Das Bad schien tatsächlich gut zu tun. Nach einer Weile, in der sie nur im warmen Wasser dagelegen hatten, war Jeremy sicher, dass seine Stimme den Lockenkopf beruhigt und er sich weitgehend entspannt hatte. Also begann er vorsichtig damit, ihm beim Waschen und rasieren zu helfen. Hin und wieder versuchte er, etwas Tröstendes zu sagen oder zumindest hoffte er, dass es tröstend wäre. Rufus antwortete nicht, aber das war auch nicht notwendig. Er half ihm beim Abtrocknen, versorgte die Blutergüsse und Schwellungen mit Salben, zog ihm einen Pyjama an -zum ersten Mal, seit sie zusammen waren- und er half ihm ins Bett. „Kommst du nicht zu mir?“, fragte der Jüngere, als er unter der warmen Bettdecke steckte. „Aber sicher, gleich“, versprach Jeremy, „ich hole uns nur noch etwas zu essen und etwas Tee, okay?“ Ru schien alles andere als begeistert. „Ich ka… will nichts essen“, sagte er leise. Jeremy war nur allzu klar, dass sein Freund seit dem Abend der Vergewaltigung nichts gegessen hatte und er fürchtete zu wissen, wieso. „Ich schau mal, ob ich etwas finde, was du essen kannst“, gab er sanft zurück und dann ging er barfuß und im Bademantel in den Wintergarten. Zu seiner Überraschung war Hopkins dort in einem Sessel und sah aus, als hätte er dort gewartet. „Hopkins, warum sind Sie nicht im Bett? Es ist spät.“
Der Butler schnaufte trotzig. „Sie glauben doch nicht, dass ich zu Bett gehe, ohne zu wissen, wie es um Master Rufus steht.“
Jeremy sah das ein. „Nein, natürlich nicht.“ Er zögerte, weil er nicht sicher war, was er dem älteren Herrn zumuten konnte, doch Hopkins hatte sich inzwischen aus dem Sessel erhoben und begann, in den Schalen auf dem Tisch zu rühren. „Da ist Hühnerbrühe, die wird ihm guttun. Und warmer Porridge.“ Er begann, etwas auf Teller zu füllen. Offenbar wusste Hopkins sehr gut Bescheid und schaute den Amerikaner jetzt erwartungsvoll an. „Ihm geht’s den Umständen entsprechend“, begann Jem, "die Ärzte sagen, er hätte sich nicht infiziert, aber er hat Schmerzen und ist überall zerschunden. Er versucht, tapfer zu sein.“
Hopkins nickte und gab Jeremy sowas wie ein aufmunterndes Lächeln. „Master Sommerford ist tapfer.“
„Ja sicher.“ Jeremy fiel ein, dass der Butler wahrscheinlich schon dabei war, als Rufus vor Jahren in einem ähnlich erbärmlichen Zustand war.
„Sie sind auch sehr tapfer“, setzte Hopkins hinzu.
Jeremy war verwundert. Das hatte noch niemand zu ihm gesagt. „Woher wollen Sie das wissen?“, fragte er. Der Ältere sah ihn nur an. „Nun, sie sind doch hier, oder etwa nicht? Nach allem, was passiert ist, könnten sie längst auf dem Rückweg nach Amerika sein.“
Daran hatte Jeremy noch gar nicht gedacht. Weder daran, dass er etwas tat, was nicht jeder tun würde und schon gar nicht daran, Rufus zu verlassen. „Sie sind sehr aufmerksam, Hopkins.“
„Das gehört zu meinem Beruf. Und jetzt nehmen Sie das Tablett und sehen Sie zu, dass der junge Master etwas davon zu sich nimmt.“
Jeremy nickte, nahm das Tablett und ging zurück zum Schlafzimmer. Etwas von dem, was Hopkins gesagt hatte, machte ihn traurig. Natürlich käme er nie auf die Idee, bei Schwierigkeiten nach Amerika zurückzukehren, weil dort nichts und niemand war, von dem er sich Hilfe oder Sicherheit versprechen würde. Längst nicht mehr. Außer den Erinnerungen an seine glückliche Zeit mit David gab es dort nichts. David. Rufus. Rufus. David. Nein, Rufus lebt und bleibt am Leben und es wird ihm bald besser gehen. Er nahm sich zusammen und ging hinein zu seinem Liebsten. Der lag zusammengekauert unter der Bettdecke, schaute aber auf, als Jem eintrat. „Es gibt Hühnerbrühe und Porridge“, sagte der ruhig, aber bestimmt.
„Ich sagte doch, ich will nicht.“
„Ich will das alles nicht, aber ich will, dass es dir bald besser geht. Also iss. Ich will dich nicht auch füttern müssen.“
Rufus seufzte. Das hieß, er gab nach. Von allem, was Jeremy gesagt hatte, war es wohl das „auch“, das ihn zum Nachgeben bewog. Er setzte sich behutsam auf und Jeremy setzte sich mit dem Tablett zu ihm ins Bett. „Okay. Iss, soviel du kannst“, sagte er und nahm sich selbst auch eine Portion. Er hätte auch was anderes nehmen können, aber irgendwie sah er nicht ein, warum.