KUR-T
„Kurt kriecht ‚ne Kur!“, erbricht sich Helga in den Hörer.
„Wie getz, …Kurt kriecht ‚ne Kur? …Helga, bist du dat?“
„Ja, der kommt grad vom Arzt, und der sacht, getz musser inne Kur und zwar flott. Der sacht, dat hätter schon längs ma machen müssen, aber getz wär´s echt kurz vor Zapfenstreich… Und minnestens für sechs Wochen hatta gesacht, Milieuwechsel…“
„Helga, Moment ma…“
„… und Kurt freut sich auch noch! Er sacht, sechs Wochen nich auffe Arbeit… Ich könnt heulen!“
„Ja Helgachen, könnta denn nich zusammenfahrn?“
„Frach ich den Kurt auch, aber der Doc sacht: auf keinen Fall! Ma raus aus dem Ganzen, sachter und dann sechs Wochen ausspannen.“
Marianne: „…“
„Psikosomatische soll dat sein, da kanns dir passieren, dasse wochenlang keinen Kontakt nich haben darfs! Huhuhu…“, heult Helga jetzt los.
„Helgachen, getz heul man ich. Da is ja dat letzte Wort nochnich drüber gefällt… Der Kurt in Kur…, wat soll der denn da… der hat doch nix. Ich mit meinem Rheuma sollte ja auch schon längs… schon längs sach ich dir…“
Das Gespräch schlägt einen großen Bogen in Richtung Marianne, Helgas langjähriger Freundin und Kegelschwester, und in Richtung Mariannes Rheuma… und ihrer Schwiegertochter, dieser Ratte!, und zurück zum Rheuma und von da aus zu den Kohlrabipreisen bei REWE. Nach diesem ausgiebigen Bogen kehrt das Gespräch zu Kurt zurück, und die beiden Freundinnen überlegen gemeinsam –Helga unter Schniefen- wie sie dem drohenden Unheil doch noch Herr werden können.
„Schnief… und du meinst echt, ich soll mit dem Winterfeld reden?“
„Ja, würd´ich machen. Der is doch schließlich euer Hausarzt und kennt den Kurt am besten. Der soll diesem Dermakrologen ma den Kopf waschen!“
„Ja, wennste meinst…“
„Mach einfach einen Termin für dich. Sach ihm, dir ging´s momentan nicht so. Immer mitte Schlafstörungen und die Luft und so… Und getz soll auch noch der Kurt wech. Ob das denn wohl muss? Wirste sehen, dann hattes sich ausgekurt.“
„Ja, wennste meinst, Marianne. Wenn dat man bloß hilft! Sonst spring ich vom Balkon, sach ich dir! Ich tu mir was an!“
„Getz ma ganz sachte, Helga. Für so´n Kerl springst du nicht vom Balkon. Auch nicht für´n Kurt.“
Ja, und da fällt Helga auch wieder ein, dass Mariannes Mann, der ja immer auf Montage war, sie vor vierzehn Jahren schon wegen dieser Belgierin hat sitzen lassen, und Marianne dann auch nicht vom Balkon gesprungen ist… Aber da war die kleine Nicole auch noch nicht so weit. Elf oder zwölf muss die damals gewesen sein.
Dr.Winterfeld ist ein Hausarzt alten Schlages in Bochum-Langendreher, der die sechzig bereits deutlich überschritten hat, und eher der Liebhaberei denn des Budgets wegen praktiziert. Und natürlich um den Unterhalt für die geschiedene Frau Dr.Winterfeld aufzubringen. Und das Studium, das dritte Studium des Töchterchens, die mittlerweile auch schon an die dreißig geht… Kurt und Helga Driebach sind seit Jahren bei ihm in Behandlung, er hat die Praxis sozusagen umme Ecke und natürlich kurzfristig einen Termin für Helga frei.
Wir sehen Helga in Büstenhalter und Unterhemdchen auf der Untersuchungsliege sitzen; soeben nimmt Dr.Jörg Winterfeld die Blutdruckmanschette ab.
„Tja, Frau Driebach, bis auf den Blutdruck, unser leidiges Thema hähähä, alles im grünen Bereich. Machen sie abends Spaziergänge und mal ein bisschen Entspannung…“
„Buhu… mit wem soll ich denn abends spazieren gehen, wenn der Kurt nich mehr da is?!“
Dr.Jörg Winterfeld schaut sie verständnislos an:
„…?“
Jetzt bricht Helga in hemmungsloses Schluchzen aus, wobei die Schultern wie ein Trampolin wippen und die gesamte Untersuchungsliege in Schwingung gerät.
Dr.Winterfeld tätschelt der Patientin gelassen die Schulter:
„Aber Frau Driebach, was haben wir denn? So kenne ich Sie ja gar nicht.“
„Ach Herr Doktor! Buhuhuhu… der Kurt, … der Kurt…schnief schluchz..“
„Ihr Mann? Ja, was ist denn mit dem Guten?“
„Schnief… der Kurt soll in Kur…“
„Ja, aber das ist doch sehr schön. ???“
„Ja, aber dann bin ich ja ganz alleine… buhuhu. Und wat soll der denn da wochenlang machen? So ganz ohne mich? Und überhaupt, wat brauch der Kurt denn ne Kur?!“
Dr.Winterfeld bewegt sich jetzt von Helga Driebach weg und zu seinem Schreibtisch hin. Dort schiebt er Helgas Karteikarte zur Seite und wirft einen Blick in die darunterliegende Karte ihres Mannes. Während er in den Papieren wühlt und einen Arztbrief überfliegt, schnieft Helga auf der Behandlungsliege weiter (jetzt in ein gezücktes Taschentuch) und schielt zu Dr.Winterfeld hinüber.
„schnief… schnief… Wat hammse denn da Herr Doktor?“
Aber ohne zu antworten liest Winterfeld weiter und blickt konzentriert in die Papiere.
Ohne dass ihr zugehört wird, deklamiert Helga weiter:
„Dat ist bestimmt nich dat Richtige für den Kurt nich. Der brauch auch seine gewohnte Umgebung… und die Jungs vom Schützenverein… Ich weiß gar nich, wie dieser Hautdoktor auf so was kommt. Dat macht der Kurt nich gerne, sach ich Sie, dat macht der nich freiwillig!“
Da sie keine Aufmerksamkeit findet, holt sie tief Luft, zieht sich dabei auf der Liege hoch, und zetert jetzt eine Oktave höher:
„Un ich find dat auch nich gut. Wo es mir doch auch immer so schlecht geht. Und besonders inne Nacht… Da kann ja sons was passieren!... Un dann auch noch für sechs Wochen… sechs Wochen!... Ich glaub, da tu ich mir was an…“
Winterfeld, der ihr gar nicht zugehört hat, legt jetzt die Papiere zurück auf den Tisch und kommt mit gewichtigen Schritten auf sie zu. Ihr die Hand auf die Schulter legend, schaut er sie über den Brillenrand hinweg an und sagt:
„Sie wollen doch noch ein bisschen was von Ihrem Kurt haben, Frau Driebach?“
Helga schaut mit verquollenen Augen und irritiertem Gesichtsausdruck zu ihm auf.
„Die Schübe, die Ihr Mann mit seiner Psoriasis hat, treten immer häufiger und immer heftiger auf. Das neue Mittel, dass seit einigen Monaten auf dem Markt ist, möchte der Dermatologe ihm nicht verschreiben. Außerdem sind die Cholesterin und Triglyzerinwerte viel zu hoch. Das ist in seinem Alter gefährlich.“
Helga schaut noch immer eher dümmlich auf ihren Hausarzt.
„Da kommt es ruck zuck zu einem Herzinfarkt“, legt Winterfeld nach. „Und dann? Was dann Frau Driebach??“
„Ja, nee, nee“, ruft Helga und wirft die Arme in die Luft. „Bloß keinen Herzinfarkt!“ Und greift sich selbst an die Brust.
„Na, sehen Sie, Frau Driebach. Dann lassen Sie den Kurt mal schön fahren.“ Jetzt tätschelt ihr Winterfeld den Arm, zieht sie an selbigem hoch und komplementiert sie in Richtung Umkleide:
„Sie werden sehen, danach ist der Kurt wie neu. Wie neu!“
Und schon ist der Arzt hinaus.
„Der Kurt steht kurz vorm Herzinfarkt, sacht der Arzt.“
„Wat denn, der Kurt?! Dat sieht man dem garnich an!“
„Ja, undie Werte sind auch nich in Ordnung, sacht er“
„Hmm…“
„Und wenn der nich fährt, dann wird’s schlimm!“
„Hmm…“
„Un wegen dem Herzinfarkt kanner auch die neue Medizin nich nehmen, und inner Kur machense den Kurt dann wie neu.“
„…“
„Sach wat, Marianne!“
„Ja… dann musser wohl fahren…“
„Ja, dann musser wohl fahren.“
Warmes Sonnenlicht fällt auf Marmeladengläser mit handgeschriebenen Aufklebern, Diätmargarine, Wurstdose, Käseplatte und bekrümelte Brettchen. Kurt hebt seinen Kaffeebecher zum Mund, winkelt ihn an, kippt, schluckt und hat dabei den stumpfen Gesichtsausdruck eines sechzigjährigen Mannes, der dem Radiosender lauscht. WDR vier. Helga hüstelt und hält sich die Hand vor den Mund. Lässt die Hand wieder sinken und legt sie neben dem Frühstücksbrettchen ab. Rutscht auf dem Stuhl hin und her. Zupft an ihrer Bluse. Räuspert sich noch einmal:
„Dann… fährst du also?“
Kurt kehrt geistig an den Küchentisch zurück:
„Äh… was?“
„Die Kur… Dann fährst du also in die Kur?“
Kurt starrt auf Helga, zuckt krampfhaft mit den Schultern:
„Ja, wat soll ich denn machen? Etwa nich fahren? Wenn der mich doch schickt…“
„Seufz…“, Helga kämpft mit den Tränen, „ja, dann musst du wohl…“
„Jetz häng die Flagge nich auf Halbmast, mein Häsken, ich bin doch nich lange wech.“
Jetzt bricht das ganze Elend aus Helga heraus. Sie weint und schnieft und schüttelt sich vor lauter Kummer. Kurt beugt sich vor und drückt ihr mit der brötchenfreien Hand ihre zitternde. Dann beißt er beherzt in sein Käsebrötchen und kaut.
„Ha, nee nee nee…“ Helgas Kummer versiegt zwischen Kaffee und Backwaren.
Kurz drauf schüttelt sie sich erneut und zieht die Luft geräuschvoll ein:
„Dann müssen wir dir noch ne paar neue Klamotten holen. Mit dem alten Plunder kannse nich unter die Leute! Neue Schlüpfer und Socken brauchse, und Pyjama.“
„Ja, man immer sachte. Erstma gucken, was ich noch hab. Reicht bestimmt noch.“
Zielstrebig steuert sie auf den Wühltisch mit den Unterhosen zu. Viererpack für 12,00 Euro. Das ist es. Die Handtasche über die Schulter gewuchtet, taucht Helga auf der Suche nach der richtigen Größe im Schlüpfersortiment ab. Hin und wieder fischt sie einen Packen nach oben und legt ihn zur Auswahl auf die Seite. Kurt, der langsam hinter ihr hergedackelt ist, steht jetzt neben dem Wühltisch und blickt gelangweilt über das Dargebotene.
„Nu such doch ma selber!“, raunzt ihn Helga von der Seite an, „Größe 7!“
Gehorsam wühlt Kurt unbeteiligt in den Unterhosen. Dann zieht er plötzlich einen Dreierpack getigerte Tangaslips heraus und hält sie sich neugierig vor die Nase. Voller Verwunderung dreht er sie vor seinen Augen hin und her, wohl darüber sinnend, wo er sein Gemächte in diesem Bisschen Stoff unterbringen solle. Helga richtet sich auf und hält sich stöhnend das Kreuz. Als ihr Blick auf Kurt und die Tangas fällt, reißt sie sie ihm energisch aus der Hand und vergräbt sie im Wäschehaufen.
„Das is nix für dich!“, faucht sie kurz auf und widmet sich wieder ihrem Tauchgang.
Kurt wühlt ein wenig in den Schlüpfern. Nach einem Seitenblick auf Helga sucht er mit geröteten Ohren in der Tiefe nach den verschwundenen Tangas.
Die Pyjamas finden sich problemlos. Die erprobten Baumwollversionen mit langem Arm und langem Bein sind schnell gekauft.
„Die brauchse nich bügeln! Häng die morgens zum Lüften übern Stuhl, dat hält länger.“
In der Sportabteilung sind dann aber sowohl Kurt als auch Helga überfordert.
„Bitte bringen sie folgende Sportbekleidung mit: Walkingstöcke, Badebekleidung, Bademantel, Laufhose, Laufshirt, Hallensportschuhe mit heller Sohle, feste Wanderschuhe, bequeme Jogginghose“, hatte im Mitteilungsschreiben der Kurklinik gestanden.
Kurt trägt alle Taschen, Helga schaut sich hilflos zwischen den Ständern und Regalen um. Mit rastlosen Augen dreht sie sich langsam um die eigene Achse ohne an irgendeiner Ecke ankern zu können. Da es sich um eine große Shop in Shop Abteilung handelt, kommt auch kein Verkäufer auf sie zu.
Helga steuert entschlossen auf ein junges Ding hinter einem Tresen zu.
„Frollein, wir suchen eine Badehose für meinen Mann!“
Ohne einen Blick auf Kurt zu werfen, kommt „Frollein“ hinter dem Tresen hervor, wirft das blondierte Haar in den Nacken und verschränkt die Hände vor der Brust. Sie sieht jetzt aus, als wolle sie Muscheln am Strand suchen.
„Hatten sie an eine Schwimmsporthose in Kurzform gedacht, Badebermudas oder Slipform? Von Chiemsee haben wir auch die neuesten …. Hereinbekommen. Vernice hat in diesem Frühjahr ein ganz neues Farbdesign für den Sommer herausgebracht. Und hier drüben haben wir die klassische Variante von Nike und Addidas…“
Helga versteht nur Bahnhof. Sie geht in die Defensive:
„Für meinen Mann hier… der hat so Größe 7.“
Frolleins Blick erlischt, als sie auf den untersetzten Sechzigjährigen schaut.
„Ah… ja… dann folgen Sie mir doch bitte. Hier…“, sagt Frollein und ist zu dem Ständer mit den sportlichen Schwimmhosen der Markenfirmen in unauffälligem Blau Schwarz Grau gegangen.
In der Annahme hier an der richtigen Stelle zu sein und den Einkauf zügig über die Bühne zu bringen, beginnt Helga Badehosen der Größe 7 herauszuziehen. Missbilligend fällt ihr Blick auf wie ihr deucht winzige Stofffetzen mit aussagekräftigen Preisschildern, in denen sie sich ihren Kurt lieber erst gar nicht vorstellt. Nach einer Weile tritt sie kopfschüttelnd von dem Dargebotenen zurück.
„Sowat kannse nich tragen!“
Da Frollein kommentarlos verschwunden ist, irren Helga und Kurt noch eine Weile durch die Fachabteilung, verzweifeln auch an den ballonartigen Badebermudas, bis Helga statuiert:
„Hier finden wir nix. Ich glaub da müssen wir nochma los. Lass uns jetz nach Hause fahrn!“
„Kurt! Essen is fertich!“, ruft Helga aus der Küche.
Pause.
„Kurt? Hasse gehört? Essen is fertich!“
„Hm… ja… ich komm gleich…“, klingt es dumpf aus dem ehemaligen Kinder- jetzt als Arbeitszimmer genutzten Raum.
Während Helga Essen auf die Teller häufelt, sie auf den Esstisch platziert und den Fernseher einschaltet,…
…lässt Kurt auf sich warten.
Helga setzt sich und greift demonstrativ zur Gabel.
Nichts.
„Kurt, kommse getz“
„Jaja, ich komm gleich…“
Helga stemmt die Hände auf die Tischplatte und drückt sich entschlossen aus dem Stuhl hoch. Dann marschiert sie Richtung Arbeitszimmer, wo Kurt vor dem Rechner klebt. Ihm über die Schulter linsend, fällt ihr Blick auf das Foto einer hübschen Brünetten, zirka Dreißigjährigen, mit nebenstehendem Text. Darunter folgen weitere nette Fotos von Netten Menschen am linken Bildrand mit nebenstehenden Texten.
„Wat machse denn da?!“
Kurt, der Helga nicht bemerkt hat, schrickt zusammen.
„Huch… wie kannse mich denn so erschrecken!“, ruft er ärgerlich.
„Ich hab dich tausendmal zum Essen gerufen!“
„Ich komm ja schon!“, sagt Kurt und erhebt sich, um der abdampfenden Helga zu folgen.
Am Tisch:
„Wat hasse denn da gemacht, Kurt?“
„Wat denn? Wat hab ich gemacht?“
„Ja da am Computer“, fragt Helga, der das Bild der jungen Frau nicht aus dem Kopf geht.
„Ach das. Ich hab nach de Kritiken vonne Kurklinik geguckt. Manni Weiß sacht, dat soll man vorher machen. Dat wär ganz hilfreich.
Nach einer Weile entschuldigt sich Helga, sie müsse einmal zum Klööchen, und verlässt den Tisch. Kurt, der kauend im Fernseher die neusten Nachrichten über die Ebola Epidemie verfolgt, nickt nur kurz.
Helga aber fitscht schnell ins Arbeitszimmer, wo sie gierig den Computerbildschirm aufsaugt: Unter dem Foto der Brünetten steht „Nici82“. Aja, das Weibsstück heisst also Nici. Klingt ja wie so ein Piepmatz. Komm Nici! Leckerchen. Was schreibt Nici denn so? Helga liest: Alles prima. Supi Leute. Essen so lala. Sonnenterasse 1A. Dr.Hahnenfuß nach Möglichkeit aus dem Weg gehen. Am tollsten waren die Diskoabende und die Massagen. Habe hier auch…
Und damit tritt der Bildschirmschoner in Aktion, und Helga ist mit der Diashow des letzten Sommerurlaubs konfrontiert, und damit mit ihrem eigenen unvorteilhaften Aussehen.
Einen Augenblick steht sie wie versteinert, dann lauscht sie und trappelt zurück ins Wohnzimmer. Am Tisch sitzend und kauend wirft sie verstohlen misstrauische Blicke auf Kurt.
„Und dann waren da so Bilder. Von Frauen. Mit so ner Dunkelhaarigen hatter sich glaubich geschrieben…“
„Du meinst son Chatroom, Helga?“
„Ja, nee dat weiß ich nich. Ich konnt ja nich lange gucken, da war der Bildschirm wech.“
„Wat hat die denn dem Kurt fürn Foto geschickt? Nackt?“
„Nee, nee, da war nur dat Gesicht drauf…“
„Ja, und hasse den Kurt denn gefracht, wasser da fürn Schweinkram macht?“
„… ja, der sacht, er guckt sich nur dat Kurheim an, und so Kritiken…“
„…“
„Marianne? Ich hab so Angst!“
„Warn da denn noch andere Fotos?“
„Ja, da warn auch noch andere Fotos drunter. Alle links…“
„Auch Kerle? Auch Fotos von Kerlen?“
„Hm… ja, da war auch son Foto vonnem älteren Mann dabei.“
„Dann war dat vielleicht ganz harmlos. Wat hattse denn geschrieben diese Nico?“
„Nici. Nici hieß die! Dat weiß ich auch nich mehr so. Irgendwas von Massagen und irgend som Arzt. Ach Marianne, ich hab ja solche Angst. Dat liest man doch immer wieder, dat die Kerls mit som Flittchen aussem Internet abhauen…“
„Getz ma immer langsam mitte jungen Pferde, Helga!“
„Ja, aber meinse denn…“
„Klar, kann dat sein, dat der Kurt da wat am laufen hat…“
„Oh, nee…“
„…hatte mein Friedhelm ja auch…“
„…diese Mistkerle!“
„… aber noch habe keine Beweise…“
„Aber diese Nici…“
„Nu lass man gut sein, Helgachen. Kontrollier erst ma in den nächsten Tagen dem sein Handy. Wennse da nix findest, kannse glaubich erst man en Gang zurück schalten.
Kurt schlurft alleine durch´s Kaufhaus. Nachdem er sich am Wühltisch von letztem Samstag überzeugt hat, dass die Tangaslips wohl doch nichts für ihn sind, ist er mit der Rolltreppe in die Sportarena gefahren, um alleine nach einer Badehose zu suchen. Wir sehen ihn soeben mit einer Auswahl an klassischen und modernen Schwimmsporthosen in der Umkleide verschwinden. Jetzt wird Rascheln, Ächzen und betretenes Schweigen laut. Wir werfen ganz diskret einen Blick hinter den Vorhang:
Dort steht Kurt in einem Klassiker von Adidas. Es handelt sich um ein knappes Höschen, das wohl eher einem Sportschwimmer stünde. Kurts Bauch wölbt sich über den Bund, seine Pobacken sind so eben von Lycra bedeckt. Dadurch wirkt das Höschen winzig an einem ausladenen Kurt. Kurt hat sein Oberhemd etwas angehoben, um das Ergebnis seiner Anprobe in Augenschein zu nehmen. Da er nicht über unseren 360° Blick verfügt, ist er sehr zufrieden damit, dass er in die Badehose passt. Er nickt sich im Spiegel zu: die nimmt er! Beschwingt probiert er jetzt noch die wild blumig gemusterte Badebermuda. Mit erhobenem Hemd begutachtet er sich von der Seite im Spiegel. Das Ganze wirkt jetzt doch ein wenig befremdlich. Das Blumenmuster betont seine Pobacken und lässt den Allerwertesten größer und rundlicher wirken. Und dass eine Badehose bis in die Knie reicht…? Kurt weiß nicht so recht. Er entscheidet sich für das Höschen von Adidas. Er wird noch mal über die Bermudas nachdenken.
Am nächsten Tag huscht Kurt während der Mittagspause noch mal ins Kaufhaus, und kauft die Bermudas doch. Überhaupt werden wir ihn in den nächsten drei Wochen immer wieder in der Mittagspause und nach der Arbeit in der Innenstadt die Geschäfte durchstreifen sehen. Da die Behörde, an der Kurt als Operator tätig ist, im Innenstadtgebiet liegt, haben die kurzen
Shoppingtouren das Mittagsschläfchen im Bürostuhl nahezu verdrängt.
Auch während der Arbeitszeit schleichen sich neue Gewohnheiten ein: Kurt führt in der Teeküche Fachgespräche mit Thilo Koch, seines Zeichens Marathonläufer und täglich vier Stunden auf Schusters Rappen im Bochumer Stadtgebiet und der Kemnade unterwegs. Die Gespräche dienen Kurts zu kaufenden Laufschuhen…
„Luftpolsterung oder Gelsohle. Auf jeden Fall. Gerade in deinem Alter. Die Dämpfung nimmt 80% Schnickschnack und schont somit den Knochen. Und leg dir auf jeden Fall einige Paare Laufstrümpfe zu. Am besten von … Die halten die Fersen blablabla (nachlesen!)
Kurt ist fast versucht sich Notizen zu machen, aber die Blöße will er sich dann doch nicht geben.
„Marianne, ja?“
„Helga, mein Schätzken, wie geht dir dat?“
„Ach, der Kopp! Den könnt ich heut so wechwerfen… Aber mit dem Kurt…“
„Ja…?“
„Ich hab dem sein Handy inspiziert…“
„Ja… wat…“
„Nix!“
„Wie, nix?!“
„Ja, da is nix drauf. Keine Nachrichten, keine Nici, gar keine Frauen. Nur son paar alte Nachrichten von mir. Wegen Kartoffeln unde Apotheke…“
„Hm.“
„…“
„Ja, dann is da wohl nix. Aber für de Kur musse höllisch aufpassen! Ich hab heute noch inner Bunten gelesen, dass selbst der Lauterbach…“
Wir steigen hier aus. Das Gespräch dauert noch über eine halbe Stunde. Und nachdem Helga zu Beginn des Anrufs etwas unsicher, aber erleichtert war, ist sie sehr unsicher und sehr beunruhigt nach Beendigung des Gesprächs.
Wir begegnen Kurt mit frisch erstandenen Nike Roadrunner Gold Stars in der Straßenbahn. Er ist auf dem Weg nach Hause. Vom lärmenden Chaos in der Straßenbahn unbeeindruckt, sitzt Kurt am Fenster und schaut hinaus. Auf dem Schoß die Plastiktüte mit den Laufschuhen umklammert, auf dem Gesicht ein seliges Lächeln. Kurt sieht sich joggen. Verjüngt, verschlankt, umgeben von angenehmer weiblicher Gesellschaft. Er wird laufen, er wird lachen, er wird… Da kommt seine Haltestelle, er muss raus!
Beim Betreten der Wohnung fitscht er rasch ins Schlafzimmer, um die sündhaft teuren Laufschuhe unter seinem Bett verschwinden zu lassen. Dann geht er zu Helga in die Küche:
„Hallo, mein Häsken, wat gibt´s denn heute Leckeres?“
Es klingelt zweimal rasch an der Wohnungstür. Als Helga öffnet, steht der Mann vom Paketdienst „auf heißen Kohlen“ davor, hält ihr ein Paket hin und das Display zum unterschreiben.
„Ja, ich hab doch gar nichts…“, beginnt Helga.
„Is für ihren Mann“, sagt der Paketbote knapp und scharrt mit den Füßen; soll heißen, er hat´s eilig.
„Von wo is das denn?“, fragt Helga neugierig.
Aber schon hat ihr der Paketbote selbiges in den Arm gedrückt und hastet die Treppe hinunter. Helga liest:
460098746
Herrn
Kurt Driebach
Stapelberg 37
4…… Bochum
Und erkennt, Anschrift ist richtig! Das muss für Kurt sein. Wo kommt das denn her? PERSONALSHOP steht da als Absender drauf. Kennt sie nicht.
„Kurt! Kuhuurt! Ein Paket für dich!“
Helga läuft mit dem sperrigen Paket ins Wohnzimmer und lässt es auf den Tisch plumpsen. Sie eilt in die Küche um ein Messer zu holen. Kurz drauf beginnt sie das Paket aufzuschneiden und zu entpacken. Verständnislos zieht sie eingepackte Kleidungsstücke, ein größeres und zwei kleinere Päckchen, jede Menge Werbematerial und zu guter Letzt zwei zusammengeschobene Walkingstöcke aus dem Paket.
„Kuuuurt!“, schreit Helga durch´s Zimmer und fuchtelt mit den Walkingstöcken umher, „Kurt! Waaas ist das?!“
Alarmiert kommt Kurt ins Wohnzimmer und schaut seine verständnislos stöckeschwingende Helga verwundert an.
„Ja, Häsken, wat is denn?“ Fragt er, ganz die Unschuld in Person.
„Was, frage ich dich Kurt, ist das hier?“ krischelt Helga weiter.
Kurt kommt näher, entwindet ihr einen Walkingstock, betrachtet ihn, schraubt ihn auf normale Länge. Dann wirft er einen Blick über den entpackten Inhalt des Paketes, und einen auf das Adressatenetikett.
„Ach, dat sind ja meine Sportklamotten! Dat ging aber fix.“
Und schon macht sich Kurt über den Inhalt zu schaffen. Helga steht daneben und weiß nicht, was sie machen soll. Da hat der Kurt einfach so, ganz allein Klamotten bestellt. Das gab´s noch nie! Der lässt sie das doch immer machen! Der kennt doch seine Größen gar nicht! Und Helga weiß auch nicht, ob sie sich darüber freuen oder ob sie weinen soll…
„Ja guckma, dat sind die Walkingpinne“, ruftt Kurt begeistert und beginnt damit durch´s Wohnzimmer zu marschieren.
Helga ist sprachlos…
Dann entpackt Kurt zwei Funktionsunterhemden, eine Radlerhose, zwei Pack Sportsocken, zwei Paar Funktionswanderstrümpfe, Stützmanschetten und einen Laufcomputer, an dem er sich sofort zu schaffen macht.
„Wat is dat dann?“, fragt Helga missbilligend.
Kurt ist beschäftigt und überhört die Frage.
„Wat dat is, will ich wissen!“, fragt Helga energischer und tippt mit dem Finger mehrmals auf das Ding in Kurts Hand.
„Na, lass das!“, wehrt Kurt sie ab, da Helga auf dem Display alles durcheinander gebracht hat.
Helga ist empört! Sie wendet sich der Funtionsunterwäsche zu:
„Lächerlich!“, giftet sie los, „die Leibchen sind viel zu klein für dich!“ Und sich die Radlerhose aus Lycra vor´s Gesicht haltend:
„Wenn du die trägst, lass ich mich mit dir nich mehr sehen! So´n alter Sack in soner Gummihose!“
Oh weh, jetzt ist Kurt aber in seiner Eitelkeit getroffen, Jugend, Schlanksein und die angenehme weiblich Gesellschaft drohen in weite Ferne zu rücken… Entschlossen rafft Kurt seine Utensilien in das Paket zurück, und entschwindet damit ins Schlafzimmer. Er schließt sogar die Tür hinter sich.
Helga ist sprachlos. Helga ist empört. Helga weiß nicht, was sie jetzt tun soll. Also greift sie sich Jacke und Haustürschlüssel und eilt zu Marianne.
Die Türklingel schrillt dreimal kurz hintereinander. Marianne erhebt sich ächzend aus dem Sessel und eilt „Moment, Moment, eine alte Dame ist kein D-Zug“ rufend an die Tür.
Sie drückt den Türöffner, öffnet dann die Wohnungstür und lauscht in den Hausflur. Gehetzte Schritte und Keuchen wird vernehmbar. Dann erscheint Helgas gerötetes Gesicht am Treppenabsatz.
„Helgachen, ja wie siehste denn aus?“
„Ach Marianne, Marianne“, keucht Helga und wedelt sich Luft zu.
Marianne kommt Helga entgegen und zieht sie in die Wohnung hinein. Dort angekommen, plumpst Helga in den angewärmten Sessel und beginnt zu heulen. Sie schlägt die Hände vor´s Gesicht und wippt vor und zurück, als bete sie die…. .
Marianne folgt ihr ins Wohnzimmer, füllt dann ein Glas mit Likör, hält es Helga vor die Nase und sagt:
„So, Helgachen, ex und hopp!“
Helga ergreift das Glas und zieht den Likör weg. Dann schüttelt sie sich. Marianne hat derweil im Sessel vis-a-vis Platz genommen und tätschelt Helgas Hand.
„Und nu erzähl ma!“
Helga schaut Marianne aus geröteten Augen an:
„Nee“, beginnt sie und die Augen füllen sich wieder mit Tränen, „der Kurt, der is ganz verkehrt.“
Marianne tätschelt die Hand und wartet.
„Getz hatta sich so neumodischen Sportkram bestellt, im Internet, und so Schneckenpiekser mit denen die Bekloppten immer durch die Gegend rennen…“
Marianne wartet.
„Und sone ganz enge Büchse, wo sich alles drin abmalen tut. Ha nee, dat is mir so fies, Marianne. Wenn da man nur keine andere Frau hinter stecken tut.”
Marianne holt die Flasche und ein weiteres Glas und schenkt Likör nach.
„Prost, Helga!“
„Prost, Marianne!“
„Weisse Helga, dat mit na andern Frau, dat glaub ich nich. Is ja nix auffem Handy gewesen. Da ham die Kerls dann immer wat drauf.“
„Ja, meinse?“, fragt Helga hoffungsvoll.
„Aber“, sagt Marianne und hebt die Hand unheilschwanger, „dat sieht so aus, als kommt der Kurt in den zweiten Frühling. Der hat noch keine andere, aber der rüstet sich für die Kur…“
„Meinse, der will da inne Kur wat anfangen?!“
„Ja, vielleicht nich. Vielleicht willer da nur auf jugendlicher machen… Aber da sind ja auch genug Weiber, die noch einen abkriegen wollen auf ihre alten Tage. Und wenn der Kurt dann so sportlich daher kommt. Dat is ja ne ansehnlicher Kerl, is dat immer noch…“
„Oh nee, Marianne, getz wird mir ganz schlecht!“, wimmert Helga.
Während Marianne noch mal nachschüttet sagt sie:
„Aber die Suppe werden wir ihm schön versalzen, mein Täubchen“, und zwinkert Helga verschwörerisch zu.
„Prost, Helga!“
„Prost, Marianne!“
Und so sitzen die beiden mittelalten Damen noch geschlagene dreieinhalb Stunden zusammen und prosten sich zu. Die Stimmung wird immer besser, es wird viel gelacht und gekichert, besonders hämisch. Der Likör neigt sich. Es werden hochfliegende Pläne geschmiedet. Vom entwerteten Zugticket über gefakte Krankheiten bis hin zu detektivischer Überwachung ist alles drin.
In der beginnenden Dämmerung torkelt Helga befriedigt nach Hause, und fällt dort sofort in Bett und Schlaf. In der Nacht muss sie pinkeln und taumelt auf die Toilette. Neben ihr im Bett schnarcht Kurt den Schlaf der Gerechten. Sie entbietet ihm kämpferisch die Faust, dann geht sie kotzen.
Das junge Mädel besprüht ein weiteres Papierstreifchen, wedelt damit durch die Luft und reicht es dann Kurt.
„Probieren Sie mal dies hier. Ein besonders männlicher Duft. Von Boss…“
Kurt, der sich jetzt schon durch diverse Düfte geschnuppert hat, will am liebsten nur noch raus aus der Parfümerieabteilung dieses Kaufhauses, die so unverfänglich wirkte. Eigentlich ist seine Nase schon dabei sich zu übergeben, aber die junge Verkäuferin hat halt auch einen guten Riecher; nämlich dafür, einem unbeholfenen Opfer ein möglichst teures Wässerchen anzudrehen.
Während sie registriert, dass Kurt eigentlich schon den Rückzug antreten will, rüstet sie sich für einen letzten gezielten Angriff. Sie greift zu einem Fläschchen Armani, hält es sich wie einen Dolchstoß in die Magengegend, erhebt einatmend die Brust und flackert mit den Augenlidern, als bereite sich ein epileptischer Anfall vor. Dann tritt sie sehr sehr nah an ihn heran, darauf achtend, dass ihre Seidenbluse und ihr Geruch ihn berühren, und reißt die Augen soweit auf, wie ein Kaninchen, das zu spät erkennt, dass die Erstarrungstaktik auf der Bundesstraße alles andere als schlau ist… Während sich ihr Gesicht dem seinen nähert haucht sie im Erotikmodus:
„Ich begehe einen Verrat an unserem Geschlecht… Aber dies ist der Geruch, dem keine von uns je widerstehen konnte.“ Und mit diesen Worten und einem schmachtenden Blick sprüht sie Kurt das Wässerchen von Armani direkt in den Nacken. Kurt ist völlig verwirrt und handlungsunfähig. Daher schaltet sein Hormonsystem, wenn auch stotternd auf Autopilot. Während ihm das junge Ding das Fläschchen vor die Nase hält und ihn einladend anstrahlt, greift seine Hand danach, und seine Fantasie nach dem Körper der jungen Dame. Fremdgesteuert lässt er sich von dem Mädel zur Kasse führen, die den Blick- und Körperkontakt haltend säuselt: „KOMMEN SIE, ICH stelle IHNEN das EAU DE TOILETTE direkt hier an die Kasse.“ Dem Kassierer zublinzelnd schert sie schnell ein „Einmal das Aqua von Armani!“ heraus, strahlt noch mal in Richtung Kurt und ist verschwunden.
Der junge gelgestylte Kassierer blickt anerkennend auf Kurt:
„Supergute Wahl, Mann. Das töfft!“ Tänzelnd scannt er den Preis. 89,00 Euro. 89,00 Euro! Kurt wird übel. So viel Geld für ein Fläschchen Rasierwasser?! Wie betäubt zieht er sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Er starrt hinein.
„So… soviel Geld habe ich jetzt gar nicht dabei“, stottert Kurt. Dann ein Geistesblitz:
„Legen Sie mir das zurück, dann hole ich es morgen ab“, sagt Kurt zu dem Kassierer und schwört sich, dieses Kaufhaus nie wieder zu betreten.
„Äh, nee, ich hab das schon gescannt… Nehmen Sie doch einfach die Karte!“
Resigniert gibt ihm Kurt die EC-Karte. Was hat ihn denn nur geritten? 89 Euro! Mein Gott, nichts wie raus aus dem Laden!
Prinz Charming von der Kasse reicht ihm das Plastiktütchen mit dem winzigen Päckchen, ruft:
„Und tschüssi! Schönen Tag noch!“, und richtet die Aufmerksamkeit auf seine Fingernägel.
Kurt steuert benommen auf den Ausgang zu. Ungläubig schaut er immer wieder auf die kleine Plastiktüte in seiner großen Hand. Es ist ihm unbegreiflich, wie es dazu hat kommen können. Auf dem Weg zurück ins Büro nimmt er das Duftwässerchen aus der Tüte, steckt es in seine Manteltasche und wirft die Tüte in einen Müllbehälter. Davon darf Helga nichts erfahren! So eine Geldverschwendung! Er wird die Flasche erst einmal im Schreibtisch lassen.
Während die Kollegin Gruber, eine flotte Vierzigjährige, ein paar Akten bringt und sich neben ihm über den Schreibtisch beugt, um einen Sachverhalt zu erläutern, schnuppert sie zweimal und nickt Kurt dann anerkennend zu:
„Guter Geschmack, Kurt! Armani. Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Winkend verlässt sie sein Büro.
Wenig später müht sich Kurt auf der Toilette mit Wasser und den grauen Papiertüchern ab, um den Armani von seinem Nacken zu entfernen…
Abends. Zuhause bei den Driebachs. Nachdem Helga sich und ihren Kurt mit Königsberger Klopsen abgefüllt hat, und Kurt auf Sport1 irgendwelche Dart Tuniere verfolgt, untersucht Helga im Flur die Jacke ihres Gatten auf irgendwelche geheimen Zettel, Adressen, Liebesbriefe und scannt sein Handy, dessen Akku mal wieder leer ist. Sie schnuppert mit gerunzelter Stirn. Jetzt hat sie den Kragen der Jacke fest im Griff und saugt missmutig den Parfümgeruch ein. Die Jacke über dem Arm kommt sie ins Wohnzimmer marschiert:
„Sach ma, wat stinkt deine Jacke denn so?“, herrscht ihn Helga an.
„Meine Jacke…“, antwortet Kurt verdattert.
„Ja, deine Jacke! Riecht wie im Puff“, geifert Helga, ohne je in einem gewesen zu sein, und hält Kurt den Kragen unter die Nase. Kurt schnuppert und riecht… Armani! Obwohl er rote Ohren bekommt, kommt ihm auch sofort die Lösung:
„Ach das! Das ist das neue Herrenwässerchen von Kollege Fröbe“, sagt Kurt mit einer abwehrenden Handbewegung. „Irgendson sauteures Zeug, mit dem er sich eingesprüht hat, und dann hing sein Mantel neben meiner Jacke. Leute gibt’s!“ Kopfschüttelnd konzentriert er sich wieder auf den Fernseher, und ist damit voll in der Verdrängung, und das erste mal dabei, seiner Helga frech in den Rücken zu lügen.
Der Kurtermin rückt näher. Mittlerweile ist ein neuer Koffer gekauft. Kurt freut sich und frohlockt. Helga dreht am Rad. Mittlerweile hat Helga die superteuren Laufschuhe unterm Bett und die Abbuchung für’s Armani auf dem Konto entdeckt. Mittlerweile telefoniert sie täglich eine Stunde mit Marianne. Ohne geht nichts mehr. Mittlerweile ist sie ganz sicher, dass Kurt in der Kur auf Brautschau geht. Die Unterlagen des Kurheims reden von drei Wochen Kontaktsperre nach Hause, um den Kurerfolg nicht zu gefährden!
Helga ist mittlerweile vormittags auf Kirschlikör, tagsüber auf Tavor und nachts auf Horror. Helga wird von Träumen gequält, in denen sich junge Mädchen (eins heißt Nici) auf dem Schoß ihres Mannes räkeln, Träumen, in denen er ihr Bild zerreißt: einmal, zweimal, dreimal, zigmal, immer und immer wieder, in denen ein Sturm die Fetzen verwirbelt und Helga bemüht ist, alle Fetzen in ein Tüte einzusammeln, die aber ein großes Loch im Boden hat. Träume, in denen sie hinter ihrem joggenden Mann herkeucht und ihn rufen will, aber sie hat keine Stimme und der Abstand zwischen ihnen wird größer und größer…
Kurt hat sich ein Smartphone gekauft! Wäre ein supergünstiges Angebot gewesen. Da ist auch ein Navi drin; wenn er mal wandern gehen will. Und man kann damit ins Internet und Fotos machen. Kurt und ein Smartphone!
„Wat kostet dat denn im Monat?“, fragt Helga.
„Ach, dat kostet mich fast garnix. Dat geht zusammen mit unserm Fernsehn und dem Festnetz. War ein Spezialangebot. Dat Handy gab’s für 19,99 dazu.“
„Ja Kurt, wir ham doch noch nie so’n Smattphone gehabt. Brauchen wir doch gannich. Und du, du telefoniers doch sowieso nich.“
„Ja, Häsken, da kann ich dich dann abba vonne Kur aus anrufen. Un ich kann dir Fotos auffen Rechner schicken!“, begeistert sich Kurt.
„…abba abba ich komm doch gannich zurecht mit dem Rechner…“
Kurt daddelt weiter an seinem Smartphone.
„Du kommst abba spät heute, Kurt!“
„Ich war noch wacker beim Friseur.“
„Ach ja?“, sagt Helga und kommt näher, um den neuen Haarschnitt zu begutachten. Sie runzelt die Stirn, das ist nicht Kurts üblicher Nachschnitt. Irgendwie ist ihr sein Aussehen fremd. Ihm durch die Haare fahrend fragt sie: „Hat der den Kopp nich gewaschen?
Dat fühlt sich noch janz fettich an?“
„Ach was“, wehrt Kurt ab, „dat is Haarwachs. Dat muss so. Machen getz alle.“
Später sieht Helga durch den Türspalt, wie Kurt vor dem Schlafzimmerspiegel posiert und den Bauch einzieht. Immer und immer wieder.
Nur noch sechs Tage! Kurt hat begonnen zu packen. Da fasst Helga einen Entschluss. Sie greift nach Handtasche und Geldkarte und startet in Richtung Stadtmitte.
Mit grimmigem Blick sitzt sie in der Bahn. In der Innenstadt verlässt sie die Bahn wie eine Walküre auf dem Ritt in die Schlacht. Tata tatata tata tatata ta ta tatatata!
In der sogenannten Sportarena schnappt sie sich entschlossen einen jungen Verkäufer:
„Hier, junger Mann! Diese Schuhe brauche ich noch mal eine Nummer kleiner!“ und damit hält sie dem jungen Mann die Nike Superrunnar Gold unter die Nase.
„Wow, gute Wahl“, sagt der junge Mann, „sauteuer, aber jeden Euro wert.“ Und damit entschwindet er, um kurz darauf mit einem Lächeln und den Schuhen wieder aufzutauchen.
Helga schnappt sich die Schuhe, bezahlt und zieht weiter.
In der Parfümerieabteilung probiert sie diverse Damenparfüms der unteren Preisklasse. Jetzt sehen wir sie mit einem Spühfläschchen Maiglöckchenparfüm hantieren. Sie schnuppert, verzieht angewidert die Nase, nickt befriedigt und geht zur Kasse.
In der Kosmetikabteilung ersteht sie noch ein Kinderduschgel mit Erdbeeraroma, ein paar Rasierklingen …..
Zum Schluss betritt Helga in einer kleinen Seitengasse einen Scherzartikelladen der außerhalb der Karnevals- und Sylvesterzeit fast nur von kichernden Schulkindern aufgesucht wird. Drinnen ersteht Helga noch Juckpulver und Schrecktinte.
Danach fährt sie nach Hause, ein breites Grinsen auf allen vier Backen, telefoniert anschließend kichernd mit Helga und ist den restlichen Tag über die brave Hausfrau.
Nachdem Kurt sich am nächsten Tag zur Arbeit verabschiedet hat, greift Helga zum Telefon:
„Marianne, er is getz wech. Komm wacher!“
….
„Ja, mach ich. Ich hab uns auch schon ein Fläschken Prosecco kaltjestellt“.
….
„Jau, hihi, bis gleich, Marianne. Tschüssi.“
Im Wohnzimmer hat Helga gerade Kaffeetassen, Sektkelche und belegte Brötchen auf den Tisch gestellt. Frischer Kaffeduft zieht durch die Wohnung, da klingelt auch Marianne schon an der Haustür.
„So, Helgachen, getz lass uns ma anstossen und frühstücken, und dann nix wie [ran] anne Arbeit!“
Verschworen prosten sich die beiden Damen zu. Beim kurzen Frühstück wird gegibbelt und gelacht.
„So“, sagt Marianne, indem sie sich über den Mund wischt und dann die Ärmel ihrer Bluse hochkrempelt, „nix wie ran annen Feind!“
Helga und Marianne zerren den schweren Koffer aus dem Flur, und hieven ihn stöhnend auf den freigeräumten Couchtisch. Mit in die Seiten gestemmten Armen steht Marianne vor dem geöffneten Koffer:
„Nur, dat wir dat nachher auch wieder so da rein packen.“
„Nä, is schon klar.“
„Wann wird dat Jepäck denn abjeholt?“
„Morgen Nammittach.“
„Na denn, ma los!“
Die Beiden wühlen zunächst nach den Nike Roadrunner Gold Stars, in die Kurt sorgsam seine Socken gestopft hat. Behände werden die Socken aus diesen Schuhen hinaus, und in die etwas kleineren Nike Roadrunner Gold Stars gestopft.
„Diese hier bring ich gleich innen Keller“, sagt Helga.
Marianne wühlt weiter.
„Oh, lala. Ist das seine neue Badebüx? Da kommter ja nur mit nem Schuhanzieher rein!“
Mit diesen Worten hält Marianne die Adiddas Badehose in die Luft.
„Selbst schuld, wenn die dann platzt!“, kontert Helga und trennt mit einer Rasierklinge ein Stückchen der Naht auf.
„So! Weiter.“
Die beiden engen Leibchen werden innen ausgiebig mit Juckpulver bestreut. Ebenso die enge Lycra Radlerhose.
Das neue schicke Sportshirt bekommt einen unschönen Fleck mit Schrecktinte.
Zum Schluss durchwühlen die beiden Kurts Kulturbeutel. Richtig! Da ist auch schon das teure Duftwässerchen.
„Un ich guck immer nach de Sonderangebote beim Aldi! Schnief. Und der Kurt schmeißt dat Geld einfach so raus…“
„Gib her!“, kommandiert Marianne und eilt mit dem Armani ins Bad. Sie schraubt den Sprühknopf ab, ergießt den Inhalt (89 Euro!) ins Klo und spült mehrmals ab.
„Helga!“, ruft sie aus dem Bad, „komm getz ma mit dem Maiglöckchenzeugs!“
Dann wird „Armani“ mit Maiglöckchen aufgefüllt und wieder verschlossen.
„Damit riecht er dann wie ne Schwuchtel!“, lacht Marianne.
Das gibt Helga dann aber doch einen Stich ins Herz. Marianne, die ihre Freundin schwanken sieht, hebt drohend die Hand:
„Denk an die Weiber, Helga! Guck dir mich an. Dat geht ruck zuck, dann ham die dir den Kurt abjeluchst!“
Helga fügt sich.
„Dat Duschgel tauschema einfach aus. Dann denkt der Kurt, er hat sich vergriffen. Wenma dat ins Klo kippen, schäumt dat noch nächste Woche! Fertig!“
„Fertig!“, sagt auch Helga und nickt.
Die Beiden räumen den Koffer wieder ein und hieven ihn zurück in den Flur.
Dann setzen sie sich noch auf ein Sektchen an den Tisch.
„Wann sachse holt die DHL den Koffer?“
„Morgen Nammittach.“
„Prösterchen, Helga!“
„Prösterchen, Marianne!“
Kurt ist gut in der Kur angekommen. Nach einer kurzen Begrüßung und einem Rundgang durch’s Haus bekommen alle die Anweisung, sich an diesem Abend zu Hause noch einmal zu melden und dann die zehntägige Kontaktsperre einzuhalten.
„Ja, Kurt, bisse denn jut anjekommen?“
…
„Wie is denn dat Wetter da unter?“
…
„Watte nich sachst! Hasse denn nen schönet Zimmer, ja?“
…
„Wird schon Kurt, wird schon… Ja, dat mach ich. Ja Kurt. Dann ne schöne Kur, nich. Tschökes!“
„Nen schönen Gruß vonnem Kurt soll ich dir bestellen, Marianne.“
„Ja, schönen Dank.“
„Klang gasnz aufjekratzt, der Kurt. Janz begeistert war er.“
„Kopf hoch, Helga!
Dat gibt sich von janz alleine.“
„Jo, dat gibt sich…“
„Tatort, Helga?“
„Tatort!“
Und damit verlassen wir Helga und Marianne, die es sich mit Schampus und Pralinen, Lachsschnittchen und Kaviarcräckern (alles vom Umtausche der verbliebenen Nike Roadrunner Gold Star finanziert) vor dem Fernseher bequem gemacht haben und
… lassen den Dingen ihren Lauf.
Nein! Nein, nein! Sie werden jetzt NICHT mal eben den Kurt auf seinem IPhone anrufen und vorwarnen! Lassen Sie uns den Spaß und lesen lieber weiter.