Es war eine größere Wohnung, da sie wohl für drei Personen gedacht war. Doch momentan schienen die anderen Zimmer noch unbezogen zu sein.
Konzentriert ließ sich Orion auf einen der Stühle nieder, die an einem kleinen Küchentisch standen. Er hatte die Nacht nicht geschlafen. Der permanente Geruch von Menschen, hatte ihm Kopfschmerzen verursacht. Er war es nicht gewohnt mit dieser Spezies Kontakt zu haben und erst recht nicht, womöglich mit ihnen in einer Wohnung zu leben. Schmerzend rieb er sich die Schläfen und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Und den gestrigen Abend zu verarbeiten. Reyes hatte tatsächlich viele Informationen, die hilfreich sein könnten, wenn sie denn stimmten.
Sowohl über die Opfer, als auch über die ehemaligen Besitzer, wusste der sonderbare Mensch bestens Bescheid, als wären es gute Freunde von ihm.
Sezuna trat auf das Wohnzimmer zu und ließ sich auf ein Sofa fallen.
Sie kannte Wohnheime nur aus Büchern, aber sie musste sagen, dass ihr diese hier gefielen. Nun, sie waren wohl nicht ohne Grund so teuer.
Zumindest teurer, als die meisten anderen Studentenwohnheime. Was wohl daran lag, dass sie einen getrennten Wohnbereich hatten.
„In den Zeitungsausschnitten, die ich finden konnte, gab es viele wichtige Dinge“, erklärte Lika, blickte aber zu Sezuna. Immerhin hatte diese die Informationen aufgesogen, wie ein Schwamm.
„Stimmt“, bestätigte diese und wartete, bis die beiden Männer sich ebenfalls nieder ließen.
Kaden ging zu der Vampirin hinüber und setzte sich in einen gegenüberliegenden Sessel. Immer tiefer rutschte er hinein, bis er beinahe schon lag und sein Kopf auf der rechten Armlehne ruhte und sein linkes Bein auf der linken.
„Wir haben auch so einiges rausgefunden“, erklärte der Vampir und schloss müde seine Augen.
Langsam erhob sich Orion, um sich auf das Sofa neben dem Sessel nieder zu lassen.
„Es ist scheinbar ein Muster vorhanden bei den Opfern“, ergänzte der Werwolf und sah zu Lika.
Sie schien noch recht zurückhaltend zu sein und die Tatsache, dass er sie seit gestern Abend allein lassen musste, machte ihm Sorge, er würde sie ins kalte Wasser werfen.
„Wir haben ganz viele Zeitungsberichte gefunden, die mit dem Hotel zusammen hängen“, erklärte Lika zögerlich und blickte zu Sezuna.
Diese strich sich durch ihre Haare. „Ja richtig. Früher war dort noch gar kein Hotel. Es war im Mittelalter ein Marktplatz. An dieser Stelle stand auch der Scheiterhaufen, auf dem die Menschen früher Frauen verbrannt haben, die sie für Hexen hielten“, erklärte sie und an ihrer Stimme war deutlich ihre Abneigung zu hören. Menschen waren schon immer grausam in ihrem Rassismus gewesen.
„Hexenjagd.“ Das Stichwort weckte in Orion wieder die Erinnerung vom Reim des vorherigen Abends, dort war auch von Hexen die Rede. „Du meinst wie in diesem Gedicht oder was das war?“
Kaden der inzwischen schon wieder eingenickt war, zuckte kurz zusammen, bis Sezuna ein Heft nach ihm warf, das auf dem Tisch herum lag. Erschrocken schreckte er kurz auf, ehe er seufzend den Kopf nach hinten warf. Er war wohl noch nicht komplett dem Schlaf verfallen, sonst wäre er nicht so leicht wach zu bekommen.
„Hexen, ja ich dich schon gehört. Beruhig dich wieder“, nuschelte der Dunkelblonde und rieb sich müde über seine dunklen Augen.
Sezuna seufzte, ehe sie die Augen über Kaden verdrehte und weiter sprach.
„Ich denke, der Reim bezieht sich wirklich darauf. Wenn ich mich nicht komplett irre, dann haben wir es hier mit richtigen Geistern zu tun“, erklärte sie professionell, doch Kaden bemerkte die Angst in ihr und sah, wie sich ihre Haare auf dem Arm aufstellten.
„Wahrscheinlich sind sie Opfer der Hexenverbrennung. Ich weiß nicht, ob sie wirklich Hexen sind, aber es kann sei, dass ihre Seelen irgendwie den Tod ausgetrickst haben und jetzt nehmen sie Rache. Allerdings sind sie nur an eine gewisse Gegend gebunden. Sie können also das Hotel wohl nicht verlassen“, erzählte Sezuna weiter.
„Ja und früher stand dort einmal ein Waisenhaus. In diesem Haus haben sich zwei Aufsichtspersonen das Leben genommen und insgesamt gab es über 10 Unglücksfälle in denen Kinder ums Leben gekommen sind“, fügte Lika hinzu und schauderte.
Kaden richtete sich seufzend auf und versuchte nicht auf Sezunas anschwellende Angst zu achten.
„Wir haben herausgefunden, dass vor fünf Jahren erst das Hotel errichtet wurde und seitdem sieben verschiedene Besitzer dran waren. Davor war dort wohl ein großer Parkplatz, wo es immer wieder Unfälle gab. Mal gab es Verletzte, aber auch öfters Todesfälle“, erklärte Kaden und musste wieder an Reyes Ton denken, indem er ihnen davon berichtet hatte. Vollkommen beiläufig, als wäre es das normalste auf der Welt, dass solche Sachen geschahen.
„Also haben wir einen Ort, an dem über Jahrhunderte merkwürdige Unfälle geschehen“, fasste Orion nachdenklich zusammen.
„Richtig. Aber was mich verwundert, ist das es nie Verschwundene gab. Leichen, ja. Verletzte, ab und zu. Doch spurlos verschwundene, nein. Wieso also jetzt?“, sprach der Vampir seine Gedanken laut aus und wippte ungeduldig mit den Beinen auf und ab.
„Nun ja“, murmelte Sezuna nachdenklich. „Sie sind nur verschwunden, weil man ihre Leichen nicht gefunden hat. Vielleicht sind sie auch noch am Leben und haben einfach Hals über Kopf den Ort verlassen. Obwohl ich das nicht denke. Die Frage ist also nicht: Warum verschwinden jetzt die Leute, sondern eher: Wo sind ihre Leichen abgeblieben.“
Sezuna begann nervös ihre Haare zu drehen. Ihr war es wirklich lieber, es gab Leichen, dafür keine Geister. Aber wahrscheinlich würde sie beides bekommen.
Lika hingegen spielte nervös mit ihren Fingern. Ihr gefiel das ganze Thema nicht. Sie wollte sich nicht mit Morden herumschlagen, selbst wenn diese von übernatürlichen Wesen begangen worden waren.
Kaden, der sowohl von Sezuna, als auch von Lika ängstliche Schwingungen bekam, und noch dazu Orion nervöse Haltung, stand letztendlich auf und versuchte die Situation etwas zu entschärfen.
„Finden wir es raus. Wir gehen heute Abend hin und... na ja erforschen ein wenig.“ Der Versuch schien nicht wirklich gut zu funktionieren, da sich weder einer meldete, noch einer zustimmte. „Hier werden wir die Antworten jedenfalls nicht finden.“
„Das stimmt schon, aber ich möchte nicht dahin zurück“, erklärte Sezuna und schauderte. Sie musste nur daran denken, was das letzte Mal passiert war.
„Zumindest nicht, ohne vorher Vorkehrungen gegen die Hexen, oder Geister zu treffen“, murmelte Lika, die zwar schon neugierig war, es aber nicht so mit Toten, in welcher Form auch immer, hatte.