Gestern hatten wir eine Meise.
Ja, wir sind mitunter etwas schräg, vielleicht non-konform, aber so weit, zu sagen, dass einer von uns eine Meise habe, würde ich normalerweise nicht gehen.
Gestern war es anders.
Auf der Gartenliege liegend höre ich im Halbschlaf die genervt, aber liebevoll beschwichtigenden Worte meines Mannes, die er an unsere graugetigerte Katze Günes richtet.
Wahlweise Pupsi genannt.
Kurz drauf rast der Gemahl an mir vorbei in die Küche, in der noch der Karton eines Modelabels steht, das mir zuvor Bekleidung geschickt hat.
Mit dem Karton kommt er raus.
"Was ist los?" Ich blinzele ihn an der Sonne vorbei an.
"Günes hat ne Meise angeschleppt. Die ist aber noch fit. Nur mit dem Fliegen klappt es nicht so."
"Scheiße", schimpfe ich unschön und schwinge in den Rollstuhl, "Ich ruf' beim Tierarzt an, um zu fragen, wo wir die hinbringen können."
"Okay, mach."
Er verzieht sich in die Garage, wo er die Meise in den Karton verfrachtet, derweil ich rum telefoniere.
Wie soll ich das jetzt beschreiben, was folgte?
Wir telefonieren sage und schreibe 35 Minuten herum, nur um herauszufinden, ob und wo es eine Auffangstation für Wildtiere gibt.
Das gestaltet sich gar nicht so leicht.
Der Tierarzt gibt uns eine Nummer, witzigerweise bei uns im Ort, aber da geht keiner ran.
Der Verein zur Rettung von Schwalben und Mauersegler verweigert die Aufnahme einer Meise, weil er für sie nicht zuständig wäre.
Der NaBu gibt uns immerhin zwei Telefonnummern, eine davon ist die, wo keiner ran geht.
Bei der anderen geht auch keiner ran.
Der Verein für Schutz von Wildtieren gibt an, dass sie nur für Tiere mit Fell zuständig sind.
Um Gefieder kümmert man sich nicht.
Der Verein Fell & Feder gibt an, dass sie nur für Nordrhein-Westfalen zuständig sind.
"Ach was? Ich sagte, ich bräuchte eine Adresse zwischen Köln und Düsseldorf. Was meinen sie denn, wo Köln und Düsseldorf sind?"
"Äh, ach so. Nein, wir sind hier in Westfalen."
"Ach so, ja danke. Das ist uns dann doch etwas weit."
Wir finden eine Greifvogelstation und erwägen, die Meise als Falke auszugeben, ahnen aber um die Erfolglosigkeit dieses Unterfangens.
Unterdessen versorgt der Gemahl die Meise mit Körnern und Wasser, von dem sie beides nimmt. Den Schock scheint sie überwunden zu haben, nur mit dem Fliegen will es nicht klappen.
Aber richtig üben lassen können wir sie auch nicht, weil drei hyperaktive, adrenalingesteuerte Katzen im Garten ausflippen.
Sich gegenseitig jagen, fauchen, die Bäume herauf und wieder herunter kraxeln und das Papier aus dem Karton, in dem nun die Meise weilt, in der Küche zu Konfetti zerlegen.
Die wissen genau, was Sache ist.
Sie warten förmlich darauf, dass einer von uns vergißt, die Garagentüre zu schließen.
"Und wenn wir die Meise in den Zoo bringen", frage ich stirnrunzelnd.
"Besser nicht. Nachher endet sie noch als Schlangenfutter.
Am Ende ging doch einer ans Telefon.
Wir brachten die Meise in ihrem Karton in eine circa 30 Kilometer entfernte Tierrettungsstation, wo wir wohlweislich verschleierten, dass es unsere Katze war, die den Schaden verursacht hatte.
Als wir zurück kamen, schliefen die Katzen.
Im Garten, auf der Wiese, vor der Garagentür.