Eleonora und Gunnar verbrachten eine erste gemeinsame Nacht. Sie lagen eng nebeneinander und Eleonora fühlte sich wohl, in den Armen eines Mannes zu liegen. So schön hatte sie es sich nicht vorgestellt. Sie wusste, da gab es noch sehr viel mehr. Doch das wollte sie noch nicht. Die Frau vertraute Gunnar, der nichts tat, was sie nicht wollte. So blieb es nur bei innigen Umarmungen und Küssen. Mehr zu geben, war die entflohene Nonne noch nicht bereit.
„Wir haben doch so viel Zeit, keine Eile“, flüsterte sie, nachdem Gunnar zum wiederholten Male geküsst hatte, dass ihr vor Aufregung der Atem wegblieb. Sie verspürte Gunnars Erregung, die sich gegen ihren Oberschenkel presste. Auch sie bemerkte an sich ein eigentümliches Kribbeln, das sich besonders zwischen ihren Schenkeln intensivierte.
„Ich weiß, Liebes“, erwiderte Gunnar und widmete sich erneut Eleonoras vollen Lippen, die vom vielen Küssen bereits geschwollen waren.
„Es ist das erste Mal, dass ich einem Mann so nah bin“, gab die Frau zu.
„Du musst dich nicht rechtfertigen“, sagte Gunnar lächelnd zwischen zwei herzlichen Küssen. Er wusste zwar, was Mann und Frau nachts taten, wenn sie allein waren. Doch seine Erfahrungen waren eher einschlägig, die er mit Dirnen in der Stadt gemacht hatte. Dies war etwas vollkommen anderes als mit einer geliebten Frau zusammen das Lager zu teilen. Hier musste er vorsichtig vorgehen, auch wenn sie es wollte.
Eleonora schniefte leise und wenig später war nur noch ihr ruhiger Atem zu hören. Sie war eingeschlafen.
Gunnars Herz pochte wie verrückt. Er konnte es kaum glauben, dass Eleonora von Hohenburg, die eigentlich seine Herrin war, hier mit ihm das Nachtlager teilte und sich von ihm küssen ließ, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt. Doch es war wahr. Nur, wie sollte es nun mit ihnen weitergehen? Er war nur ein einfacher Schmied ohne Reichtum und Stand. Über diesem Gedanken schlief auch er ein.
„Wie gehen wir nun weiter vor?“, fragte Eleonora Gunnar am nächsten Morgen beim Frühmahl. Die beiden saßen sich am großen Tisch im Küchenhaus gegenüber und berieten. Dabei aßen sie einfachen Hirsebrei und tranken aufgebrühten Pfefferminzsud.
„Am besten, wir bleiben erst einmal hier“, entgegnete Gunnar. „Es ist zwar noch früh im Jahr. Aber wer weiß, wann wir eine Möglichkeit finden, unterzukommen. Hier im Schloss haben wir ein Dach über dem Kopf, können im Garten etwas anbauen und wenn wir Fleisch brauchen, gehe ich auf die Jagd.“
„Ist das nicht zu gefährlich? Wenn mein Bruder erfährt, dass in seinen Wäldern gewildert wird, schickt er bestimmt seine Jagdgehilfen, um den Wilderer zu stellen. Ich möchte lieber nicht daran denken, von denen oder Elmar hier entdeckt zu werden. Der schickt mich garantiert auf dem schnellsten Weg zurück ins Kloster und dich in den tiefsten Kerker auf der Hohenburg.“ Eleonora schaute besorgt. „Wenn er dich nicht sogar gleich am nächsten Ast aufknüpft“, setzte sie noch ängstlich hintenan.
„Von unserem Aussichtspunkt hier oben sehen wir schon lange, bevor wir entdeckt werden, ob sich jemand uns nähert. Dein Bruder hat sich schon lange nicht mehr für das Schlösschen interessiert. Warum sollte er es gerade jetzt tun? Es gibt keinen Grund dafür. Ich glaube auch nicht, dass die Leute aus dem nächsten Dorf etwas verraten werden. Sie wildern selber ab und an mal, damit sie überhaupt etwas auf ihre Teller bekommen“, versuchte Gunnar die Frau zu beruhigen. „Bis die Schergen deines Bruders hier oben sind, sind wir längst über alle Berge.“ Er grinste. „Außerdem gibt es genug Versteckmöglichkeiten, nicht nur im Schloss, sondern auch in den vielen kleinen Höhlen rundherum.“
„Du hast Recht. Es ist eine Schande, wie heruntergekommen das hier alles ist. Nichts ist mehr, wie es einst war“, empörte sich Eleonora. „Aber… woher weißt du das alles?“, stellte sie die nächste Frage, die ihr auf dem Herzen brannte. Auf die Wilderei der Dorfbewohner ging sie nicht ein. Sie wusste nichts davon und es war ihr egal, ob sich die Leute an Elmars Eigentum bereicherten.
„Ich war in der letzten Zeit nicht untätig. Ich verstecke mich hier nun schon sehr viel länger als du“, sprach Gunnar weiter. „Ich musste immer auf der Hut sein, nicht von Elmars Häschern festgesetzt zu werden. Nicht nur einmal bin ich mit knapper Not entkommen. Daher untersuchte ich die Gegend ganz genau und entdeckte in den Felsen unterhalb des Schlosses genügend kleine Höhlen, in die wir uns im Notfall zurückziehen können.“ Er grinste noch breiter. „Außerdem gibt es einen Gang, der von hier aus direkt in eine der tiefer gelegenen Höhlen führt. Von dort aus können wir unbemerkt durch den Wald entkommen.“
Eleonora sprang auf. „Wie? Wo ist der Gang?“, wollte sie aufgeregt wissen.
Gunnar lachte und zeigte auf die Tür zur Vorratskammer. „Draußen im Hof, der Weinkeller“, antwortete er. „Komm, ich zeige sie dir.“
„Aber… dort war ich doch schon. Ich habe keinen geheimen Gang gesehen“, meinte Eleonora verblüfft.
„Ja, natürlich. Ich habe den Raum, genau wie du, entdeckt, ihn aber genauerer Untersuchungen unterzogen. Dabei entdeckte ich den Geheimgang nach draußen. Den musste ich natürlich wieder so sichern, dass es niemanden auffällt. Es sollte so aussehen, als hätte ihn schon seit langer Zeit kein Mensch betreten. Und wie ich sehe, hast du ihn auch nicht gesehen. Dabei hattest du ihn direkt vor deiner Nase.“ Er stand auf und ging nach draußen, wo er sich dem Erdhügel zuwandte, der in den Weinkeller führte. Wieder ging es die steilen, glitschigen Treppen hinab. Sie durchschritten den Gang und erreichten den Lagerraum. Dort strebte er einem der Fässer zu, in denen Wein aufbewahrt wurde. „Nun komm“, forderte er Eleonora auf, ihm schneller zu folgen.
Schon kam die Frau heran und staunte nicht schlecht, als Gunnar am Ablasshahn drehte. Holz begann zu knarzen, dann bewegte sich der Boden und gab eine kleine Tür frei. „Das gibt es doch nicht! Was für ein ausgeklügelter Mechanismus“, stieß Eleonora erstaunt aus und schüttelte den Kopf.
„Komm weiter. Ich zeige dir den Gang“, erwiderte Gunnar. Er nahm eine der Talgkerzen, zündete sie an und stieg ins Fass. Eleonora folgte ihm mit klopfenden Herzen.
Gunnar zog das Türchen hinter ihnen zu und verriegelte es wieder. „Auch wenn der Zugang oben nun entdeckt wird, das hier erkennt niemand“, gab er zum Besten.
Die beiden kletterten durch den hinteren Boden in eine Art Gang, gerade mal hoch genug, um stehen zu können. Eleonora fühlte Beklemmung, doch dann folgte sie dem Mann, der vorausgegangen war.
Nach einigen Metern bemerkte Eleonora, es ging bergab. Der Gang war zwar eng, aber gut begehbar. Wurzeln oder Ähnliches gab es nicht, da auf dem Felsen keine Bäume und Sträucher wuchsen. „Es muss sehr lange gedauert haben, bis der Gang fertig gegraben wurde“, warf Eleonora ein, die immer noch erstaunt über Gunnars Entdeckung war.
„In der Tat“, erwiderte der Mann, „wenn man bedenkt, wie lange wir laufen müssen, um bis zur Höhle am Fuß des Berges zu gelangen.“
„Hoffentlich finden wir wieder heraus“, sagte Eleonora, die ein beklemmendes Gefühl in der Magengegend verspürte. So tief unter der Erde war sie noch nie. Sie kam sich vor wie begraben.
„Ich wusste gar nicht, dass du so ein Hasenfuß bist“, wurde sie von Gunnar gefoppt, worauf er ich einen Stoß in die Rippen einfing.
Bald erreichten sie die kleine Höhle. Eleonora schaute sich um. Es war dunkel hier drinnen, nur das Talglicht erhellte den Raum. „Scheint unbewohnt zu sein“, sagte sie.
„Und von draußen ist das hier auch nicht als Höhle erkennbar“, erwiderte Gunnar. „Gehen wir hinaus“, sagte er dann und zwängte sich durch das Gebüsch, das den Höhleneingang versperrte. Eleonora folgte ihm.
Aufatmend blickte sie wenig später hinunter in das Tal, durch das sich der Weg hinauf zum Schloss schlängelte. Der enge Pfad war genau zu erkennen und gut einsehbar. Etwas weiter unten erstreckte sich der Wald, durch den sie gekommen war.
„Ein perfektes Versteck zum Beobachten“, meinte sie darauf.
„Du sagst es“, antwortete Gunnar und lächelte. „Was meinst du? Sind wir hier sicher?“
„Wenn nicht hier, wo dann?“, kam anstatt einer Antwort eine Gegenfrage.“
Eleonora und Gunnar standen einige Zeit schweigsam nebeneinander. Die Frau schaute ins Tal hinunter, während der Schmied sie nachdenklich betrachtete.
„Woran denkst du?“, wollte Gunnar wissen.
„Es ist schon verrückt, dass wir uns gerade hier begegnen. Ich hätte nie gedacht, dich jemals wiederzusehen“, antwortete Eleonora. Sie blickte Gunnar in die Augen.
„Und ich dachte, du musst in dem Kloster vergammeln bis in alle Ewigkeit“, sagte Gunnar. „Und nun… stehst du neben mir, als hätte es nie etwas anderes zwischen uns gegeben. Dir scheint der Standesunterschied nichts auszumachen. Doch ich fühle mich trotzdem ein wenig unsicher.“
„Warum das?“
„Ach, weißt du“, Gunnar holte tief Luft, als würde er damit Zeit schinden wollen, seine Antwort genau zu überdenken. „Du bist eine hohe Frau von Stand, eine Nonne, Gott geweiht und ich nur ein einfacher Schmied. Ich kann es nicht glauben, dass das gut gehen soll.“
„Gunnar! Ich vertraue dir und ich liebe dich!“ Eleonora schrie fast auf vor Schreck. Jetzt war es heraus!
Gunnar fuhr hoch. Hatte er richtig gehört. „Wie? Was?“, brachte er stotternd hervor.
„Du hast richtig gehört, ich liebe dich“, wiederholte Eleonora mutig. „Schon, als wir noch Kinder waren und später auch. Unser erster Kuss… unsere Väter, die Strafen, die wir aufgrund des unscheinbaren Kusses bekamen“, gab sie nochmals zu. „Das konnte noch nicht alles gewesen sein, dachte ich mir damals. Und nun treffe ich dich hier in dieser Einöde, wie einen Retter in der Not.“
Der Mann stand, wie zur Salzsäule erstarrt. „Ich glaube, ich träume.“
„Nein, du träumst nicht!“ Eleonora trat näher und blickte ihm noch tiefer in die Augen. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste Gunnar auf den Mund.
Der nahm Eleonora einfach in die Arme, zog sie ganz nah an sich, dass er ihren Herzschlag an seiner Brust spüren konnte. „Das höre ich gerne“, flüsterte er ergriffen, ehe er sie zurückküsste.
„Ich liebe dich“, sagte Eleonora, als Gunnar sie endlich frei ließ. „Für immer!“
„Für immer…“, antwortete Gunnar und zog seine Herzensliebe zurück in seine Arme. So standen sie eng umschlungen und schauten hinunter ins Tal. Als es ihnen zu kalt wurde und kehrten sie zurück ins Schloss. Dort wurde Eleonora im Küchenhäuschen auf dem selbst genähten Strohsack gänzlich zu Gunnars Frau.
Ende