Der Fremde war schon ein seltsamer Vogel gewesen, dachte Lad mit einem Blick zurück. Er hatte offenbar seinen Wagen einfach stehen gelassen und war verschwunden.
Schon während der gemeinsamen Fahrt, hatte sie sich gefragt, was seine Verkleidung für einen Zweck erfüllen sollte. Es wimmelte an diesem Ort nur so von verschiedenen Völkern, weshalb also sollte ausgerechnet ein Dunkelelf, die so stolzen Blutes waren, nun auf die Idee kommen, seine Haut mit einer weißen Paste zu beschmieren, die noch dazu unangenehm süß gerochen hatte, so dass sie einen konstanten Würgereiz unterdrücken hatte müssen.
Kopfschüttelnd erhaschte sie einen letzten Blick auf die flatternden Gewänder seiner Gestalt, bevor die Menge ihn gänzlich verschluckte. Sie hatte keine Zeit länger darüber nachzudenken, denn das Schiff machte sich bereit auszulaufen.
Hastig trugen ihre Füße sie die schmale Planke hinauf an Bord des Dreimasters. Im roten Licht der untergehenden Sonne schienen die weißen Segel entflammt zu sein. Sanft schaukelte das Schiff auf den Wellen der Flut und die Matrosen, stürmten über Deck, als gelte es einen Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen.
Dies kam Lad gerade recht. Niemand hielt sie auf oder kümmerte sich um sie. So schlenderte sie, sich suchend umsehend, über den hölzernen Boden, der für die nächste Zeit das einzige sein würde, was sie von den Tiefen des Salzwassers trennen würde.
Bald hatte ihr Blick sein Ziel gefunden. Den Kapitän der 'Aura'. Er war ein Fai von beachtlicher Größe, breiten Schultern und einem akkurat geschnittenen rötlichen Bart.
Die Stirn war in strenge Falten gelegt und sein Blick verdunkelte sich, als sie auf ihn zu kam.
„Habt Ihr für die Überfahrt bezahlt oder habt Ihr Euch verwirrt?“, seine Stimme verriet, dass er einen langen Tag hinter sich hatte. Ein Tag voller Ärger und nervenraubender Auseinandersetzungen mit dem Hafenmeister, den Händlern, die ihre Waren verschiffen wollten und seinen Matrosen, die am gestrigen Abend meinten, sie müssen sich volllaufen lassen, um ihren erneuten Abschied von Land zu feiern und den halben Tag unbrauchbar gewesen waren.
„Dieses Schiff fährt nach Aurenien, wenn ich richtig liege?“, Lad bemühte sich um einen lässigen Tonfall, um ihm zu zeigen, dass sie sich nicht provozieren lassen würde.
„Nach Akendi in Aurenien“, er ließ seinen Blick auf ihr ruhen. Ihre Ohren und ihr Körperbau, der sich nur leicht von dem der Menschen unterschied, verrieten sie als Angehörige seines Volkes, „Ich kann mich nicht erinnern, Euch jemals gesehen zu haben.“
„Das würde mich auch wundern. Es ist lange her, dass ich ein Schiff nahm, um von der Insel zu verschwinden“, sie ließ ihr Gepäck von der Schulter gleiten und erwiderte seinen Blick aus stechend grauen Augen, „Ich bin hier, um über einen Preis für die Überfahrt zu verhandeln. Da nicht mehr viel Zeit bleibt, um mich von Bord zu werfen, stelle ich Euch mein Angebot vor. Ich möchte nach Aurenien und da ich es mir vermutlich nicht leisten kann, bin bereit während meiner Zeit an Bord in Euren Diensten zu stehen. Ihr könnt mich in die Kombüse schicken, die Takelage rauf und runter, das Deck schrubben oder die Wäsche waschen lassen. Angesichts der Tatsache, dass ich vorhin zwei Eurer Männer sah, die den Dienst quittierten, denke ich, können wir uns einigen, da Ihr bis nach Aurenien sicher noch Aushilfe braucht.“
Während sie sprach, wanderten seine buschigen Brauen ein Stück hinauf. Es missfiel ihm, wie sie mit ihm sprach. Die forsche Art und ihre direkten Worte. Er hätte sie am liebsten eigenhändig von Bord geworfen, doch beeindruckte es ihn ebenso sehr und die Zeit im Hafen wurde, wie sie festgestellt hatte, äußerst knapp. In der Tat hatte er, über ihren Kopf hinweg, gesehen, wie die letzten zahlenden Passagiere an Bord gingen.
„Nun gut. Ein zusätzlicher Schiffsjunge sollte wirklich nicht schaden“, er kratzte sich nachdenklich am Bart, während er überlegte, wohin er sie stecken könnte, „Master Dolos!“
Der Kapitän winkte mit der Hand einen Fai zu sich, der seiner Gewandung nach zu den Offizieren dieses Schiffes gehörte. Die einfachen Matrosen trugen, was sie gerade fanden, während der Kapitän und seine Offiziere allesamt eine Uniform trugen aus marineblauem Stoff mit goldenen Borten und dem Wappen Aureniens an der Brust.
Dolos drückte hastig einem vorbeilaufenden Matrosen das Tau in die Hand, bevor er zum Kapitän eilte, „Sir?“ Er trug sein sonnengebleichtes Haar länger, zu einem Zopf im Nacken gebunden und musterte Lad neugierig, als er merkte, wer neben seinem Kapitän stand.
„Die Dame hier wird uns bis nach Akendi begleiten, Dolos, bitte sei so gut und zeig ihr eine Kajüte und wie sie sich an Bord nützlich machen kann. Sie leistet die Fahrt als Schiffsjunge ab. Vielleicht sollten wir sie zu den Segeln schicken. Ein emsiger Näher mehr, der hilft, die Segeltücher in Schuss zu halten, ist sicherlich keine schlechte Idee. Ansonsten bedarf unser Deck nach dem Auslaufen am nächsten Morgen sowieso einer gründlichen Reinigung“, der Kapitän wandte sich mit einem gehässigen Grinsen an Lad, „Vielleicht erfreut es auch den Koch, wenn wir ihm einen Küchenjungen zuteilen.“
„In Ordnung, Kapitän. Aber wohin sollen wir sie stecken? Die Kajüten sind alle belegt“, Dolos zog eine fragende Miene.
„Dann sag dem Heiler, er soll bei seinen Arzneien schlafen, die nächste Zeit. Er hat doch eh ein Krankenlager, das zurzeit unbesetzt ist und es hoffentlich auch bleibt“, meinte er mit einer abwinkenden Handbewegung. Als sich beide in Bewegung setzten und ihn allein ließen, runzelte er genervt die Stirn. Eine Frau an Bord, die kein gemeldeter Passagier war, bedeutete doch immer Ärger. Man konnte sie aufgrund des Anstands schlecht in die gleichen Quartiere mit der männlichen Besatzung stecken. Er wusste nur zu gut, dass dies oft geschah in den Reitertruppen Aureniens, wo weibliche Soldaten mitritten, doch auf seinem Schiff wollte er nichts von diesen Dingen wissen.
„Der Abend ist doch schön, weswegen also diese gereizte Miene?“, erklang eine ihm bekannte Stimme hinter ihm.
Sogleich fuhr er herum und setzte ein begrüßendes Lächeln auf, „Nur der übliche Ärger vorm Auslaufen, mein Herr Tanis. Wenigstens scheinen nun alle an Bord angekommen sein und ich kann die Anweisung weitergeben. Bitte entschuldigt mich daher. Ich erwarte Euch später in meiner Kabine zum Abendessen.“
Tanis nickte sacht, die Hände hinter dem Rücken gefaltet. Er konnte die Abfahrt kaum erwarten. Seine blauen Augen suchten den Horizont ab. Dort in der Ferne lag seine Heimat und wartete seine Arbeit.
~*~
Wenig später legte das Schiff ab. Der Wind stand günstig und so entfernten sie sich rasch vom Land.
Lad folgte Dolos die Treppe hinunter zu den unteren Decks des Schiffes. Sie würde die Kabine des Heilers beziehen, der murrend, aber ohne langes Überzeugen, seine Sachen packte und hinauf ins Krankenquartier schleppte. Nun stand sie hier und blickte durch das kleine Fenster hinaus. Die Sonne spendete noch ein wenig Licht, um die spartanische Einrichtung der Kajüte zu begutachten. Sie war größer als die der Matrosen angelegt. Neben dem Bett, das in eine Nische gebaut war, einer großen Schiffstruhe und mehreren Hacken an der Wand, gab es sogar einen kleinen Tisch und eine Waschgelegenheit bestehend aus einem Krug Wasser und einer Schüssel. Wohl ein Privileg für seinen Rang an Bord.
„Ich hoffe, es ist zu Eurer Zufriedenheit“, Dolos stand, steif wie ein Brett, in der Tür und sah zu, wie sie ihre Sachen auf das Bett legte, „Der Kapitän hält leider wenig von weiblichem Personal. Es tut mir aufrichtig leid, dass er Euch zum Deckschrubben einteilen möchte, my Lady.“
„Es muss Euch nichts leidtun und bitte, nennt mich Lad. Ich werde schließlich eine Weile hier sein. Da wäre es doch leichter, wenn Ihr mich einfach rufen könntet, wie einen andren der Seeleute“, sie legte ihre Waffen ab, „Außerdem werde ich ungern betitelt.“
„Dann sag bitte Dolos zu mir. Lad?“, er zog erstaunt die Brauen hoch, „Ein ungewöhnlicher Name. So schlicht und trotzdem höre ich ihn seltenst. Irgendwoher kenne ich ihn...“
„Ich dachte zumindest, mein Name wäre in Aurenien bekannter“, sie stutzte, „Von dort stamme ich schließlich.“
„Dass du von dort kommst, sieht man. Jedenfalls ich als Fai sehe, dass du auch eine bist“, korrigierte er sich schnell mit einem schiefen Grinsen, „Nein, dein Name ist selbst dort ungewöhnlich.“
„Dann sollte es wohl nicht allzu schwer sein, meine Familie zu finden“, murmelte Lad und band mit einer fließenden Bewegung die Haare in den Nacken.
Dolos lehnte sich gegen den Türstock und beobachtete sie dabei. Er hatte vor, ihr noch eine kleine Tour durchs Schiff zu geben, damit sie sich schnell zu Recht fand. „Deine Familie?“
„Ich wuchs bei Zieheltern auf“, sie winkte ab, um das Thema schnell wieder zu wechseln und trat auf ihn zu, „Wollen wir? Ich wäre soweit.“
Er nickte und ging vor, um sie durch die unteren Decks zu führen. Noch waren die meisten am Oberdeck und die wenigen Passagiere im Versammlungsraum der Offiziere zum Abendessen. Auch der Kapitän dürfte inzwischen in seine Kabine gegangen sein.
„Hier sind die Unterkünfte der Mannschaft, die Waffen- und Vorratskammern und der Kerker“, erklärte er ihr im untersten bewohnten Deck, bevor er die Treppe wieder nach oben stieg, „Auf dem Deck sind die Kabinen der Passagiere untergebracht und die des Heilers. Die Küche und der Versammlungsraum befinden sich ebenfalls hier.“
Sie sah sich neugierig um. Die schmalen Gänge waren ruhig und nur wenige Seeleute kamen ihnen entgegen und wenn, dann hatten sie es eilig weiterzukommen, um ihre abendlichen Tätigkeiten zu erfüllen.
An Deck schnupperte sie freudig die frische Luft und legte den Kopf in den Nacken, um den klaren Sternenhimmel zu bestaunen.
„Hier oben ist das Krankenlager und die Unterkunft des Kapitäns und seines Ehrengastes“, Dolos verwies auf die beiden Türen und führte sie dann über Deck, erklärte ihr, für was welche Taue zuständig waren, was in den Fässern war, die sie sahen und wo man sein Geschäft verrichtete, wobei er in Verlegenheit geriet, dass sie sich vermutlich nicht zu den anderen Matrosen stellen würde.
„Das wäre dann alles für heute. Morgen wirst du dem Putzdienst zugeteilt werden. Eimer und Schrubber findest du hier neben der Treppe“, er verschränkte die Arme am Rücken. Seine durchgehend gerade Haltung faszinierte Lad einigermaßen. Er wirkte umgänglich und auch, wenn sein Tonfall ihr gegenüber lockerer geworden war, nachdem sie das Du angeboten hatte, wirkte seine Körperhaltung noch immer wie von jemandem, der einen Besen verschluckt hatte. Erst hatte sie gedacht, er wäre ihr gegenüber so steif, da sie ja selbst als Seemann noch immer eine Frau wäre, doch es schien wohl seiner Natur zu entsprechen.
„Findest du den Weg allein zurück oder soll ich dich begleiten?“, seine Frage machte sie darauf aufmerksam, dass sie ihn schon die ganze Zeit über angestarrt hatte.
„Nein“, hob sie an, „Es ist alles in bester Ordnung. Ich möchte nur fragen, ob ich vielleicht den Mast emporklettern darf? Ich würde zu gern die Weite des Meeres sehen.“
„Wenn du klettern kannst, sicherlich. Aber es ist stockdunkel und außerhalb der Lichter des Schiffes wirst du wohl kaum noch etwas erkennen können, außer der Schwärze des Wassers“, lenkte er achselzuckend ein.
Sie schenkte ihm ein breites Lächeln und streifte die Stiefel ab. Zum Klettern würde sie diese nicht brauchen und bloßen Fußes besseren Halt finden, „Mir reicht das vollkommen.“
Mit einem Nicken erwiderte er: „Dann wünsche ich dir viel Freude und ich erwarte dich morgen früh an Deck.“
Noch bevor er sich entfernen konnte, hatte sie sich in die Takelage geschwungen und begann den Aufstieg zum Ausguck des Schiffes. Dieser befand sich am mittleren und demnach höchsten Mast.
Der Wind, der in die Segel blies, spielte mit ihrem Haar und ließ ihre Augen tränen. Bald hatte sie den Ausguck erreicht und wurde mit einem „Was bei allen Göttern? Seit wann lassen wir Weiber an Bord?“ begrüßt.
Die Worte stammten aus dem erstaunten Mund des Seemanns, der hier oben Stellung bezogen hatte. Er hatte sie im Schein seiner Laterne erblickt und war enttäuscht darüber, dass es nicht sein Kamerad war, der ihm das Abendessen hochbrachte.
„Schönen guten Abend“, Lad grinste und schwang sich auf das Krähennest, „Die Aussicht hier oben ist wirklich fantastisch.“ Sie schwankte leicht, hielt sich mit einer Hand an den Tauen fest und genoss den Wind, der ihr Haar aus seinem Knoten riss.
„Vorsicht!“, der Fai packte sie am Arm und zog sie zu sich herunter. Eilig band er ein Seil um ihren Bauch, „Wenn du hier raufkommst, sicher dich immer ab, verstanden?“
Sein junges Gesicht wurde vom Schein der Laterne erhellt und blickte sie bittend an. Sie nickte leicht und lehnte sich zurück an den Mast. Die Beine ließ sie über die kleine Plattform des Krähennestes baumeln.
Weit unter ihr erschien das Schiff kleiner und die Weiten des Meeres umgaben sie. In der Ferne konnte sie noch die Lichter des Hafens ausmachen und den Leuchtturm Floreas. Sie alle wurden immer kleiner. Ein eigenartiges Lächeln umspielte Lads Lippen. Außer den Wellen, die sich wie schwarze Tinte kräuselten, den Sternen über ihnen und dem Wind, der seine Lieder an ihr Ohr trug, schien hier nichts zu existieren.