Langsam durchforstete Alexa ein Foto nach dem anderen. Der riesige Berg an Fotografien schien nicht kleiner zu werden, worauf die Brünette seufzend den Stapel ablegte.
„Ich würde gerne mal wissen, wo du dich immer rumtreibst, um solche Bilder zu schießen“, erklärte diese und schob die Blätter über den Tisch zu ihrem guten Freund.
„Ich kann dich ja nächstes Mal mitnehmen“, entgegnete der Mann mit dem grauen Haar mit einem angedeuteten Lächeln und packte die Bilder zurück in seine Tasche. „Ich hab übrigens morgen so gut wie frei. Wenn du willst können wir in die Stadt gehen“, erklärte er und als er wieder zu Alexa aufsah, bemerkte er, dass ihr Blick an ihm vorbei glitt und sie ihm gar nicht zugehört hatte.
Ihr Blick war auf die Bar gerichtet, doch der Mann konnte nicht sagen, was sie dort sah.
Schließlich drehte sie sich ihm wieder zu. „Schreiben wir uns heute Abend Edvin? Du musst los“, erklärte sie und der Mann blickte auf seine Armbanduhr.
„Oh je, danke“, murmelte er und erhob sich rasch, ehe er Alexa kurz drückte. Dann verließ er eiligen Schrittes die Bar wieder.
Die Braunhaarige mach ihm Sorgen. Doch er wusste besser, als jeder andere, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte. Ihr würde schon nichts zustoßen.
Mit einem Satz erhob sich Alexa von ihrem Stuhl und schritt schlendernd zur Bar hinüber, um sich zu setzen.
Unauffällig schielte sie zu dem dunkelblonden Mann, der wie ein Häufchen Elend über seinem wer weiß wievielten Glas hing und dies nachdenklich auf dem Tisch drehte.
Sie konnte an ihm noch keinen typischen Alkoholgeruch erkennen, daher fragte sie sich, ob sie sich wirklich Sorgen machen musste. Doch so wie er ins Glas blickte war das nicht gut. So leer und verloren.
„Kaden richtig?“, fragte sie, da ihr nichts Besseres einfiel.
Es dauerte eine Weile, bis er seinen Blick zu ihr hob und sie musterte. Er schien eine Weile zu brauchen, bis er sie wiedererkannte, doch letztlich schien sich ein gezwungenes Lächeln auf seinen Lippen auszubereiten. Er sah wieder zu seinem Glas, behielt das Lächeln jedoch bei.
„Ja. Und du bist Alexa, wenn ich mich recht erinnere“, gab er zurück und nahm einen Schluck aus dem vollen Glas.
Unter anderen Umständen hätte er sie vermutlich ignoriert oder sogar weggescheucht. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass sie Alexa brauchten, zwang er sich dazu, sich zu benehmen.
Um ehrlich zu sein, war er auch irgendwie dankbar für die Ablenkung. Drei Tage fast ununterbrochen in einer Bar zu sitzen und sich selbst zu bemitleiden schien nicht gerade zu seinen Hobbys zu zählen.
Nach einem weiteren Schluck drehte er sich richtig zu ihr, wo sein Blick automatisch in ihr Dekolleté glitt.
„Schöne Kette“, murmelte er abwesend und spielte mit dem Gedanken, ob es nicht dezent einfacher wäre, einen Taschendiebstahl zu simulieren.
Alexa hob die Hand an ihre Kette und lächelte. „Danke sie ist ein Erbstück“, erklärte sie und wusste nicht wieso, aber heute war er ihr sympathischer, als bei ihrem ersten Treffen.
Vielleicht war es die Tatsache, dass er nun weniger überheblich wirkte, sondern eher wie ein streunender Hund auf der Suche nach Nahrung.
Etwas huschte über den Blick des Blonden, doch es ging so schnell wie es gekommen war. Gerade als sie fragen wollte, was los war, seufzte er einmal tief und trank einen weiteren Schluck.
„Wohnst du auch im Wohnheim?“
Alexa war über diese Frage überrascht und antwortete deshalb mit einem halblauten: „Natürlich. Die meisten Studenten wohnen da. Du nicht?“
Kaden biss sich auf die Unterlippe, bevor ihm ein verzweifeltes Lachen entfahren konnte.
„Eigentlich schon“, erklärte er langsam und musste wieder an seinen, immer noch vermissten Zimmerschlüssel denken. Er hatte sich nicht mehr bei Lika blicken lassen, mit dem Versuch alles und jedem aus dem Weg zu gehen. Stattdessen nächtigte er in dem Hotelzimmer, das heimgesucht wurde. Somit konnte er gleichzeitig wenigstens dort nach dem Rechten sehen und hatte eine Unterkunft.
„Nicht so wichtig. Ich dachte nur, dass du hier aus der Gegend kommst und vielleicht noch zu Hause wohnst.“
„Ach, nein. Das würde das Studium doch sehr langweilig machen“, bemerkte sie. „Auch wenn die Wohnheimschlüssel gern mal abhandenkommen. Ich glaube ich habe meinem in einem Jahr schon fünf Mal verloren. Gut das der Hausmeister immer weiß wer wo wohnt“, hier schüttelte sie mit einem Lächeln den Kopf. „Einmal habe ich auf der Treppe geschlafen, weil ich nicht rein gekommen bin“, erklärte sie und hoffte so Kaden etwas aufmuntern zu können. Sie wusste nicht warum, aber er sah irgendwie gequält aus.
Müde rieb sich Kaden über die Augen und lachte leise und verzweifelt in sich rein.
„Was du nicht sagst“, murmelte er und schüttelte leicht den Kopf, als er plötzlich inne hielt. „Warte mal... du sagtest etwas von einem Hausmeister?“, fragte er verwirrt, da ihn der Begriff nicht wirklich viel sagte. Das einzige was er gehört hatte war, das er wohl für die Schlüssel zuständig war, während Kaden bereits seit über einer Woche obdachlos war.
Alexa blickte ihn fragend an, ehe ihr klar wurde, dass er womöglich das Wort, oder die Tätigkeit nicht kannte.
„Ja, der Hausmeister verwaltet die Schlüssel. Wenn man seine verloren, oder kaputt gemacht hat, geht man hin, sagt Name und Zimmernummer und er kümmert sich darum. Es gibt unglaublich viele Studenten, die regelmäßig ihre Schlüssel verlieren. Allerdings wissen nur die wenigsten, wo sie sich hin wenden müssen. Auch wenn du einen Schlüssel findest, kannst du ihn dort abgeben.“
Der blonde Mann starrte sie ungläubig, mit großen Augen und offenen Mund, an.
Die ganzen Nächte in denen er auf Likas Couch oder staubigen Betten nächtigen musste... waren alle unnötig gewesen?
„Du verarscht mich“, meinte Kaden ungläubig und weigerte sich zu glauben, dass er umsonst eine Pyjamaparty mit Geistern gefeiert hatte.
Langsam schüttelte Alexa den Kopf und verstand nicht wirklich, wieso er so merkwürdig reagierte.
Mit einem gequälten Aufstöhnen vergrub er sein Gesicht in seinen Händen. Ihm war nach schreien zumute mit dem Gefühl das diese Frustration mit sich brachte.
„Ich hab meine Wohnung nie betreten, weil ich meine Schlüssel direkt am ersten Tag verloren habe“, gab er nun gedämpft zurück und würde am liebsten auf der Theke einschlafen.
Alexa starrte ihn an und wollte fragen, ob er sie auf den Arm nahm, doch die Verzweiflung in Kadens Augen schien echt zu sein.
„Oh“, machte Alexa und klang überrascht. Das zweite ‚Oh‘ kam wesentlich mitfühlender. „Dann kommt mit. Lass uns zum Hausmeister gehen und das regeln, damit du ordentlich schlafen kannst“, meinte sie und ging davon aus, dass er wohl bei Freunden übernachtet hatte.
Mit einem letzten Schluck leerte er sein Glas und stand auf, während er die Kette keine Sekunde aus den Augen ließ. Er hatte keine Ahnung, wie er sie entwenden sollte, oder überhaupt an das Innere davon herankommen konnte.
Zögerlich packte Kaden sein letztes Geld auf den Tisch und wandte sich wieder zu Alexa.
„Du hast bei mir was gut, wenn du das tun würdest“, versprach dieser worauf Alexa ihm ein Lächeln schenkte, bevor sie voranging, um die Bar zu verlassen.
„Mir würde es schon reichen, wenn du aufhörst mir auf die Brüste zu starren“, erwiderte sie beim Aufstoßen der Tür und hieß die frische Luft in ihrem Gesicht willkommen. Kaden musste schmunzeln bei dem Gedanken das sie dachte er würde sie begaffen, doch vielleicht war es auch ganz gut so.
„Sei nachsichtig mit mir. Ich hab seit Tagen nicht richtig geschlafen, meine Augen machen was sie wollen.“
„Faule Ausreden“, meinte Alexa, klang aber ein wenig belustigt. Ihr gefiel seine Art von Humor, dass hatte sie nicht erwartet.
Kaden hielt seinen Kopf kurz in den Wind, ehe er Alexa folgte, die direkt auf ein kleines Gebäude zuhielt, das in der Nähe des Unicampus lag.
„Das du sowas von mir denkst. Ich bin bestürzt!“, warf er sarkastisch zurück und hielt eine Hand vor sein Herz als dramatische Geste.
Alexs musste bei dieser schlechten Darbietung anfangen zu lachen und musste automatisch wieder an ihr erstes Treffen zurückdenken.
Ja... wie kam sie nur auf solch abwegige Gedanken?
„Ich schätz mal, dass du nicht Schauspiel studierst mit der Meisterleistung die du soeben abgeliefert hast.“
Kaden, der innerlich zusammenzuckte ließ sich zum Glück nichts anmerken, sondern schüttelte nur lächelnd den Kopf. Hoffentlich würde sie ihn nicht nach seinem Studiengang fragen, denn um ehrlich zu sein hatte er sich seine persönlichen Unterlagen vom WeVa in denen genau solche Informationen drinstanden nicht mal angesehen.
Er konnte sich nicht einmal dunkel daran erinnern, was genau er eigentlich studierte. Das war ganz schlecht. Also sollte er besser ein anderes Thema suchen.
„Du machst es mir aber auch wirklich schwer nicht zu schauen. Bei deiner Figur und deinem Stile muss man zwei Mal, wenn nicht sogar mehr hinschauen“, erklärte er in einem hoffnungsvollen Versuch das Gespräch zu allen anderen Dingen, nur nicht zur Uni zu leiten. Und leider fiel ihm gerade nichts Besseres ein.
Alexa musterte ihn eine Weile mit einem prüfenden Blick als sie die Tür des Hausmeisters öffnete.
„Also wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten du schleimst ganz schön“, sagte sie und zog herausfordernd eine Augenbraue in die Höhe.
Kaden, der ihre Gefühle spürte ging darauf ein und erwiderte genau denselben Blick.
„Darf man hübschen Frauen etwa nicht mehr sagen, dass sie hübsch sind? Oder gilt man dann gleich als schleimiger Perverser?“, erwiderte er und bekam die Hoffnung, dass er das hier auch ohne Sezuna hinkriegen würde.
Ein ganz schlechter Idee sich wieder die Rothaarige ins Gedächtnis zu rufen. Verbissen versuchte er den Gedanken wieder wegzusperren, wo er hergekommen war und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Doch er konnte einfach nicht anders, als wieder an ihr bewusstloses Ich zu denken, das ängstlich und paranoid dalag und er konnte nichts anderes tun, als hilflos daneben zu stehen.
Er ballte die Hand zur Faust und versuchte sich auf Alexa zu konzentrieren.
Diese klopfte jetzt an einer Tür und ein älterer Mann öffnete diese einige Zeit später.
„Was gibt es?“, grummelte er in seinen Bart, klang aber an sich freundlich.
„Kaden hier hat einen Schlüssel verloren“, erklärte Alexa freundlich.
Der Hausmeister musterte Kaden.
„Zimmernummer und vollständiger Name, bitte“, sagte er und musterte den Mann.
Er besaß die Unterlagen mit Zimmernummer, Namen und Fotos der Studenten, so dass es ihm einfacher fiel die Gesichter abzugleichen.
Immerhin konnte er nicht erwarten, dass ein Student, der sich ausgeschlossen hatte, ganz zufällig seinen Personalausweis, oder seine Studienbescheinigung dabei hatte.
„Kaden Dilectus. Ähm-“, nachdenklich kratze er sich am Kopf. Er hatte sich nie seine Zimmernummer gemerkt, da er nicht wirklich glaubte seinen Schlüssel wiederzufinden. „Es ist im Erdgeschoss. Schräg gegenüber von Sezuna Saytan“, er schluckte schwer als er sich zwang ihren Namen auszusprechen und hoffte, dass diese Information reichen würde.
Der Mann hob irritiert eine Augenbraue, als würde er Kaden für einen Trottel halten, der nicht mal seine Adresse wusste. Letztlich seufzte er jedoch und dreht sich um, um sich in seinem kleinen Büro umzusehen.
„Ich seh mal was ich finden kann.“
Er kramte eine Weile herum und zog schließlich einen Schlüssel hervor. „Da ist er ja. Eine junge rothaarige Frau hat ihn mir, zusammen mit einem Dutzend anderen vorbei gebracht. Eine wirklich pfiffige. Sie hat mir auch beim Sortieren einiger Dokumente geholfen“, erklärte er und reichte Kaden den Schlüssel entgegen.
Kaden nahm den Schlüssel entgegen und sah den Mann verdutzt an.
Eine junge, pfiffige Rothaarige... die Dokumente sortiert.
„Danke“, erwiderte Kaden kalt und wandte sich zum Gehen, als er sich daran erinnern musste, dass er nicht alleine gekommen war. Er drehte sich um und fand Alexa dicht hinter ihm wie sie ihn musterte.
„Hat dir wohl jemand einen Streich gespielt?“, fragte diese, die wohl denselben Gedanken hatte wie er. Auch wenn sie Sezuna noch nicht sonderlich gut kannte, so war die Beschreibung des Hausmeisters doch recht zutreffend.
„Einen mehr als schlechten, wenn du mich fragst“, gab er zurück und versuchte sich seine schlechte Laune nicht anmerken zu lassen. Alexas belustigte Laune die auf ihn überlief half ihm zum Glück dabei sich abzulenken. „Na dann, werde ich wohl einziehen... über eine Woche zu spät, aber ich ziehe ein.“
Kaden und Alexa hatten das Büro des Hausmeisters noch nicht ganz verlassen, als eine junge, rothaarige Frau mit Brille ihnen ein Lächeln schenkte und dann an ihnen vorbei schlüpfte.
„Ich habe schon wieder Schlüssel gefunden“, verkündete sie freundlich und legte die Schlüssel auf den Tisch.
Kaden blinzelte. War das nicht Selene, oder wie sie hieß?
Er hielt inne und blieb mitten auf dem Flur stehen, wobei Alexa gegen seinen Rücken aufprallte. Frustriert schloss er die Augen und würde sich am liebsten selbst Ohrfeigen.
*Idiot! Wieso gehst du auch gleich davon aus, dass es Sezuna war*, dachte er sich und wäre am liebsten zurück in die Bar gegangen, um alles wieder zu vergessen.
„Alles okay? Du siehst irgendwie verstört aus“, fragte Alexa mit einem kleinen Lachen, doch Kaden konnte dennoch ihre leichte Besorgnis spüren.
„Nein, alles okay. Willst du mitkommen?“, fragte er stattdessen, um das Thema zu wechseln und hielt den Zimmerschlüssel in die Luft.
Alexa zuckte die Schultern. „Klar, warum nicht“, stimmte sie zu. Immerhin war er ihr sehr sympathisch.