Als Teil der Sonnenwind-Flotte befand sich die NOVA SOLARIS acht Tage später nur noch ein Lichtjahr vom Lacerta-System entfernt. In einer Viertelstunde würden zwei Flotten der Farradeen-Allianz aus dem Hyperraum fallen und sich zum Angriff auf den zweiten Planeten des Systems formieren.
Major Dean Corvin, der konzentriert in seinem Kommandantensessel saß, hatte in den letzten Tagen immer wieder daran zurückgedacht, von Anaris Ikari heruntergeputzt zu werden. Im Nachhinein empfand er es fast als etwas surreal, dass ein Oberfeldwebel einen Major derart abgekanzelt hatte. Doch er war zu der Einsicht gelangt, dass es zurecht geschehen war. Darum hatte er diese Angelegenheit auch auf sich beruhen lassen. Wobei seitdem in ihm der Verdacht erwachsen war, dass Ikari danach insgeheim mit einem Nachspiel rechnete. So hatte es nach dem Aufbruch von Outpost drei Tage gedauert, bis sie sich wieder öfter in seine Nähe begeben hatte, sobald er keinen Dienst tat. Auffällig unauffällig bei seinen Besuchen im Fitness-Center des Kreuzers. Doch erst gestern hatten sie dabei wieder einige Worte miteinander gewechselt, wobei Corvin die Verlegenheit des Oberfeldwebels beinahe amüsant gefunden hatte.
Um Ikari zu beruhigen begann er im Anschluss ein unverfängliches Gespräch über den baldigen Einsatz. Er mochte die hochgewachsene Frau und so war auch er erleichtert gewesen, den Zwist zwischen ihnen glimpflich abschließen zu können.
Der Kommandant warf einen prüfenden Blick in die Runde. Sich danach wieder etwas entspannend erinnerte er sich daran, dass es von Beginn an eine gewisse Spannung zwischen ihm und Ikari gegeben hatte. Seit sie auf Eris gemeinsam im Einsatz gewesen waren. Seinerzeit wäre eine kleine Unachtsamkeit beinahe sein Tod gewesen. Anaris Ikari hatte ihm auch damals durch ihren beherzten Einsatz das Leben gerettet. Seitdem schien die Aufgabe, für seine Sicherheit zu sorgen, bei ihr fast zu einer fixen Idee geworden zu sein. Umso mehr, seit seiner schweren Verletzung, wo wieder sie es gewesen war, der er es zu verdanken hatte, noch am Leben zu sein. Erst in diesem Moment wurde ihm wirklich bewusst, dass er bereits zweimal gestorben wäre, ohne diese Frau an seiner Seite.
Corvin war, als erwache er aus einem Traum, als Irina Hayes an seine Seite trat und ihn fragte: „Bedenken, Kommandant?“
„Wie? Nein, wir werden die Aktion schon erfolgreich abschließen.“
Die Freundin kannte Corvin gut genug, um zu spüren, dass ihn etwas umtrieb. Da es nicht der bevorstehende Einsatz zu sein schien, ahnte sie was es war und so leise, dass nur der Kanadier sie verstehen konnte raunte sie: „Stress mit Ikari?“
„Alles, wie gehabt“, erwiderte Corvin ausweichend.
Die rothaarige Frau lächelte wissend und legte dem Kameraden kurz geschwisterlich die rechte Hand auf die Schulter. Danach meldete sie deutlich lauter: „Anflug erfolgt exakt nach Zeitplan. Der Verband fällt in acht Minuten aus dem Hyperraum, Major.“
„Danke, Hauptmann Hayes“, erwiderte der Kommandant ebenso dienstlich und warf der Freundin einen ironischen Blick zu. Leise fügte er mit beschwörendem Blick an: „Alles in Ordnung zwischen mir und Ikari.“
Irina Hayes quittierte die letzten Worte des Majors mit einem feinen Lächeln, bevor sie sich an die Konsole der Kommunikation begab. Sie wusste, dass Corvin sie dort während eines Gefechtes am liebsten hatte, damit sie notfalls Kontakt mit dem Flaggschiff halten und den Kommunikationsoffizier dadurch entlasten konnte.
Corvin beobachtete die Kameradin scharf und fragte sich für einen Moment lang, ob Anaris Ikari mit ihr über ihn gesprochen haben könnte. Gleich im nächsten Augenblick verwarf er diesen Gedanken wieder, denn das würde der Oberfeldwebel niemals machen. Nicht, ohne dass es einen triftigen Grund gab – doch dazu musste mehr passieren, als das, was in seinem Quartier vorgefallen war. In Gedanken Abbitte bei Anaris Ikari leistend wandte Corvin den Blick und sah auf den großen Holobildschirm.
Noch zeichnete sich auf der Anzeige das leichte Wallen des Hyperraumes ab. Das ansonsten beruhigende Rot hatte sich in Flugrichtung bereits vor einer halben Stunde zu einem weniger beruhigenden Gelb gewandelt, wobei im Zentrum des Bildschirms der grünlich blaue Punkt inzwischen zu beunruhigender Größe angewachsen war. Dort lag der Planet Lacerta II, dessen Einfluss auf den Hyperraum sich dort farblich abzeichnete. Der Planet selbst, da nicht Teil der Hyperraums, war hingegen in dieser Dimension nicht zu erkennen. Nur sein hyperenergetischer Abdruck, der im Zentrum tiefviolett schimmerte.
Erinnerungen an den Einsatz auf Eris drängten sich auf. Allerdings musste sich bei dem damaligen Einsatz die NOVA SOLARIS deutlich näher an die Gefahrenzone heran begeben, als es heute der Fall sein würde.
Bereits vor einigen Minuten hatte Irina Hayes Kontakt zu Diana Spencer, ihrer Lebensgefährtin, aufgenommen und die Klarmeldung von ihr erhalten. Dabei wurde ihr bewusst, wie schwierig es für Dean sein musste, diesmal nicht selbst das Kommando über den Landetrupp zu führen. Doch das war, als Kommandant des Kreuzers, auch nicht seine Aufgabe. Er musste lernen, Diana und ihren Untergebenen zu vertrauen. Dabei fiel ihr selbst ebenfalls nicht leicht, die Freundin in Gefahr zu wissen und nicht bei ihr sein zu können. Doch so war das im Krieg. Zumindest in Gedanken konnte sie vor der Aktion noch bei ihr sein. Sobald der Verband aus dem Hyperraum fiel, galt es umzuschalten und sich ganz auf die eigene Aufgabe zu konzentrieren. Sie hatte bereits bewiesen, dass sie das konnte und sie würde es auch diesmal wieder unter Beweis stellen.
Endlich meldete Curtis Newton, dass der Verband in zehn Sekunden aus dem Hyperraum fallen würde. In Gedanken zählte Corvin die Sekunden herunter und ohne einen besonderen Übergang verschwanden die kräftigen Farben des Hyperraums vom Bildschirm und machten der ewigen Schwärze mit seinen Myriaden Sternen platz. Vor dem Kreuzer zeichneten sich einige kapitale Raumschiffe und insbesondere ihr Ziel ab. Die beiden Flotten waren exakt am berechneten Punkt aus dem Hyperraum gefallen. Die vorderen Projektoren des Gravo-Magnet-Antriebs, die den Kreuzer auf bis zu 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit bringen konnten, verzögerten nun das Kriegsschiff mit Maximalwerten. Dasselbe passierte auf den übrigen etwas mehr als zweihundert Raumschiffen beider Flotten. Der Kampf um den zweiten Planeten dieses Sternensystems begann.
* * *
Generalmajor Alkan Korin, der auf Lacerta II, erst vor wenigen Wochen den Oberbefehl übernommen hatte, wandte sich vom Hauptbildschirm seines Flaggschiffs ab. Nachdenklich schweifte sein Blick durch das Kommandozentrum der MANTAS. Vor wenigen Augenblicken hatten die Alarmgeber eingesetzt. Zweihundert Kriegsschiffe, nur um solche konnte es sich handeln, hatten den Hyperraum verlassen und hielten auf die Flotteneinheiten zu, die in diesem System unter seinem Oberbefehl standen.
Fast gegen seinen Willen nötigte ihm das präzise taktische Vorgehen des Gegners Respekt ab. Der etwas beleibte, beinahe gemütlich wirkende Mittfünfziger hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, dass der Gegner ausgerechnet hier auftauchen würde. Erst recht nicht, nachdem der Feind kürzlich erst gegen Lahara vorgerückt war.
Korin hatte seinen Vorgänger, einen erfahrenen Generalleutnant abgelöst, weil der Diktator von Deneb ihn persönlich mit einer wichtigeren Aufgabe zu betrauen beabsichtigte. Ein Zeichen dafür, dass auch der unumschränkte Herrscher der Konföderation nicht mit einem Angriff auf Lacerta II, dem zweiten Planeten des Lacerta-Systems, gerechnet hatte.
Dieser Planet umkreiste Lacerta, einen orange-gelben Hauptreihenstern der Spektralklasse K-3, in einem Abstand von 121 Millionen Kilometern - beinahe exakt mittig in der habitablen Zone des Planetensystems.
Auf Lacerta II, der 13.387 Kilometer durchmaß und etwa dieselbe Dichte wie Terra aufwies, herrscht eine Gravitation von etwas mehr als 1,1 Gravo. Rund 77 Prozent seiner Oberfläche wurde von Wasser bedeckt. Die Landmasse verteilte sich auf vier größere Kontinente und einige kleine Inseln und Inselgruppen.
Bereits im Jahr 2586 wurde der Planet durch Terraner entdeckt und erkundet. Während der Interstellaren Kriege kam es um das System zu harten Kämpfen zwischen Flotten der späteren Konföderation Deneb und den der Regierung des Terranischen Reiches treu ergebenen Verbänden.
Generalmajor Korin gab umgehend Befehl, Verbindung zum Oberkommando der Armada von Deneb aufzunehmen. Der General zweifelte nicht daran, der feindlichen Übermacht zu unterliegen. Einerseits fehlte dem Flaggoffizier dazu der notwendige Fanatismus und zum Anderen galt er nicht als Dummkopf, und nur ein solcher Dummkopf hätte die Lage anders eingeschätzt.
Sein Gespräch mit dem Stabschef der Armada dauerte nur eine Minute und nach der Beendigung dieses Gesprächs wusste er, dass das Lacerta-System nicht mehr lange unter der Kontrolle der Konföderation Deneb stehen würde. Denn er hatte soeben von höchster Stelle den Befehl erhalten sich mit allen Kriegsschiffen abzusetzen. Damit würden die Bodentruppen auf sich gestellt sein und schon bald entweder tot oder gefangen sein.
Natürlich passte Generalmajor Alkan Vrendinis Korin dieser Befehl nicht, denn kein verantwortungsbewusster Oberkommandierender ließ freiwillig seine Leute im Stich. Andererseits machte er sich einen Reim darauf, da er ahnte, dass der Diktator diesen Rückzug bestimmt nicht gerne befohlen hatte. Korin mutmaßte viel mehr, dass die Konföderation seine Kriegsschiffe schon bald an anderer Stelle dringender benötigen würde.
Korin begab sich zur Konsole des Ortungsleitoffiziers. Aus dem System heraus beschleunigend scannten die Kriegsschiffe, was sich rund um Lacerta II abspielte. Dass der angreifende Verband nicht längst ein vernichtendes Waffenfeuer auf das militärische Hauptquartier eröffnet hatte, blieb dabei das größte Rätsel für ihn. Fast schien es ihm so, als würden die Angreifer Wert darauf legen, Opfer unter den dort tätigen Soldaten zu vermeiden, obwohl er sich das nicht so recht vorstellen konnte. Was für einen Grund sollten die Terraner dafür haben? Dieses Rätsel beschäftigte ihn. Vielleicht wäre ihm vieles klarer gewesen, wenn er gewusst hätte, dass ein Terraner soeben ein gewagtes Landemanöver durchführte.
* * *
Major Dean Everett Corvins Gedanken weilten zwischenzeitlich bei den 54 Männer und Frauen der 506. Raumlandeeinheit der Raumflotte von Farradeen, die zu den Kommandotruppen gehörten. Etwa zu diesem Zeitpunkt würden sie sich bereitmachen.
Diese relativ neue Einheit, im Vorjahr erst von Generalmajor Arolic Traren, dem Kommandeur der Sonnenwind-Flotte, neu ins Leben gerufen, stand speziell dem Leichten Kreuzer NOVA SOLARIS zur Verfügung. Von dieser Zeit an kommandierte Hauptmann Diana Elodie Spencer den Kampfverband.
Die Frau mit der Sturmfrisur hatte ihre Leute inzwischen gleichmäßig auf die beiden vorderen Bodenschleusen des Leichten Kreuzers verteilt und sie wartete nun auf das Signal des Kommandanten zum Verlassen des modernen Kriegsschiffs. Die NOVA SOLARIS sollte, flankiert von zwei kleineren Einheiten der Sonnenwind-Flotte, gleich zu Beginn die gegnerische Verteidigung durchbrechen und den Trupp auf Lacerta II absetzen. In dieser Hinsicht setzte Traren auf dieselbe Taktik, wie über dem Mars. Damals hatte das eigentliche Manöver sehr gut funktioniert. Lediglich das katastrophale Versagen der Garrett-Hellmann-Prozessoren hatte seinerzeit für einen vorzeitigen Abbruch der eigentlichen Landeoperation gesorgt. Diesmal würde so etwas nicht dazwischenkommen. Zumindest ging man davon fest aus. Doch was war schon sicher, in diesem Krieg?
Zu der Entscheidung, Lacerta II zu erobern, hatten sich die Oberkommandierenden der Terranischen Protektoratsflotte und der Kriegsflotte von Farradeen nicht nur deshalb durchgerungen, weil das System die Flanke der beiden Systeme Delta-Cephei und Lahara bedrohte, sondern gleichfalls, weil es in der Bevölkerung des Planeten immer noch gärte, seit das System nach dem Friedensschluss von 2987 an die Konföderation gefallen war. Diesem Umstand hatten es die beiden angreifenden Flotten zu verdanken, dass die militärische Präsenz im System spürbar höher ausfiel, als in einem der anderen Grenzsysteme.
Insgesamt zweiundfünfzig feindliche Kriegsschiffe aller Größen befanden sich in diesem System, doch seltsamerweise stellten sie sich den ankommenden Flotten der Farradeen-Allianz nicht vehement entgegen, sondern beschleunigten mit hohen Werten aus dem System heraus. Von alldem ahnte Diana Spencer nichts, als Dean Corvin sie kontaktierte und davon informierte, dass sich die Flotte der Konföderation Deneb absetzte und der Kreuzer in den nächsten fünf Minuten auf Lacerta II niedergehen würde.
Nachdem die Verbindung unterbrochen war, warf der Major Irina Hayes vielsagende Blicke zu und meinte. „Dass sich die Kriegsschiffe der Konföderation Deneb nicht zum Kampf stellen kommt unerwartet. Hauptmann Hayes, halten Sie die Instrumente im Blick und geben Sie mir Bescheid, wenn die zurück weichenden Feindschiffe etwas Unerwartetes unternehmen sollten. Es könnte eine Finte sein.“
Der Erste Offizier der NOVA SOLARIS bestätigte und Corvin konzentrierte sich wieder auf das bevorstehende Landemanöver. Erneut begann eine Phase des Wartens.
* * *
Diana Spencer wartete auch, aber sie fluchte dabei.
„Das Ganze riecht verdächtig nach einer Falle! Es sieht den elenden Konföderierten gar nicht ähnlich, die Bodentruppen hier zurückzulassen!“
Der Blick der Truppführerin ruhte auf dem Gesicht von Oberfeldwebel Ikari. Ihr Stellvertreter, Oberleutnant Harin Krezirin hielt sich gegenwärtig in der gegenüberliegenden Bodenschleuse auf.
Anaris Ikari machte eine wiegende Handbewegung. „Vielleicht haben wir diesmal auch einfach nur Glück. Immerhin hat General Mbena vorige Woche Lahara VII erobert. Der Planet ist dem Diktator sicherlich wichtiger, als Lacerta II.“
Diana Spencer nickte nachdenklich. „Ja, das könnte auch sein. Vielleicht werden die hier zurückgebliebenen Truppen sich aber gerade deswegen besonders heftig zur Wehr setzen, Oberfeldwebel. Also rechnen wir besser nicht damit, dass unsere Aufgabe deswegen einfacher werden wird.“
„Glücklicherweise hat der Major bereits Erfahrungen mit haarsträubenden Landeunternehmen gemacht. Das kann man von den meisten anderen Kommandanten der Alliierten Flotten nicht behaupten.“
Ein unmerkliches Lächeln überflog das Gesicht der Truppführerin. „Sie haben Recht. Nach der Landung werden wir nicht Zögern und sofort handeln. Je länger wir brauchen, um das Hauptquartier auf dem Planeten einzunehmen, desto mehr verringert sich unsere Aussicht auf Erfolg. Einer der wichtigsten Faktoren unseres Einsatzes ist Geschwindigkeit.“
„Ich stimme Ihnen zu, Hauptmann“, erwiderte Ikari. „Wenn es uns gelingt, das Hauptquartier rasch zu stürmen sollte uns der Handstreich gelingen.“
Die beiden kampferprobten Frauen sahen sich an, als der Boden unter ihren Kampfstiefeln zu vibrieren begann. Sie kontrollierten ein letztes Mal die Kom-Systeme und die Frequenzbrillen und packten ihre Plasmagewehre fester. Lange konnte es nun nicht mehr dauern, bis die NOVA SOLARIS aufsetzte.
Trotzdem schien sich die Zeit zu dehnen, bis endlich Irina Hayes Bescheid gab, der Kreuzer würde in dreißig Sekunden aufsetzen.
Zwei schwache Erschütterungen durchliefen das Kriegsschiff und die sich ändernde Geräuschkulisse wies darauf hin, dass die Geschütze der NOVA SOLARIS feuerten.
Endlich wies ein leichter Ruck darauf hin, dass der Kreuzer aufgesetzt hatte. Im nächsten Moment öffneten sich die vorderen Bodenschleusen und die Rampen fuhren aus. Zwei Trupps, die sich aus jeweils 27 Raumlandesoldaten zusammensetzten, verließen das Kriegsschiff und stießen rasch in Richtung des Hauptquartiers vor. Anhand der rauchenden Krater, rings um das gedrungen wirkende Gebäude herum, erkannten die Raumlandesoldaten, dass die NOVA SOLARIS und ihre Begleitschiffe die Abwehrgeschütze erfolgreich niedergekämpft hatten.
Auf das Gebäude zuhaltend erkannte Anaris Ikari, dass ein Plasmaschuss das Gebäude gestreift haben musste, denn ein Teil der Außenwand fehlte und ermöglichte ein ungehindertes Eindringen ins Innere. Seltsamerweise gab es hier keine Abwehrstellung der Konföderierten. Vermutlich hatten sie sich auf den tieferen Ebenen verschanzt.
Harin Krezirin hielt sich mit seinen Leuten weiter links, wo sich ein Mauerriss gebildet hatte. Auch er stieß hier oben auf keinen Widerstand. Er hatte von Spencer den Auftrag erhalten zunächst diese Ebene zu sichern und nur bei Bedarf nachzustoßen.
Inzwischen erreichte der Trupp von Diana Spencer die darunter befindliche Ebene. Sie und ihre Leute traten auf einen hell erleuchteten Gang hinaus, der verlassen vor ihnen lag. Spencer führte sie nach links. Nach etwa einhundert Metern erreichten sie eine Gangkreuzung. Sie sicherten und Diana Spencer beriet sich mit Ikari. „Wenn die Pläne des terranischen Geheimdienstes korrekt sind, dann befindet sich die Zentrale drei Decks unter uns und etwa einhundertfünfzig Meter weiter rechts.“
„Das ist richtig, Hauptmann“, antwortete die Frau an Spencers Seite. „Wir müssen jedoch nach links abbiegen, wenn wir das Liftsystem umgehen wollen. Die leicht zu kontrollierenden Liftschächte sollten wir, unter allen Umständen, meiden.“
Diana Spencer nickte Ikari zu und führte ihre Leute in den linken Gang. Ein paar Meter weiter erreichten sie den Zugang zu einer der zahlreichen, über das gesamte Hauptquartier verteilten, Nottreppen. Die Farradeenerin betätigte den Impulsgeber des Schotts und betrat als Erste den, nur spärlich beleuchteten Treppenaufgang. Während zwei Soldaten den Einstieg zu beiden Seiten sicherten, beeilten sich die Anderen ihr zu folgen. Nach nur wenigen Augenblicken schloss sich das Schott hinter ihnen, und Diana Spencer atmete erleichtert auf, weil es keinerlei Anzeichen für einen Gegenangriff gab.
Anaris Ikari, die sich an ihrer Seite hielt, sagte ruhig: „Diese fehlende Aktivität macht mich langsam nervös, Hauptmann.“
„Nun ja, hier dient zwar militärisches Personal, doch keine Kampftruppe“, gab Diana Spencer zu bedenken. „Außerdem haben diese Leute bisher bestimmt keine Kampferfahrung gemacht, anders als wir. Vermutlich hat unser Angriff die meisten Männer und Frauen in diesem Gebäude erst einmal tüchtig erschreckt.“
Anaris Ikari hob ihre Augenbrauen, erwiderte aber nichts darauf. Sie traute dem Frieden offensichtlich noch immer nicht.
Mit angeschlagenem Plasmagewehr öffnete sie drei Decks tiefer das Schott des Notausstieges und spähte hinaus auf den breiten, hell erleuchteten Gang. Sie hatten Glück. Niemand war zu sehen, während der Kommandotrupp, so leise wie möglich, den Weg zur Hauptzentrale einschlug.
Nach einem Moment erkundigte sich Anaris Ikari bei ihrer Vorgesetzten: „Woher hat der terranische Geheimdienst übrigens die Gebäudepläne, Sir?“
Diana Spencer, die in dieser Hinsicht keinerlei Informationen besaß, erwiderte: „Das weiß vermutlich nicht einmal Generalmajor Traren.“
Die Unterhaltung verstummte, als sie in den Gang einbogen der zum Hauptschott der Zentrale führte. Gleichzeitig mit Diana Spencer erkannte Ikari eine Gruppe von fünfzehn Konföderierten, die vermutlich den Auftrag bekommen hatten, diesen Gang zu sichern.
Die Männer und Frauen des Trupps warteten nicht erst auf Anweisungen, sondern warfen sich augenblicklich zu Boden. Gerade noch rechtzeitig, denn bereits im nächsten Moment jagten einige Plasmaschüsse über sie hinweg.
Die Männer und Frauen des farradeenischen Kommandotrupps schossen sicher und kaltblütig. Nach einem kurzen, ungleichen Kampf erhoben sich die Männer und Frauen des Kommandotrupps und erst jetzt stellte Diana Spencer fest, dass Anaris Ikari von einem der Schüsse des Feindes getroffen worden war. Offensichtlich noch, bevor sie sich zu Boden geworfen hatte. Die Uniform der Frau wies an der linken Schulter ein hässliches Brandloch auf. Schnell stützte sie die wankende Frau.
„Es geht schon“, ächzte Anaris Ikari tapfer und lächelte verzerrt. „Mir ist nur mal kurz die Luft weggeblieben, Sir.“
„Nichts geht“, gab Diana Spencer bestimmt zurück und befahl einem jungen Gefreiten, sich dem Oberfeldwebel anzunehmen.
Missmutig, gleichzeitig aber auch einsehend, dass sie, mit den Schmerzen, die durch ihren Körper jagten, keine Hilfe sein würde, sank sie an der Gangwand zu Boden und warf dem Gefreiten, der sie dabei stützte, einen dankbaren Blick zu.
So bekam Anaris Ikari nicht mit, wie sich die Eroberung des Stützpunktes in der Folge weiter entwickelte. Erst, als ihre Vorgesetzte, mit zwei Unteroffizieren, nach einer Dreiviertelstunde wieder bei ihr auftauchte, ahnte sie, dass das Unternehmen erfolgreich abgelaufen sein musste. Dafür sprach die zufriedene Miene von Diana Spencer. Von ihr erfuhr Ikari noch, dass es nur sehr sporadischen Widerstand gegeben hatte, bevor man sie abtransportierte und an Bord der NOVA SOLARIS brachte. Dabei stand es mit ihrer Laune nicht zum Besten, denn ihr wurde bewusst, dass der Krieg zunächst einmal ohne ihren aktiven Einsatz weitergehen würde. Möglicherweise war Dean Corvin deshalb für eine Weile so ungenießbar gewesen.
Während Asuka Langdon sie auf der Krankenstation behandelte, kreisten ihre Gedanken um den Major, bevor das verabreichte Beruhigungsmittel sie für einige Stunden außer Gefecht setzte.