Schwarmintelligenz kennen alle, oder?
Aber wahrscheinlich ist es unbekannt, dass es auch das Gegenteil davon gibt, namentlich die Schwarmblödheit.
Um das an einem Beispiel zu erklären, entführe ich den geneigten Leser in den August 2020 am Thyrrenischen Meer zwischen Rom und Neapel.
Dort, am Rande der pontinischen Sümpfe, ist es heiß und luftfeucht, und obschon ich nicht das geringste von Meteorologie verstehe, vermute ich, dass dies die Idealvoraussetzungen für Wetterphänomene sind.
Wir liegen da so herum, es ist Mittag und den Frühsport haben wir bereits absolviert.
Der Frühsport?
Wir pflegen immer gegen 10 Uhr am Strand anzukommen, einen Cappuccino zu trinken, die Mietliegen zu bestücken und eine Stunde zu schwimmen. Möglichst dergestalt, dass wir kein Wasser in den Mund bekommen, das zusammengenommen mit der Crema de Café Brechreiz auslöst.
Hiernach pflegen wir den italienischen Sommer einheimisch.
Also ausschließlich mit Herumliegen und Lesen.
Ausflüge sind nicht im Programm, die sind anderen Touristen vorbehalten, also denen, die bei 36 Grad und einer tatsächlichen Luftfeuchtigkeit von 87 % durch Pompeji wanken wollen. Das meint, wir sind hier am Meer die einzigen Deutschen. Die anderen straucheln durch die Sehenswürdigkeiten und kollabieren. Manche wundern sich auch, dass Rom so leer ist, als würden die Römer im August nicht schon seit mehr als 2000 Jahren aus ihrem Moloch fliehen. Wir liegen hier zwischen ihnen und denken, wie sie
gegen Mittag ans Essen. Bereits so assimiliert, dass wir nicht frühstücken, hängt uns der Magen in den Kniekehlen. An fünf von sieben Tagen torkeln wir mit verkohltem Hirn neben den Einheimischen hoch ins Restaurant an der Straße, um dort etwas Warmes zu essen und dabei Wein zu trinken.
Das macht man da so.
Aber für heute lassen wir uns alle das Essen bringen. Das meint, aus dem Centro kommt ein Wagen, der allen siebenunddreißig Gästen Nudelsalat und warme Gemüsepanini bringt.
Und Wein.
Unser Strandabschnitt ist durch einen etwa hüfthohen, sehr hübschen Holzzaun vom nächsten getrennt, an dem alle Mietliegen und Sonnenschirme blau-weiß sind. Direkt dahinter beginnt der Abschnitt eines neuen Pächters, dessen Mietliegen und Sonnenschirme rot-beige sind und so fort. Das zieht sich exakt so bis zur Amalfiküste im Süden und zum Monte Circeo, in dessen Nähe wir weilen, gen Norden.
Wir sitzen also auf unseren Liegen und essen mit dem Rücken gen Norden, als Guilia, auf der Liege neben mir, mit der Gabel plötzlich hinter mich weist.
„Guarda!“
Wir drehen uns speisend um.
Dort fliegt, mittig in einer Windhose, demzufolge in einem kleinen Tornado, ein beige-roter Sonnenschirm, also einer von drei Strandabschnitten nördlich von uns.
Er wirbelt und dreht sich wie der Tornado selbst, der exakt auf uns zuhält.
Dort, wo der Schirm aus der Verankerung gerissen wurde, sind schon alle Badegäste hoch in die Bar gerast.
Aktuell rasen alle Badegäste nebenan hoch in ihre Strandbar. Im Sand schwerfällig, schlappend, manche kreischend.
Nur wir sitzen da wie im Kino, essen und gucken.
Schwarmblödheit.
Höchstens entschuldbar mit der eindeutigen Kurve, die der Tornado mit Schirm hinaus aufs Meer macht.
Weit hinter der letzten Boje stürzt er ins Wasser.
Vorne laufen Gian-Luca und Daniele zum Tretboot, um den Schirm aus der See zu fischen.