Wir liefen den ganzen Tag. Bumblebore bestand darauf, einen Abstecher nach Serania zu machen, damit er dem Schamanen von Jürgen berichten konnte, aber wir hielten uns nicht allzu lange dort auf. Am späten Nachmittag erreichten wir eine Wiese, auf der einige Schafe friedlich grasten. Ein paar von ihnen hoben den Kopf, als wir ankamen und verzogen sich zu einem der Bäume, von denen mehrere überall auf der Wiese Schatten spendeten.
Unter einem von ihnen hielt Randalf auf einmal an und sah auf die Karte. "Leute – Ich habe die Orientierung verloren."
"Wie, du hast die Orientierung verloren?" Irritiert sah Olesch über Randalfs Schulter. "Du hast doch die Karte!"
"Ich weiß, dass ich die Karte habe!", fauchte Randalf. "Das heißt noch lange nicht, dass ich sie auch lesen kann!"
Sowohl Bumblebore als auch Jürgen sahen ihn entrüstet an. "Du kannst die Karte nicht lesen!?"
"Natürlich kann ich Karten lesen!" Genervt massierte Randalf sich die Schläfen. "Ich habe nur den Überblick verloren. Schließlich hat auch keiner von euch einen Kompass mitgenommen."
"Wir hätten in Serania einen kaufen können." Abgelenkt schälte Pargrim den Dreck unter seinen Fingernägeln hervor. "Also, ihr hättet ihn gekauft. Ich verschwende mein Geld nicht an solchen unnützen Schmuck."
"Der hätte uns wenigstens vor dieser Lage bewahrt", warf Gregor grimmig ein.
Einige Schafe hatten ihren Kopf gehoben und folgten unserer Diskussion interessiert. Vielleicht wussten die ja, wo es weiter nach MariusM ging? Ohne mich einzumischen ging ich auf das nächstbeste Schaf zu. Auf dem Weg rupfte ich ein paar Blumen aus der Erde und murmelte die benötigten Worte für meinen Zauber. Das Schaf beschnupperte die Pflanzen kurz, als ich sie ihm hinhielt, bevor es sie mit schnellen kleinen Bewegungen vernaschte.
"Hallo", sagte ich freundlich, "Ich bin Xelan. Es freut mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen."
"Ich bin ein Schaf", meckerte das Schaf. "Was willst du?"
Ich setzte ein freundliches Lächeln auf. Auch Schafe wollen betört werden! "Meine Begleiter und ich sind auf der Reise nach MariusM, ich meine Marusim, haben uns aber leider verlaufen. Da habe ich mich gefragt, ob du uns vielleicht weiterhelfen kannst?"
"Ich bin ein Schaf", sagte das Schaf wieder, "wie soll ich dir helfen?"
Besonders intelligent schien es ja nicht zu sein. "Weißt du, wo Marusim liegt?"
Das Schaf wiegte ein paar mal hin und her, dann ließ es traurig den Kopf sinken. "Ich weiß nicht, wo Marusim liegt", meckerte es, und ich wollte gerade schon aufgeben, als es hinzufügte: "Aber der Mensch in dem Haus da unten weiß es bestimmt!"
Ich folgte seinem Blick, und tatsächlich: Am Fuß des Hügels stand etwas versteckt hinter ein paar Büschen eine renovierungsbedürftig wirkende Hütte. "Hab vielen Dank!"
Das Schaf scharrte nervös mit seinen Hufen. "Warum habt ihr eine Bestie dabei?", fragte es. "Ich rieche, dass einer von euch eine Bestie ist."
Verdutzt sah ich das Schaf an. "Bestie? Achso, du meinst Gregor. Der ist doch keine Bestie."
"Er ist eine Bestie, das rieche ich", beharrte das Schaf. "Wir wurden neulich von einer Bestie überfallen. Wird eure Bestie uns überfallen?"
Daraufhin musste ich laut auflachen. "Niemals. Er wird euch kein Haar krümmen, versprochen."
"Die Menschen mögen auch keine Bestien", sagte es und scharrte wieder mit seinem Huf. "Die Bestie sollte nicht zu dem Menschen gehen. Ich bin nur ein Schaf, aber ich würde es auch töten, wenn ich so scharfe Zähne wie es hätte."
Mir blieb das Lachen im Halse stecken. "Danke für die Warnung." Höflich verabschiedete ich mich und ging zurück.
Gregor wartete bereits auf mich. Während die anderen noch in ihr Gespräch vertieft waren, galt seine Aufmerksamkeit bereits mir. "Was hat das Schaf gesagt?"
Inzwischen verstummte auch Bumblebore, der gerade eben noch über die Orientierung anhand von Sternen philosophiert hatte, und wandte sich an mich.
"Da unten steht ein Haus, vielleicht fragen wir dort mal nach", trug ich die Idee vom Schaf weiter, und fügte kleinlaut hinzu: "Und es sagte, dass die Menschen hier keine Friskana mögen." Besorgt sah ich zu Gregor.
"Das ist nichts Neues", meinte er schulterzuckend, aber ich sah, wie er seine Hand zur Faust ballte, sie angespannt wieder öffnete und erneut schloss.
"Alles klar, dann gehen wir mal runter und fragen nach", entschied Pargrim und machte sich auf den Weg nach unten.
Gregor machte sich schon daran, ihm zu folgen, aber ich hielt ihn am Arm fest. "Lass uns doch hier bleiben, ja?"
Randalf grinste mich aufmunternd an, bevor er den anderen drei mit etwas Abstand folgte.
"Immer suchst du unnötig Zweisamkeit mit mir", beschwerte Gregor sich mit einem Schmollen.
Unschulig hob ich die Hände. "Wenn du hinterher willst, nur zu. Aber erstens will ich nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst." Gemächlich schlenderte ich zurück zum Baum, um mich in seinen kühlen Schatten zu setzen. "Abgesehen davon dachte ich, wir könnten das von heute Morgen fortsetzen." Kokett öffnete ich den Knopf meines kurzen Umhangs und ließ ihn zu Boden gleiten.
Daraufhin errötete Gregor sichtlich und sah peinlich berührt zur Seite, nur um dann seinen Blick zaghaft über meinen Körper wandern zu lassen. "Es wäre ja auch ärgerlich, wenn ich schon wieder gefangen und eingesperrt enden würde. Im Besten Fall."
"Da würden sie mich schon mit dir einsperren müssen." Beiläufig öffnete ich mein Hemd gerade weit genug, um ihm eine verführerische Aussicht auf meine helle Brust zu bieten. "So schnell wirst du mich nicht mehr los."
"Und das könnte ich wiederum nicht zulassen." Endlich überwand Gregor die letzten Meter und beugte sich über mich, um mich zu küssen.
"Kommt ihr runter?"
Randalfs Stimme schnitt wie ein Schwert zwischen Gregor und mich. "Verdammter Mist", fluchte dieser und setzte sich auf, um hastig sein zerknittertes Oberteil glatt zu streichen.
"Wir kommen gleich", rief ich zurück, bevor ich beruhigend über Gregors Arm strich. "Hey, entspann dich. Es ist nicht so, als hätten wir hier etwas Verbotenes getan."
Gregor hatte gerade seine Hose wieder zurecht gerückt, aber jetzt drehte er sich mit einem verkniffenen Lächeln zu mir um. "Stimmt." Noch einmal beugte er sich für einen Kuss zu mir hinab, den ich dankbar in Empfang nahm.
Nachdem ich mein Hemd wieder zugeknöpft hatte, gingen wir allmählich zu den anderen. Den gesamten Abstieg lang fuhr Gregor mir mehrfach durch meine Haare, erst, um sie ein wenig zu ordnen, dann, um mich zu ärgern. Erfolgreich.
"Das hat ja gedauert." Ungeduldig trommelte Randalf mit den Fingern gegen seine verschränkten Arme. Zum Glück fragte niemand, was wir da oben getrieben hatten, stattdessen wandte sich die Gruppe bereits zum gehen.
Bumblebore ließ sich ein wenig zurückfallen, um mit Gregor und mir gleichauf zu gehen. "Der Bauer meinte, wir würden irgendwann auf einen Pfad treffen, der nach MariusM führt. Wenn wir zügig laufen, brauchen wir nur noch zwei Stunden."
"Hoffentlich gibt es dort eine Taverne." Abwesend fuhr Gregor sich über seine Haare, wie er es immer tat, wenn er in irgendeiner Weise beunruhigt war. "Ich könnte wirklich etwas Rum gebrauchen."
Grinsend griff ich nach seiner Hand und verschränkte unsere Finger. "War es so schlimm, dass du mich mit Alkohol aus deinem Kopf vertreiben musst?"
Sichtbar abgestoßen beschleunigte Bumblebore seinen Schritt. "Das will ich gar nicht wissen", brummte er, "könnt ihr das nicht machen, wenn ich nicht gerade anwesend bin?"
Gregor lachte leise, dann küsste er kurz meinen Handrücken. So leise, dass nur ich es hören konnte, lächelte er: "Es war mehr als wiederholenswert, mein Schatz."