Viele Geschichten beginnen an spannenden Orten. Entfernte Länder, fremde Kulturen, am besten wie in den Kitschromanen auf dem Gipfel eines Berges, die Protagonistin in den Armen ihres Angebeteten.
Meine Geschichte beginnt fast genauso spannend - nämlich auf der Toilette.
Da sitze ich nun und bin vor Schock komplett erstarrt. Es klopft an der Tür.
"Clara? Alles gut bei dir?", tönt es von draußen und ich werde für einen Moment aus meinem Gedankenkarussell gefeuert, so unsanft, dass ein jeder Karussellbetreiber auf der Kirmes mit einer dicken Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung rechnen müsste.
Ich möchte etwas zurück rufen, doch meine Stimme will meinen Körper nicht verlassen. Ich räuspere mich laut und im zweiten Anlauf klappt es dann.
"Ja, sorry, alles gut!", antworte ich schnell und betätige die Spülung. Sie rauscht laut und ich befinde mich wieder im Hier und Jetzt. Auf dem Weg zum Waschbecken klopft es erneut an der Tür. "Darf ich reinkommen?", ruft meine Freundin Maren. "Ja, komm rein", antworte ich trocken, während ich Seife aus dem Spender drücke.
"Ich habe mir Sorgen gemacht", gesteht sie und tätschelt mir leicht den Rücken. Ein kleines, aufmunterndes Lächeln umspielt ihren Mund, darauf wartend, dass ich es erwidere. Mir ist aber nicht zum Lächeln zumute, weshalb Maren die Situation als nicht koscher empfindet. Ihr Blick schweift durch den Raum und heftet sich an den kleinen Kunststoffstab, den ich von der Toilette mit zum Waschbecken geschleift habe. Ihr Lächeln weicht sofort aus dem Gesicht und sie sieht mir nun ein ganzes Stück ähnlicher.
Ungläubig sieht sie mich an, ich erwidere ihren Blick nicht.
"Oh nein. Oh Scheiße. Ist das...? Clara?" Ich nicke leicht.
"Ja.", antworte ich nur.
Es ist ein Schwangerschaftstest. Und der ist verdammt positiv. Die zweite, rosa farbende Linie hat sich vermutlich für immer in mein Gedächtnis gebrannt.Ich kann es gar nicht glauben. Meine Regel ist seit einigen Tagen (ok, in Wahrheit sind es bereits zwei Wochen...) überfällig, weshalb ich heute einfach nur zur Beruhigung knapp 7 € im Drogeriemarkt meines Vertrauens in den vermeintlichen Tagesretter investierte. Der Tagesretter entpuppte sind nun aber als echter unangenehmer Kollege, mit dem es nicht länger als die ersten 20 Minuten am Montagmorgen aushält, man aber weiß, dass man ihn noch die ganze Woche an der Backe hat.
"Wie kann das denn sein?!" Empört nimmt Maren den Test in die Hand und mustert ihn. "Der ist positiv!" - "Ja.""Aber wie...", sie lässt den Test sinken. "Wie kann das denn sein?"Ich lächle müde.
"Maren, wenn sich zwei Menschen gern haben, dann kuscheln sie erst ganz viel und dann küssen sich sich vielleicht auch einmal und wenn sie sich richtig gern haben, dann..." Sie hebt abwehrend die Hand. "Jaja, ich weiß schon, ich weiß schon. Aber... Wer ist denn, wer ist denn der Vater?"Ja, Maren, das ist eine verdammt gute Frage.
Bevor ich die Frage für euch und auch für Maren beantworte, möchte ich mich kurz und knackig vorstellen.
Ich bin Clara Meerbusch und Mitte Zwanzig. Ich wohne und arbeite in einer relativ großen Stadt, aufgewachsen bin ich aber eher dörflich knapp 70 km Luftlinie von hier. Nach meinem Studium bin ich relativ schnell die Karriereleiter hinauf geklettert und arbeite seit einigen Jahren in der Verwaltung eines großen Dienstleistungsunternehmen. Was ich dort genau mache, würde den Rahmen sprengen und auch nicht viel zur Geschichte beitragen. Ich gehe aber gerne zur Arbeit und bin äußerst ehrgeizig. Schon im Kindesalter konnte ich eines nicht ganz so gut - verlieren. Dem Kindesalter entwachsen merkte ich schnell, dass man für den Großteil seines Lebens eigens verantwortlich ist. Als Mensch, der sich selten beschwert und einfach macht, hatte ich es im Leben noch nie wirklich schwer. Natürlich gab es hier und da kleine Hindernisse, bis jetzt bin ich aber immer ganz gut durch alles durchgekommen. Das hat sich nun aber innerhalb einer recht kurzen Zeit ganz gewaltig geändert. Mit einem positiven Schwangerschaftstest auf der Toilette meiner besten Freundin, ohne festen Freund und ohne den kleinsten Hauch von einer Ahnung, wie man alleine ein Kind groß ziehen soll.
Wie man so doof sein kann, ungeplant schwanger zu werden, fragt ihr euch nun sicherlich. Vollkommen berechtigt, wie ich finde! Wie oft bin ich auf einschlägigen, sozialen Netzwerken durch Feeds gescrollt und habe mir Geschichten von jungen Müttern angesehen, die ungeplant schwanger geworden sind und nun das Happy Wife Happy Life - Leben führen. Bei Fragerunden haben diese Mütter auf die Frage, ob es geplant war so jung (wir sprechen von Anfang, Mitte Zwanzig, nicht 14...) schwanger zu werden meist: "Nein, das ist einfach passiert aber es ist das Schönste, was uns passieren konnte", in die Kamera geflötet. Um das Glück zu untermalen, werden dann täglich Bilder vom jungen Spross gepostet, damit bloß jeder dieses Glück sehen kann.
Als Karriereorientierte, junge Frau habe ich darüber immer geschmunzelt.
Ja klar, dachte ich mir. Nicht aufgepasst und schon war der Braten in der Röhre. Und dann hatte ich sogar immer fast ein bisschen Mitleid für diese Damen empfunden, auch wenn sie vermutlich sogar wirklich sehr glücklich mit dem Plan des Universums waren.
Und nun war ich eine von ihnen. Um das zuallerst klar zu stellen: Ich gehöre mit dem positiven Schwangerschaftstest scheinbar zu den Frauen, die trotz vermeintlich sicherer Verhütungsmethode schwanger geworden ist. DIESE Frauen habe ich tatsächlich immer noch mehr bemitleidet, als die, die nicht richtig aufgepasst haben. Und ich rede von wirklich sicher und nicht von "Wenn man ihn vorher rauszieht, kann man nicht schwanger werden" - sicher.
Da ich aber nicht wie die Jungfrau Maria zum Kinde gekommen bin, geht die Geschichte natürlich weiter und endet nicht mit der Geburt eines Heiligen, der in die Geschichtsbücher eingeht. Obwohl das auch keine schlechte Geschichte wäre...
Maren schaut mich immer noch ganz groß an.
"Clara? Wer ist der Vater?", reißt sie mich aus meinen Gedanken.
"Ach Maren.", antworte ich erschöpft. "Das ist alles nicht ganz so einfach...", setze ich an und weiß gar nicht, wie ich die Geschichte schön verpacken soll.
Maren ist völlig schockiert. Für euch zur Info: Maren gehört zu der Sorte Frau, die überhaupt keinen Sex mit jemandem hat, bis nicht schon eine laufende Beziehung im Gange ist und sie sich ganz sicher ist, dass der Herr der Begierde nicht nur da ist, um ihr Schmuckkästchen zu plündern. Ein wenig beneide ich sie nun gerade um diese Einstellung, denn diese hätte mich vermutlich nicht in diese missliche Lage gebracht.
"Clara, ich verstehe nicht, was daran nicht einfach ist. Mit wem hattest du ungeschützten Sex in den letzten Wochen? Da wird es ja nicht so viel Auswahl geben?!" Ich gucke peinlich berührt den Wasserhahn an und streiche mir über den Arm.
Ok, ihr habt nun wahrscheinlich ein vollkommen falsches Bild von mir! Zu meiner Verteidigung möchte ich euch daher noch einen kleinen Einblick in mein bisheriges Liebesleben geben.
Ich hatte nie wirklich das Bedürfnis eine Beziehung zu führen. Ich fand Männer schon immer toll, aber ich brauchte sie nicht. Mein Traum war nicht wie Marens und der vermutlich vieler anderen Frauen. Maren wollte gerne einen tollen Freund, dann einen tollen Verlobten, dann einen tollen Ehemann, dann ein tolles Haus, dann einen tollen Vorgarten und dann ganz viele tolle Kinder, die diese Prozedur dann hoffentlich ebenfalls einhielten, damit sie auch ganz viele tolle Enkelkinder bekommt.
Ich war immer eher die Fraktion "Was kommt, das kommt". Ich bin über diese Einstellung keineswegs traurig, mir hat diese Einstellung bis jetzt viel Ärger erspart.
Falls ihr jetzt jedoch denkt, dass ich mich durch das halbe Land gevögelt habe und eine Männeresserin bin, muss ich euch aber leider ebenfalls enttäuschen. In meinem Leben habe ich mit genau fünf Männern mein Bett (oder ein anderes Utensil) geteilt. Das Problem an dieser ganzen Geschichte: Anstatt die 5 Männer auf beispielsweise 5 Jahre recht gleichmäßig zu verteilen, ist es eher so: 2 Männer innerhalb von 4 Jahren, die anderen 3 Männer in einem Zeitraum von 6 - 8 Wochen. Und zwar in den letzten 6 - 8 Wochen.
Ich glaube auch beim Letzten von euch müsste es jetzt Klick gemacht haben... Wenn nicht, helfe ich demjenigen gern auf die Sprünge.
Ich, Clara, Mitte Zwanzig, bin ungeplant schwanger von einem Herren der Schöpfung und zur Auswahl steht nicht einer. Nein, es sind drei.
Und das versucht ihr bitte einmal meiner prüden Freundin Maren zu erklären...
"Clara!", jetzt schreit Maren mich fast an und ich zucke zusammen."Du erzählst mir doch sonst von allem, wieso weiß ich nichts von jemandem, der dich mal eben schwängert?" Ich kann ihr immer noch nicht in die Augen sehen. Zu sehr fürchte ich mich vor ihrer Reaktion.
"Maren, ich weiß nicht, wer der Vater ist.", kommt es nun aus mir raus.
"Also, ich weiß, wer der Vater sein könnte.", fahre ich fort.
Maren versteht nicht."Okay, lass uns was Essen gehen, ich erkläre es dir da.", sage ich und bewege mich aus dem Badezimmer.
Maren rollt mit den Augen.
"Das gibt es doch einfach alles nicht.", raunt sie die ganze Zeit vor sich hin, als wir zusammen packen und die Wohnung verlassen wollen. Ein letztes Mal guckt sie mir verwirrt ins Gesicht und lässt die Tür ins Schloss fallen.