Du bist Arthrax Sundergeer.
Du zuckst mit den Schultern. „Klingt schon irgendwie logisch.“ Immerhin bist du niemand, der vor einem Kampf flieht.
Gefolgt von Elred auf seinem falben Hengst kehrst du zu der Stelle zurück, wo ihr eure Pferde zurückgelassen hattet. Der Esel – euer Packtier – steht noch angebunden an dem Baumstamm und eure Ausrüstung, darunter die Sättel, befinden sich unverändert in ihrem Versteck unter einem Busch. Du sattelst dein Kaltblut, während Elred den Esel mit euren Vorräten belädt.
„Was ist unser Plan diesmal?“, fragst du den Elfen in dem Bemühen, deine harten Worte von früher wieder gut zu machen. Du hast immer noch ein schlechtes Gewissen wegen der Art, wie du dich von Brenna verabschiedet hast. Langsam beschleicht dich die Angst, dass du auf diese Weise alle deine Freunde verlieren könntest. Elred ist nun nicht wirklich das, was du dir als Freund aussuchen würdest – doch im Moment ist das Spitzohr alles, was du hast.
„Geschwindigkeit“, beantwortet der Elf deine Frage knapp, ehe er weiter ausführt (Elfen hören sich anscheinend gerne schwafeln): „Wir dringen ins Orkreich ein, solange man uns noch außerhalb sucht. Wir ziehen direkt nach Orkstadt und töten alle Orks, die uns sehen. Dann gehen wir direkt zum Orkkönig und fordern den Schöpferstein.“
„Hast du da nicht was vergessen?“, fragst du und deine alte Bissigkeit kehrt zurück. „Zum Beispiel die Zahlen? Wir sind zwei, da draußen sind hunderte von Orks.“
„Ja, aber die meisten versuchen ja wohl gerade, uns hier draußen aufzuspüren und zu töten“, gibt Elred zurück. „Sie sind wütend, weil wir so viele von ihnen erwischt haben, und rechnen damit, dass wir jetzt fliehen. Dass wir es auf den Schöpferstein abgesehen haben könnten, damit rechnen sie nicht. Sie ahnen nicht einmal, dass wir von ihm wissen. Das heißt, Orkland ist verlassen und der Stein entblößt. Wir haben fast freie Bahn bis zum Thron.“
„Und wenn die Orks merken, dass wir nicht mehr hier sind?“, fragst du wieder.
„Deswegen müssen wir ja schnell sein.“ Elred seufzt müde. „Komm, bist du soweit?“
Du kontrollierst ein letztes Mal deinen Sattelgurt und steigst dann auf. Elred lenkt seinen Falben voraus und bedeutet dir, ihm im Trab zu folgen. Inzwischen wird es Abend, die Dunkelheit bietet euch gute Deckung. Ihr überquert das freie Feld vor dem Wall und nähert euch einem unbeleuchteten Turm.
„Wo genau sind die Orks im Moment?“, flüsterst du leise. Denn du kannst die großen Suchtrupps, die es geben müsste, weder hören noch sehen.
„Schlafen“, sagt Elred und zuckt mit den Schultern. Er reitet als erster durch das Tor, du folgst ihm.
Dahinter entdeckt ihr die tausenden Orks, die euch eigentlich töten wollen: Sie haben riesige Lager aus Zelten errichtet, zwischen denen hunderte Fackeln wie Sterne leuchten. So weit du sehen kannst, ist die Dunkelheit innerhalb der Grenzen von Orkland von diesen Lichtern erfüllt.
Die meisten Orks schlafen tatsächlich, doch hier und da haben sich Gruppen von ihnen versammelt und jubeln mehreren Kämpfern zu, die sich in verschiedenen Kampfstilen messen. Elred wirft dir einen nervösen Blick zu, das Licht der Fackeln tanzt über sein längliches Gesicht.
„Schöne Scheiße“, sagst du.
„Wir müssen da durch. Am besten, wir verhalten uns einfach ruhig und reiten.“
„Du willst da durch?“, fragst du entgeistert. Wie oft wirst du im Laufe des Abenteuers eigentlich noch dazu gebracht, an dem Geisteszustand des Elfen zu zweifeln?
„Wir reiten durch die Schatten“, meint Elred, als wäre das die leichteste Sache der Welt.
Du schüttelst den Kopf, aber Elred reitet bereits weiter. Wenn du noch mit ihm reden willst, müsstest du schreien – und das willst du nicht, so nah an den unzähligen Orks.
Also folgst du dem Elfen in das Lager hinein, über einen schmalen Pfad zwischen den Zeltreihen hindurch. Obwohl auf den ersten Blick Chaos herrscht, hast du das Gefühl, dass die Zelte immer wieder Gruppen und Kleckse bilden, als ob die Orks sich nach Stammeszugehörigkeit aufgeteilt haben. Im Inneren der größeren Kleckse befinden sich häufig die Kampfplätze, wo die Orks ihre Krieger anfeuern.
Es ist eine der unheimlichsten Reisen deines gesamten Lebens. Du folgst Elred zwischen den Zelten hindurch, hältst dich genau wie der Elf im Schatten jenseits der Fackeln und betest, dass dein Reittier keinen Lärm verursacht. Jedes Mal, wenn an einem Kampfplatz Geschrei aufkommt – etwa, wenn einer der Orks über seinen Gegner triumphiert und die Zuschauer sich nach vorne drängen, um selbst an die Reihe zu kommen – zuckst du zusammen.
Deine Nervösität überträgt sich zu allem Überfluss auf deinen Hengst, der bald ebenso schreckhaft zuckt wie du. Wenn Elred nach hinten blickt, schüttelt er den Kopf über deine Reitfähigkeiten.
°°°
Ihr habt vielleicht die Hälfte, vielleicht weniger der Strecke hinter euch, als plötzlich unmittelbar vor euch mehrere Orks auftauchen. Sie strömen aus einem Zelt wie Ameisen aus ihrem Bau und stoppen abrupt, als sie die beiden Reiter auf dem Weg bemerken. Einer der Orks bellt etwas in einem kehligen Dialekt der Orksprache. Alle Orks – insgesamt neun – ziehen ihre Waffen.
Du hörst ein leises Zischen. Einer der Orks taumelt und stößt ein hohes Quieken aus. Elred legt bereits einen zweiten Pfeil auf die Sehne, während du noch nach deiner Axt tastest. Dein Reittier legt die Ohren an und macht zwei Schritte nach hinten. Du stößt ihm die Fersen in die Seiten und treibst das Kaltblut an, zückst deine Axt und reitest direkt auf die vordersten Ork los. Der erste stößt mit einer Lanze oder einem Speer nach dir. Du lehnst dich zur Seite und entgehst dem Angriff, nur, um dem Ork deine Axt in den Schädel zu treiben. Der nächste Angreifer hantiert mit einem Morgenstern, doch dein Pferd rennt den Ork über den Haufen, bevor er angreifen kann. Den nächsten Angriff siehst du nicht kommen, doch zu deinem Glück schießt der Ork mit der Armbrust an dir vorbei. Deine Aufmerksamkeit wird auf einen großen Ork mit Schild und krummem Kurzschwert gelenkt, der sich auf einen etwas freieren Platz zwischen den Zelten zurückgezogen hat und dich anknurrt. Während der Ork mit der Armbrust taumelt und fällt, einen Pfeilschaft in seinem Hals, reitest du auf den Ork mit dem Schild zu und lässt die Axt herabsausen. Der Ork reißt den Schild hoch, der Aufprall deiner Waffe auf dem Holz bringt dich leicht aus dem Gleichgewicht. Doch für den Ork reicht das aus: Als du dich zurück in den Sattel schwingen willst, den Schild dabei zum Abstoßen nutzend, gibt der Ork nach und du fällst reichlich unelegant in den Matsch. Mit zwei Schritten ist der Ork über dir, den Schild hat er weggeworfen. Er hebt das Schwert mit beiden Händen und lässt die Klinge auf dein Herz zurasen. Du bringst die Axt im letzten Moment zwischen euch, Stahl klirrt auf Stahl. Jetzt lehnt sich der Ork knurrend über dich und legt sein ganzes Gewicht auf den Schwertknauf. Du kannst seinen fauligen Atem riechen, spürst den hitzigen Schweiß auf seiner Haut. Deine Arme zittern unter dem Gewicht. Die Schwertspitze kommt deiner Brust immer näher und näher.
Der Ork schreit auf und spuckt dir einen Schwall Blut ins Gesicht, bevor er zur Seite kippt. Du rollst zur anderen Seite und siehst einen Schatten, der auf dich zurast. Blitzschnell hebst du die Axt und das Blatt schneidet durch Fleisch und Leder, ein weiterer Ork stolpert heulend auf den Boden. Dann befindet sich ein Reiter vor dir: Elred!
„Schnell, auf dein Pferd!“, drängt der Elf. „Bevor die anderen nachsehen kommen, was los ist!“
Als du dich umsiehst, erkennst du, dass alle Angreifer tot sind. Doch mehrere Orks machen sich von den Feuerstellen aus auf den Weg zu euch. Eure einzige Hoffnung ist, dass sie euch nicht erkennen, ansonsten werden sie euch sofort vierteilen.
„Los schon!“ Elred führt dein Kaltblut am Zügel auf dich zu.
Du …
- … steigst auf und galoppierst mit Elred davon. Lies weiter in Kapitel 19.
[https://belletristica.com/de/books/20828/chapter/21241]
- … zögerst. „Wir sollten uns besser verstecken. Wenn wir reiten, erkennen sie uns!“ Lies weiter in Kapitel 20.
[https://belletristica.com/de/books/20828/chapter/21242]
- … zögerst und deutest auf die Rüstungen der toten Orks. „Ich hab eine bessere Idee.“ Lies weiter in Kapitel 21.