Ende März fiel mir wieder die Gewinnbenachrichtigung mit der schönen Handschrift, an die ich tatsächlich gar nicht mehr gedacht hatte, in die Hände. Ach ja, ich sollte mir noch Kleidung herauslegen, damit ich am nächsten Tage angemessen gewandet wäre, um dann standesgemäß, was auch immer dies bedeuten sollte, abgeholt zu werden. Standesgemäß, herrje, seit wann war es eigentlich nicht mehr üblich, nach Ständen kategorisiert zu werden. Was waren das noch für Zeiten, als wir im Geschichtsunterricht die Stände, die damit verbundenen strengen Ordnungen, besprochen hatten. Eingedenk dieser historisch gewachsenen Bedeutung müsste ich am nächsten Tag mit einem Ochsenkarren oder etwas moderner mit einem Fahrrad abgeholt werden. Oder galt ich schon als Bürger? Aber das war ja strenggenommen kein Stand laut mittelalterlichen Ständeordnung. Mir wurde nun doch etwas mulmig zu Mute und ich überlegte mir, wie ich die zu erwartende missliche Lage am besten abmildern könnte.
Also war ich wieder bei der Kleidung angelangt, nicht dass ihr nun glaubt, dass sich meine Gedanken im Kreise drehten, weit gefehlt, nur wäre dies der notwendigen Logik folgend das Naheliegendste. So entschied ich mich für eine wenig ausgewaschene schwarze Jeans, da sie vom Stoff eher robust war und in schwarz ebenso edel wirken konnte, so war ich für die Eventualität einer etwas unkommoden Beförderung gerüstet, aber dennoch angemessen von meinem Beinkleide her. Ein weißes oder helles Hemd war natürlich selbstredend und so wählte ich eines der Leinenhemden mit Schnürung aus, falls ich mit einem offenen Gefährt abgeholt würde, damit ich nicht fröre. Mir fiel die Weste ins Auge, die mir auf einen der Märkte feilgeboten wurde und mich vortrefflich kleidete, so konnte ich einen modischen Crossover kreieren und wäre gewiss dem Anlass entsprechend und angemessen gekleidet.
Was fehlte noch? Gewiss, ein paar bequeme und dennoch robuste Schuhe, wer konnte schon wissen, ob meine Slipper nicht vollkommen fehl am Platze wären. So griff ich nach den hirschledernen Schnürstiefeln, die mir ein befreundeter Schuhmacher auf Maß und nach meinen Vorstellungen angefertigt hatte. Da ich nun bei meiner Auswahl der Mode aus längst vergangener Zeit den Vorrang gab, war es nur schlüssig auch meinen Gehrock dazuzulegen. Nun denn, wenn ich schon den Gehrock erwog, war natürlich auch eine passende Kopfbedeckung zur Abrundung standesgemäß, dachte ich wirklich „standesgemäß“? Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Oh, was machte es mir Spaß, mich derart zu gewanden und auszustaffieren. So schaute ich, welcher Hut mich am besten kleidete. Der Zylinder, den ich jedoch nicht zur einfachen Jeans tragen wollte, oder der Bowler, der sich jedoch für seine von mir empfundene Gewöhnlichkeit selbst ins Aus schob. Vielleicht dann doch der Dreispitz, der mir in gewisser Weise etwas Verwegenes gab, so wie Jack Sparrow oder wie in den alten Mantel- und Degen-Filmen, die ich in meiner Jugend- und Schulzeit so gerne mit Freunden gesehen hatte.
Also legte ich die von mir favorisierten Kleidungstücke zurecht und erfreute mich an deren Anblick. Verdammt, ich sähe wirklich gut aus und egal was mich erwartete, nichts konnte einen modebewussten, bestens gekleideten Manne erschüttern oder diffamieren. Besonnen gewähltes Textil konnte zu einer Rüstung werden, auch wenn dies von dem Schneider nicht als solches beabsichtigt vorgesehen war. Ob ein Gehstock, das Accessoire für den Gentleman von Welt, das Gesamtbild abrundete, wollte ich erst kurzfristig entscheiden und erst am Tage der Überraschung aus meiner Kollektion einen zu meiner Laune passenden auswählen.
Einer jähen Eingebung folgend griff ich zu meinem Handy, um eine Freundin mit der Bitte zu kontaktieren, meine Haut zu verwöhnen und mir zusätzlich eine Maniküre angedeihen zu lassen. Auch wenn es unter den meisten Herren verpönt war, so buchte ich für meinen Teil regelmäßig einen Termin bei der Kosmetikerin meines Vertrauens, um den unvermeidlichen Alterungsprozess so angenehm wie erdenklich und mit so wenig Spuren wie möglich vonstatten gehenzulassen. Sei es meiner gesunden Eitelkeit oder dem jeder Person innewohnenden Narzissmus geschuldet, dass ich dieses überaus verwöhnende Schönheitsprogramm, vielleicht für die holde Weiblichkeit erdacht, als für mich angemessen und durchaus opportun empfinde.
Fortsetzung folgt ...