ihr: „Was machst du da?“
„Ich habe den Dienstplan für die nächste Woche aktualisiert. Ist schon fertig.“
Irina Hayes deaktivierte den Holobildschirm und erhob sich aus dem Sessel. Sanft eine Hand auf die Wange der blonden Frau mit der obligatorischen Sturmfrisur legend, sah sie in deren blau-grüne Augen und raunte ihr zu: „Das kannst du doch besser.“
Die hochgewachsene Kommandeurin der Kommandotruppen zog Irina zu sich heran und küsste sie mit verhaltener Leidenschaft, wobei sie die jüngere Frau durch ihre bewusste Zurückhaltung dazu verleitete selbst etwas stärker die Initiative zu ergreifen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich in dem Augenblick, in dem sie spürte, dass Irina sich vollkommen fallen ließ. Sie fühlte die linke Hand der Lebensgefährtin, die sich ganz sanft an ihrer Hüfte hinauf bewegte und beinahe vorsichtig den seitlichen Ansatz ihrer Brust berührte. Dabei wurden ihre Küsse gleichzeitig leidenschaftlicher und auch fordernder.
Gegen ihren Willen ergriff Diana schließlich die Schultern der Freundin und schob sie mit sanfter Gewalt ein Stück von sich, um ihr in die Augen zu sehen. Sie bemerkte die unausgesprochene Frage in ihnen und forderte sie leise auf: „Na, sag es doch einfach.“
Irina Hayes wusste, worauf Diana anspielte. Doch erst in diesem Moment war sie sich ganz sicher, dass sie es wirklich aussprechen wollte. Von dem vorangegangenen Kuss noch etwas atemlos erwiderte sie etwas heiser: „Ich liebe dich, Diana.“
„Und ich liebe dich“, gab die blonde Frau fast ebenso leise zurück. „Ich wollte dir das schon so oft sagen, doch ich hatte Angst, du würdest noch nicht bereit dazu sein. Deshalb wollte ich lieber abwarten, bis du es zuerst sagst, Liebes.“
Irina war bewusst, worauf Diana anspielte. Sie hatte mit einer anderen Frau eine Beziehung geführt. Vor dem Angriff der Konföderation Deneb auf das Sol-System. Vor fast genau einem Jahr musste sie dann erfahren, dass die Frau, die sie geliebt hatte, bei dem Angriff getötet worden war. Das hatte sie zunächst verarbeiten müssen.
Sich eng an Diana schmiegend sagte die Rothaarige ergriffen: „Ich bin glücklich es dir endlich gesagt zu haben. Bisher hatte sich etwas dagegen gesperrt. Das ist auch der Grund, warum ich bisher noch nicht mit dir…“
„Ich weiß“, unterbrach Diana ihre Freundin leise und küsste sie ganz sanft auf die Lippen, wobei sie in deren Augen etwas erkannte, was sie bisher dort nicht gefunden hatte. Sie zärtlich an die Hand nehmend zog sie Irina mit sich in Richtung des Schlafraumes.
* * *
Irina Hayes erwachte von einer Berührung, die sie auf ihrer Wange und an ihrem linken Ohr spürte. Noch im Halbschlaf tasteten ihre Finger zu der Stelle, doch da war nichts. Endgültig erwachend öffnete sie schließlich die Augen und sah in Dianas vergnügtes Gesicht. Im nächsten Moment küsste die Freundin sie und sie erwiderte die Liebkosung. Dabei genoss sie es von Diana, die sich halb über sie beugte, im Arm gehalten zu werden. Sie spürte dabei die rechte Hand der Blondine ganz sacht über ihre Brüste streichelnd. Nach einer Weile strichen ihre Fingerspitzen über ihren Hals und ihre Wange und ihr Ohr.
Sich langsam von Diana lösend sah Irina sie liebevoll an und hauchte leise: „Die letzte Nacht war wunderschön. Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir miteinander geschlafen haben.“
Diana nahm die Freundin, die ebenso splitternackt war, wie sie selbst, fest in die Arme und drehte sich mit ihr auf den Rücken. Ihre Hände im Anschluss sacht über ihren Po gleiten lassend erwiderte sie lächelnd: „Ich auch, mein Herz.“
Irina beugte sich zu Diana hinunter und sie küssten sich erneut, wobei sie sich erst nach einer geraumen Weile wieder voneinander lösten. Sacht mit den Fingerspitzen die Linien der geschwungenen Lippen ihrer Freundin nachzeichnend flüsterte sie mit leuchtenden Augen: „Ich liebe dich so sehr, dass ich es nicht beschreiben kann. Innerlich habe ich dir das schon so oft gesagt, doch bis gestern konnte ich mich nicht dazu überwinden es in Worte zu fassen. Aus Angst, ich würde dann auch dich verlieren.“
Diana Spencer richtete sich leicht auf und küsste rasch die beiden Tränen fort, die über Irinas Wangen rannen. Sanft und eindringlich zugleich sagte sie: „Ich wollte, ich könnte dir versprechen, dass das nie passieren wird. Doch das kann ich nicht. Wir haben Krieg. Jedoch dürfen wir deswegen nicht aufhören zu leben, denn welchen Sinn hätte all das was wir tun dann? In dem Fall würden wir nur noch dahinvegetieren.“
Irina ließ sich auf den warmen Körper der Freundin sinken und legte ihren Kopf auf deren Schulter. Sich an sie schmiegend meinte sie: „Du hast Recht. Deshalb habe ich mich auch nicht länger dagegen gewehrt mich ganz und gar auf dich einzulassen, Geliebte. Ich möchte mit dir zusammen sein, ohne irgendwelche Einschränkungen.“
„Das möchte ich auch, Liebes.“
Sie küssten sich erneut sanft und ausdauernd.
Als sie später zufrieden miteinander kuschelten erkundigte sich Diana neugierig: „Warum hat gestern eigentlich die Unterlicht-Phase länger als eine halbe Stunde gedauert? Gab es technische Probleme?“
Irina sah ihrer Partnerin in die Augen und erwiderte: „Nein, das hatte einen anderen Grund. Bei Deans täglichen Statusbericht nach Outpost, über Hyperrichtstrahl, hatte sich überraschend General Mbena am anderen Ende befunden. Die beiden haben über eine Stunde lang miteinander gesprochen, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.“
„Was hatten die zwei denn so Wichtiges miteinander zu plaudern?“
Irina Hayes grinste schief. „Das wüsste ich auch gerne. Doch das gesamte Gespräch wurde, nach einer entsprechende Vorankündigung von Outpost, diesmal zum Quartier des Majors umgeleitet. Privatgespräch.“
Die Augenbrauen der blonden Frau zuckten nach oben. „Ist nicht das erste Mal, dass die beiden ein längeres Gespräch unter vier Augen führten. Was denkst du? Läuft da vielleicht etwas zwischen den beiden?“
Die Scherzfrage der Freundin brachte Irina zum Lachen. Belustigt meinte sie: „Bis jetzt noch nicht – kann aber nicht mehr lange dauern.“
Nach einer Weile etwas ernster werdend sagte Irina Hayes: „Dean spricht in der letzten Zeit von einer anderen Frau, mit der er unbedingt gerne reden würde. Mit Oberstleutnant Vara Kiryn. Sie versteht sich auf Psychologie und ist während des letzten Jahres zu einer Vertrauensperson für ihn geworden.“
„Aber das bist du doch auch, oder etwa nicht?“
„Ich denke schon“, gab Irina zurück. „Doch in der letzten Zeit habe ich gelegentlich den Eindruck gewonnen, dass da eine Zerrissenheit in ihm ist, vor der er mich bewahren will. Etwas, das er mir nicht zeigen möchte.“
Diana horchte auf. „Was willst du damit sagen?“
Nach den richtigen Worten suchen erklärte Irina: „Nun ja, seitdem Dean seinen linken Arm verloren hat, da benimmt er sich manchmal recht seltsam. Ich will bestimmt keine Gerüchte streuen, doch vielleicht hat ihm das einen seelischen Knacks versetzt.“
„Du willst doch damit nicht sagen…“
„Nein!“, wiegelte Irina Hayes schnell ab. „Und ich bitte dich darum, dass dieses Gespräch unter uns bleibt. Da ist aber noch etwas anderes.“
„Was denn noch?“
Wieder zögerte die Stellvertretende Kommandantin der NOVA SOLARIS etwas, bevor sie ausführte: „Ich hatte letzte Woche eine Unterhaltung mit Fatul Mahmalad. Eine, die sich nicht auf das rein Dienstliche beschränkte. Dabei deutete der Chief an, dass es möglicherweise Unstimmigkeiten zwischen Dean und Rian geben könnte. Ich mache mir Sorgen, dass die Beziehung zerbrechen könnte.“
Diana nickte in Gedanken. „Du hast Angst, dass ihm das seelisch den Rest geben könnte. Aber was kannst du unternehmen?“
Irina seufzte sorgenvoll: „Ich habe bereits Oberfeldwebel Ikari darum gebeten, Dean etwas im Auge zu behalten. Da sie sich das ohnehin zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, fällt sie am wenigsten auf. Ich möchte dich bitten, ihr dahingehend dienstlich etwas Spielraum einzuräumen.“
„Und damit kommst du mir im Bett?“
Irina runzelte unwillig die Stirn und rasch beschwichtigte Diana sie, indem sie erklärte: „Hey, das war nur ein Scherz. Ich werde Ikari den nötigen Freiraum dazu geben. Hast du mal daran gedacht mit Rian zu sprechen?“
„Nein!“, lehnte Irina Hayes schnell ab. „Einerseits ist das bisher nur Hörensagen und andererseits ist das ihre und Deans Privatsache. Stell dir mal vor, Mahmalad liegt falsch. Dann werden mich die beiden in der Luft zerreißen und das zurecht. Aber ich werde mich in den nächsten Tagen mal unauffällig im Maschinenraum umsehen und umhören. Aus rein dienstlichem Interesse natürlich. Vielleicht schnappe ich dabei etwas auf, was eine Intervention meinerseits legitimiert. Doch ich hoffe inständig, dass das nicht der Fall sein wird, denn ich möchte Dean nicht unglücklich sehen.“
„Ich auch nicht.“
Diana streichelte sanft die Wange der Freundin, warf einen Blick auf den Wandchronographen und seufzte: „Komm, Liebes. Wir müssen langsam mal aufstehen und uns für den Dienst fertigmachen.“
* * *
Drei Tage später nutzte Dean Corvin die Gelegenheit, nach seinem Dienst, den er inzwischen wieder zur Gänze ausübte, gemeinsam mit Irina Hayes in der leeren Offiziersmesse zu Abend zu essen. Er hatte die Kameradin so drängend darum gebeten, dass sie ihn fragte, kaum dass sie sich an einen der Tische gesetzt hatten: „Was ist denn los, Dean? Als du mich vorhin gefragt hast, ob wir gemeinsam zu Abend essen, da hatte ich beinahe den Eindruck, dass ein Notfall vorliegt.“
Dean nickte mit verschlossener Miene. „Vielleicht ist das der Fall. Allerdings betrifft er nur mich. Zuvor aber etwas anderes. Mir ist aufgefallen, dass du seit einigen Tagen richtig strahlst. Diana ebenfalls. Bei euch beiden scheint es also so richtig gut zu laufen.“
Ohne es verhindern zu können lächelte Irina Hayes glücklich und nickte. „Ja. Ich hatte mit dir doch mal darüber gesprochen ihr nicht sagen zu können, dass ich sie liebe. Nun, das gehört der Vergangenheit an. Ich habe es ihr endlich gesagt.“
Dean lächelte für einen kurzen Augenblick und drückte kurz Irinas Hand. „Scheinbar hat sie dir dasselbe gesagt. Ich freue mich für euch zwei.“
Schnell wurde Corvin wieder ernst. „Leider hakt es bei Rian und mir anscheinend. Als wir gestern gemeinsam aufwachten, da stand sie einfach wortlos auf und verließ heulend den Schlafraum. Dabei ist nichts passiert, was eine solche Reaktion ihrerseits erklären würde. Ich hatte vor dem Abflug viel mehr den Eindruck gewonnen, dass sie und ich wieder auf einem ganz guten Weg sein würden. Doch seit einer Woche zieht sie sich immer mehr zurück. Du musst mir einen Rat geben, Irina. Sollte ich erst einmal abwarten oder denkst du, es wäre besser sie direkt darauf anzusprechen?“
„Rede mit ihr.“
Diese Antwort kam so rasch über die Lippen der Frau, dass Dean Corvin die Stirn in Falten zog und misstrauisch meinte: „Was war das denn? Man könnte glatt glauben, dass du mehr weißt, als ich. Ist das so?“
Irina wich dem Blick ihres Vorgesetzten aus. Dann sah sie ihm entschlossen in die Augen und erklärte aufrichtig: „Etwas Genaues weiß ich nicht, Dean. Ich hörte jedoch Gerüchte, die besagen, dass es zwischen euch beiden Spannungen zu geben scheint. Was tatsächlich los ist, das kann dir jedoch nur Rian sagen. Darum rede mit ihr und bestehe darauf, dass sie nicht hinter dem Berg hält. Egal ob es schwierig ist oder nicht. Wenn es ein Problem gibt, dann soll sie es dir gefälligst sagen.“
Dean Corvin bemerkte das Vibrieren in der Stimme seiner Kameradin, in der er so etwas, wie eine Schwester sah. Dabei verspürte er einen dumpfen Druck in der Magengegend, der dunkle Vorahnungen in ihm weckte. Gleichzeitig ahnte er, dass Irina nicht mehr zu dem Thema sagen würde, deshalb meinte er lediglich: „Das werde ich.“
Sie beendeten in aller Ruhe ihr Abendessen, das jedoch weitgehend schweigend verlief. Als es Dean Corvin nicht länger aushielt, verabschiedete er sich überhastet von Irina und schritt durch die hell erleuchteten Gänge der NOVA SOLARIS zum Quartier von Rian Onoro. Er brauchte Antworten.
Nachdem er den Meldekontakt berührt hatte, öffnete sich das Schott vor ihm. Er entdeckte Rian mitten im Wohnraum. Sie wirkte aufgewühlt und Corvin fragte sich, ob sie vor seinem Erscheinen im Raum umhergewandert war.
Seltsam zurückhaltend schritt er auf seine Freundin zu und blieb einen Schritt vor ihr stehen. Dabei war die Distanz zwischen ihnen beinahe greifbar. Sie nicht in die Arme nehmend, so wie sonst, sah er Rian ernst an und sagte beherrscht: „Ich weiß nicht, was gestern Morgen los war, doch ich habe das Gefühl, dass du mir etwas sagen willst. Also bitte ich dich darum, offen mit mir zu reden. Ich merke doch, dass irgendetwas nicht stimmt, Rian, und noch länger zu schweigen ist vermutlich keine gute Idee.“
Die Augen der dunkelhäutigen Frau schimmerten feucht. Sie nickte und deutete hinüber zu der Sitzecke des Raumes. „Setzen wir uns, Dean.“
Der Major spürte, dass seine dunklen Vorahnungen begründet waren. Dennoch versuchte er ruhig zu bleiben und setzte sich, Rian über Eck, auf die bequeme Couch, während sie selbst im Sessel Platz nahm. Dabei sagte er: „Dann fang bitte an.“
Rian Onoro wischte sich rasch über die Augen. Sie wusste, dass man das, was sie Dean zu sagen hatte, nicht schonend beibringen konnte. So sagte mit brüchiger Stimme: „Es ist vorbei, Dean. Ich hatte gehofft unsere Beziehung retten zu können, doch ich bin todunglücklich. Nicht allein mit dir Dean, sondern auch wegen des Bordkommandos. Ich wollte das im Grunde nie. Ich möchte wieder ein eigenes Team in einer Flottenwerft. Das wollte ich immer. Karambalos geht es ebenso. Wir werden bei Irina morgen einen Antrag auf Versetzung nach Farradeen einreichen und ich bitte dich inständig beide abzusegnen.“
Obwohl sich Dean gegen eine solche Nachricht gewappnet hatte, saß er für einige Augenblicke wie betäubt auf der Couch und starrte Rian an, ohne sie wirklich zu sehen. Als er wieder einen Gedanken fassen konnte, sah er die Tränen, die Rian über die Wangen rannen. Tief durchatmend fragte er: „Ist da etwas, zwischen dir und Papa? Bitte sag mir die Wahrheit, Rian. Ich verspreche dir ruhig zu bleiben, doch ich möchte es wissen.“
Rian schluckte und nickte. Dabei sagte sie eilig: „Es ist nichts hinter deinem Rücken gelaufen, Dean. Doch seit einiger Zeit spüre ich, dass ich Gefühle für ihn hege, die bereits zur Zeit unserer gemeinsamen Gefangenschaft entstanden sind. Ich habe sie ignoriert und Papa hat sich absolut korrekt verhalten und seinerseits nichts gesagt. Doch in der letzten Zeit haben wir es beide immer stärker gespürt.“
Die Frau sah Dean traurig an und verbarg schließlich ihr Gesicht in den Händen.
Trotz der momentanen Niedergeschlagenheit und der damit verbundenen emotionalen Hilflosigkeit spürte Dean Corvin in diesem Moment keinen Zorn, keine Wut und keinen Hass auf Rian. Im Moment fühlte er nur Trauer und Mitleid, weil Rian so unglücklich war. Es kostete ihn seine gesamte Kraft, nicht einfach zu gehen, sondern sich von der Couch zu erheben und sich vor Rian hinzuknien. Sanft packte er sie bei den Schultern und sagte so ruhig, dass es ihn selbst erstaunte: „Es tut mir leid, dass es so gekommen ist, Rian. Ich wollte dich nie so unglücklich sehen. Selbst wenn es nicht entscheidend ist möchte ich dir trotzdem nochmal versichern, dass ich dich nie so schlecht behandeln wollte, wie auf Erron, nachdem ich das Bewusstsein wiedererlangte.“
Die Frau schlang die Arme um Dean und ließ ihren Tränen freien Lauf. Erst nach einer ganzen Weile fing sie sich wieder und sah Dean bittend an. Dabei bemerkte sie, dass auch er seiner Trauer nachgegeben hatte.
Dean Corvin beinahe widerwillig loslassend sagte Rian schließlich mit kratziger Stimme: „Bitte sag mir, dass wir nicht aufhören werden Freunde zu sein, Dean.“
Der Major wischte sich mit dem Handrücken der rechten Hand über die Wangen und legte sie dann sacht auf die Wange der Frau. „Wir werden immer mehr als das sein. Wir sind Kriegskameraden, Rian. Das macht uns zu einer Art von Geschwistern. Vor der Zeit der interstellaren Raumfahrt nannte man so etwas Waffenbrüder. Das werden wir stets bleiben.“
Der Major zog langsam seine Hand zurück und schluckte trocken. „Ich lasse dich und Karambalos ziehen, wenn auch schweren Herzens. Sobald wir Outpost erreicht haben werde ich mich bei Generalmajor Traren für euch beide verwenden. Vielleicht wird man euch sogar dem Kommando von Oberstleutnant Kiryn unterstellt. Sie ist die Werftleiterin von Xorolan. Sollte das passieren, dann bestellt ihr bitte Grüße von mir.“
Der Mann erhob sich und Rian tat es ihm sofort nach. Ihn rasch in die Arme nehmend schluchzte sie: „Ich danke dir und ich bin so erleichtert, dass du so viel Größe zeigst. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich fühle mich so schlecht und…“
„Nein, mach das nicht“, bat Corvin inständig. „Du bist kein schlechter Mensch, das weiß ich Rian, denn ich habe schon schlechte Menschen kennengelernt. Außerdem verspreche ich dir, dass ich euch beiden nicht böse sein werde.“
Schließlich schob Dean Corvin die Technikerin etwas von sich weg und sah ihr in die dunklen Augen. „Wir werden in den nächsten Tagen noch über alles reden. Vielleicht etwas weniger emotional, als heute. Wartet bitte mit den Anträgen bis morgen Nachmittag, damit ich vorher mit Irina darüber reden kann. Zwar obliegen solche administrativen Angelegenheiten ihr, doch sie soll nicht davon überrascht werden.“
Traurig aber auch irgendwie erleichtert nickte Rian. „Natürlich.“
Sie schien noch etwas sagen zu wollen, doch Dean kam ihr zuvor, indem er ihr versicherte: „Außer Irina wird niemand von diesem Gespräch erfahren. Na ja, vielleicht noch Anaris Ikari. Ich glaube, Irina hat sie auf mich angesetzt, um mich im Auge zu behalten. Sie meint wohl, ich würde das nicht bemerken.“
Rian lächelte schmerzlich und streichelte die Wange des Mannes, bevor sie etwas auf Abstand ging.
Dean Corvin verstand den Wink und sagte kratzig: „Es wird Zeit zu gehen. Wir sehen uns also in den nächsten Tagen noch, um verschiedene Einzelheiten zu besprechen.“
Der Major bemerkte das Flackern im Blick der Frau und eilig wandte er sich ab. Rasch verließ er Rians Quartier, denn noch einen Weinkrampf von Rian würde er heute nicht mehr ertragen. Dabei fühlten sich seine Beine unterhalb der Knie seltsam wacklig an.
Im Quartier strich sich Rian Onoro fahrig mit den Fingerspitzen über eine bestimmte Stelle am Hals, bevor sich in ihren Augen ein Anflug von Erschrecken widerspiegelte.