Er schlug den kurzen Weg weiter zur Burg ein, die mit ihren Türmen wie eine Hirtin über ihre Herde wachte. Im Gegensatz zu anderen aus dem Kleinadel hatte Trigon eine Kammer direkt zwischen den Schlafgemächern des in Liskia gastierenden Hochadels beziehen dürfen. Das lag aber weniger an seiner Arbeit als Ritter, sondern der als Magier. Solche gab es nicht oft und dementsprechend gross war seine Verantwortung.
„Willkommen zurück, Herr Trigon“, begrüsste ihn der junge Geoffrey Trath am inneren Tor.
Trigon wusste nicht viel über Geoffrey, nur dass er der Assistenz-Befehlshaber der Stadtwachen war. Das und dass der blonde Bursche mit den vielen Sommersprossen ein perfektes Abbild seines Vaters abgab und es seltsam war, dass er auch dessen westlichen Namen übernommen hatte und nicht den seiner reichen, mittländischen Mutter. Es musste wahre Liebe sein, wenn eine Darke mit kleinadeligem Stammbaum ihren Kindern den Namen eines eingewanderten Mannes schenkte.
„Guten Tag, Geoffrey“, grüsste Trigon ebenfalls.
„Ich hörte, Eure und Frau Gianes Begegnung mit dem Untier sei gut verlaufen“, sagte der Bursche auf einmal. Trigon war erstaunt, dass er es bereits wusste. Ihre Truppe hatte auf dem Weg von den Ställen her besonders geschwätzig sein müssen. Das, oder Geoffrey nahm alleine durch Trigons Anwesenheit an, dass alles gut verlaufen war. Wie hätte es auch anders sein sollen? Trigon war der gelobte Magier und langjährige Ritter Liskias.
„Vorerst, a-aber … die Vorfälle müssen insgesamt noch g-genauer untersucht werden.“
Geoffrey beugte sich so weit vor, dass nur sein Speer ihn daran hinderte, nicht vornüber zu fallen.
„Denkt Ihr, dass da ein Zusammenhang besteht, Herr Trigon? Ihr müsst wissen, ich bin mit Zahlen sehr gut und könnte die Wahrscheinlichkeiten berechnen.“
Trigon schauderte beim Gedanken daran, dass die Schemen, die in verschiedenen Ecken ihres Landes aufgetaucht waren, alle – von ihrem Ursprung im Yarr abgesehen – die gleiche Quelle haben könnten. Er hatte selbst schon darüber nachgedacht, diesen Gedanken aber wieder abgeschüttelt. Es würde eine Erklärung geben.
„Guten Abend, Geoffrey. Ich muss leider bereits weiter“, log Trigon und betrat den Burghof. Auch im Innern der Burg waren noch Leute unterwegs, teils mit alten Aufgaben beschäftigt, teils bereits für den nächsten Morgen planend. Trigon wich ihnen möglichst aus auf seinem Weg nach oben.
Sein Gepäck stand schon da, als Trigon in seine Kammer trat, und auch eine Laterne war für ihn entzündet und auf der Kommode neben seinem Pult platziert worden. Man wusste, dass er pflegte, seine Berichte möglichst bald nach Ankunft zu schreiben.
Mit einem Seufzer zog Trigon sich seinen Reisemantel und die Stiefel aus, ehe er sich an den Tisch setzte. Seine Gedanken über die vergangenen Tage verblassten vorübergehend, als er bemerkte, dass jemand ein Buch auf dem Pult platziert hatte. Es war keines aus Liskias eigener Sammlung, denn obwohl die Widmung auf der ersten Seite auf Ruilika war, kam das Buch Trigon nicht bekannt vor. Jemand musste es allein für ihn besorgt haben. Der Gedanke vertrieb die Kälte seines letzten Auftrages etwas.
Andächtig betrachtete Trigon die ersten Seiten dieses alten Fundstücks. Leider musste er bald feststellen, dass das Buch, wenn auch in der Sprache der Synten verfasst, nur wenig mit Magie zu tun hatte. Darin befanden sich keine Zaubersprüche, keine Beschwörungen und Flüche, nicht einmal Anweisungen für mentale und körperliche Übungen. Einer Person, die nicht in der Sprache geschult war, fiel das natürlich mit den wenigen Illustrationen nicht auf. Tatsächlich aber handelte es sich um ein Kochbuch.
Trigon schüttelte den Kopf und begann mit der Arbeit. Als kaum mehr Licht durch das kleine Fester seiner Kammer reichte und auch mit der Laterne die Schatten zu gross wurden, erhob er sich. Er richtete sein Haar ohne in den Spiegel zu schauen, und bereitete sich einen nicht gezuckerten Tee zu. Ihm standen ein frischer Krug Wasser und eine Tasse zur Verfügung. Den Rest hatte er aus eigener Kasse beigesteuert und sorgfältig in einem kleinen Kasten sortiert bereit gestellt. Trigon füllte das Tee-Ei zur Hälfte mit „Süsse Träume“ und zur Hälfte mit „Göttliche Ruhe“, die unter anderem kleine Apfelstücke, Brombeerblätter, Holunder und viel Lavendel beinhalteten. Er war erschöpft und noch lange nicht fertig mit der Arbeit. Er würde nicht gut schlafen können, aber der Tee gab ihm Hoffnung, doch bald die Augen zu schliessen und morgen halbwegs erholt den Bericht beenden zu können. Als das Tee-Ei bereit war, berührte Trigon das Wasser mit seinem Zeigefinger. Feuerzauber waren keine seiner Spezialitäten. Dafür war sein Körper nicht ausgerichtet. Er konnte aber Wärme erzeugen und so mit etwas Geduld kleine Dinge erhitzen. Für einen Tee reichte es.
Auf einmal klopfte es an der Tür. Trigon öffnete den Mund, aber da hatte sich sein Besuch trotz der späten Stunde schon selbst hereingelassen. Trigon lächelte, als er Ugos’ rundes Gesicht erblickte.
„Willkommen zurück, mein Junge“, grüsste Ugos und klopfte ihm auf die Schulter, ehe er sich auf das Bett setzte und laut Luft holte. „Ich hörte, dass dein Auftrag ein voller Erfolg war! Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte, aber es ist doch immer wieder schön, dich wohlauf hier zurückzuhaben.“
„Guten Abend, Ugos“, wünschte Trigon. „N-Natürlich ist es immer auch für mich … schön, dich und die anderen sehen zu dürfen. Das war aber mein letzter Auftrag dieser Schicht.“
Ugos richtete erst die Mütze seines Nachtgewands, die sein graues, lockiges Haar zurückhielt, dann die Brille.
„Gewiss. Du hast dir Ruhe verdient nach diesem weiteren guten Dienst im Namen Darkeens. Wie findest du das Buch? Ich habe es an einem Markt in Larne ergattern können. Ein Original direkt noch aus Ruija!“
Trigon wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte, weswegen er sehr langsam nickte.
„Es ist ein sehr hübsches Buch. … danke. Ich kam leider noch nicht dazu, e-es hm … genauer anzusehen. Eigentlich w-war ich schon auf dem Weg ins Bett.“
„In der Tat, das verstehe ich natürlich. Auch ich war schon beinahe bereit für die Welt der Träume, aber als ich hörte, dass du wieder da bist, musste ich mich doch noch kurz persönlich bei dir melden. Es war ein langer und anstrengender Tag, da ein ganz spezieller Heiler zu Besuch war, um sich die Situation des Königs genauer anzuschauen. Da war die Königin natürlich sehr angespannt und ich wollte ihr umso mehr Arbeit abnehmen. Richtest du deiner Familie morgen liebe Grüsse von mir aus? Wie geht es ihnen so?“
„Gut“, antwortete Trigon. Mehr fiel ihm nicht ein. Aber der Berater der Königsfamilie schien sich daran nicht zu stören.
„Dein Schwager muss bestimmt schwer mit de Organisation der Ernte beschäftigt sein, nicht wahr? Und die werte Ankidria? Wann noch einmal wird das neue Kind euch begrüssen?“
„Die Hebamme schätzt es auf Ende Jahr ein. Höchstens in die ersten Tage des Frühfrühlings hinein“, erzählte Trigon und konnte dabei wieder entspannter dastehen.
Ugos beugte sich vor. Er klopfte ihm erneut auf die Schulter und mit der zweiten Hand zusätzlich auf den Unterarm. Dabei wirkte er … stolz.
„Gratulation schon jetzt dazu, mein Junge. Mit etwas Glück wird es wieder ein Mädchen. Vielleicht kommt es sogar am Geburtstag unserer Prinzessin Lia auf die Welt, das wäre doch schön. Es wäre dein fünftes Kind? Ihr seid fleissige Eltern, das muss man dir und Ankidria lassen. Also für mich selbst wäre das nichts, aber ich freue mich natürlich sehr für euch.“
Selbst wenn Trigon gewusst hätte, wie er Ugos unterbrechen konnte, hätte er es nicht hingekriegt. Die Worte kamen so schnell und sobald er sie verarbeitet hatte, musste er bereits die nächsten verstehen. Es war ihm nach der langen Reise und dem ernsten Auftrag nicht so angenehm, obwohl er Ugos sonst mochte.
„Wir ähm … A-Also eigentlich sind wir gar nicht … fleissig. Gäa scheint es lediglich unerwartet gut mit uns zu meinen“, nuschelte er letzten Endes.
„Und das sollte sie auch! Eine jede Seele wird es bei jemandem wie dir als Vater sehr gut haben“, behauptete Ugos und liess ihn endlich los. Er verneigte sich kurz. „Aber ich will dich nicht weiter stören, als Vater und vor allem Ehemann musst du schliesslich beinahe genauso fit sein wie als Ritter und Magier! Schlaf gut und erzähl mir bei deiner Rückkehr, wie du das Buch fandest!“
„Ähm … sicher, g-gute Nacht auch dir!“
Als die Tür ins Schloss fiel, fühlte sich Trigon jäh so erschöpft, dass er den Tee gar nicht mehr benötigte. Er stellte ihn fürs Frühstück zur Seite, entkleidete sich und löschte die Laterne. Trotz Liskias weissem Gemäuer konnte Trigon düstere Figuren an den Wänden sehen und seine Gedanken wanderten zurück zu diesem letzten Auftrag und auch allen davor. Er fühlte sich unwohl und einsam. Aber Morgen. Morgen schon würde er wieder in Lichtrain sein, dem einen Ort, an dem ihn weder die Schemen des Landes noch die in seinem Innern erreichen konnten.