Damian spürte plötzlich ein zartes Etwas, das seinen Arm streifte. Eine zierliche Hand – oder war es eine Art Flügel – hatte ihn berührt. So leicht, dass sich der Untote, obwohl völlig überrumpelt von diesem Körperkontakt, nur sehr langsam und vorsichtig umdrehte vor lauter Angst, er könne etwas kaputtmachen.
Ein kleines Wesen war hinter ihm. Genauer – es flatterte wenige Meter von ihm entfernt still in der Luft. Es befand sich etwa auf Augenhöhe, so dass er es gut betrachten konnte.
Es war eine kleine, wunderschöne Frau, die er nun erblickte. Nicht besonders groß, vielleicht an die 12 cm. Fasziniert konnte er seinen Blick nicht mehr von ihr abwenden. So klein, so filigran, so wunderschön mi ihren durchsichtigen Flügeln. Noch nie hatte er so etwas Bezauberndes gesehen.
Damian hätte sie sicher noch einige Weile mit offenem Mund angestarrt, wenn dieses winzige Fräulein nicht angefangen hätte zu sprechen.
„Weshalb weinst du?“, wollte sie wissen.
Ihre Stimme war keineswegs klein und piepsig, wie man es angesichts ihrer Größe vielleicht hätte erwarten können. Ja, sie sprach leise. Aber trotzdem war sie deutlich zu hören und zu verstehen – ein eigenartiges Klingen begleitete ihre Worte, welches sich sofort in Damians Kopf festsetze und für ein angenehmes Gefühl sorgte.
Welches er jedoch sofort wieder verdrängen wollte. Er war ein dunkles, böses Ding geworden und hatte kein Recht, mit diesem guten Geschöpf zu sprechen.
„Das geht dich nichts an! Verschwinde!“, maulte er sie deshalb an, obwohl er jedoch innerlich genau das Gegenteil meinte.
Die Frau ließ sich von seinem barschen Benehmen nicht abschrecken. Stattdessen fragte sie unbeirrte weiter: „Wie heißt du denn, kleiner Vampir?“
Vampir?! Sie wusste also, was er war und redete trotzdem mit ihm?
„Damian“, nuschelte er mühsam hervor und drehte seinen Kopf weg. Sie sollte nicht sehen, dass erneut zwei Tränen aus seinen Augen quollen.
„Das ist ein schöner Name, er gefällt mir.“, kam die freudige Antwort. „Möchtest du auch meinen hören?“
„Nein!“ Mehr sagte er nicht, sondern hielt seinen Kopf weiter abgewandt.
Das elfengleiche Wesen lachte leise. Es schien ihr nichts auszumachen, dass sich der Vampir so abweisend verhielt. „Wenn du ihn im Moment nicht hören möchtest, akzeptiere ich das. Vielleicht änderst du ja später die Meinung darüber, Damian. Erzähle mir doch, was mit dir los ist, da du dich hier verkriechst und Trübsal bläst?“
Dieses Fräulein war wirklich hartnäckig. Seufzend blickte er sie nun doch wieder an und murmelte: „Das kannst du nicht verstehen. Du bist eine Elfe.“
Fast hörte es sich wie eine Anklage an.
Aber wiederum ging sie nicht auf sein Gebaren ein, sondern erklärte: „Eigentlich bin ich eine Fee, Damian. Aber mir ist klar, dass diese Dinge für euch schwer zu unterscheiden sind. Und ich verstehe mehr, als du ahnst. Sagst du mir nun, was dich bedrückt?“
Pah! Das konnte nicht sein. Es tat ihm gut, dass sie da war, mit ihrer schönen Stimme zu ihm sprach. Und genau deshalb war es falsch.
Er hatte solche Angst, ihr etwas anzutun. Sie war so klein, so lieb, und er eine blutrünstige Bestie.
Also beschloss er, einfach zu schweigen und nicht mehr zu reagieren. Irgendwann würde sie schon verschwinden.
Da war er sich sicher! So musste es einfach sein.
So verging denn nun die Zeit. Der Vampir saß in seinem Versteck und die Fee schwebte wenig entfernt von ihm in der Luft.
Wenn ihr sein Schweigen etwas ausmachte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Geduldig wartete sie, betrachtete das arme, innerlich zerrissene Geschöpf vor sich und verlor nichts von ihrer Freundlichkeit und Güte, die sich deutlich in ihren Augen widerspiegelten.
Und dann, nach etwas über einer Stunde, begann er endlich zu reden.