Als die ersten Sonnenstrahlen mich aus dem viel zu kurzen Schlaf weckten, war das erste, was ich sah, Gregors Hinterkopf. Ich kuschelte mich dichter an ihn und bemerkte seinen erdigen Geruch. Ein wohliges Lächeln legte sich auf mein Gesicht. Gerade als ich wieder im Inbegriff war erneut einzunicken, hörte ich eine fremde Stimme aus einigen Metern Entfernung: „Guten Morgen die Herren, ich hörte ihr sucht einen Weg in den Wald?“
Der Morgen war in einem kalten Nebel eingehüllt und die Sonne fand keinen Weg durch die gräuliche Wolkendecke. Unter kaum verständlichem Gemurmel und leichtem Seufzen richteten sich alle außer Gregor auf.
„Hey Gregor, aufstehen. Die anderen sind auch schon wach. Wir müssen gleich los“, säuselte ich in Gregors Ohr.
„Mhm, warte… bis Jäger da… dann wach“, nuschelte er im Halbschlaf zurück.
„Der Jäger ist schon da, komm steh auf du Morgenmuffel.“
Unter einem nicht zu überhörenden Knurren richtete sich Gregor allmählich auf und schaute mich verschlafen an. Ich wischte ihm zärtlich den letzten Schlaf aus den Augen und zog ihn dann zu den anderen, welche sich schon um den Jäger versammelt hatten. „Dann kann es ja losgehen!“
Gemeinsam folgten wir dem Jäger in Richtung des dichten Waldes. Randalf erzählte dem gelangweilt dreinschauenden Olesch von einem Traum, den er in der letzten Nacht gehabt hatte: Es ging um Kräuter, welche ein Eigenleben entwickelt hatten und an ihm hochgewachsen sind, bis er sich selbst zu einem blühenden Busch verwandelte. Bei diesem Gespräch fiel mir ein, dass auch ich diese Nacht wieder einen komischen Traum gehabt hatte. Nachdenklich sah ich zu Gregor, der ein wenig vor mir lief. Sollte ich ihm davon erzählen? Lieber nicht, wahrscheinlich würde ihn das nur unnötig beunruhigen.
Die ersten Baumkronen breiteten sich über unseren Köpfen aus und je weiter wir gingen, desto dichter wurde der Wald. Schon bald blieb uns nichts anderes übrig, als in einer Reihe hintereinander zu laufen. Die Sicht verschlechterte sich allmählich und es wurde noch kälter, als es an diesem trüben Morgen ohnehin schon war. Die Bäume schienen die restliche Wärme aus der Luft zu ziehen. Ich holte meine Flöte raus, die einzige Möglichkeit wie mir schien, um ein wenig Wärme zurück zu bringen und die anderen mit einem Wanderlied die Verunsicherung zu nehmen. Ich hatte sie noch nicht einmal mit meinem Mund berührt, da guckte mich Gregor ein wenig entsetzt an. „Du kannst doch jetzt nicht flöten, wer weiß wer hier noch alles mithört und auf uns aufmerksam werden kann!“
Mit dem größten Schmollen im Gesicht, das ich seit dessen Versteinerung aufgelegt hatte, steckte ich die Flöte wieder weg. Er hatte ja Recht, vielleicht war es nicht die beste Gelegenheit, um meine unglaublich guten Musikkünste preiszugeben.
Plötzlich blieb Bumblebore, welcher direkt vor mir lief stehen, so dass ich in ihn und Gregor wiederrum in mich hineinlief. Mit großen Augen und zitternden Augenbrauen blickte Bumblebore neben uns in den dichten Wald. Sein Blick wirkte fokussiert und er rührte sich keinen Millimeter.
„Was ist los?“, fragte ich und auch Olesch, Pagrim, Randalf und der Jäger, welche vor uns liefen, blieben stehen.
„Pscht! Ich versuche den Wald zu durchschauen. Irgendwie habe ich das Gefühl man kann ihn nicht trauen.“ Während er dies sagte, strengte sich sein Gesicht unglaublich stark an und seine Augenbrauen wanderten immer höher. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und als Bumblebore merkte, dass wir ihn alle ein wenig verdutzt anschauten, räusperte er sich und machte Anstalten ein wenig beschämt wieder weiter zu laufen.
Einige Abzweigungen und einen Fehlversuch von Olesch, einen viel zu großen Stein am Wegesrand mitzunehmen später, sahen wir uns alle vor einer Schlucht wieder. Die Brücke, welche uns hinübergeführt hätte, war kaputt.
Bumblebore sagte irgendwas, aber seine Stimme war viel zu leise, um die von Pargrim zu übertönen. „Wir könnten eine gigantische Räuberleiter bauen und so als Einheit einen FlickFlack zur anderen Seite wagen“, schlug er vor.
Die Gruppe war sich einig, dass wir einen solch akrobatischen Akt wohl nicht ohne Verletzte durchführen könnten. Stattdessen hatte Randalf eine andere Idee: „Wie wäre es, wenn wir auf den Baum, der hier direkt neben uns steht, klettern und von dort aus rüber springen?“
„Vielleicht kann ich in meiner anderen Form was bewirkten“, verplapperte sich Gregor schließlich, voraufhin der Jäger ihm einen skeptischen Blick zuwarf.
Bumblebore versuchte es erneut, ein wenig genervt: „Wir könnten einfach den Baum fällen und…“
Doch Olesch fiel ihm ins Wort: „Was, wenn ich Pargrim mit einem Seil hinüberwerfe, und wir uns dann daran hinüber hangeln! Das dürfte nicht allzu schwer sein, schließlich ist er der kleinste von uns.“
Der Vorschlag wurde von allen als gut erachtet, bis auf den kopfschüttelnden Bumblebore. Zum Glück hatte ich mein außerordentlich gutes Seil dabei und gab es Pargrim. Dieser schaute ein wenig verunsichert zu Olesch während dieser ihn hochnahm. Schließlich sagte er: „Okay, wirf mich, aber sag das bloß niemals einem Elb!“ Gesagt getan, und Pargrim flog in einem perfekten Bogen bis zur anderen Seite. Dort angekommen machte er das Seil an einem Baum fest und zog ein paarmal daran, bevor er uns ein Zeichen gab, dass es sicher war. Nachdem auch wir es an dem Baum auf unserer Seite, welcher perfekt als Brücke fundiert hätte, befestigt hatten, kletterten wir nach und nach über die Schlucht.
Als Gregor zum Seil ging, nahm ich ihn kurz an die Hand und gab ihm einen Kuss. „Sei vorsichtig!“, sagte ich.
Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er mich an und erwiderte: „Bei all dem was ich schon erlebt habe, wird so ein kurzes Kletterspiel kein Problem sein.“ Und noch bevor ich mein Gedicht zum Thema „Klettern über gefährliche Schluchten“ herausgekramt hatte, war Gregor schon drüben.
Direkt danach war ich dran. Der Abgrund sah tiefer aus, als ich mir vorgestellt hatte. Auf einmal fühlten sich meine Beine an wie aus Gelee. Mit zittrigen Fingern umgriff ich das Seil , schwang mich daran hoch und kreuzte meine Beine darüber. Das Seil erbebte ein wenig, hielt meinem Gewicht aber stand. Vorsichtig zog ich mich etwas über die Schlucht. „Bloß nicht nach unten gucken, es ist alles gut, gleich bist du da“, redete ich mir leise zu. Bei den anderen hatte das so einfach ausgesehen, warum versteiften sich jetzt meine Gelenke so sehr, dass ich mich kaum noch zu bewegen traute?
„Alles in Ordnung, Xelan?“, schallte da auf einmal Gregors Stimme.
„Jaja“, brachte ich hervor und zwang meine Hand ein paar Zentimeter weiter. Es war gar nichts in Ordnung. Nur eine falsche Bewegung und ich wäre Matsche am Boden eines Felsens.
„Du bist gleich da“, rief Gregor noch einmal.
Er log bestimmt. Ich hatte mich doch kaum vom Fleck bewegt. Da erinnerte ich mich an seinen erdigen Geruch, den ich so mochte. Ich musste es nur über diese lächerliche Schlucht schaffen, ansonsten würde ich diesen Geruch nie wieder riechen. Also griff ich an das Seil vor mir und zog mich Handgriff für Handgriff hinüber. Als ich endlich die andere Seite erreicht hatte, ließ ich mich direkt in Gregors Arme fallen.
Überrascht wich er einen kleinen Schritt zurück, aber ich drückte ihn nur noch fester an mich. „Gib mir einen Moment“, murmelte ich in seinen Mantel, „ich brauche das eben.“
Mit einem leisen Seufzen drückte Gregor mir einen Kuss auf die Stirn und strich mir über den Rücken. Er roch noch immer nach Erde und Blumenwiese, fast so wie gestern. Tief sog ich den Geruch in mich auf, genoss die Nähe und seine Hände, die mich fest umarmten.
Dann hörten wir einen Schrei in der Schlucht.