Wer kennt nicht dieses Phänomen, wenn du im Krankenhaus bist, geht es dir irgendwann so gut, dass du glaubst, Bäume ausreißen zu können. Dann bist du endlich zu Hause und allein der Weg vom Bett zur Toilette ist elendig weit, dass du es dir am Liebsten zweimal überlegtest, ihn zu gehen. Aber das geht ja leider nicht, da alles, was dem Körper zwecks Erhalt der Lebensfähigkeit zugeführt wird, früher oder später diesen wieder verlassen möchte. So schleppte ich mich mühsam von Ort zu Ort innerhalb meiner Wohnung.
Leider wurde das Wetter langsam immer herbstlicher und kühler, so dass der Balkon bedauerlicherweise keine Alternative mehr darstellte. Eingemummelt in eine weiche Decke starrte ich in die Flimmerkiste und nahm nicht wirklich wahr, wer wen gerade küsste oder spektakulär umnietete. Was schaute ich da eigentlich gerade? Aber auch das war mir eigentlich einerlei, denn es dudelte nur, damit es nicht still in meiner Wohnung war. So musste ich wohl trotz der unglaublichen Spannung der Handlung eingeschlafen sein.
„Hey, Kumpel, alles klar?“ Es war Giselmars Stimme, die mich weckte.
„Mhmm“, mehr brachte ich nicht zu Stande.
„Du musst mal was anderes sehen“, sprach er ungerührt weiter. „Es kann nicht angehen, dass du hier den ganzen langen Tag nur so rumhängst.“
Am liebsten hätte ich nun eine Augenbraue hochgezogen, tat es jedoch nicht, aber nur, weil ich es schlichtweg nicht konnte. Was hatte er nun wieder mit mir vor? Ich war doch zu nichts in der Lage? Na ja, abgesehen von atmen und sitzen. Doch schon kramte er an meinem Kleiderschrank, um mir seiner Meinung nach passende Kleidung rauszusuchen. Jeans, T-Shirt, Kapuzenshirt, Socken. Es war wahrlich auffällig unauffällig, denn auf SOS, Schlips Oberhemd Socken, hatte ich jetzt so gar keine Lust. Mit reichlich Mühe, die ich mir so nie vorgestellt hätte, zwängte ich mich in das Textil. Obwohl zwängen so gar nicht dem Geschehen entsprach, denn meine Kleider gingen quasi ohne mich spazieren, derart hatte mich das vergangene Ereignis ausgemergelt. Wenn ich es recht betrachtete, war es auch nicht weiter schlimm, da ich eh einige Pfunde hatte verlieren wollen, aber diese Methode war zwar sehr wirkungsvoll aber nicht unbedingt angenehm und wurde von Ärzten im Allgemeinen auch nicht als Methode der ersten Wahl befürwortet. Freundlicherweise half mir Giselmar mit den Schuhen, in die ich zwar aus eigener Kraft schlüpfen konnte, aber das Verschließen derselben stellte mich vor eine unüberwindliche Aufgabe. Mein Kumpel betrachtete sein Werk und es schien ihm zu gefallen, was er sah, denn er schob mich mit sanfter Gewalt aus der Wohnung hin zu seiner Sausmaus, wie er liebevoll seinen Kleinwagen nannte. Für mich war es nicht mehr als ein überdachter Rasenmäher, der einmal ein richtiges Auto werden wollte.
Als er mich auf den Beifahrersitz verfrachtet und angeschnallt hatte, schwang er sich hinter das Lenkrad und sauste, wie es einer Sausmaus ansteht, los. Erwähnte ich, dass ich Überraschungsausflüge hasste? Auch wenn mein Kumpel sie organisierte. Sichtlich genervt schaute ich ihn von der Seite an. Was soll ich sagen, gerne hätte ich Verachtung oder irgendetwas in der Art hineingelegt, aber eigentlich war mein Ausdruck nur gequält.
„Es wird dir gefallen. Ehrlich“, versuchte mich Giselmar zu beruhigen oder auch zu überzeugen. Keine Ahnung, welche Intention er tatsächlich hatte.
„Mhm“, brummte ich. Die gesamte Aktion war schon zu viel für mich und ich bemerkte die bleierne Müdigkeit, die mir in die Knochen kroch. Als wir auf die Autobahn fuhren und der Motor gleichmäßig schnurrte, war es mit meiner Aufmerksamkeit eh vorbei und ich nickte sang- und klanglos weg. Wie lange ich geschlafen hatte, kann ich nicht sagen, nur als ich erwachte, hatte sich die Gegend verändert. Wir fuhren durch eine Landschaft mit sanften Hügeln und dichten Wäldern. Wo waren wir bloß.
„Oh, gut dass du wach bist“, sprach mich Giselmar an. „Wir sind bald da.“
Wo auch immer da sein mochte, überlegte ich in meinem trägen Hirn. Mein Lächeln hätte müde sein sollen, aber es verunglückte zu einer peinlichen Fratze. So fühlte ich mich eben, also nicht peinlich aber irgendwie verunglückt. Angestrengt blickte ich hinaus, um mir bekannte Landmarken auszumachen. Jedoch gab ich ziemlich schnell ratlos auf, denn ich hatte wahrlich keinen blassen Schimmer, wo wir denn nun waren. Vermutlich im grandiosen Nichts. Einzig an den Nummernschildern und Straßenmarkierungen konnte ich erkennen, dass wir uns noch in deutschen Landen befanden. Ob dies gut war oder auch nicht, sollte sich wohl in naher Zukunft herausstellen.
Als das Motorengeräusch erstarb, ruckte ich irritiert auf. War ich etwa wieder weggenickt? Giselmar hatte seine Sausmaus geparkt und bereits den Zündschlüssel abgezogen.
„Ich melde uns eben an. Bin gleich wieder da.“ Dann war er auch schon ausgestiegen und stiefelte Richtung Gebäude. Es war mir reichlich suspekt, was hier geschah und warum man im Nichts angemeldet werden müsste. Träge sah ich aus dem Fenster und registrierte einige ziemlich aufgemotzte Fahrzeuge und auch den einen oder anderen Sportwagen. Einige der Fahrer warfen mir mitleidige Blicke zu. Woher wussten sie nur, dass es mir so dreckig ging. Doch dann wurde mir entsetzt gewahr, dass sie gar nicht mich, sondern vielmehr Giselmars Auto, Sausmaus, motorisierte Hutschachtel meinten. Noch ehe ich mir weiter darüber Gedanken machen konnte, stieg Giselmar wieder ein. Vorher hatte er natürlich noch huldvoll in die Menge gewunken und irgendwelche klugen Sprüche, ganz wie es seine Art war, von sich gegeben.
„Bereit?“ Fragte er nur.
„Wofür?“ Stellte ich die Gegenfrage.
„Na, für die Fahrt deines Lebens“, Giselmar grinste breit.
„Echt jetzt?“ Ich hatte keine Ahnung, was mich hier erwartete.
Sicher steuerte Giselmar die Sausmaus zu einer Schranke. Lies die Scheibe an seiner Seite herunter und schob eine Karte in den Automaten. Die Schranke öffnete sich, das Fenster schloss sich und Giselmar lenkte sein Fahrzeug auf die Strecke.
„Willkommen in der grünen Hölle“, sagte er nur zu mir und beschleunigte seinen Smart, der mit dem Logo einer bekannten Mittelalter Band ziemlich verwegen und extrem aussah.