Der letzte Bandit lag weinend und zitternd auf dem Boden. "Mama ist sicher enttäuscht von mir", schluchzte er.
"Bestimmt ist sie das", bestätigte ihn Randalf und hockte sich neben ihm. "Was habt ihr mit dem Karren gemacht?"
"Ich will zu meiner Mama!", rief der Bandit, woraufhin er sich einen freundlichen Tritt einfing.
"Deine Mutter wird bestimmt ganz stolz auf dich sein, wenn du uns jetzt sagst, wo das Diebesgut ist", brummte Olesch.
Hoffnungsvoll sah die erbärmliche Gestalt zu ihm auf. "Meinst du wirklich?"
"Aber ja doch."
Randalf zog ihn an seinen Armfesseln hoch. "Los jetzt."
Ohne große Widerworte führte der Bandit uns in den Wald. Xelan lief direkt vor mir, doch seine Schritte wirkten etwas unbeholfen auf dem unregelmäßigen Untergrund. Als er stolperte, hielt ich ihn reflexartig an der Schulter fest.
Lächelnd drehte er sich zu mir um. "Danke, Gregor", säuselte er.
Ich nickte nur knapp und schob ihn weiter. Schon wieder wurde mir ganz warm. Hätte ich ihn mal fallen gelassen.
Die gestohlenen Kisten und Fässer befanden sich in einem Loch in der Erde, das hilfsbedürftig von einem Strauch verdeckt war. "Darf ich jetzt gehen?", fragte der Bandit weinerlich.
Randalf machte eine scheuchende Bewegung. "Geh du nur." Damit huschte der Bandit eilig in Richtung Straße davon.
"Was machen wir jetzt damit?", fragte Xelan. "Zwar ist das die Lieferung, die wir gesucht haben, aber wer weiß, ob das die ganze Ladung ist?"
"Scheiß auf die volle Ladung, Hilda wird zufrieden mit dem sein, was wir ihr bringen", meinte Olesch dazu. "Aber auch so können wir zu fünft niemals all das transportieren. Wir bräuchten einen Karren."
"Wie wäre es mit dem Karren, der an der Straße liegt?", schlug ich leise vor.
"Vollkommen unbrauchbar", erklärte Bumblebore. "Die Räder sind kaputt und abgesehen davon ist das Teil auf Pferde ausgelegt."
"Ich könnte ihn ziehen", schlug Olesch vor.
Bumblebore schüttelte den Kopf. "Orks", brummte er leise und fügte dann lauter hinzu: "Serania ist nicht einmal eine halbe Tagesreise entfernt. Wir sollten erst dorthin gehen und uns einen geeigneten Karren suchen."
Allgemeine Zustimmung.
"Wir sollten die Kisten irgendwo anders hinbringen", überlegte Bumblebore zusätzlich laut. "Falls die Diebe zurück kommen."
Xelans Augen blitzten auf. "Oder zwei von uns bleiben hier, um auf die Ladung aufzupassen", schlug er vor. "Gregor und ich könnten das machen."
Natürlich kam diese Idee von Xelan. Obwohl es mir missfiel, alleine mit ihm hier zu bleiben, musste ich doch zugeben, dass es eine gute Idee war. Abgesehen davon vermisste ich den Wald. "Für mich wäre das in Ordnung."
"Na schön." Randalf musterte Xelan eingehend. "Aber ihr klaut keinen Wein, klar?"
Abwehrend hob Xelan die Hände. "Ich doch nicht. Niemals."
Wir entschieden, noch ein paar Stunden zu schlafen, bis es wieder hell wurde. Nur ich blieb wach, um Wache zu halten, und natürlich auch Xelan.
"Eine Flasche weniger würde der Barfrau doch bestimmt nicht auffallen", meinte er mit einem prüfenden Blick zum Versteck.
Abwesend rieb ich das Blut an meinem Säbel mit etwas Moos ab. Das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war ein rostiges Schwert. "Ich halte dich nicht auf."
"Meinst du, Randalf hat das gezählt?" Vorsichtig hob er den Strauch an, um auf die Kisten zu spähen.
"Wann denn?"
"Auch wieder wahr." Damit zog Xelan eine Flasche aus dem Loch und steckte sie in seine Tasche. "Für unsere nächste romantische Nacht", meinte er grinsend.
Beschämt drehte ich mich weg. Wie konnte er so etwas nur immer wieder raushauen, ohne mit der Wimper zu zucken? "Wolltest du nicht ein Gedicht schreiben oder so?"
"Aber ja doch!" Mit wenigen Schritten war Xelan bei mir und setzte sich dicht neben mich. Ich rückte etwas zur Seite. "Keine Kreativität ohne kreativen Saft."
Seufzend holte ich die halb volle Flasche aus meinem Umhang hervor und gab sie ihm. So blieben wir noch eine ganze Weile sitzen, er in seinem kleinen Notizbuch schreibend, ich aus Langeweile mein Schwert polierend, Wein trinkend, bis die Sonne aufging. Die Flasche war bereits vollkommen leer, als Olesch aufwachte.
"Können wir dann los?", fragte er, nachdem er sich ausgiebig gestreckt hatte.
"Die anderen schlafen noch." Ich steckte meinen Säbel zurück an seinen Platz, bevor ich aufstand. "Die müsstest du vorher aufwecken."
Ohne zu zögern trat Olesch leicht gegen die schlafenden Körper. "Ey, aufwachen", sagte er. "Wir müssen los."
Als Olesch, Randalf und Bumblebore weg waren, drehte Xelan sich zu mir um und sagte: "Ich will wissen, wo diese Bärenspuren hinführen!"
"Wahrscheinlich zu einem Bären", behauptete ich.
Xelan ging bereits zurück zum umgekippten Karren. "Ja, natürlich auch zu einem Bären. Aber es kann doch sein, dass er den Händler verschleppt hat!"
"Und das fällt dir erst jetzt ein!?" Fassungslos lief ich ihm nach.
"Ja." Er kniete sich hin und sah sich die vertrampelten Spuren genauer an. "Also, das hier sind eindeutig Bärenspuren."
"Soweit waren wir schon. Lass mich mal." Freundlich schob ich ihn zur Seite und sah mir ebenfalls die Spuren an. "Also, der Bär ist hier mehrfach rumgetrampelt und dann zurück in den Wald. Die hier sind schon ein paar Tage alt und ziemlich verwischt, aber ich denke, ich könnte uns zu dem Bären führen."
Sofort glänzten Xelans Augen glücklich. "Machst du das auch? Bitte?"
Mit einem Seufzen stand ich auf. "Nur, wenn du versprichst, nichts dummes zu tun."
"Ich mache nie etwas dummes."
Wir gingen also zurück in den Wald. Die Fährte schlängelte sich zwischen den Bäumen hin und her, aber am verbogenen Gras konnte ich ziemlich genau erkennen, wo der Bär lang gegangen war. In meiner anderen Gestalt wäre das hier einfacher. Inzwischen fiel es mir immer schwerer, das Kribbeln in meiner Brust zurückzuhalten, aber ich konnte mich nicht vor Xelan verwandeln. Ich durfte nicht.
Nach einer Weile kamen wir an einer Lichtung an. "Warte", flüsterte ich und hielt Xelan zurück, bevor er zwischen den Bäumen hervortreten konnte. "Da ist er." Am anderen Ende der Lichtung kauerte ein kleiner Braunbär, wahrscheinlich ein Jungtier. Er bewegte sich ein wenig, aber noch schien er uns nicht bemerkt zu haben.
"Das hoffe ich doch", grinste Xelan und schob sich an mir vorbei.
Schnell hielt ich ihn am Arm fest. "Was hast du vor?"
"Vertrau mir." Lächelnd nahm Xelan meine Hand weg, hielt sie entwas länger als notwendig, bevor er seine Laute nahm und auf den Bären zuging. Aus seiner Tasche holte er etwas zu Essen und murmelte ein paar Worte, bevor er es dem Tier hinwarf. Dieses schien augenblicklich sehr interessiert an Xelan zu sein – Zu interessiert.
In meinem Bauch spürte ich das altbekannte Kribbeln, und dieses Mal konnte ich es nicht mehr ignorieren. Xelan war in Gefahr, ich konnte nahezu greifbar spüren, dass sein Zauber auf grässliche Weise schiefging.
Die pelzige Stelle an meinem Arm brannte unangenehm und breitete sich auf dem gesamten Körper aus, während mein Körper länger wurde und sich dem Boden entgegen neigte. Es fühlte sich auf wundervolle Art schmerzhaft an, und ich presste meine Reißzähne zusammen, um kein verräterisches Heulen von mir zu geben. Meine letzte Verwandlung war definitiv zu lange her.
Sogleich waren meine Sinne geschärft. Der Geruch von nassem Fell, Blut und Wald drang in meine Nase, und ich konnte Kleintiere im hohen Gras krabbeln hören. Vor allem aber nahm ich diesen Bären wahr, der Bär, der gerade auf Xelan zusprang und ihn mit seiner kräftigen Pranke zu Boden riss. Ich konnte nur zusehen, wie Xelan versuchte, sich freizukämpfen, und daraufhin gegen einen Baum geworfen wurde. Er gab nicht einmal einen Ton von sich, als er schlaff auf die feuchte Erde fiel.
Ein Anflug von Panik überkam mich. War er tot? Hatte dieses blöde Bärenkind wirklich gerade den ersten Menschen an Land getötet, der bedingungslos freundlich zu mir gewesen war? Mit einem animalischen Schrei stürzte ich mich auf seinen Rücken. Sofort schnitten meine Krallen durch seinen Pelz, doch ich konnte mich nicht halten, als er sich knurrend umdrehte. Er schnappte nach mir, und beim zweiten Mal traf er mich in den Arm. Adrenalin schoss durch meine Venen, als ich mich an seinem Biss hoch hievte, um ihn zu kratzen. Irgendwie, irgendwo. Dieses Vieh durfte nicht damit durchkommen. Ich erwischte ihn am Hals und eine gigantische Menge an Blut schoss zwischen dem dunklen Pelz hervor. Jaulend ließ er mich los, schüttelte sich irritiert und hechtete durch die Bäume davon.
Schwer atmend sah ich ihm nach. Offenbar hatte ich ihn vertrieben. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er gestorben wäre, aber das sollte es auch tun, sofern er nicht auf die Idee kam, seine Mutter zu holen. Humpelnd ging ich rüber zu Xelans schlaffem Körper. "Bitte sei noch am Leben, du darfst nicht daran gestorben sein", flehte ich innerlich.
Seine Augenlider flatterten. "Gregor", hauchte er mit zittriger Stimme, "...bist du das?" Kurz trafen sich unsere Blicke, dann schlossen sich seine Lider wieder.
Ich konnte nicht antworten, und das lag nicht nur an dieser Gestalt. Stattdessen zog sich das Fell auf meinem Körper wieder zu meinem Arm zurück, die Knochen wurden kürzer und ich bekam wieder Hände. "Keine Angst", sagte ich leise, eher zu mir selbst als zu ihm, und fuhr mir hastig über die kurz geschorenen Haare.
"Mir ist so kalt...", kam es leise von Xelan.
Vorsichtig hob ich ihn hoch. "Halt noch etwas durch." Ächzend hievte ich mich auf die Beine. Xelans warmer Atem traf gleichmäßig auf meine Brust, während ich ihn zurück zum Versteck trug. So, wie er jetzt in meinen Armen lag, blass und schwitzend, war kaum noch etwas von dem charismatischen Barden zu erkannen. "Bleib noch etwas bei mir, geh nicht weg. Alles wird gut", murmelte ich und ließ ihn an einem Baum nieder. Zärtlich strich ich ihm das dunkle Haar aus dem Gesicht. "Du dummer Barde." Für einen Moment verharrte ich und sah in sein Gesicht. Auf seltsame Art und Weise sah er angestrengt aus. Die Brauen waren etwas zusammengezogen, und die weichen Lippen leicht geöffnet. Als ob er jeden Moment die Augen aufschlagen und mich ansehen würde. Dann würde ich ihn erleichtert an mich drücken und nie wieder los lassen. Ich würde nicht zulassen, dass ihm so etwas noch einmal wiederfährt, und immer bei ihm sein, um auf ihn aufzupassen.
Was dachte ich schon wieder? Er war nur ein Mensch! Nur, weil er zwei Tage nett zu mir gewesen war, hieß das noch lange nicht, dass er besser war als alle anderen Landratten! Hastig knöpfte ich mir den Umhang von den Schultern und deckte ihn zu. Dann stand ich auf und ging ein paar Schritte. Um mich abzulenken, überprüfte ich das Versteck, suchte ein paar Beeren, überprüfte noch einmal das Versteck, und ging dann doch zurück zu Xelan. Inzwischen pulsierte die Wunde an meinem Oberarm schmerzvoll im Takt meines Herzschlages, der sogleich schneller wurde, als ich Xelans Atem überprüfte. Er war schwach, aber noch da. Schließlich setzte ich mich an einen Baum in seiner Nähe und wartete hilflos darauf, dass er wieder aufwachte.