Viereinhalb Monate zuvor waren sechs Mitglieder der terranischen Resistance vom Mars aus in Richtung des Bundes von Harrel aufgebrochen. An Bord eines gekaperten Fracht-Raumschiffes der Konföderation Deneb.
Mit an Bord des Frachters befand sich eine Gefangene. Major Kim Tae Yeon vom militärischen Geheimdienst der Konföderation.
Aufgebrochen waren sie zu Anfang November. Nach 21 Tagen hatten sie den Raum des Antares Sternenimperiums endlich hinter sich gelassen und waren in den Bereich des Bundes eingeflogen. Am 32. Tag ihrer Reise näherten sie sich dem Hauptsystem des Bundes von Harrel. Dem Harrel-System. Benannt nach einem der irdischen Wissenschaftler, Wayne Harrel, der im Jahr 2648 maßgeblich daran beteiligt gewesen war, das System anhand von Gravitationsschwankungen im Zentrum einer Dunkelwolke zu entdecken.
Die Behörden auf Harrel-III hatten sich im ersten Moment überrascht gezeigt, beim Auftauchen eines Frachters, mit Kennung der Konföderation Deneb. Dementsprechend misstrauisch waren die zuständigen Beamten auch gewesen. So war es wenig verwunderlich, dass man die Mitglieder der Terranischen Resistance zunächst ebenso inhaftiert hatte, wie die Verräterin Kim Tae Yeon.
Erst nach eingehenden Befragungen durch Vertreter der Ermittlungsbehörden des Bundes von Harrel wurden die Mitglieder des Sperber-Teams, dreieinhalb Monate nach ihrer Ankunft über Harrel-III, wieder auf freien Fuß gesetzt. Man hatte sie so lange festgesetzt, weil man so lange benötigt hatte, den Frachter bis in den letzten Winkel technisch zu überprüfen. Doch darüber hatten die Behörden die sechs Terraner nicht in Kenntnis gesetzt.
So war es wenig verwunderlich, dass Moshe Melnik seinem Ärger Luft machte, nachdem man sie zu einem Bungalow, am Rande des Raumhafens der Hauptstadt Yarlean gebracht hatte. Dort, so hatte man ihnen versichert, durften sie wohnen, für die maximal vier Wochen Bleiberecht, die ihnen eingeräumt worden waren.
„Das ist doch unfassbar! Da bringen wir denen von Harrel eine Verräterin, die sich anschickte auch den Bund in den Krieg mit der Konföderation zu stürzen, und dieses undankbare Pack sagt nicht einmal Danke.“
Heftig in seinem Sessel gestikulierend bemerkte Melnik erst nach einer Weile den warnenden Blick von Alexandra Marsden, die ihm an dem runden Tisch, der mitten im Raum stand, gegenüber saß. Er ahnte, was sie ihm damit zu verstehen geben wollte. Doch in seiner momentanen Stimmung reizte ihn das, um laut zu sagen: „Mir ist egal, ob die von Harrel uns abhören – dieses undankbare Pack kann ruhig wissen, was ich von ihm halte! So!“
„Na, wie gut, dass du nie vorhattest Diplomat zu werden“, spöttelte Alexandra. Die Finger ihrer linken Hand fuhren durch ihr tief-schwarzes Haar. Dabei stieß sie ein Seufzen aus und ihre grünen Augen blitzen auf.
„Ich bin froh, dass wir endlich wieder auf freiem Fuß sind“, bekannte Yunai Lee. Als Überläuferin der Konföderation war sie eingehender verhört worden, als alle anderen Mitglieder des Teams.
„Abwarten“, dämpfte Dheran Collard, der rechts neben Yunai saß, ihren Optimismus sofort. „Die können uns jederzeit wieder einsperren.“
„Daran glaube ich nicht“, widersprach Kenji Tanaka, der zu Collards anderer Seite Platz genommen hatte. „Dann hätte man sich nicht die Mühe gemacht, uns erst zu entlassen, und das mit dem Abhören wäre auch anders gegangen.“
Sarah Anderson, mit gerade 18 Jahren die jüngste in der Gruppe, hielt es nicht länger aus. Bisher hatte ausgerechnet sie, der das Herz zumeist auf der Zunge lag, geschwiegen. Doch nun sprudelte es aus ihr heraus: „Was machen wir eigentlich noch hier? Wir haben denen die Verräterin übergeben. Alles Weitere geht uns nichts mehr an. Wir sollten uns den Frachter schnappen und endlich wieder von hier verschwinden.“
Moshe Melnik, der bereits vor dem Überfall der Konföderation auf das Sol-System sehr gut mit dem Mädchen befreundet gewesen war, legte spontan seine Rechte auf ihre Schulter und erwiderte beruhigend: „Nur nichts überstürzen, Sarah. Zunächst einmal brauchen wir dazu eine Startfreigabe, und die haben wir noch nicht. Aber selbst, wenn wir die heute noch bekämen, würde ich nicht sofort abfliegen. Der Prozess gegen diese verdammte Verräterin läuft noch und ich würde nur zu gerne erfahren, zu was genau man sie verurteilen wird. Der abschließende Verhandlungstag ist in knapp einer Woche. Bis dahin würde ich gerne noch hierbleiben.“
„Und was wird aus unserem Vorhaben, zum Antares Sternenreich zu fliegen und dort vorzutäuschen, einer von uns wäre der zu erwartende Geheimdienst-Offizier?“
Moshe Melnik sah zu Kenji Tanaka. Er hatte diese Frage gestellt.
„Den Plan können wir auch danach noch innerhalb des normalen Zeitfensters ausführen. In einem Moment von Nachlässigkeit entfuhr es Kim als wir hierherflogen nämlich, dass man auf Horus mit dem Agenten in frühestens sechs Monaten rechnet. Das lässt uns noch etwas Spielraum. Offensichtlich sollte der Agent, als Handelsvertreter getarnt, vorher noch einige Stützpunktwelten des Bundes abklappern. Es bestehen also beste Aussichten, das Unternehmen ganz nach Plan auszuführen.“
Alexandra Marsden machte eine verächtliche Miene. „Glaubst du etwa, was diese Verräterin dir da ins Ohr gesäuselt hat?“
„Einerseits hat sie nicht gesäuselt und andererseits habe ich an ihrer Reaktion bemerkt, dass ihr das ungewollt entfahren ist“, beschied ihr Melnik. „Ich hatte auch nicht danach gefragt, sondern so getan als wüsste ich, wie der Ablauf des Agenten ist. Erst nachdem sie mein Grinsen bemerkt hatte, als sie damit herausplatzte, wurde ihr wohl klar, dass ich bis dahin nicht die Spur einer Ahnung davon hatte.“
„In Ordnung“, gab sich Alexandra geschlagen. „Wer von uns wird also die Agentin spielen, nachdem wir auf Horus gelandet sind?“
„Ich.“
Fünf Augenpaare richteten sich auf Yunai Lee, die dieses eine Wort so entschieden ausgesprochen hatte. Erklärend fügte die Überläuferin an: „Vielleicht weiß man auf Horus, dass Kim Asiatin ist. Da sollte schon eine Frau mit asiatischem Äußeren auftauchen.“
Moshe Melnik, dessen Argwohn gegen Yunai sich in den letzten Monaten schneller gelegt hatte als der seiner Kameraden, erwiderte zustimmend: „Das ist ein stichhaltiges Argument. So machen wir das. Auf dem Flug sprechen wir dann noch genau ab, was du denen vom Antares Sternenreich erzählen wirst.“
So, wie es ihre Art war, machte Yunai nicht viel Worte, sondern nickte nur kurz.
Moshe Melnik sah in die Runde und erklärte nach einer Weile: „Bevor ich mich endlich wieder in ein richtiges Bett lege, vertrete ich mir noch etwas die Beine. Hat jemand Lust mitzukommen?“
Bis auf Alexandra Marsden erhob sich niemand. Sarah hatte sich zwar sofort anschließen wollen, jedoch den langen Blick von Alexandra bemerkt. Also blieb sie sitzen und sah grübelnd zu, wie die Freundin mit Moshe das Haus verließ.
Nachdem sie im Freien einige Schritte gegangen waren, sah der Beleibte vom Haus zu Alexandra und erkundigte sich ratlos: „Was war denn das eben?“
Etwas grimmig wirkend meinte Alexandra nach einem Moment: „Ich habe Sarah wirklich sehr gerne. Wie eine kleine Schwester. Doch im Moment geht sie mir auch auf die Nerven, wie eine kleine Schwester. Seit einiger Zeit schon hört sie nicht mehr auf mich mit Fragen zu löchern.“
„Fragen zu was?“
Wie es Famke, Kelvin und diesem Darweshi Karume inzwischen ergangen sein mag. Ich frage mich das selbst immer wieder, aber ich weiß nicht, was ich Sarah sagen soll. Einerseits traue ich Famke zu, auf sich aufpassen zu können und auch Kelvin und dieser Riesenkerl von Sanitäter können das wohl. Aber ich weiß auch, wie gering deren Chancen standen, als sie sich von uns trennten. Famke ist meine Freundin und ich vermisse sie. Ich habe Angst um sie und jedes Mal, wenn Sarah nach ihr fragt, dann kommen all diese Ängste wieder und wieder an die Oberfläche.“
Moshe Melnik bemerkte die Frustration bei Alexandra. Darum sagte er erst nach einer Weile vorsichtig: „Sarah ist eben unser Küken. Die denkt sich vermutlich gar nichts dabei und mir ist das ganz recht so. Außerdem geht es ihr bestimmt ähnlich, wie dir. Vielleicht gibst du ihr etwas lange Leine und redest in einigen Tagen mal ganz in Ruhe mit ihr darüber.“
Alexandra seufzte schwach. „Du hast ja Recht. Als die Ältere sollte ich für sie da sein und nicht umgekehrt.“
„He, das war so gar nicht gemeint. Wir müssen alle füreinander da sein. So, wie bisher auch. Im Übrigen denke ich, dass Famke und ihre beiden Schatten es geschafft haben. Es kommt ja nicht von Ungefähr, dass Famke unser Team anführt.“
Sie setzten ihren Spaziergang entlang des Raumhafengebiets fort. Als ein Schwerer Kreuzer des Bundes vom Belag abhob und in der Ferne am Himmel verschwand, sahen ihm beide sehnsüchtig nach. Dabei murmelte Moshe Melnik: „Einerseits will ich sehen, zu was Kim verdonnert wird und andererseits zieht es mich auch jetzt schon wieder hinaus. Diese Unrast habe ich früher nie gespürt. Ich meine, vor dem Krieg.“
„Ironie des Schicksals“, stimmte Alexandra nachdenklich zu. „Wir wollen einerseits den Frieden und auf der anderen Seite fehlt uns bereits jetzt der Kampf gegen die Konföderation. Ich habe dieselbe Unrast auch bei mir und den Anderen bemerkt.“
Sie blieben stehen und Moshe atmete tief durch. „In Ordnung, wir warten noch den Prozess ab und danach starten wir in Richtung Horus. Noch in derselben Stunde. Falls der Bund von Harrel mitspielt, heißt das.“
„Die sollen es mal wagen nicht mitzuspielen“, murrte die junge Frau gespielt grimmig. „Dann lernen die das Sperber-Team aber mal kennen, was?“
Ein Schmunzeln überflog das Gesicht des etwas Beleibten. „Komm, ich brauche jetzt wirklich ein richtiges Bett, und sofort morgen früh werde ich den zuständigen Beamten auf die Füße latschen, bis wir eine Startfreigabe von denen bekommen.“
* * *
Die kommende Woche schien sich wie ein Kaugummi zu dehnen, doch endlich war der Morgen herangekommen, an dem der Prozess gegen Kim seinen Abschluss finden sollte. Der Gerichtssaal war nur mäßig besucht und so fand das Sperber-Team Platz in der ersten Reihe, um das Verfahren aus der Nähe verfolgen zu können.
Moshe Melnik bekam von den Schluss-Plädoyers der Anklage und der Verteidigung kaum etwas mit, da seine Gedanken schon jetzt den Dingen vorauseilten. Bereits vor vier Tagen war die Startfreigabe für ihren Frachter erfolgt. Sie galt für zehn Tage, was ausreichte, denn direkt im Anschluss an diese Verhandlung würden sie aufbrechen. Erst gestern hatten sie die Aggregate des gekaperten Frachters ein letztes Mal gecheckt und ihre spärliche Habe an Bord gebracht. Das Team war bereit.
Melnik fragte sich was sie auf Horus, der Hauptwelt des Antares Sternenreiches, erwarten würde? Der Flug dorthin sollte sie wieder bis auf etwas mehr als 800 Lichtjahre an das Sol-System heranbringen. Dieser Gedanke stimmte ihn zufrieden, obwohl es immer noch eine ziemliche Entfernung war. Von Horus wusste er kaum mehr, als dass der Planet sehr viel Wasser besaß und das Klima hauptsächlich zwischen sub-tropisch und tropisch tendierte. Der Gedanke daran brachte ihm wieder etwas Ernüchterung, denn er liebte keine allzu hohen Temperaturen. Moshe sah sich eher als Wintertyp.
Sie hatten gestern Abend nochmal Kriegsrat gehalten und entschieden herausfinden zu wollen, was sich zwischen der Konföderation und Antares anbahnte. Danach würden sie hoffentlich einen Weg finden, sich ins Wega-System durchzuschlagen. In das vom Feind besetzte Sol-System konnten sie nicht zurück. Alles Weitere würde sich finden.
„Achtung, jetzt kommt´s“, raunte ihm Kenji zu und seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf die Verhandlung.
Die Richterin, eine mollige ältere Frau, erhob sich, um das Urteil zu verkünden.
„Nach eingehender Prüfung aller vorliegenden Fakten und der Anhörung der Plädoyers komme ich zu folgendem Urteil: Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte, Major Kim Tae Yeon vom Geheimdienst der Konföderation Deneb, der versuchten Spionage und der versuchten vorsätzlichen Sabotage schuldig ist. In Verbindung mit der Schwere der Folgen, die ein erfolgreicher Versuch in beiden Fällen gehabt hätte, wird das Strafmaß folgendermaßen festgelegt: Die Verurteilte wird zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt, ohne eine Option auf vorzeitige Entlassung. Die Verurteilte wird zur Verbüßung der Strafe für ihre Verbrechen, unmittelbar im Anschluss an diese Verhandlung, zur Hochsicherheits-Strafkolonie auf Sigma-Thule verbracht. Damit ist die Verhandlung beendet und abgeschlossen.“
Begeisterung zeigte sich auf den Gesichtern der sechs jungen Menschen der Erde, während sich in den Augen der Koreanerin blanker Hass widerspiegelte, als sie von ihren beiden Wächtern ergriffen und abgeführt wurde.
„Allein für den Verrat an Terra hätte sie den Tod verdient gehabt“, murrte Dheran Collard. „Zu schade, dass der Bund von Harrel neutral ist und das deshalb in die Verhandlung nicht hat aufgenommen werden können.“
„Wenn ich mich nicht irre, so wird sich der Bruder von Famke sehr darüber freuen, wenn er diese Neuigkeit zu hören bekommt“, orakelte Moshe Melnik. „Diese Kim soll seine Karriere bei der Terranischen Raumflotte ziemlich heftig torpediert haben. Famke erzählte mir mal vor einer unserer vielen Sabotageaktionen davon.“
Die Mitglieder des Sperber-Teams wandten sich ab und strebten dem Ausgang des Gerichtssaales zu, als hinter ihnen eine schrille, sich überschlagende Stimme erscholl.
„Ich werde nicht ewig inhaftiert sein! Ich komme schon frei und dann hole ich euch allesamt! Ich werde…!“
Als sich Moshe Melnik und seine Begleiter umwandten, sahen sie gerade noch, wie einer der Wächter sie mit einem Schlag ins Gesicht zum Schweigen brachte. Die Asiatin gebärdete sich wie toll, als sie auf der anderen Seite aus dem Saal gezerrt wurde.
„Was für eine kranke Person“, entfuhr es Sarah erschüttert.
„Gehen wir!“, forderte Melnik auf und das Sperber-Team folgte seinem Rat.
Eine halbe Stunde später befanden sie sich alle an Bord des gekaperten Frachters der Konföderation. Auf dem Flug hierher hatten sie sich auf den Namen MORENA geeinigt. Eine Sagengestalt, die der Legende nach Frühling und Fruchtbarkeit bringen sollte. Nach einer anderen Auslegung hingegen Winter und Tod. Das Sperber-Team hatte beide Auslegungen als in ihrer Situation passend empfunden.
Im Cockpit des Frachters saß Moshe Melnik an den Kontrollen. Als Co-Pilotin des Frachters diente, wie so oft beim Herflug bereits, Alexandra Marsden. Alle Übrigen hielten sich im Passagierabteil auf.
Alexandra Marsden hatte über Interkom-Verbindung bereits Kontakt mit der Raumhafenkontrolle aufgenommen und um Starterlaubnis gebeten. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis eine markante, männliche Stimme ihre Anfrage positiv bestätigte.
Erleichtert wechselte die Schwarzhaarige einen Blick mit ihrem Kameraden an den Steuerkontrollen.
Moshe Melnik zögerte nicht lange. Er fuhr die Leistung der Antriebsemitter so weit herauf, dass der Frachter vom Belag des Landefeldes abhob. Stetig schneller werdend stieg der Frachter auf und Melnik aktivierte die Dualschilde des Frachters, als sie die zweifache Schallgeschwindigkeit überschritten. Diese Schilde dienten lediglich dem Selbstschutz des Frachters und waren längst nicht so leistungsstark wie die Schilde eines Kriegsschiffes. Doch sie genügten, um beim rasenden Durchflug der oberen Atmosphäre, die durch die Reibung heißen, ionisierten Gaspartikel von der Hülle des Frachters fernzuhalten.
Nach fünf Minuten hatten sie oberen Schichten der Atmosphäre hinter sich gelassen und die MORENA strebte ihrem Element entgegen.
Als sich der Frachter eine halbe Stunde später im Hyperraum befand und auf Kurs lag, sah Alexandra zu Moshe und legte ihm kurz ihre Hand auf die Schulter. „Ich wollte dir noch danken, für deine Worte, als ich mich über Sarah ausgelassen habe. Auch dafür, dass offensichtlich niemand sonst davon erfahren hat.“
Der Junge grinste breit. „Ich war nie als Klatschtante bekannt. Außerdem weiß ich ganz gut, wann man etwas besser ungesagt lässt.“
Die junge Frau nahm ihre Hand weg. „Wenn es anders wäre, hätte ich auch nicht mit dir darüber geredet.“
Für eine Weile blieb es still zwischen ihnen, bevor Moshe Melnik meinte: Dieser Kim konnte ich auf dem Flug nach Harrel entlocken, dass der Bruder von Famke gar nicht das eigentliche Ziel war, als sie ihm die Karriere versaut hat. Viel mehr ging das gegen dessen Freund. Ein Typ namens Dean Corvin. Famke hat den doch öfter mal erwähnt?“
„Ja. Er scheint so eine Art zweiter großer Bruder für Famke zu sein. Sie hat mir mal erzählt, dass sie ihn mindestens ebenso sehr vermisst, wie Kimi. Ich hoffe für sie, dass sie ihn nicht allzu fernen Tages wiedersieht. Ihn und Kimi.“
Alexandra nickte in Gedanken. „Ja, es ist schon ein Wahnsinn, wie viele Familien dieser Krieg bereits jetzt schon zerrissen hat, und ein Ende ist nicht in Sicht. Manchmal frage ich mich, warum unsere Politiker und Militärs das nicht haben kommen sehen. Ich meine, was haben die ihr Leben lang eigentlich gemacht?“
Melnik schwieg. Erst nach einer geraumen Weile meinte er: „Wenn du hier klarkommst, dann würde ich gerne mit Yunai absprechen, wie sie auf Horus am besten vorgehen wird. Ich schicke dir dafür Dheran, damit du hier nicht depressiv wirst.“
Alexandra bedachte den Freund mit einem ironischen Blick. „Ich komme klar. Aber trotzdem Danke, für deine rührende Besorgnis.“
* * *
Im Regierungsgebäude auf Harrel-III stand Präsident Cordell Ebenezer Harrel an der Fensterfront seines Büros und blickte über die weitläufige Stadt, die sich unter ihm ausbreitete. Dabei erkannte der Zweiundvierzigjährige die geometrische Struktur der Hauptstadt Yarlean, die nach Iraleen Yarlean benannt worden war. Jener Frau, welche die Stadt auf dem Reißbrett entworfen hatte. Überall wurden die bebauten Bereiche von weitflächigen Grünanlagen aufgelockert. So wirkte die weiße Stadt, trotz ihrer Größe, nicht wie ein Fremdkörper auf dieser Welt, sondern so als habe sie schon immer hier hergehört. Etwas, auf das die Bewohner dieser Welt sehr stolz waren.
Der etwas beleibt wirkende, dabei über 1,90 Meter messende, Cordell Harrel war sich seiner Familientradition bewusst, während er hier auf die Senatorin der Verteidigung wartete. Als Enkel von Kelvin und Diana Harrel, die nacheinander während des Interstellaren Krieges ebenfalls das Präsidentenamt innegehabt hatten, blieb das kaum aus.
Noch während des Krieges hatte seine Großmutter in der Verfassung festschreiben lassen, dass das Präsidentenamt stets auf ein Mitglied der Familie Harrel übergehen soll, solange diese Familie fortbesteht. So fungierte, bereits in dritter Generation, ein Mitglied der Familie Harrel als Präsident des Bundes von Harrel.
Allerdings gab es auch einen Passus in der Verfassung, der besagte, dass der Präsident die notwendige Kompetenz haben musste, um dieses Amt auszuüben. Neben weiteren Mechanismen, die einen Amtsmissbrauch verhinderten.
Gegenwärtig umfasste der Bund von Harrel 19 kolonisierte Sternensysteme und die recht hohe Anzahl von 83 militärischen Außenbasen. Letzteres war hauptsächlich auf die gewaltige räumliche Ausdehnung des Bundes zurückzuführen.
Somit gab es zum jetzigen Zeitpunkt 19 Planetare Gouverneure, die in Friedenszeiten dem Senat, in Kriegszeiten direkt dem Präsidenten unterstellt waren.
Präsident Harrel fuhr sich mit der Rechten durch das schwarze, leicht gewellte Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Dabei lag ein Zug von Entschlossenheit in seinen grauen Augen, denn er hatte sich zu einem Schritt durchgerungen, den er im Grunde hatte vermeiden wollen. Doch ihm war bewusst, dass er dies nicht mehr lange würde tun können. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte er Senatorin Hareena Trendan zu sich gebeten.
Der Präsident ließ unwillkürlich die Hand sinken, als seine Sekretärin den erwarteten Besuch über Interkom bei ihm ankündigte. Er legte die Hände hinter den Rücken und wandte sich dem Schott seines weitläufigen Arbeitsraumes zu. Noch während die zierliche, dunkelblonde Senatorin zu ihm hereinkam, umrundete Harrel seinen Schreibtisch und trat auf sie zu. Beide waren etwa in demselben Alter. Der Präsident sah in Hareena Trendan nicht nur eine Vertraute, sondern auch eine persönliche Freundin.
Einen Kopf kleiner und deutlich zarter gebaut, als der Mann vor ihr, wirkte die Frau beinahe unscheinbar. Doch in ihren grau-grünen Augen lag stets ein Ausdruck, der jeden Menschen davor warnte, sie zu unterschätzen. Lächelnd reichte sie Harrel die Hände.
Der Mann ergriff sie und drückte sie sanft. Da er wusste, dass Hareena Trendan so etwas nicht mochte, verzichtete er auf übertriebene diplomatische Floskeln und kam sofort zum Punkt, indem er sagte: „Ich freue mich, Sie zu sehen, Hareena. In den letzten Tagen hatten wir bereits zwei Gespräche bezüglich dieser Gruppe junger, terranischer Widerstandskämpfer und der inzwischen verurteilten terranischen Verräterin. Vor wenigen Minuten hat der Frachter MORENA in den Hyperraum übergewechselt. Ich möchte Ihre abschließende Meinung du dieser Angelegenheit hören. Was ich denke wissen Sie.“
Hareena Trendan ließ die Hände des Mannes los, mit dem sie seit einigen Jahren schon eng zusammenarbeitete. Auf die einladende Geste des Präsidenten hin begab sie sich mit ihm zum Konferenztisch hinüber. Dort angekommen setzten sie sich und die Frau sagte sachlich: „Ich habe die Oberkommandierende angewiesen, einige Fregatten an der Grenze zum Antares Sternenreich patrouillieren zu lassen. Außerdem soll sie die Flotte in Bereitschaft halten. Ich traue dem Frieden im Sternenreich nicht. Dieses Stillhalten von Imperator Rosellisher III finde ich höchst verdächtig.“
„Was hat die große, alte Dame dazu gesagt?“
Die Senatorin erlaubte sich ein Schmunzeln. „Hören Sie auf, Cordell. Die gute Jiraness van Klant ist doch gerade einmal…“
„Zwanzig Jahre älter, als wir beide.“
Harrel zwinkerte belustigt, doch im Grunde hätte es dessen nicht bedurft, um der Senatorin zu sagen, dass Cordell Harrel seine vorangegangenen Worte weder böse, noch abwertend gemeint hatte. Das etwas Spöttische war eben die Art dieses Mannes.
„Um Ihre Frage zu beantworten: General Van Klant schien nur darauf gelauert zu haben. Offensichtlich beurteilt sie die Lage ebenso, wie wir. Über Kurz oder Lang – aber wohl eher über Kurz – werden wir uns für eine der beiden Kriegsparteien entscheiden müssen, oder wir geraten selbst zwischen zwei Fronten.“
Der Präsident seufzte schwach. Im nächsten Moment funkelten die Augen des Mannes in einem seltsamen Glanz und er sagte: „Sie haben Recht, Hareena. Deshalb werden Sie die Oberkommandierende nun davon in Kenntnis setzen, dass sie ihren Stellvertreter, Generalleutnant Zamorra, in das Delta-Cephei-System entsenden soll. Vorher möchte ich allerdings mit dem General sprechen. Er soll General Mbena eine persönliche Nachricht von mir überbringen.“
Mit ernster Miene erkundigte sich die Senatorin: „Dann ist es also so weit und wir haben uns entschieden?“
Der Präsident atmete hörbar ein und aus. „Ja, das haben wir. Ob es so weit ist, kann ich nicht sagen. Ich möchte jedoch nicht von den Ereignissen auf dem linken Fuß erwischt werden, wenn es so weit ist, Hareena.“
Die Senatorin nickte und schnitt im Zuge dieser Eröffnung weitere Themen an, die es nun zu besprechen galt. Erst eine Stunde später erhob sie sich schließlich und meinte: „Ich werde General Van Klant nun instruieren. Wann soll Zamorra aufbrechen?“
„Sofort nach unserer Unterredung, die ich für morgen Früh angesetzt habe. Nach gültiger Standardzeit um 23:00 Uhr.“
Erneut reichten sich der Präsident und die Senatorin die Hände, bevor sich die energische Frau auf den Weg machte. Nun gab es eine Menge zu tun.