Mürrisch sah ich in die Runde. Gut drauf war ich heute nicht.
Ey Alter, ich hatte auch allen Grund dazu.
Der Alte hatte mal wieder eine Tour durch die örtlichen Kneipen gemacht. Seit es meine Mom erwischt hatte, trank er wie ein Loch.
Wenigstens ließ er mich dann in Ruhe, wenn er mal wieder dicht war. Mich wunderte es jedes Mal, dass er überhaupt noch unser Haus fand. Wahrscheinlich hangelte er sich von Laterne zu Laterne und zählet sie ab. Wobei ich aber bezweifle, dass er dazu noch fähig war.
Mein Vadder.
Das Poltern auf der Treppe war nicht zu überhören, wenn er dann im Suff hochtorkelte.
Daher hörte ich in der Regel Musik mit meinem Kopfhörer, dann bekam ich nichts mit. Oder war einfach nicht da. Es spielte keine Rolle, er bemerkte es nicht, ob ich da war, und es kümmerte ihn auch nicht.
Früher war es ja noch ganz okay, ja fast chillig. Er trank ja immer schon gerne, aber so wie es sich dann entwickelte…
Ja, seit sie tot war, bekam er nichts mehr auf die Reihe.
Oh Mann. Alles Scheiße.
Aber ganz ehrlich, ich ging ihm aus dem Weg, dann passierte auch nichts.
Geschlagen hat er mich übrigens nie. Sonst wäre ich wohl schon früh abgehauen.
Ein Zuhause war das nicht.
Ich wartete immer darauf, dass die Behörden wiederkamen. Aber ab dem Zeitpunkt meiner Volljährigkeit hatten sie wohl weniger Angst.
Kindeswohl und der ganze Kram.
Ich schlug mich mit schlecht bezahlten Jobs durch, war unauffällig, keine blauen Flecken oder so. Das reichte denen dann wohl.
War ja auch lächerlich. Wenn dem Alten je die Hand ausgerutscht wäre, dann hätte er den Kürzeren gezogen. Nicht ich.
Und dabei waren wir einst eine ganz normale Familie gewesen. Ich habe sogar das Abi und wollte studieren.
Tja, und dann kam alles anders.
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Aber das wollte ich eigentlich alles nicht erzählen. Das spielt zwar alles eine Rolle, irgendwie, aber gehört nicht zu der Story, die ich hier niederschreiben möchte.
Höchstens insoweit, als das ich wohl nicht mitten in der Nacht mit meiner Gang auf den verwitterten alten Grabsteinen eines alten, verlassenen Friedhofs gesessen hätte, wenn ich zu diesem Zeitpunkt eine Familie gehabt hätte. Oder jemanden, der sich um mich gekümmert oder gesorgt hätte.
Aber ein so jemand gab es nun mal nicht.
Nur meine Kumpels. Sie waren damals so etwas wie eine Ersatzfamilie für mich.
Zumindest ein wenig.
Denn ein wirkliches Kümmern war es auch nicht. Wir hingen zusammen ab und rebellierten gegen irgendetwas. So genau wussten wir das auch nicht.
Hauptsache dagegen und nicht wie die anderen sein. Die Spießer, die Häuslebauer, die sonntäglichen Auto Wäscher, das Establishment.
Jedes Wochenende suchten wir eine ungewöhnliche, gruslige Umgebung aus, die zu unserem Hobby passte.
Mit dem Friedhof war nicht besonders einfallsreich, aber meist waren wir hier, da uns nichts anderes einfiel.
Was mich immer fasziniert hat, war der Spruch am alten Tor: „Heute ich – morgen du“.
Das hatte schon was.
So waren wir also mal wieder an dieser Örtlichkeit, an diesem denkwürdigen Tag.
Eine laue Sommernacht. Trotzdem hatten wir uns um unser Lagerfeuer geschart, im Kreis saßen wir um die Flammen und waren froh um das Licht, dass sie uns spendeten.
Wir brauchten dies, in dieser etwas unheimlichen Umgebung. Ein wenig fürchteten wir uns doch.
Was wir natürlich nie zugegeben hätten. Wir waren schließlich cool, keine Angsthasen.
Ich weiß alles noch so genau.
Es war Freitag der 13. gewesen, ausgerechnet.
Da sah ich in ihn das erste Mal.
Patrick.
Hinweis:
Dieser Spruch an einem Friedhofstor, den gibt es tatsächlich. Allerdings ist dieser Friedhof noch in Betrieb.