Leichte Nebelschwaden hatten sich wie zarte Finger über die Hügel und Berge von Alvaria gelegt und die Wälder wirkten beinahe schwarz.
Raben kreisten als schwarze Punkte über der Landschaft.
Die verfallenen Mauern der Ruine waren dunkel vom Regen und überwuchert von Moos. Sie umschlossen einen kleinen Innenhof, auf dem es einst lebhaft und fröhlich zuging.
Jetzt stand da nichts weiter als ein alter, kahler Baum, dessen Äste sich wie in einer Geste der Verzweiflung dem grauen Himmel entgegenreckten.
Ihre Blicke trafen sich sofort, als Linn den Raum betrat. Für einen Moment lang verschwamm die ganze Welt um die junge Frau herum und alles was sie wahrnahm waren diese grünen Augen.
Aber dann war der Moment vorbei und Linn wieder in der Wirklichkeit.
Ihr Verlobter verstärkte seinen Griff um ihre Taille.
„Linn? Würdest du mir bitte zuhören, wenn ich mit dir spreche?“ Henrys Stimme hatte einmal mehr diesen seltsamen Klang. Für aussenstehende wirkte sie sanft, aber Linn wusste, was sie bedeutete.
Die Male an ihren Handgelenken sprachen eine deutliche Sprache.
„Natürlich doch.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln.
Als sie weitergingen, merkte die junge Frau, wie sie die Menge unbewusst mit den Augen absuchte. Sie hielt nach grünen Augen und roten Haaren Ausschau.
„Das dort drüben ist Jason Theodorus. Er ist der Gastgeber und ausserdem ein äusserst einflussreicher Mann im Sklavenhandel.
In Linns Kopf formten sich Sätze, Komplimente, Schmeicheleine.
Sie nickte.
„Seine Schwester ist frisch verwitwet“, fuhr Henry fort.
„Was du nicht sagst“, dachte Linn, sagte aber nichts.
„Ihr Mann kam auf mysteriöse Art und Weise ums Leben. Es gehen Gerüchte um, dass sie ihn selbst getötet hat. Es heisst, sie habe ihn vergiftet.“
Henrys Verlobte zuckte zusammen. Sie wusste was wirklich geschehen war und die Unwahrheiten aus seinem Mund zu hören, tat weh.
Henry wurde von Theodorus freundschaftlich begrüsst. Die beiden Frauen hielten sich im Hintergrund, bis sie sich vorgestellt wurden.
Lady Runa von Raven
Wie Linn diesen Namen liebte. Und wie oft sie ihn schon vor sich hin geflüstert hatte.
Als sich ihre Blicke kreuzten, überlief Linn erneut ein Schauer. Die grünen Augen ihres Gegenübers hatten die gleiche Intensität, wie als die junge Frau Runas Blick das erste Mal begegnet war. Sie schienen Linn regelrecht zu durchleuchten und diese hatte das Gefühl, dass Runa genau wusste, was für Gedanken ihr durch den Kopf schossen.
Nach dem Austausch jeder Menge Floskeln zogen die beiden Herren sich an einen Tisch in einer Ecke des Saales zurück und liessen Runa und Linn alleine.
„Sie sind also die Verlobte von Sir Henry?“ Runa zog spöttisch die Augenbrauen nach oben und Linn musste sich zusammenreissen, nicht laut aufzulachen. Wie Runa es bloss schaffte, immer so ernst zu bleiben?
Als sie sie sich sicher war, dass ihre Stimme normal klingen würde, wenn sie zu sprechen begann, antwortete sie: „Ganz recht, die bin ich. Wir haben uns vor drei Monaten verlobt und werden nächsten Sommer heiraten.“
Bei diesen Worten zog sich Linns Magen zusammen. Sie hatte es bisher erfolgreich geschafft jeden Gedanken an die Hochzeit zu verdrängen, aber das Ereignis kam wie eine schwarze Wand auf sie zu und sie vermochte nicht zu sagen, was dahinterlag.
Mit einer Geste, die keine Widerrede zuliess, winkte Runa einen Diener zu sich und nahm zwei Gläser mit einer goldfarbenen Flüssigkeit von dem Tablett, dass er ihr hinhielt.
Schnell reichte sie eines davon an Linn weiter, die skeptisch an dem Getränk roch.
„Honigwein.“ antwortete diese, die Linns Argwohn gespürt zu haben schien.
„Ihr haltet es für eine gute Idee zu trinken?“ Die Frau mit den kastanienbraunen Haaren schaute skeptisch drein.
Runa lachte bloss. „Klar. Wieso denn nicht? Ich verstehe nicht, warum die Männer sich amüsieren sollte und wir Frauen nicht.“
Um einiges leiser fügte sie hinzu: „Glaub mir, sie werden nichts bemerken.“
Darauf wusste Linn keine Antwort. Also setzte sie das Glas an ihre Lippen und kippte die süssliche Flüssigkeit in einem Zug hinunter.
Runa beobachtete sie schmunzelnd übe den Rand ihres Glases hinweg, bevor sie selbst trank.
Der Abend verging quälend langsam und Linn wünschte sich nichts mehr, als endlich mit Runa alleine zu sein.
Die beiden Frauen sassen sich gegenüber und verschlagen sich schon den ganzen Abend lang gegenseitig mit Blicken.
Runa beugte sich vor und fesselte ihre Gegenüber mit ihren grünen Augen. „Meinst du nicht auch, dass es langsam Zeit wäre zu verschwinden?“
Linn schaute sie etwas verunsichert an. „Was… was wenn sie etwas merken?“
Das Lachen der Anderen war rau. „Es ist ja wohl nicht verboten, sich mit seiner neu gewonnenen Freundin auf der Toilette frisch machen zu gehen.“
„Das nicht,“, jetzt grinste Linn. „aber was wir da vorhaben…“
„Das ist vielleicht etwas verbotener.“ Runa zwinkerte ihrer Geliebten verschwörerisch zu.
Die beiden Frauen hatten Runas Gemächer beinahe erreicht, als Linn sich nicht mehr zurückhalten konnte. Ihre Gefühle hatten sich den ganzen Abend über angestaut und ihr wurde übel bei dem Gedanken, auch nur noch eine einzige Sekunde lang neben Runa herzugehen, ohne diese zu berühren.
Mit einem leisen Knurren drückte sie Runa gegen die Wand und verschloss deren Lippen mit einem Kuss.
Die Rothaarige keuchte auf und erwiderte die feurige Berührung. Linn spürte Runas heisse Haut auf ihrer und presste sich erregt fester an ihre Freundin.
Mit einer schnellen Bewegung wirbelte diese herum und einen Moment später war Linn diejenigen, die mit dem Rücken zur Wand stand.
Runa küsste sich an ihrem Hals nach unten und wisperte ihr ins Ohr: „Ich will dich! Und zwar jetzt sofort.“
Die Brünette hatte Mühe zu antworten: „Lass… lass uns aufs Zimmer gehen.“
„Aber gerne doch.“ Ohne die Hände von Linn zu nehmen zog die Ältere sie die letzten Meter zu der Zimmertüre hinüber.
Drinnen schloss sie die Türe sofort und wandte sich dann wieder Linn zu.
Als sie sich diesmal an ihrem Arm nach oben küsste, waren ihre Berührungen sanft. Vorsichtig liebkoste sie die Blutergüsse an Linns Handgelenk und fuhr dann mit der Zunge bis zu deren Hals hinauf.
Linn hatte die Augen geschlossen und atmete schwer. Die Rothaarige streifte ihr das Kleid von den Schultern und küsste sich an deren Dekolleté hinunter. Als Runas heisse Zunge Linns Nippel streifte, entfuhr der Jüngeren ein Laut der Erregung. Sie verkrampfte ihre Finger im Stoff von Runas Kleid und presste sich so nahe sie konnte an ihre Geliebte.
Es dauerte nicht lange, bis die beiden sich ihrer Kleidung entledigt hatten und sich die Szene auf das grosse Himmelbett verlagert hatte.
Runa küsste sich immer weiter an den Körper der Jüngeren hinunter und diese legte stöhnend den Kopf in den Nacken.
Als Linn den Rücken durchbog und keuchend Luft holte, lächelte Runa. Gleich würde sie ihre Freundin so weit haben. Also verlangsamte sie ihre Bewegungen. Die erhoffte Reaktion liess nicht lange auf sich warten.
„Babe… bitte lass mich…“
„Jetzt schon? Die Nacht ist doch noch jung.“ Mit diesen Worten beugte sich die Ältere wieder zu Linn hoch und küsste sie leidenschaftlich.
Als sie plötzlich eine Hand spürte, die sich einen Weg zwischen ihre Schenkel suchte, war es an ihr, erregt aufzustöhnen.
Die beiden waren so sehr in ihr Spiel vertieft gewesen, dass sie die Soldaten erst hörten, als die Tür krachend gegen die Wand schlug.
Sofort zuckten sie auseinander und versuchten sich zu bedecken, aber es half nichts.
Lord Henry stand in der Tür, den Degen gezückt und starrte mit unverhohlenem Ekel auf die Szene vor ihm.
Nach einigen Sekunden kam er gemächlich durch den Raum auf die beiden Frauen zu, die Waffe nach wie vor erhoben.
„Bitte! Bitte Henry, tu ihr nichts!“ Linn hatte sich aufgerappelt und stellte sich schützend vor ihre Geliebte.
„Du hast mich gefälligst mit ‚mein Herr’ anzusprechen, du Schlampe!“ Grob schubste er seine Verlobte zur Seite und näherte sich Runa.
Ganz anders als Linn dachte sie nicht im Traum daran, um Gnade zu flehen.
„Na los, tötet mich Mylord“, sie spuckte ihm das Wort regelrecht entgegen. „Ihr könnt mich ruhig umbringen, aber es wird Euch nichts bringen. Ihr könnt uns nicht alle töten. Wir werden immer da sein und eines Tages werdet Ihr für Eure Taten bluten!“
Die junge Frau stiess ein grauenhaftes Lachen aus, das noch lange nachdem Soldaten sie aus den Gemächern geschleift hatten, darin nachhallte.
Eine Gruppe vermummter Gestalten in weiten Kapuzenumhängen trat aus dem Schatten der Ruine und auf den Baum in der Mitte des Hofes zu. Daran hing ein Strick, in dessen Ende eine Schlinge geknüpft worden war.
In einiger Entfernung standen eine Menge Leute, darunter ein hochgewachsener Mann und eine Frau mit langen, kastanienbraunen Haaren.
Sie weinte bitterlich.
In mitten der Kutten ging eine junge Lady in einem weissen Kleid. Man hatte ihr den Kopf kahlgeschoren und die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, aber noch immer strahlte sie Stolz und Selbstsicherheit aus.
Sie senkte den Blick auch nicht, als man ihr die Schlinge um den Hals legte.
Und sie sah immer noch aus wie eine Kämpferin, als längst niemand mehr da war der es gesehen hätte, abgesehen vom Wind der ihr Kleid wehen und ihre Beine tanzen liess.
Und die Raben zogen leise ihre Kreise, als ob sie auf etwas lauschen würden. Lauschen auf den Sturm, der in der Ferne aufzog.